Inhaltsverzeichnis
III. Öffentlich-rechtliche Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA)
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Eine öffentlich-rechtliche GoA wird grds. angenommen.
BVerwGE 80, 170, 172; OVG NRW NVwZ – RR 2013, 759 ff.; Baldus/Grzeszick/Wienhues Rn. 245. Sie wird unter Beachtung der nachfolgenden Punkte geprüft:Prüfungsschema
Wie prüft man: Öffentlich-rechtliche Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA)
I. | Abgrenzung zur privatrechtlichen GoA |
II. | Voraussetzungen der GoA, §§ 683 S. 1, 670 BGB analog im einzelnen |
III. | Fremdes Geschäft |
IV. | Fremdgeschäftsführungswillen |
V. | Ohne Auftrag |
VI. | Berechtigte GoA |
VII. | Umfang des Aufwendungsersatzanspruchs |
1. Abgrenzung zur privatrechtlichen GoA
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Eine öffentlich-rechtliche GoA liegt vor, wenn in einem als öffentlich-rechtlich zu charakterisierenden Rechtsverhältnis die Elemente der privatrechtlichen GoA vorliegen.
Die privatrechtliche GoA betrifft die Situation, in der jemand – der Geschäftsführer – ein Geschäft für einen anderen – Geschäftsherr – besorgt, ohne dazu beauftragt oder sonst dazu berechtigt zu sein, §§ 677 ff. BGB. Das heißt, die Punkte „eine Geschäftsführung“, „für einen anderen“ und „ohne Auftrag“ müssen gegeben sein.
Peine § 15 Rn. 1055; Maurer § 29 Rn. 19.138
In Abgrenzung zur privatrechtlichen GoA ist nach der h.M. eine öffentlich-rechtliche GoA dadurch gekennzeichnet, dass das Geschäft öffentlich-rechtlicher Natur gewesen wäre, wenn es der Geschäftsherr selbst vorgenommen hätte.
BGHZ 40, 2831; 63, 167, 170; 65, 354, 357; Ossenbühl/Cornils S. 416 f.; Detterbeck/Windthorst/Sproll § 21 Rn. 35. Die Zuordnung des hypothetischen Geschäfts erfolgt nach den allgemeinen Abgrenzungstheorien zwischen öffentlichem und privatem Recht.139
Nach anderer Auffassung erfolgt die Qualifizierung der GoA als öffentlich-rechtlich danach, wie das Handeln des Geschäftsführers einzuordnen ist
BVerwG DVBl. 1956, 376; Bamberger JuS 1998, 706, 707. oder danach, welcher Rechtsnatur das Verhältnis zwischen Geschäftsherrn und Geschäftsführer ist.BGH NJW 1990, 1604; VG Köln NVwZ 1993, 806.Expertentipp
Die Frage nach der Einordnung der GoA als öffentlich-rechtlich erörtern Sie bei dem Punkt, welcher Rechtsweg eröffnet ist, § 40 Abs. 1 VwGO oder § 13 GVG.
Es ist völlig ausreichend, wenn Sie die h.M. skizzieren und ihr folgen.
2. Anwendungsbereich
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Die öffentlich-rechtliche GoA ist in drei Konstellationen denkbar:
• | eine Behörde wird für eine andere Behörde tätig. |
Beispiel
Die gemeindliche Feuerwehr beseitigt eine Ölspur auf einer Landstraße.
Hier wird der Träger der Feuerwehr – Gemeinde – für den Träger der Landstraße – Bundesland L – tätig. |
• | eine Behörde wird für einen Privaten tätig. |
Beispiel
Die gemeindliche Feuerwehr leistet technische Hilfe bei einem Ölunfall, durch den eine Verunreinigung des Grundstücks des A vermieden wird.
• | ein Privater wird für eine Behörde tätig. |
Beispiel
Ein Privater nimmt selbst die Erschließung seines Grundstücks – Kanalisation/Wasser – anstelle der eigentlich dazu verpflichteten Gemeinde vor.
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Die öffentlich-rechtliche GoA ist nicht anwendbar, soweit das öffentliche Recht die betreffenden Rechtsbeziehungen zwischen den Beteiligten abschließend regelt.
BGH NVwZ 2004, 373, 375; VGH Bad.-Württ. VBlBW 2002, 252, 254; Detterbeck/Windhorst/Sproll § 21 Rn. 47.Liegt keine abschließende spezialgesetzliche Regelung vor, so stellt sich der Anwendungsbereich in den drei Fällen wie folgt dar:
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In der ersten Konstellation – Behörde handelt für Behörde – ist die sich aus dem Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 3 GG, ergebende sachliche Zuständigkeitsordnung für die Behörden zu beachten. Die Behörden dürfen nur innerhalb ihrer jeweiligen sachlichen Aufgabengebiete agieren. Andernfalls laufen sie Gefahr, gegen Art. 20 Abs. 3 GG zu verstoßen. Ein Verstoß gegen diesen Fundamentalsatz der Rechtsordnung stellt einen schweren Fehler dar. Daraus folgt, dass eine Behörde, die innerhalb ihres Aufgabenbereichs handelt, keine öffentlich-rechtliche GoA vornehmen kann, da schon keine Geschäftsführung für einen anderen gegeben ist.
OVG NRW NWVBl. 2007, 16. Handelt die Behörde außerhalb ihres Aufgabenbereichs, verletzt sie Art. 20 Abs. 3 GG. Dieser Verstoß kann aber nicht durch eine öffentlich-rechtliche GoA umgangen werden. Sie wäre dann eine Art paragesetzliche Generalklausel.So Maurer § 29 Rn. 11.Anerkannt ist eine öffentlich-rechtliche GoA nur, wenn ein gesetzlich nicht geregelter Notfall bzw. Eilfall vorliegt. Ein solcher ist ausnahmsweise anzunehmen, wenn die an sich zuständige Behörde nicht handeln kann oder sie absolut nicht in der Lage ist, ihre Aufgabe zu erfüllen.
BVerwG NJW 1986, 2524 f.; VGH Bad.-Württ. VBlBW 2002, 252, 255; Maurer § 29 Rn. 11; Detterbeck/Windthorst/Sproll § 21 Rn. 50.Fazit ist, dass in der ersten Konstellation eine öffentlich-rechtliche GoA nur im Notfall eingreift.
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In der zweiten Konstellation – Behörde handelt für Bürger – ist eine öffentlich-rechtliche GoA den gleichen Einwendungen ausgesetzt wie in der ersten Konstellation.
Neben dem Aspekt der sachlichen Zuständigkeitsverteilung tritt verstärkend hinzu, dass ein Eingriff der Behörde in den Rechtskreis des Bürgers vorgenommen wird. Ein derartiger Eingriff bedarf nach dem aus Art. 20 Abs. 3 GG herrührenden Prinzip des Vorbehaltes des Gesetzes einer Ermächtigung. Fehlt die, so kann sie nicht durch eine öffentlich-rechtliche GoA in Form einer Generalklausel für alle Fälle ersetzt werden. Zudem handelt eine Behörde mit ausschließlichem Eigengeschäftswillen, also gerade nicht für einen Anderen. Eine öffentlich-rechtliche GoA ist auch hier nur in einem gesetzlich nicht geregelten Vorfall denkbar.
Ossenbühl/Cornils S. 414 ff.; Detterbeck/Windthorst/Sproll § 21 Rn. 54; Maurer § 29 Rn. 11.Demgegenüber stellt die Rechtsprechung des BGH darauf ab, dass die Behörde in dieser Konstellation nicht nur eine eigene Aufgabe erfüllt, sondern auch ein Geschäft des Bürgers wahrnimmt. Damit hat die behördliche Handlung den Charakter eines auch fremden Geschäfts, so dass eine öffentlich-rechtliche GoA vorliegt.
BGHZ 40, 28 ff.; 63, 167, 169 f.; BGH NVwZ 2004, 373, 374. Die Position der Rechtsprechung ist jedoch abzulehnen, da sie die o.g. Bedenken aus dem Rechtsstaatsprinzip nicht auszuräumen vermag. Sie scheint aus pragmatischen Gründen einen Ausgleich der vorgenommenen Aufwendungen anzustreben, kommt letztlich doch das behördliches Handeln dem Bürger zugute.Die Rechtsprechung unterscheidet davon aber die Situation, in der eine sachlich zuständige Behörde im Rahmen ihrer Aufgabe der Gefahrenabwehr gegenüber einem Privaten eine weitere Behörde hinzuzieht. Wegen der umfassenden Zuständigkeit der Gefahrenabwehrbehörde besteht kein Raum der hinzugezogenen Behörde für einen eigenen Anspruch aus öffentlich-rechtlicher GoA gegenüber dem Privaten. So wie die Aufgabe der Gefahrenabwehr gebündelt wahrzunehmen ist, so sind auch die dabei entstehenden Kosten insgesamt von der sachlich zuständigen Behörde gebündelt geltend zu machen, also auch die der hinzugezogenen Behörde.
BGH NVwZ 2008, 349 f. = Ehlers, JK 8/08, BGB § 683/1.Fazit ist auch hier, dass eine öffentlich-rechtliche GoA nur im Notfall eingreift.
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In der dritten Konstellation – Bürger handelt für Behörde – mag es auf den ersten Blick überzeugen, eine öffentlich-rechtliche GoA anzunehmen. Der Bürger übernimmt schließlich nur eine Pflicht des Staates, die dieser sowieso zu erfüllen hätte. Damit besteht eine zur privatrechtlichen GoA vergleichbare Interessenlage.
BGHZ 138, 281, 286 ff.; BVerwGE 80, 170, 172 ff.; Ossenbühl/Cornils, S. 416 f. Auf den zweiten Blick ist aber wiederum festzustellen, dass die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben allein dem Staat und seinen Behörden vorbehalten bleiben muss. Das Aufgabenmonopol darf nicht durch eine Selbstbeauftragung seitens des Bürgers unterlaufen werden. Zum einen besteht für die Behörden regelmäßig ein Ermessensspielraum, wie und mit welchen Mitteln die Aufgabe zu erfüllen ist, zum anderen verfügt die Behörde über mehr Erfahrung und Wissen verbunden mit einem größeren Überblick als ihn im Regelfall der Bürger hat. Anders mag das nur im Fall eines fehlenden Ermessensspielraums bzw. einer Ermessensreduzierung auf Null sein. Aber auch hier muss das Handeln des Bürgers dem öffentlichen Interesse und nicht nur in erster Linie seinem eigenen Interesse entsprechen.Detterbeck/Windthorst/Sproll, § 21 Rn. 58; Ossenbühl/Cornils, S. 419 f. Auch in dieser Konstellation ist die Situation eines Notfalles denkbar, in der eine zuständige Behörde nicht erreichbar bzw. handlungsfähig ist, was aber äußerst selten der Fall sein dürfte.Fazit wiederum auch in der dritten Konstellation ist eine öffentlich-rechtliche GoA ist auf einen besonderen Notfall zu beschränken.
Expertentipp
Sie sehen, dass eine öffentlich-rechtliche GoA sehr selten ist. In einer Klausur thematisieren sie den Anwendungsbereich einer öffentlich-rechtlichen GoA und lehnen ihn im Ergebnis ab. Die Ausnahme – Notfall – einer öffentlich-rechtlichen GoA sollte als Lösung einer Klausur möglichst vermieden werden. Nur wenn der Sachverhalt entsprechend klare Hinweise auf einen Notfall enthält, ist eine Lösung über den Ausnahmefall denkbar.
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Im Zusammenhang mit dieser Konstellation sind auch die Tierfundfälle zu beurteilen. Dabei geht es um die Frage, ob demjenigen, der sich um ein aufgefundenes Tier, das als Fund i.S.d. §§ 965 ff. BGB zu qualifizieren ist, ein Anspruch auf Erstattung der Kosten zusteht, die ihm bei der Versorgung des Tieres entstanden sind, z.B. Kosten der Unterbringung oder der tierärztlichen Versorgung.
Voraussetzung ist, dass ein fremdes Geschäft gegeben ist, also der Bürger eine Tätigkeit vornimmt, die im Aufgabenbereich der Behörde liegt. Davon ist aufgrund des Art. 20a GG und den Bestimmungen im TierSchG bei Fällen dieser Art im Zweifel auszugehen. Allerdings entspricht das Handeln des Tierfinders nur dann dem objektiven Interesse der Behörde nach § 683 S. 1 BGB analog, wenn er die Voraussetzungen des § 681 S. 1 BGB analog wahrt. Wegen Art. 20a GG ist der Wille einer am Tierschutz desinteressierten Behörde unbeachtlich. Aus dem gleichen Grund scheidet auch eine Tötung des Tieres allein aus Kostengründen aus.
OVG NRW Jura (JK) 2018, 203 mit Bespr. Eifert; zum Ganzen: Oechsler JuS 2016, 215 ff.146
Auch ein mit der Erstversorgung eines Tieres betrauter Tierarzt kann grds. Ansprüche nach § 683 S. 1 BGB analog gegen die Behörde geltend machen. Dies gilt allerdings nicht, wenn zwischen dem Tierarzt und dem Finder ein Vertrag über die tierärztliche Behandlung besteht. In diesem Falle kann der Tierarzt nur von seinem Vertragspartner, dem Finder, den Vergütungsanspruch verlangen. Der Finder kann seinerseits von der Behörde eine Kostenerstattung nach § 683 S. 1 BGB analog verlangen, die den erforderlichen Aufwendungen i.S.d. § 670 BGB analog entspricht.
Oechsler JuS 2016, 215, 217 f.3. Rechtsfolgen
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Sofern eine öffentlich-rechtliche GoA dennoch angenommen wird, richten sich die Rechtsfolgen nach den allgemeinen Regelungen. Sie beinhalten den Ersatz der gemachten Aufwendungen, §§ 683, 670 BGB analog.
Umgekehrt ist auch ein Anspruch auf Schadensersatz bei unzulässiger bzw. fehlerhafter öffentlich-rechtlicher GoA denkbar, §§ 678 ff. BGB analog.
Maurer § 29 Rn. 14.