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Erste Voraussetzung für den passiven baurechtlichen Bestandsschutz ist, dass eine schutzwürdige und legale Eigentumsausübung gegeben ist.
Brenner Öffentliches Baurecht Rn. 644.Einigkeit herrscht bezüglich der Beurteilung, dass eine formell legale, d.h. genehmigte, Anlage Bestandsschutz ungeachtet ihrer materiellen Rechtmäßigkeit, d.h. ihrer materiellen Legalität, genießt, da die legalisierende Wirkung der Baugenehmigung fortwirkt, solange diese nicht aufgehoben wurde.
Vgl. Brenner Öffentliches Baurecht Rn. 709, 704.Uneinigkeit herrscht hingegen hinsichtlich der Beurteilung der Frage, ob einer formell illegalen Anlage wegen einer zwischenzeitlich gegebenen materiellen Legalität, d.h. der Übereinstimmung mit den materiell-baurechtlichen Vorschriften, Bestandsschutz zukommt. Da dieser Frage im Rahmen der Prüfung von bauordnungsrechtlichen Eingriffsverfügung Bedeutung zukommt, wird sie dort dargestellt (s. Rn. 520 ff.).
Zum Zweiten gilt, dass der Bestandsschutz beginnt, wenn die Anlange im Wesentlichen fertig gestellt ist und endet, wenn die Anlage nicht mehr oder nur noch aus nicht mehr nutzbaren Teilen besteht.
Brenner Öffentliches Baurecht Rn. 711.Die erste Grenze des passiven Bestandsschutzes besteht darin, dass noch eine schutzwürdige Substanz bzw. deren Nutzung gegeben sein muss. Sollten Anlangen verfallen sein, ist kein passiver Bestandsschutz mehr gegeben.
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Eine zweite Grenze ist erreicht, wenn eine endgültige Nutzungsaufgabe vorliegt.
Die Frage, wann eine endgültige Nutzungsaufgabe gegeben ist, wird uneinheitlich beantwortet.
Da § 62 LBO nur die Errichtung eines Bauvorhabens betrifft kann diese Vorschrift keine Anwendung finden. Daher ist für die Geltungsdauer einer Baugenehmigung § 43 Abs. 2 LVwVfG maßgeblich, wonach ein Verwaltungsakt u.a. so lange wirksam bleibt, bis er sich auf sonstige Weise erledigt. Eine derartige Erledigung ist gegeben, wenn die bisherige Nutzung völlig aufgegeben wurde und eine neue Nutzung aufgenommen wird.
VGH Baden-Württemberg VBlBW 2010, 111. Wird hingegen lediglich eine bisherige Nutzung, ohne dass eine neue andersartige Nutzung aufgenommen wird, beendet, so muss dem Eigentümer eine gewisse Überlegungszeit eingeräumt werden,Dürr Baurecht Baden-Württemberg Rn. 259. weil es in derartigen Konstellationen noch offen ist, ob die bisherige Nutzung wieder aufgenommen wird oder aber eine andere Nutzung erfolgen soll.BVerwG NVwZ 1988, 569.Das Bundesverwaltungsgericht stellte früher
In BVerwG NVwZ 1998 735 nahm das BVerwG hiervon Abstand. auf das im Rahmen des § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 BauGB entwickelte Zeitmodell (s. hierzu Rn. 387) ab und vertrat, dass der durch die Baugenehmigung vermittelte Bestandsschutz entfalle, wenn ein Gebäude mehr als zwei Jahren nicht genutzt wird.BVerwGE 98 235. Anwendung fand das Zeitmodell (s. Rn. 387).Überwiegend wird eine Anwendung des Zeitmodells abgelehnt.
VGH Baden-Württemberg BauR 2009, 1881; a.A. VGH Baden-Württemberg BauR 2003, 1539; Niedersächsisches OVG NVwZ-RR 2009, 910; Mager JA 2010, 79, 80; Uechtriz DVBl 1997, 347; Schmaltz DVBl 2000, 828; Uschkereit BauR 2010, 718. Hierfür wird angeführt, dass im Baurecht keine Rechtspflicht zur entsprechenden Nutzung eines genehmigten Baubestandes bestehe.VGH Baden-Württemberg BauR 2009, 1881. Daher könne allein aufgrund einer – auch länger andauernden – Nutzungsunterbrechung nicht davon ausgegangen werden, dass das Gebäude mit der ihm zugedachten (Nutzungs-)Funktion nicht mehr bestehe und das Regelungsobjekt der Baugenehmigung weggefallen sei.Thüringer OVG NVwZ-RR 2000, 578. Ferner beziehe sich das Zeitmodell auf den materiell-rechtlichen Bestandsschutz, der von der verfahrensrechtlichen Frage, wie lange eine Baugenehmigung nach Aufgabe der genehmigten Nutzung wirksam bleibt zu unterscheiden sei.Dürr Baurecht Baden-Württemberg Rn. 259.Daher wird teilweise auf die landesrechtlichen Regelungen abgestellt.
Niedersächsisches OVG NVwZ-RR 2009, 910 stellt auf § 77 NBauO ab. Hiergegen spricht jedoch, dass die Geltungsdauer einer Baugenehmigung bei einer Unterbrechung der Bauarbeiten nach § 62 Abs. 1 LBO auf ein Jahr reduziert wurde.Dürr Baurecht Baden-Württemberg Rn. 259. Der VGH Baden-Württemberg stellt auf die Umstände des Einzelfalls ab und fordert die unzweifelhafte und unmissverständliche Erklärung des Verzichtswillens.S. vertiefend VGH Baden-Württemberg BauR 2009, 1881. Hiergegen wird jedoch eingewandt, dass dies zu einer Rechtsunsicherheit führe.Dürr Baurecht Baden-Württemberg Rn. 259.