Staatshaftungsrecht - Amtshaftung - Verschulden

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Staatshaftungsrecht

Amtshaftung - Verschulden

V. Verschulden

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Die Amtshaftung nach § 839 BGB verlangt, dass der Amtswalter die drittbezogene Amtspflicht vorsätzlich oder fahrlässig verletzt hat. Amtshaftung ist also Verschuldenshaftung und unterscheidet sich durch dieses Merkmal grundsätzlich von den Ansprüchen auf Entschädigung und Wiederherstellung.

Hinweis

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Erinnern Sie sich an die Differenzierung der Staatshaftung nach den vier großen Bereichen, s.o. Rn. 3.

1. Verschuldensmaßstab

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Das Prinzip der Verschuldenshaftung beruht auf der Konstruktion des Amtshaftungsanspruches als deliktischer Tatbestand, da an die deliktische Eigenhaftung des Amtswalters angeknüpft wird. Art. 34 GG erwähnt zwar kein Verschuldenserfordernis lässt es deshalb aber nicht entfallen. Art. 34 GG leitet den gegen den Amtswalter gerichteten Anspruch nur auf den Staat über.

Die Feststellung des Verschuldens erfolgt nach den Regeln des BGB. Sie muss konkret bezogen auf die Schuldform Vorsatz oder Fahrlässigkeit erfolgen, da sie sich auf die Anwendbarkeit der Haftungsbegrenzungen aus § 839 Abs. 1 S. 2 BGB – nur im Falle der Fahrlässigkeit – und § 839 Abs. 2 BGB – nur bei Vorsatz – auswirkt.

Anknüpfungspunkt ist die drittbezogene Amtspflichtverletzung, nicht der Schadenseintritt.

BGHZ 34, 375, 381; Wolff/Bachof/Stober/Kluth § 67 Rn. 91; Windthorst JuS 1995, 896.

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Vorsatz bedeutet, dass sich der Amtswalter bewusst ist oder mindestens mit der Möglichkeit rechnet, dass er sich über eine Amtspflicht hinwegsetzt.

Detterbeck/Windthorst/Sproll § 9 Rn. 176. Der Amtswalter muss dabei das Bewusstsein haben, gegen eine Amtspflicht zu verstoßen. Irrt sich der Amtswalter, so entfällt das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit und damit zugleich der Vorsatz.BGHZ 34, 375, 381; 120, 176, 181; Windthorst JuS 1995, 896.

Hinweis

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Eine vorsätzliche Amtspflichtverletzung ist in der Praxis wie in der Klausur äußerst selten und dann ohne weiteres festzustellen.

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Fahrlässig handelt der Amtswalter, der die übliche Sorgfalt nicht beachtet, § 276 Abs. 2 BGB. Maßstab ist dabei ein pflichtgetreuer Durchschnittsbeamter. Auf individuelle subjektive Kenntnisse und Fähigkeiten kommt es dabei nicht an.

Maurer § 26 Rn. 24; Ossenbühl/Cornils S. 78. Dieser Verschuldensmaßstab kann durch oder aufgrund eines Gesetzes eingeengt werden, z.B. auf grobe Fahrlässigkeit. Das ergibt sich aus Art. 34 S. 1 GG, wenn es heißt, dass der Staat grundsätzlich die Haftung bei einer Amtspflichtverletzung übernimmt. Damit wird nur eine Mindestgarantie der Amtshaftung vorgegeben, die eine inhaltliche Begrenzung dieses Instituts zulässt. Das Erfordernis eines förmlichen Gesetzes als Grundlage, um den Verschuldensmaßstab zu begrenzen, entspringt dem Prinzip des Gesetzesvorbehalts, Art. 20 Abs. 3 GG.

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Eine kommunale Satzung aufgrund des allgemeinen Satzungsrechts der Gemeinden erfüllt diese Voraussetzung nicht. Das Staatshaftungsrecht liegt außerhalb dieser Satzungsautonomie.

BGHZ 61, 7, 14 für § 7 GO NRW; anders für Bayern: BayVGH BayVBl. 1985, 407, 408 wonach Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 GO Bay Grundlage einer Haftungsbegrenzung sein kann.

Hinweis

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Vorsicht! Verwechseln Sie die Frage nach einer Modifizierung des Verschuldens bei der Amtshaftung nicht mit dem möglichen Haftungsausschluss im Rahmen öffentlich-rechtlicher Schuldverhältnisse.

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Die in der Bestimmung der Fahrlässigkeit zu erkennende Tendenz der Objektivierung des Sorgfaltsmaßstabes wird über die Grundsätze der Entindividualisierung und des Organisationsverschuldens erweitert.

Entindividualisierung heißt, dass der Name des verantwortlichen Amtswalters nicht konkret angegeben werden muss. Hierzu ist der geschädigte Bürger im Regelfall auch nicht in der Lage. Damit einher geht das Organisationsverschulden, wonach das Fehlverhalten des namentlich nicht bekannten verantwortlichen Amtswalters dem Verwaltungsträger zugerechnet wird.

BGHZ 116, 312, 314 f.; Detterbeck/Windthorst/Sproll § 9 Rn. 178 f.; Windthorst JuS 1995, 897; Maurer § 26 Rn. 24; Ossenbühl/Cornils S. 79 f.

 

2. Sonderfall: Fehlerhafte Rechtsanwendung

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Vor dem Hintergrund der Objektivierung kann sich ein Amtswalter nicht auf mangelnde Rechtskenntnisse berufen. Mangelhafte Gesetzeskenntnis oder Unkenntnis der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist fahrlässig.

BGHZ 30, 19, 22; 119, 365, 369 f.; 139, 200, 203.

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Anders ist die Lage, wenn ungeklärte Zweifelsfragen zu lösen sind, und der Amtswalter nach sorgfältiger Prüfung zu einem vertretbaren Ergebnis gelangt, selbst wenn es durch die nachfolgende Rechtsprechung nicht bestätigt und sich dadurch als falsch erweist.

BGHZ 119, 365, 369 f.; Maurer § 26 Rn. 25; Zippelius/Würtenberger S. 387.

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Das Verhalten des amtspflichtwidrig handelnden Amtswalters stellt sich auch anders dar, wenn sein Verhalten durch ein Kollegialgericht als rechtmäßig beurteilt worden ist. Zur Begründung wird angeführt, dass ein einzelner Amtswalter nicht bessere Rechtskenntnis haben kann als ein mit mehreren Rechtskundigen besetztes Kollegialgericht.

BGHZ 73, 161, 164; 117, 240, 250. Diese Auffassung hat die Rechtsprechung mittlerweile dahin korrigiert, dass der Billigung des amtspflichtwidrigen Verhaltens durch ein Kollegialgericht nur noch die Funktion einer Richtlinie zukommt.BGHZ 97, 97, 107; 120, 184. Insbesondere findet sie keine Anwendung, wenn das Kollegialgericht in einem Eilverfahren entschieden hat.BGHZ 115, 141, 150; 126, 386, 349 f. oder bei seiner Entscheidung von einem falschen Sachverhalt ausgegangen ist, bzw. wesentliche rechtliche Aspekte übersehen hat.BGH NVwZ-RR 2000, 746; BGH NVwZ 2002, 124; zum ganzen: Ossenbühl/Cornils S. 77; Papier in: MüKo § 839 Rn. 286 f.; Baldus/Grzeszick/Wienhues Rn. 173 f.

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Die Literatur lehnt den Ansatz zum Teil grundsätzlich ab. Die Entschuldigung eines amtspflichtwidrigen Verhaltens über eine kollegialgerichtliche Entscheidung hat die merkwürdige Konsequenz, dass ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung von vorneherein aussichtslos ist.

Maurer § 26 Rn. 25. Zu beachten ist zudem, dass die kollegialgerichtliche Entscheidung selbst rechtwidrig ist, wenn sie die Amtspflichtverletzung entschuldigt. Der geschädigte Bürger ist einer zweifachen Rechtswidrigkeit ausgesetzt und bleibt auf seinem Schaden sitzen.Detterbeck/Windthorst/Sproll § 9 Rn. 185. Schließlich ist zu sehen, dass die kollegialgerichtliche Entscheidung als Entschuldigungsgrund für die Amtspflichtverletzung eine Ausnahme im Anwendungsbereich des § 839 BGB darstellt. Sie kann deshalb auch mit Blick auf Art. 20 Abs. 3 GG als unzulässige gesetzeskorrigierende richterliche Rechtsfortbildung angesehen werden.Windthorst JuS 1995, 897.

Expertentipp

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Aufgrund der starken Einschränkung der Bedeutung, die eine kollegialrichterliche Entscheidung als Entschuldigungsgrund für eine Amtspflichtverletzung nunmehr hat, wird von Ihnen an diesem Punkt keine vertiefte Kenntnis erwartet. Im Ergebnis lehnen Sie sie ab und verweisen dabei auf die Rechtsprechung, die selbst nur noch von einer Leitlinie spricht. Das Verschulden des Amtswalters ist dann zu erörtern.

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Ebenfalls vor dem Hintergrund der Objektivierung ist das amtspflichtwidrige Verhalten von Mitgliedern in kommunalen Vertretungskörperschaften, z.B. Gemeinderatsmitgliedern, zu beurteilen.

Zum einen ist der Geschädigte nicht verpflichtet, die Gemeinderatsmitglieder namentlich zu benennen, die für einen amtspflichtswidrigen Ratsbeschluss, z.B. Bebauungsplan, gestimmt haben. Zum anderen gilt kein milderer Sorgfaltsmaßstab. Der Einwand, Gemeinderatsmitglieder seien häufig keine Juristen und entschieden nach laienhaftem Ermessen, greift nicht durch. Fehlt eine notwendige Sachkunde für eine Entscheidung, so müssen die Gemeinderatsmitglieder sich zuvor von der Verwaltung oder auch von externen Sachverständigen beraten lassen.

BGHZ 92, 34, 54; 106, 323, 328 ff.; 109, 380, 387 f. Andernfalls wird das Schadensrisiko in unzumutbarer Weise auf den geschädigten Bürger verlagert.BGHZ 106, 323, 330; Maurer § 26 Rn. 24.

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