Inhaltsverzeichnis
4. Fiktion einer kundgegebenen Innenvollmacht (§§ 171, 173)
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Die Rechtsscheinstatbestände der §§ 171, 173 knüpfen nicht an eine wirksam erteilte Außenvollmacht, sondern an die Kundgabe einer Innenvollmacht an.
Palandt-Ellenberger § 171 Rn. 2. Die Grenzen zu § 170 sind fließend.Beispiel
A sagt dem B, der V „sei in Zukunft sein Vertreter“: beide Varianten denkbar, die Auslegung nach §§ 133, 157 entscheidet.
Expertentipp
Der Einstieg in die Prüfung der §§ 171, 173 könnte folgendermaßen lauten:
„(…) V handelte bei Abschluss des Vertrages mit A folglich ohne wirksame Vollmacht des B. Möglicherweise ist V dem A gegenüber aber nach §§ 171, 173 aufgrund einer entsprechenden Mitteilung des B zu dessen Vertretung bei Abschluss des Vertrages befugt gewesen. Das setzt voraus …“
Gehen wir wieder die einzelnen Tatbestandsmerkmale mit Blick auf die Rechtsscheinsprinzipien durch.
a) Kundgabe einer so nicht bestehenden Innenvollmacht
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Die Kundgabe der Innenvollmacht („Rechtsscheinstatbestand“) kann nach § 171 Abs. 1 entweder dadurch geschehen, dass der Vertretene einen bestimmten Dritten über die Erteilung einer Bevollmächtigung des Vertreters informiert oder die Öffentlichkeit, also einen unbestimmten Personenkreis, z.B. durch Aushänge.
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Die Kundgabe ist eine geschäftsähnliche Handlung, auf die die Vorschriften über Willenserklärungen entsprechende Anwendung finden. Sie ist also anfechtbar und setzt Geschäftsfähigkeit des Kundgebenden voraus.
Palandt-Ellenberger § 171 Rn. 1; Medicus/Petersen Allgemeiner Teil des BGB Rn. 947.116
Solange die kundgegebene Innenvollmacht tatsächlich besteht, ist die Nachricht richtig. Es liegt gar kein Rechtsscheinstatbestand vor. § 171 setzt daher voraus, dass die kundgegebene Innenvollmacht bei Vornahme des Vertretergeschäfts gar nicht oder zumindest nicht im kundgegebenen Umfang besteht. Sie kann nie erteilt, anfänglich nichtig oder nachträglich erloschen sein.
Urteil des BGH vom 21.6.2005 (Az: XI ZR 88/04) unter Ziff. II 2b aa = NJW 2005, 2985; Palandt-Ellenberger § 171 Rn. 2.b) Kein Widerruf der Kundgabe vor Vornahme des Vertretergeschäfts, § 171 Abs. 2
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Aus § 171 Abs. 2 folgt weiter, dass der durch Kundgabe geschaffene Rechtsschein nicht durch einen GegenaktLateinisch: „actus contrarius“. in derselben Weise widerrufen worden sein darf. Hier kommt es nur auf den Vollzug des Widerrufs, aber nicht auf die tatsächliche Kenntnisnahme an.
Palandt-Ellenberger § 171 Rn. 2. Im Fall des Widerrufs einer Kundgabe gegenüber einem bestimmten Dritten genügt also allein der Zugang nach allgemeinen Regeln.118
Aus der Kundgabe der wirksamen Innenvollmacht folgt gleichzeitig, dass der Vertretene den objektiv entstandenen Rechtsschein zurechenbar verursacht hat.
Faust BGB AT § 26 Rn. 25. Die Kundgabe gleicht insoweit der Erteilung einer Außenvollmacht nach § 170. Das Risiko, den Dritten nicht rechtzeitig über das Erlöschen zu informieren, ist wie bei § 170 dem Vertretenen zuzuordnen.Expertentipp
Da die Zurechenbarkeit bereits aus den Tatbestandsmerkmalen des § 171 folgt, müssen Sie diese in der Klausur nicht als eigenen Prüfungspunkt erwähnen. Es geht hier nur darum, Ihnen die Wiederkehr der allgemeinen Rechtsscheinsprinzipien zu verdeutlichen.
c) Gutgläubigkeit des Dritten bei Vornahme des Rechtsgeschäfts mit dem Vertreter, § 173
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Im Fall des § 171 ist der Dritte wie im Fall der §§ 170, 173 nur schutzwürdig, wenn er vom Kundgabeakt tatsächlich Kenntnis erlangt hat, was allerdings vermutet wird.
Palandt-Ellenberger, § 171 Rn. 2; Faust BGB AT § 26 Rn. 26.Beispiel
A hat dem Händler H geschrieben, er fahre zur Kur und habe deshalb den V bevollmächtigt, Einkäufe in seinem Namen vorzunehmen. Der Brief geht dem H zu, bleibt dort aber ungeöffnet liegen. V kauft später bei H im Namen des A einen Fernseher. A teilt dem H nach seiner Rückkehr mit, er genehmige den Kaufvertrag nicht, da er die Vollmacht des V vor dem Kauf des Fernsehers widerrufen und V somit keine Vertretungsmacht mehr gehabt habe. H findet nun den alten Brief des A und hält dem A dessen Inhalt triumphierend entgegen.
Der Triumph des H ist unberechtigt, da er den Kaufvertrag in Unkenntnis der im Brief enthaltenen Kundgabe geschlossen hat und deshalb kein schutzwürdiges Vertrauen auf eine Vollmacht des V entwickeln konnte. Aber: A müsste die fehlende Kenntnis des H in einem Prozess beweisen, was praktisch kaum möglich ist.
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Wenn Sie § 173 genau durchlesen, stoßen Sie auf eine Ungereimtheit. Die Vorschrift nimmt keinen Bezug auf § 171 Abs. 1. Wenn die Kundgabe nicht nach § 171 Abs. 2 widerrufen wird, käme danach also auch derjenige Geschäftspartner in den Genuss der Wirkung des § 171 Abs. 1, der die Unrichtigkeit der Kundgabe kannte oder kennen musste. Das wird allgemein als Redaktionsversehen gewertet, so dass § 173 auch auf diesen Fall anzuwenden ist.
Medicus/Petersen Allgemeiner Teil des BGB, Rn. 946; Faust BGB AT, § 26 Rn. 32.Im Übrigen gelten die oben unter Rn. 107 ff. zu § 173 gemachten Ausführungen entsprechend.