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I. Empfangsbedürftigkeit der Willenserklärung
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Bei nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen führt bereits die Abgabe zu ihrer Wirksamkeit, sofern nicht Wirksamkeitshindernisse vorliegen (z.B. Nichtigkeit nach §§ 104, 105 Abs. 1). Ein Zugang ist zu ihrer Wirksamkeit nicht erforderlich. Das ist allgemein anerkannt, auch wenn das Gesetz dies nicht eigens ausspricht.
Medicus/Petersen Allgemeiner Teil des BGB Rn. 293; Palandt-Ellenberger § 130 Rn. 1; Faust BGB AT § 2 Rn. 18; Petersen JURA 2006, 426 unter Ziff. II 1.Beispiel
Annahme nach § 151; Auslobung (§ 657), Aufgabeerklärung nach § 959, Testament (§§ 2229 ff.).
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Bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen ist dies anders. Wie wir bereits an der Formulierung des § 130 Abs. 1 S. 1 gesehen haben, werden empfangsbedürftige Willenserklärungen, die unter Abwesenden abgegeben werden, erst mit Zugang beim richtigen Empfänger wirksam. Der Zugang ist bei ihnen also Wirksamkeitserfordernis. Der Zugang ist folglich nur bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen zu prüfen.
Beispiel
Angebot und Annahme (Ausnahme: § 151), Anfechtungserklärung (vgl. § 143), Vollmachtserteilung (§ 167 Abs. 1), Zustimmungserklärung (§ 182 Abs. 1), Rücktrittserklärung (§ 349), Aufrechnungserklärung (§ 388 S. 1).
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Bei Abgabe einer empfangsbedürftigen Willenserklärung unter Anwesenden gibt es keine dem § 130 Abs. 1 S. 1 entsprechende Regelung. Dies wird aber allgemein nicht so verstanden, dass bei ihnen allein die Abgabe zur Wirksamkeit führen kann. Vielmehr bedürfen auch die unter Anwesenden abgegebenen Willenserklärungen zu ihrer Wirksamkeit des Zugangs beim richtigen Empfänger.
Petersen JURA 2006, 426 unter Ziff. II 1. Eine ganz andere Frage ist, wann der Zugang in diesen Fällen eintritt. Dazu gleich mehr.Hinweis
Neben der Frage, ob eine Willenserklärung überhaupt wirksam geworden ist, ist der Zeitpunkt ihres Zugangs häufig von entscheidender Bedeutung für die Falllösung. Der Zeitpunkt ist immer dann bedeutsam, wenn Fristen (z.B. Kündigungsfristen) einzuhalten sind oder wenn die Frage nach dem rechtlichen Erfolg eines Widerrufs gem. § 130 Abs. 1 S. 2 im Raum steht.
Die Prüfung des Zugangs einer empfangsbedürftigen Willenserklärung ist also sowohl für das „Ob“ als auch für das „Wann“ ihres Wirksamwerdens entscheidend.