Staatshaftungsrecht

Entschädigung wegen Beeinträchtigung des Eigentums - Entschädigungsansprüche

A. Grundlagen der Entschädigungsansprüche

I. Bedeutung des Eigentums

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Entschädigung wegen Beeinträchtigung des Eigentums wird für schuldloses Verwaltungshandeln geleistet. Im Zentrum steht damit nicht wie bei der Amtshaftung oder bei den Ansprüchen aus öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnissen ein persönliches Verhalten von Bediensteten des Staates und seiner Behörden. Vielmehr geht es allein um das Eigentum und seine Beeinträchtigung.

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Die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG ist ein Kernelement der Grundrechte des Grundgesetzes. Sie soll dem Einzelnen einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich sichern und ihm damit eine eigenverantwortliche Gestaltung seines Lebens ermöglichen.

BVerfGE 30, 292, 334; 83, 201, 208; Hesse Rn. 441 ff.; Sproll JuS 1994, 1080; Katz Rn. 813. Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG beinhaltet neben seiner Funktion als Abwehrrecht gegen den Staat die Gewährleistung des Eigentums als Rechtsinstitut und ist damit konstitutives Element einer objektiv-rechtlichen Ordnung des Gemeinwesens, sog. Institutsgarantie.BVerfGE 24, 367. 389.

Aufgrund der herausragenden Bedeutung des Eigentums sind die Ausgestaltung, Bindung und Entschädigung im Fall einer Enteignung des Eigentums in Art. 14 GG auf Verfassungsebene genau festgelegt. Zugleich wird deutlich, dass das Eigentum nicht unantastbar ist. Es ist staatlichen Einwirkungen ausgesetzt. Diese Eingriffe können über den Primärrechtsschutz einer rechtlichen Kontrolle unterzogen und ggf. verhindert werden. Sollten die Eingriffe hinzunehmen sein, so ist dann auf der Sekundärebene ein Ausgleich zu leisten.

Hinweis

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Denken Sie wieder daran: auch im Bereich der Eigentumsentschädigung gilt der Grundsatz vom Vorrang des Primärrechtsschutzes. Also kein Wahlrecht zwischen Rechtsschutz gegen die Eingriffsmaßnahme und einer Entschädigung, kein „dulde und liquidiere“.

Nachfolgend geht es allein um die sekundäre Ebene eines Ausgleichs für erlittene Eigentumsbeeinträchtigungen.

 

II. Historische Entwicklung der Entschädigungsansprüche

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Die Entschädigung für Eingriffe in das Eigentum wurzelt im Gedanken der Aufopferung. Er wurde in §§ 74, 75 Einl. Preußisches ALR

Lies: §§ 74, 75 der Einleitung zum Preußischen Allgemeinen Landrecht. erstmals kodifiziert:

§ 74.

Einzelne Rechte und Vorteile der Mitglieder des Staates müssen den Rechten und Pflichten zur Beförderung des gemeinschaftlichen Wohls, wenn zwischen beiden ein wirklicher Widerspruch (Kollision) eintritt, nachstehen.

§ 75.

Dagegen ist der Staat demjenigen, welcher seine besonderen Rechte und Vorteile dem Wohle des gemeinen Wesens aufzuopfern genötigt wird, zu entschädigen gehalten.

Aufopferung heißt demnach, dass der Einzelne Rechte zugunsten des Allgemeinwohls aufopfert, hingibt, er aber im Gegenzug entschädigt wird.

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Daraus entwickelte sich die sog. klassische Enteignung. Sie meint die Übertragung des Eigentums an einem Grundstück aus konkreten Gründen des Allgemeinwohls auf den Staat. Sie erfolgte durch einen Verwaltungsakt aufgrund eines Gesetzes und gegen Entschädigung. Sie sollte zum Zuge kommen, wenn eine privatrechtliche Einigung über den Grundstückserwerb nicht möglich war. Es handelte sich inhaltlich deshalb um eine Art Zwangskauf.

Maurer § 27 Rn. 8; Sproll JuS 1995, 1081.

Beispiel

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Landbeschaffung, um Verkehrswege zu errichten.

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An die klassische Enteignung knüpfte Art. 153 WRV an – Enteignung zum Wohl der Allgemeinheit gegen Entschädigung. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts erweiterte die Enteignung unter allen Aspekten. Sie betraf nicht mehr nur Grundstücke, sondern alle vermögenswerten privaten Rechte. Sie konnte nicht mehr nur durch Verwaltungsakt aufgrund eines Gesetzes erfolgen, sondern auch durch ein Gesetz selbst. Sie meinte nicht mehr allein Übertragung eines Rechts, sondern auch seine Beschränkung. Schließlich entfiel ihre Begrenzung auf einen konkreten Grund des Allgemeinwohls zugunsten eines allgemeinen öffentlichen Interesses.

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Zudem entwickelte das Reichsgericht die Einzelaktstheorie. Danach lag bei einem einzelnen Eingriff eine entschädigungspflichtige Enteignung vor. Wurde dagegen das Eigentum generell beschränkt, handelte es sich nur um eine entschädigungslose Inhaltsbestimmung.

Vgl. Maurer 27 Rn. 16.

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Diesen erweiterten Enteignungsbegriff nahm die Rechtsprechung des BGH auf. Insbesondere führte sie die erwähnte Einzelaktstheorie fort zur Sonderopfertheorie. Nach ihr ist eine entschädigungspflichtige Enteignung anzunehmen, wenn der Eingriff in das Eigentum den Betroffenen im Vergleich zu den Übrigen ungleich, sprich besonders trifft und ihn zu einem besonderen, den Übrigen nicht zugemuteten Opfer für die Allgemeinheit zwingt.

BGHZ 6, 270, 280; 30, 338, 341; 60, 145, 147; vgl. dazu auch Lege Jura 2011, 826, 830.

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Die Rechtsprechung des BVerwG stellte zur Abgrenzung zwischen Enteignung und Inhaltsbestimmung des Eigentums auf die Schwere und Tragweite des Eingriffs ab, so genannte Schweretheorie. Sie stützte sich dabei auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

BVerwGE 5, 143, 145 f.; 19. 94, 98 f.; 36, 248, 251 f.; 41, 58, 66.

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Darüber hinaus formte der BGH die Figur des enteignungsgleichen Eingriffs für rechtswidrige hoheitliche Eingriffe in das Eigentum.

BGHZ 6, 270, 290. Das Sonderopfer ist hier bereits in der Rechtswidrigkeit des Eingriffs in das Eigentum selbst zu sehen. Schließlich entwarf der BGH noch die Figur des enteignenden Eingriffs. Sie betrifft rechtmäßige hoheitliche Eingriffe, die als ungewollte, atypische Nebenfolge eine Beeinträchtigung des Eigentums zur Folge haben.BGHZ 57, 359 ff.; BGHZ 64, 220 ff.; BGH NJW 1980, 770 ff.

III. Neuorientierung aufgrund der Rechtsprechung des BVerfG

1. Nassauskiesungsbeschluss

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Diese skizzierte Entwicklung erfuhr mit der Rechtsprechung des BVerfG eine grundlegende Neuorientierung. Mit seinem Nassauskiesungsbeschluss

BVerfGE 58, 300 ff.; zum Gegenstand des Verfahrens siehe Kurzfassung bei Maurer § 27 Rn. 26. stellte das BVerfG klar, dass

eine Entschädigung wegen Enteignung nur nach Maßgabe des Art. 14 Abs. 3 GG möglich ist, also nur, wenn der vollständige oder teilweise Entzug des Eigentums durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes erfolgt, um dem Wohl der Allgemeinheit zu dienen. Damit sind die Form und der Zweck der Enteignung entscheidend für eine entschädigungspflichtige Enteignung. Die Frage nach einem Sonderopfer stellt sich in diesem Zusammenhang nicht mehr. Es gilt ein enger Enteignungsbegriff;

BVerfGE 58, 300, 330 f.

eine Entschädigung nach Art. 14 Abs. 3 GG nur auf der Grundlage eines Gesetzes, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, gewährt wird. Fehlt eine derartige Regelung, ist die darauf gestützte Enteignung rechtswidrig. Eine Entschädigung kann dann mangels einer Rechtsgrundlage nicht geleistet werden. Mithin ist es nicht mehr möglich, eine Lücke richterrechtlich zu schließen. Es gilt das Prinzip des Gesetzesvorbehalts;

eine strikte Trennung zwischen der Enteignung, Art. 14 Abs. 3 GG, einerseits und der Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums, Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG andererseits zu beachten ist. Die Inhalts- und Schrankenbestimmung formt das Eigentum aus und liegt begrifflich damit vor einer Enteignung. Sie kann deshalb nicht als ihr Gegenpol dienen, um eine Enteignung festzulegen. Es gilt die Unterscheidung zwischen der Stufe der Eigentumsbestimmung und der Stufe der nachfolgenden Enteignung.

BVerfGE 58, 300, 328 ff.

Aus all dem folgt schließlich, dass ein Wahlrecht zwischen einem Rechtsschutz gegenüber der Enteignung (primäre Ebene) und einer Entschädigung (sekundäre Ebene) nicht besteht. Also kein „dulde und liquidiere“ mehr. Es gilt das Prinzip des Vorrangs des PrimärrechtsschutzesBVerfGE 58, 300, 324 

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2. Pflichtexemplarentscheidung

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In Zusammenhang mit dem Nassauskiesungsbeschluss des BVerfG ist die kurz zuvor ergangene Pflichtexemplarentscheidung

BVerfGE 58, 137 ff.; zum Gegenstand des Verfahrens siehe Kurzfassung bei Maurer § 27 Rn. 32. zu sehen. Zwar gilt der Grundsatz, dass eine Inhalts- und Schrankenbestimmung, Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG, entschädigungslos hinzunehmen ist. Jedoch macht das BVerfG in der genannten Entscheidung eine Ausnahme dann, wenn die Inhalts- und Schrankenbestimmung sich als unverhältnismäßige und gleichheitswidrige Belastung für den Betroffenen darstellt. In einem solchen Fall ist eine entsprechende Entschädigung zu leisten.BVerfGE 58, 137, 144 f.

Damit ist die Grundlage für das Institut der ausgleichspflichtigen Inhalts- und Schrankenbestimmung gelegt.

Bestätigt durch BVerfGE 100, 226 ff.

3. Überblick über Entschädigungen für Eingriffe nach Art. 14 GG

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Als Ergebnis der Rechtsprechung des BVerfG lässt sich für die Entschädigung wegen Eingriffen in das Eigentum auf der Grundlage des Art. 14 GG festhalten:

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IV. Gesamtüberblick der vorhandenen Anspruchsgrundlagen

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Da die Rechtsprechung des BVerfG sich nur auf die Enteignung und die Entschädigung im Rahmen des Art. 14 GG bezieht, sind die von der Rechtsprechung des BGH geschaffenen Figuren „enteignungsgleicher“ und „enteignender“ Eingriff nur insoweit betroffen, als sie sich nicht mehr auf Art. 14 GG stützen lassen. Vielmehr finden sie nunmehr ihre Rechtsgrundlage im allgemeinen Aufopferungsgedanken entsprechend den §§ 74, 75 Einl. Preußisches ALR in seiner richterrechtlich geformten Ausprägung.

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In einem Gesamtüberblick verbleiben damit vier Anspruchsgrundlagen wegen Entschädigung aufgrund einer Beeinträchtigung des Eigentums:

Ansprüche auf Enteignungsentschädigung nach Art. 14 Abs. 3 GG;

Ansprüche auf Entschädigung wegen unverhältnismäßiger Inhalts- und Schrankenbestimmung nach Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG – ausgleichspflichtige Inhalts- und Schrankenbestimmung;

Ansprüche auf Entschädigung wegen rechtswidriger Eigentumsbeeinträchtigung, die nicht im Wege des Primärrechtsschutzes abzuwenden ist – enteignungsgleicher Eingriff;

Ansprüche auf Entschädigung wegen rechtmäßiger Eigentumsbeeinträchtigung, die sich als unvorhersehbare, atypische Nebenfolge darstellt – enteignender Eingriff.

Hinweis

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