Inhaltsverzeichnis
I. Öffentlich-rechtliche Benutzungs- und Leistungsverhältnisse
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Aus den vorstehenden Äußerungen ergibt sich nachfolgende Übersicht bzw. Schema zur Prüfung eines Schadensersatzanspruchs aus einem öffentlich-rechtlichen Benutzungs- bzw. Leistungsverhältnis:
Prüfungsschema
Wie prüft man: Schadensersatzanspruch aus öffentlich-rechtlichem Benutzungs- bzw. Leistungsverhältnis
I. | Rechtliche Natur des Schuldverhältnisses |
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| Kein Fall eines öffentlich-rechtlichen Vertrags nach §§ 54 ff. VwVfG |
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II. | Vorliegen einer Pflichtverletzung des öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnisses |
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III. |
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| Haftungsausschluss durch Satzung, Prüfung §§ 305 ff. BGB analog | Rn. 133 |
IV. | Einbeziehung in das öffentlich-rechtliche Schuldverhältnis, § 305 BGB analog |
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| 1. | Überraschende bzw. mehrdeutige Bestimmungen, § 305c BGB analog |
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| 2. |
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V. | Kausaler Schaden |
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VI. | Rechtsfolge Schadensersatz, §§ 249 ff. BGB analog |
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1. Ermittlung des öffentlich-rechtlichen Charakters
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Bei öffentlich-rechtlichen Benutzungs- und Leistungsverhältnissen ist als allererstes strikt zwischen der Zulassung zur Einrichtung und der Ausgestaltung des Benutzungs- und Leistungsverhältnisses zu unterscheiden. Vorliegend geht es nur um die Ebene der Ausgestaltung des Verhältnisses.
Expertentipp
Bei Benutzungs- und Leistungsverhältnissen denken Sie bitte an die Zwei-Stufen-Theorie.
Danach ist die erste Stufe die Zulassung zur Einrichtung bzw. die Mitberücksichtigung bei der Vergabe von Leistungen, also das „Ob“ immer öffentlich-rechtlicher Natur, so für kommunale Einrichtungen z.B. § 8 GO NRW, Art. 21 GO Bay.
Die zweite Stufe betrifft die Ausgestaltung des konkreten Verhältnisses, also das „Wie“.
Auf welcher Stufe Sie sich befinden, hängt vom Begehren des Klägers bzw. des Rechtsrat suchenden Bürgers ab.
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Die erste Fallgruppe erfasst die Nutzung öffentlicher Einrichtungen durch den Bürger aufgrund vertraglicher Vereinbarung oder rein tatsächlicher Inanspruchnahme.
Diese Fallgestaltung betrifft vornehmlich kommunale Einrichtungen, wie Schwimmbäder, Bibliotheken, Theater, Museen u.a., aber auch Bereiche der Daseinsvorsorge mit Anschluss- und Benutzungszwang wie Wasserversorgung,
BGHZ 17, 191 ff.; 59, 303 ff. AbwasserkanalisationBGHZ 54, 299 ff.; NJW 2007, 1061. oder kommunale Schlachthöfe.BGHZ 61, 7 ff.; BGH NJW 1974, 1816 ff. Hier wird durch die mit der vertraglich vereinbarten oder rein tatsächlichen Benutzung der öffentlichen Einrichtung bzw. durch ein sonstiges Leistungsverhältnis eine Dichte zwischen den Beteiligten hergestellt, da Rechte und Pflichten entstehen, wie sie für ein Schuldverhältnis typisch sind.Die Ausgestaltung dieses Verhältnisses ist immer privatrechtlicher Natur, wenn die Einrichtung, um deren Benutzung es geht, in einer Form des Privatrechts – z.B. GmbH oder AG – betrieben wird.
Infolge der zum großen Teil erfolgten Privatisierung öffentlicher Aufgaben, ist ein erheblicher Teil der öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnisse entfallen. Seine praktische Relevanz ist entsprechend rückläufig.
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Wird die Einrichtung hingegen in öffentlich-rechtlicher Form betrieben, so hat die Verwaltung dann die Freiheit der Wahl zwischen privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Ausgestaltung des Schuldverhältnisses.
VGH Bad.-Württ. NJW 1979, 1900 f.129
Die Abgrenzung der Rechtsnatur folgt nach den bekannten Theorien und orientiert sich an der Rechtsnatur des Gegenstands, also nicht an der Rechtsstellung der Beteiligten.
Expertentipp
Bei dieser Gelegenheit: wie wird nochmal die Abgrenzung zwischen öffentlichem und privatem Recht vorgenommen?
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Sofern eine eindeutige Qualifizierung des Schuldverhältnisses fehlt, ist auf Indizien abzustellen. Wird das Schuldverhältnis durch eine Benutzungssatzung oder Anstaltsordnung näher bestimmt, eine Gebühr oder Beitrag erhoben bzw. besteht ein Anschluss- und Benutzungszwang, z.B. § 9 GO NRW, § 11 GemO BW, § 9 Abs. 1a LAbfG NRW, dann liegt ein öffentlich-rechtliches Schuldverhältnis vor. Ist die Rede von Allgemeinen Geschäftsbedingungen, Entgelt oder Eintrittsgeld für eine Benutzung oder besteht die Freiwilligkeit der Inanspruchnahme, dann ist von einem privatrechtlichen Schuldverhältnis auszugehen.
Expertentipp
Sie ermitteln den öffentlich-rechtlichen Charakter des Schuldverhältnisses durch drei Schritte:
Klären Sie, um welche Stufe der sog. Zwei-Stufen-Theorie es geht. Nur wenn die zweite Stufe – Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses, das „Wie“ – in Rede steht, geht es weiter mit der Klärung, welche Organisationsform der Träger der benutzten bzw. in Anspruch genommenen Einrichtung hat. Nur, wenn der Träger in einer öffentlich-rechtlichen Form handelt, geht es weiter mit der Feststellung, wie das konkrete Rechtsverhältnis ausgestaltet ist, im Zweifel anhand von Indizien. Nur wenn es öffentlich-rechtlicher Natur ist, liegt auch ein öffentlich-rechtliches Schuldverhältnis vor.
2. Anwendbare Regelungen des BGB
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Wenn ein öffentlich-rechtliches Schuldverhältnis vorliegt, so sind wegen der vergleichbaren Interessenlage die Regelungen des BGB über die Pflichtverletzung eines Beteiligten anzuwenden. Dazu zählen §§ 280 ff. BGB, gleich, ob es Haupt- oder Nebenleistungspflichten sind, und, einschl. der Verschuldensvermutung in § 280 Abs. 1. S. 2 BGB analog, die Regelungen über die vorvertragliche Haftung, § 311 BGB analog. Die Haftung wegen Unmöglichkeit einer Leistung, § 275 BGB, gilt ebenfalls analog. Das Verschulden folgt aus §§ 276, 278, evtl. 31 BGB analog. Ein Verschulden kann über eine analoge Heranziehung der §§ 305 ff. BGB über allgemeine Geschäftsbedingungen beschränkt bzw. ausgeschlossen sein. Schließlich gelten die Bestimmungen über die Art und den Umfang des Schadensersatzes, §§ 249 ff. BGB und der Verjährung des Anspruchs, §§ 194 ff. BGB entsprechend.
Vgl. zum Ganzen: Wolff/Bachof/Stober/Kluth § 69 Rn. 13 ff.; Maurer § 29 Rn. 4 ff. jeweils m.w.N. Ebenso übertragbar auf ein öffentlich-rechtliches Schuldverhältnis ist die Figur des Schuldverhältnisses mit Schutzwirkung für Dritte.BGH NJW 2007, 1061 = Schoch JK 8/07, AllgVwR, Verw.-rechtl. Schuldverhältnis/2.3. Sonderfall: Haftungsausschluss
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Die Haftung kann im öffentlich-rechtlichen Benutzungs- und Leistungsverhältnis beschränkt werden.
Erfolgt die Beschränkung durch eine vertragliche Vereinbarung, so kann die Haftung bis auf vorsätzliches Handeln, § 276 Abs. 3 BGB analog, ausgeschlossen sein.
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Im Regelfall erfolgt die Inanspruchnahme eines öffentlich-rechtlichen Benutzungsverhältnisses nicht aufgrund eines Vertrages, sondern durch tatsächliche Nutzung. In diesen Fällen kann eine Haftungsbegrenzung durch Satzung bzw. Benutzungsordnung in Form einer Satzung der jeweiligen Einrichtung erfolgen.
BGHZ 61, 7, 12 f.; Ossenbühl/Cornils S. 440 ff.Die Zulässigkeit des Haftungsausschlusses ist an §§ 305 ff. BGB analog zu messen. Grenzen ergeben sich so z.B. aus § 309 Nr. 7b BGB analog, wonach ein Ausschluss für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit unzulässig ist.
Der Haftungsausschluss muss daneben weitere bestimmte Voraussetzungen beachten: Er muss sachlich gerechtfertigt sein und den Grundsätzen der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit entsprechen.
Maurer § 29 Rn. 7.