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In folgenden Vorschriften ist das Rücksichtnahmegebot verankert und vermittelt dadurch partiellen Nachbarschutz:
S. vertiefend Konrad JA 2006, 59; Decker JA 2003, 246; Schoch Jura 2004, 317.659
(a) Das Rücksichtnahmegebot im beplanten Bereich gemäß § 30 Abs. 1, Abs. 3 BauGB: Im beplanten Bereich kommt das Rücksichtnahmegebot für ein beplantes Gebiet zunächst in § 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO („unzumutbar“) zum Ausdruck.
BVerwGE 67, 334, 338 f. Daher kann ein Vorhaben, das nicht nachbarschützende Vorschriften verletzt, dennoch wegen eines Verstoßes gegen das Rücksichtnahmegebot unzulässig sein.660
Es kommt für den Fall einer Befreiung in § 31 Abs. 2 BauGB zum Ausdruck.
BVerwG NVwZ 1987, 409. Begründet wird dies mit dem Wortlaut der Norm („unter Würdigung nachbarlicher Interessen“) und deren Zielrichtung, die nicht nur die städtebauliche Ordnung, sondern auch den Schutz der Interessen des Nachbarn bezweckt.BVerwG NVwZ 1987, 409. Daher kann ein Nachbar bei einer rechtswidrigen Befreiung von einer nicht nachbarschützenden Vorschrift geltend machen, im Einzelfall in seinen Rechten verletzt zu sein.Muckel JuS 2000, 132, 134. Hierbei kann er die Ermessensentscheidung nach § 31 Abs. 2 BauGB jedoch nur begrenzt auf Ermessensfehler überprüfen lassen, nämlich nur darauf, dass seine nachbarlichen Interessen unzureichend gewürdigt wurden.BVerwG NVwZ-RR 1999, 8.661
(b) Das Rücksichtnahmegebot im unbeplanten Innenbereich gemäß § 34 BauGB: Im unbeplanten Innenbereich wird das Rücksichtnahmegebot als besondere Ausprägung des Tatbestandsmerkmals des „Sich-Einfügens“ gemäß § 34 Abs. 1 BauGB angesehen.
BVerwGE 67, 334, 337; BVerwGE 89, 69, 76; BVerwG DVBl 1981, 928, 930. Hiernach kann sich ein Vorhaben, obwohl es sich in jeder Hinsicht innerhalb des aus seiner Umgebung vorgegebenen Rahmens hält, dennoch nicht einfügen, wenn es an der gebotenen Rücksichtnahme auf die sonstige, insbesondere in der unmittelbaren Umgebung vorhandene, Bebauung fehlen lässt. Das Rücksichtnahmegebot lässt sich daher als ein verschärfendes Korrektiv verstehen.Brenner Öffentliches Baurecht Rn. 848 m.w.N. Es kann insbesondere bei einer erdrückenden Wirkung eines Gebäudes einschlägig sein.BVerwG DVBl 1981, 928.Beispiel
Das Rücksichtnahmegebot ist im Falle eines im Gebiet grundsätzlich zulässigen Getränkemarkts zugunsten des Eigentümers eines nur wenige Meter entfernten Wohngebäudes verletzt, da nach der allgemeinen Lebenserfahrung von einem Getränkemarkt erheblicher Lärm, insbesondere beim Verladen und Transport von Ware und Leergut durch Kunden und Lieferanten, ausgeht.
BVerwG NVwZ 1989, 666.Gegen das Rücksichtnahmegebot verstößt auch eine Drogenberatungsstelle in einem überwiegend durch Wohnnutzung geprägten Gebiet, wenn die Klienten nur wenige Meter entfernt von einem Wohngebäude vor der Drogenberatungsstelle suchttypisches Verhalten an den Tag legen.
Niedersächsisches OVG BauR 2007, 1214.662
(c) Das Gebot der Rücksichtnahme im unbeplanten Außenbereich gemäß § 35 BauGB: Im unbeplanten Außenbereich ist das Rücksichtnahmegebot in § 35 Abs. 3 BauGB,
BVerwG NVwZ-RR 2001, 82. als ungeschriebener öffentlicher Belang, der insbesondere im Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen nach § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BauGB (vgl. § 3 Abs. 1 BImSchG, der ausdrücklich die „Nachbarschaft“ nennt) enthalten ist.Brenner Öffentliches Baurecht Rn. 851 m.w.N.Hinweis
Im unbeplanten Außenbereich hat ein Landwirt, der ein privilegiertes Vorhaben gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB betreibt, einen Abwehranspruch gegen eine heranrückende Wohnbebauung, die unzumutbaren Immissionen ausgesetzt wäre und damit immissionsschutzrechtliche Abwehransprüche gegenüber dem Landwirt geltend machen und somit die Privilegierung des Landwirts gefährden könnte.
BVerwG NVwZ-RR 1999, 423, 424. Diese Konstellation der heranrückenden Wohnbebauung ist ein Klassiker des Baurechts.Auf nicht genehmigte Vorhaben muss allerdings keine Rücksicht genommen werden, da diese es ihrerseits an der erforderlichen Rücksicht fehlen lassen.
BVerwG BauR 1992, 491.Beachten Sie unbedingt, dass das Rücksichtnahmegebot nicht zur einer allgemeinen Billigkeitslösung im Bereich des Baunachbarrechts führen darf.
Dürr Baurecht Baden-Württemberg Rn. 303.