Zivilprozessordnung

Die Zwangsvollstreckung zur Erwirkung der Herausgabe von Sachen

I. Die Zwangsvollstreckung zur Erwirkung der Herausgabe von Sachen

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Die Zwangsvollstreckung zur Erwirkung der Herausgabe einer Sache ist in §§ 883–886 ZPO geregelt. Vollstreckt werden danach Titel, die auf Herausgabe von beweglichen oder unbeweglichen Sachen lauten (z.B. „Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin den Rauhaardackel Waldi, braunes Fell, weißer Fleck am Bauch, Chip mit der Registrierungsnummer 276233445566-009 herauszugeben“). Nicht verkörperte Daten unterliegen nicht der Herausgabevollstreckung (= keine beweglichen Sachen gem. § 90 BGB).

BGH BeckRS 2017, 135745. Wichtig ist, dass der Gläubiger bereits im Erkenntnisverfahren auf eine genaue Bezeichnung der Sache(n) und der Person des Schuldners achtet.Vgl. BGH NJW 2016, 317, 318 (Tonbänder eines früheren Bundeskanzlers). Die Bezugnahme auf eine (englischsprachige) Liste im Tenor (...„sämtliche Unterlagen, bestehend aus Zeichnungen, Skizzen, Betriebsanweisungen, wie in Anlage K8 aufgeführt, herauszugeben“) genügt.BGH BeckRS 2017, 135745. Gegebenenfalls darf der Gerichtsvollzieher zur Auslegung einen Sachverständigen hinzuziehen (analog § 813 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 ZPO, str.).BGH BeckRS 2017, 135745. Bei Ungenauigkeiten im Tenor kann die Vollstreckung des Herausgabetitels scheitern.

1. Allgemeine Voraussetzungen

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Zunächst ist ein Antrag des Gläubigers an den Gerichtsvollzieher erforderlich (§§ 883 Abs. 1, 885 Abs. 1 ZPO). Örtlich zuständig ist der Gerichtsvollzieher, in dessen Bezirk die Herausgabevollstreckung stattfinden soll. Die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen müssen vorliegen. Der Gerichtsvollzieher muss insbesondere prüfen, ob der Schuldner im (Herausgabe-)Titel bestimmt bezeichnet ist (§ 750 Abs. 1 ZPO). Bei einem Räumungstitel (Herausgabe von Wohnraum) verlangt der BGH, dass alle Personen, die Mitgewahrsam haben, namentlich im Titel bezeichnet sein müssen. Daher stellt es nach Ansicht des BGH einen Verstoß gegen § 750 Abs. 1 ZPO dar, wenn gegen den nicht im Titel aufgeführten Ehepartner vollstreckt wird und kein eigener Räumungstitel gegen den Ehepartner vorliegt.

BGH NJW 2004, 3041 f. m.w.N.; Zimmermann ZPO § 885 Rn. 3c. Auch gegenüber Lebenspartner/innen, Lebensgefährt/innen, Verwandten oder erwachsenen Kindern (nicht Minderjährigen mangels Mitgewahrsam) und Mitbewohnern von Wohngemeinschaften ist ein eigener Titel erforderlich.Vgl. Brox/Walker Zwangsvollstreckungsrecht Rn. 1047a. Auch bei Hausbesetzern müssen die Personen individuell anhand des Titels identifiziert werden können.BGH BeckRS 2017, 134008. Denn Billigkeitserwägungen finden in der formalisierten Zwangsvollstreckung keinen Raum. Für den Gläubiger ist die Räumungsvollstreckung daher häufig ein langer und mühevoller Weg. Seit 2013 hilft (ein wenig) § 940a Abs. 2 ZPO. Danach kann der Gläubiger einen Räumungstitel gegen einen mitbewohnenden Dritten per einstweiliger Verfügung (also im Schnellverfahren) erwirken, wenn er erst am Prozessende (nach Schluss der mündlichen Verhandlung) von dessen Existenz erfährt, vorausgesetzt er hat mittlerweile einen Räumungstitel gegen den Schuldner. Seit 2013 kann der Vermieter sogar „im Turboverfahren“ einen Räumungstitel gegen den Schuldner erhalten. Klagt der Vermieter Mietrückstände ein, kann das Gericht eine Sicherungsanordnung (§ 283a ZPO) aussprechen. Erbringt dann der beklagte Mieter die Sicherheit nicht termingerecht, darf die Räumung durch einstweilige Verfügung angeordnet werden (§ 940a Abs. 3 ZPO).

Expertentipp

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Die Räumungsvollstreckung gegen Personen, die nicht im Titel bezeichnet sind, ist ein beliebtes Dauerthema im Recht der Zwangsvollstreckung. Die Neuregelung in § 940a Abs. 2 ZPO gehört nun dazu.

2. Bewegliche Sachen

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Lautet der Titel auf Herausgabe oder Lieferung von beweglichen Sachen, richtet sich die Durchführung der Vollstreckung nach § 883 ZPO.

BGH NJW 2016, 645, 646. Die Sache selbst muss im Vollstreckungstitel individuell bestimmt sein. Hierbei kann es sich um eine Einzelsache (z.B. Dackel), um eine Mehrheit von Einzelsachen (z.B. Bibliothek), um eine beschränkte Gattungsschuld (z.B. 50 kg Kartoffeln aus dem eigenen Bauernhof) oder um eine Gattungsschuld (z.B. vier Autoreifen der Marke XY) handeln. Die Vollstreckung wird durchgeführt, indem der Gerichtsvollzieher die Sache/Sachen dem Schuldner wegnimmt und diese dem Gläubiger übergibt (§ 883 Abs. 1 ZPO). Bei der Gattungsschuld (§ 884 ZPO) nimmt der Gerichtsvollzieher anstelle des Schuldners die Auswahl vor. Die Konkretisierung (§ 243 Abs. 2 BGB) erfolgt dann durch die Wegnahme dieser Sachen. Zwangsweisen Zutritt in die Wohnung des Schuldners darf sich der Gerichtsvollzieher allerdings nur aufgrund einer besonderen richterlichen Durchsuchungsanordnung verschaffen (§ 758a ZPO). In dem Herausgabetitel ist eine derartige Anordnung nicht inzident enthalten. Die Pfändungsschutzvorschriften der §§ 811, 812 ZPO sind bei der Herausgabevollstreckung nicht analog anwendbar.Brox/Walker Zwangsvollstreckungsrecht Rn. 1055. Dies ergibt sich zum einen bereits aus der Gesetzessystematik (die Vorschriften sind im Abschnitt Vollstreckung einer Geldforderung angesiedelt). Auch Sinn und Zweck verlangen keinen derartigen Schuldnerschutz, weil es um eine individuelle Verpflichtung geht.

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Findet der Gerichtsvollzieher die titulierte Sache nicht vor, ist der Schuldner auf Antrag des Gläubigers zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung verpflichtet. Darin muss er versichern, dass er die Sache nicht besitzt und auch keine Kenntnis über ihren Verbleib hat (§ 883 Abs. 2 S. 1 ZPO). Bei einer Gattungsschuld kommt die eidesstattliche Versicherung naturgemäß nicht in Betracht (§ 884 ZPO verweist daher nur auf § 883 Abs. 1 ZPO).

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Besonderheiten gelten, wenn sich die Sache bei einem nicht herausgabebereiten Dritten befindet. Der Gläubiger kann den Herausgabeanspruch des Schuldners gegen den Dritten im Weg der Forderungspfändung pfänden und überweisen lassen (§ 886 ZPO). Diesen Herausgabeanspruch kann er dann gegen den Dritten einklagen (§ 836 ZPO). Aus dem obsiegenden Urteil kann der Gläubiger gegen den Dritten aus § 883 ZPO vollstrecken.

3. Unbewegliche Sachen

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Die Vollstreckung von Herausgabeansprüchen in unbewegliche Sachen ist in §§ 885, 885a ZPO geregelt. Lautet der Titel auf Herausgabe, Überlassung oder Räumung einer unbeweglichen Sache, erfolgt die Vollstreckung dadurch, dass der Gerichtsvollzieher den Schuldner aus dem Besitz setzt und den Gläubiger in den Besitz einweist (§ 885 Abs. 1 S. 1 ZPO). Hat ein Dritter Mitbesitz, ist ein eigener Vollstreckungstitel gegen den Dritten erforderlich.

BGH NJW 2008, 3287. Dies gilt insbesondere für Ehepartner oder Lebensgefährten (siehe bereits Rn. 519).Lackmann Zwangsvollstreckungsrecht Rn. 390; Zöller/Seibel ZPO § 885 Rn. 7 ff. Für das (zwangsweise) Betreten des zu räumenden Objekts (Grundstück/Wohnung) benötigt der Gerichtsvollzieher nach der ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmung des § 758a Abs. 2 ZPO keine richterliche Durchsuchungsanordnung. Bei Widerstand des Schuldners kann er die Polizei hinzuziehen.

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Weitere Erschwernisse bringt die Räumungsvollstreckung mit sich, wenn sich noch (bewegliche) Sachen des Schuldners in und auf dem Objekt befinden. Auch Tiere (§ 90a S. 3 BGB) gehören dazu (z.B. Damwild).

BGH NJW 2012, 2889. Durch das Mietrechtsänderungsgesetz 2013 wurden einige Neuerungen eingeführt, um die Vollstreckung etwas effizienter zu gestalten. Wie der Gerichtsvollzieher zu verfahren hat, ist nun in den § 885 Abs. 2 bis 5 ZPO ausführlich geregelt.

Beispiel

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Mona hat ihre Wohnung für ein Jahr an ihre Freundin Susi vermietet. Susi zahlt die Miete für mehrere Monate nicht. Mona verklagt Susi auf Zahlung und Räumung. Mona gewinnt den Prozess. Der mit der Räumung beauftragte Gerichtsvollzieher findet folgende Sachen vor: einen wertvollen Perserteppich, einen vertrockneten Kaktus sowie ein Fotoalbum mit Familienbildern.

Nach § 885 Abs. 2 ZPO muss der Gerichtsvollzieher die beweglichen Sachen (Teppich, Kaktus, Fotoalbum) grundsätzlich aus der Wohnung entfernen und dem Schuldner (= Susi oder Familienangehörigen oder Mitbewohner etc.) übergeben. Dies gilt allerdings nicht für alle (drei) Sachen. Gegenstände, die zugleich der Zwangsvollstreckung wegen einer Geldforderung (z.B. Mietrückstände) unterliegen, muss der Gerichtsvollzieher behalten und in Besitz nehmen (§ 808 ZPO). Dies trifft für den Perserteppich zu, nicht dagegen für das Fotoalbum, da dieses teils als unpfändbar angesehen wird (§ 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO). Susi bekommt also Fotoalbum und Kaktus ausgehändigt. Ist der Schuldner bei der Räumung nicht anwesend (häufig bei „Mietnomaden“ der Fall), muss der Gerichtsvollzieher die Sachen in die Pfandkammer schaffen oder anderweitig verwahren (§ 885 Abs. 3 S. 1 ZPO). Immerhin können Sachen, an deren Verwahrung offensichtlich kein Interesse besteht („Müll“ etc.), vernichtet werden (§ 885 Abs. 3 S. 2 ZPO). Der Gerichtsvollzieher darf den Kaktus also sofort in die Mülltonne werfen und muss nur das Fotoalbum verwahren. Meldet sich der Schuldner nicht innerhalb eines Monats nach der Räumung beim Gerichtsvollzieher („gib mir meine Sachen“), kann dieser die verwahrten Sachen veräußern und den Erlös hinterlegen (§ 885 Abs. 4 S. 1 ZPO). Gelingt die Veräußerung nicht (z.B. das Fotoalbum will niemand kaufen), darf der Gerichtsvollzieher die Sachen nach § 885 Abs. 4 S. 4 ZPO vernichten. Bis zum Vernichtungstag wird Susi die Chance gegeben, vom Gerichtsvollzieher die (kostenfreie) Herausgabe des Fotoalbums zu verlangen (§ 885 Abs. 5 ZPO).

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Da die Prozedur nach § 885 ZPO nicht ganz billig ist, räumt § 885a ZPO die Möglichkeit einer Räumungsvollstreckung „light“ ein. Der Gläubiger kann seinen Vollstreckungsauftrag auf die Besitzeinweisung beschränken (§ 885a Abs. 1 mit § 885 Abs. 1 ZPO). In diesem Fall muss der Gerichtsvollzieher lediglich die Sachen in der Wohnung dokumentieren und protokollieren (§ 885a Abs. 2 ZPO). Um das Schicksal der beweglichen Sachen darf sich der Gläubiger zunächst selbst kümmern (§ 885a Abs. 3, 4 ZPO). Sachen, an deren Aufbewahrung kein Interesse besteht („Müll“) darf er sofort vernichten (§ 885a Abs. 3 S. 2 ZPO). Die anderen Sachen muss er (irgendwo) verwahren (§ 885a Abs. 3 S. 1 ZPO). Einen Monat nach Räumung darf er die Sachen dann über den Gerichtsvollzieher verwerten, wenn der Schuldner diese nicht vorher herausverlangt hat (§ 885a Abs. 4 ZPO). Eine freihändige Verwertung ist ausgeschlossen (kein eBay).

Flatow NJW 2013, 1185, 1191. Hat der Gläubiger eigenmächtig den Besitz (ohne Gerichtsvollzieher = kalte Räumung) ergriffen, muss er aufgrund der vollstreckungsrechtlichen Sonderverbindung selbst ein Verzeichnis aller beweglichen Gegenstände erstellen; andernfalls trägt er die Beweislast für ihren Zustand und Wert.BGH NJW 2017, 3656, 3657.

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Nicht immer ist der Schuldner „der Böse“. Die Herausgabevollstreckung von Wohnraum trifft häufig ältere Menschen besonders hart, die schon lange in der Wohnung leben und nun wegen eines Um- oder Neubaus ausziehen müssen. Hier gewährt die Vorschrift des § 721 ZPO den Mietern Schutz. Danach kann das Gericht eine angemessene Räumungsfrist gewähren und diese später verlängern. Gleiche Regelungen sind in § 794a ZPO für den Prozessvergleich enthalten. Daneben besteht die Möglichkeit, die Einstellung der Zwangsvollstreckung wegen unzumutbarer Härte zu beantragen (§ 765a ZPO).

BVerfG NJW 2016, 3090, 3091 (zeitlich begrenzt; evtl. auch dauerhaft).

4. Übereignung von Sachen

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Lautet der Titel auf Übereignung einer beweglichen oder unbeweglichen Sache, ist eine „Doppelvollstreckung“ notwendig. Die Vollstreckung erfolgt zum einen nach der Vorschrift des § 894 ZPO (Vollstreckung bei Verurteilung zur Abgabe einer Willenserklärung) und zum anderen durch die Wegnahme der Sache (§§ 883, 885 ZPO). Sie wird an späterer Stelle behandelt.

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