Zivilprozessordnung

Konzepte gütlicher Streitbeilegung

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A. Konzepte gütlicher Streitbeilegung

I. Gründe für eine außergerichtliche Konfliktlösung

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Für Mona ist die Vorstellung, einen Prozess führen zu müssen, eher unangenehm. Dieses Problem haben nicht nur Privatpersonen, sondern auch Unternehmer/innen und Industriekonzerne. Im Vordergrund steht die Sorge, dass der Prozess verloren gehen könnte. Der Spruch „Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand“ symbolisiert dieses Risiko besonders plastisch. Bei Prozessverlust droht eine „Kostenexplosion“. Die Klagepartei muss nicht nur die eigenen Anwaltskosten und die Gerichtskosten tragen, sondern auch noch die Kosten der Gegenseite (Anwaltskosten). Geregelt ist die Kostentragungspflicht des Verlierers in § 91 ZPO. Auswege aus dieser Kostenfalle gibt es kaum.

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Falls der Kläger/die Klägerin über eine Rechtsschutzversicherung verfügt, kann dieser Umstand Abhilfe schaffen. Im Rahmen des abgeschlossenen Vertrags werden sämtliche Prozesskosten von der Versicherung übernommen. Voraussetzung ist aber ein bereits vor dem Prozess bestehender Vertrag. Außerdem kann eine Rechtsschutzversicherung nicht für alle zivilrechtlichen Streitigkeiten abgeschlossen werden. Dies gilt etwa für bau- oder erbrechtliche Streitigkeiten. Für einkommensschwache Kläger gibt es die staatliche Prozesskostenhilfe (§§ 114 ff. ZPO). Sie dient der Rechtsschutzgleichheit (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG), ermöglicht aber kein „kostenloses Prozessieren“.

Zum Gebot der Rechtsschutzgleichheit BVerfG NJW 2010, 987; NJW 2014, 681; NJW 2016, 1377. Bei Prozessverlust müssen stets die gegnerischen Kosten (§ 123 ZPO) getragen werden. Ähnliches gilt bei Vereinbarung von Erfolgshonoraren mit dem eigenen Anwalt (vgl. § 49b BRAO mit § 4a RVG). Im Fall des Verlierens müssen lediglich der gegnerische Anwalt und die Gerichtskosten, nicht aber der eigene Anwalt gezahlt werden. Allerdings können Erfolgshonorare nur unter besonderen – erschwerten – Voraussetzungen vereinbart werden (vgl. § 4a RVG). So müssen die wirtschaftlichen Verhältnisse des Mandanten derart schlecht sein, dass er ohne Erfolgshonorar von der Rechtsverfolgung absehen würde. Vgl. BGH NJW 2014, 2653, 2655 (zu den Folgen eines Verstoßes).

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Ein weiterer Weg zur Kostenvermeidung ist die Prozessfinanzierung. Hier lassen sich auf Prozessfinanzierung spezialisierte Unternehmen gegen Vorfinanzierung der Verfahrenskosten sowie Übernahme des Prozesskostenrisikos im Unterliegensfall im Gegenzug für den Erfolgsfall einen Teil des erstrittenen Erlöses abtreten.

Ausführlich Gleußner in FS für Vollkommer S. 25 ff. Die geforderte Quote für den Erfolgsfall ist bei den einzelnen Anbietern unterschiedlich. Ungeklärt ist auch die rechtliche Qualifikation des Prozessfinanzierungsvertrags. Des Weiteren ist umstritten, ob Anwälte eigene Prozessfinanzierungsunternehmen (GmbH, AG) gründen dürfen. Für „kleinere Verfahren“ wird die Prozessfinanzierung mangels Rentabilität nicht eingesetzt. Anders ist die Situation bei „Sammelschäden“ (z.B. VW-Abgasskandal). Das Geschäftsmodell wird hier eingesetzt, um die Ansprüche der Betroffenen zu bündeln und außergerichtlich bzw. gerichtlich durchzusetzen.

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Sieht man einmal von der Kostenfrage ab, ist auch der Zeitaufwand (Besprechungen mit dem Anwalt, Gerichtstermine) und die Dauer eines Zivilverfahrens (eventuell mehrere Jahre bei Ausschöpfung aller Rechtsmittel) zu berücksichtigen. Außerdem kann gegen die Inanspruchnahme einer richterlichen Entscheidung eingewendet werden, dass es an einer echten „Konfliktlösung“ fehlt, weil es nur Sieger oder Verlierer gibt.

Beispiel

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Mona hat keine Rechtsschutzversicherung. Als Studentin kann sie gegebenenfalls Prozesskostenhilfe beantragen. Eventuell wird sie zur Ratenzahlung verpflichtet. Ihre Wohnung muss sie jedenfalls nicht einsetzen (vgl. § 115 Abs. 3 ZPO mit § 90 Abs. 2 SGB XII). Für ein Prozessfinanzierungsunternehmen ist ihr Fall „zu mager“, da die meisten Prozessfinanzierer einen Mindeststreitwert von 50 000 € verlangen.

 

 

II. Alternativen zum Prozess

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Somit stellt sich nicht nur für Mona die Frage, ob es kostengünstigere und raschere Alternativen zur gerichtlichen Auseinandersetzung gibt.

Näher Greger in FS für Vollkommer S. 1, 13 ff. Waren die Angebote bislang überschaubar, ist mittlerweile etwas Bewegung in die alternative und außergerichtliche Streitschlichtung gekommen. Ob der „Kundenrückgang“ bei den staatlichen Gerichten damit zu tun hat, ist noch nicht ausreichend wissenschaftlich geklärt.

1. Obligatorische Streitschlichtung nach § 15a EGZPO

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Lesen Sie § 15a EGZPO unter www.gesetze-im-internet.de!

Zur Förderung der außergerichtlichen Streitbeilegung und zur Entlastung der Zivilgerichte wurde 1999 die obligatorische StreitSchlichtung eingeführt. Nach § 15a EGZPO wurde den sechzehn Bundesländern die Möglichkeit eröffnet, in bestimmten Fällen die Parteien vor Klageerhebung in einen Schlichtungsversuch „zu zwingen“. Regelungsgegenstände waren vermögensrechtliche Streitigkeiten unter 750 €, Nachbarschaftsstreitigkeiten sowie Persönlichkeitsverletzungen (§ 15a Abs. 1 Nr. 1 bis 3 EGZPO). Hintergrund für die Schlichtungsidee war, dass bei geringfügigen Geldforderungen Aufwand und Kosten eines Rechtsstreits im Missverhältnis stehen. Bei Nachbarschaftsstreitigkeiten wurde erfahrungsgemäß nach einem Urteil trotzdem weiter gestritten, so dass eine Lösung am runden Tisch vorzugswürdig erschien. Ähnliche Gründe wurden für Persönlichkeitsverletzungen, wie Beleidigungen, angeführt, die besser einvernehmlich beendet werden.

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Von sechzehn Bundesländern haben elf (Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen-Anhalt sowie Schleswig-Holstein) die obligatorische Streitschlichtung eingeführt. Vier Bundesländer haben eine vierte Fallgruppe aufgenommen (zivilrechtliche Streitigkeiten nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz = §§ 19 ff. AGG). Unter den Ländern bestand Übereinstimmung, den Erfolg des Konzeptes nach einigen Jahren zu evaluieren. Nicht alle Länder haben nach einer Bestandsaufnahme an der ursprünglichen Idee festgehalten.

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In Baden-Württemberg wurde die Verpflichtung der Parteien, ein Schlichtungsverfahren vorzuschalten, 2013 wieder abgeschafft. Auch die anderen Länder haben das obligatorische Schlichtungsverfahren für die erste Fallgruppe (Geldstreitigkeiten unter 750 €) aufgehoben. Maßgebend waren die schlechten Erfahrungen in der Praxis.

Vgl. Adolphsen Zivilprozessrecht § 2 Rn. 24 m.w.N. Vielfach wurde das Schlichtungsverfahren durch eine geschickte Kombination von Prozessanträgen umgangen.Näher Pohlmann Zivilprozessrecht Rn. 118.

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Ist eine Schlichtung nach Landesgesetz vorgeschrieben, ist die erfolglose Durchführung des Schlichtungsverfahrens Voraussetzung für die Zulässigkeit der Klage. Eine Nachholung während des Prozesses ist nach h.M. nicht möglich. Vielmehr muss die Klage als unzulässig abgewiesen werden.

BGH NJW-RR 2009, 1239 f.; BeckRS 2010, 20020; Zimmermann EGZPO § 15a Rn. 3.

Beispiel

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Schon aufgrund der Höhe der geltend gemachten Forderungen unterliegt Mona keinem Schlichtungsverfahren. Würde Mona dagegen mit einem Nachbarn wegen überhängender Zweige streiten, käme es für die Frage, ob vor einer nachbarschaftsrechtlichen Klage ein Schlichtungsverfahren durchzuführen ist, auf ihren Wohnsitz (Bundesland) an. In Hamburg, Bremen oder Dresden bräuchte Mona beispielsweise keinen Schlichtungsversuch, anderes würde für Frankfurt, Potsdam oder Saarbrücken gelten.

2. Mediation

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Die Mediation ist eine „amerikanische“ Erfindung. Seit den 90er Jahren hat dieses außergerichtliche Streitschlichtungsmodell Eingang in die deutsche Rechtskultur gefunden. Bei der Mediation schalten die Parteien einen unabhängigen und neutralen Mediator ein, der im Wesentlichen „Moderatorentätigkeiten“ übernimmt. Die Parteien sollen durch Erarbeiten ihrer Interessen zu einer gemeinsamen gütlichen Einigung gelangen. Der Mediator hat keine Zwangsbefugnisse. Er kann den Parteien keine Lösungen diktieren und den Streit nicht verbindlich entscheiden (keine Richterfunktion!). Das Konfliktlösungsinstrument der Mediation wird vor allem in familienrechtlichen Streitigkeiten empfohlen,

Vgl. Jauernig/Hess Zivilprozessrecht § 1 IV 3; ferner MüKo-Rauscher ZPO Einl. Rn. 64 f. aber auch für Nachbarschaftskonflikte, Miet- und Immobilienstreitigkeiten. Auch die Wirtschaftsmediation (Konfliktlösung zwischen Unternehmen) ist in Deutschland zu finden. Die Rolle von Mediatoren und Mediatorinnen üben verschiedene Berufsträger aus (Anwälte, Psychologen, „Coaches“ etc.).

Expertentipp

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Das gesamte MediationsG können Sie unter www.gesetze-im-internet.de nachlesen!

Im MediationsG vom 28.6.2012 (Rn. 12) finden sich erstmals gesetzliche Regelungen zur (außergerichtlichen und gerichtlichen) Mediation. Ziel des Gesetzes ist, die Konfliktkultur in Deutschland zu verändern und eine Alternative zum (Rechts-)Streit anzubieten. Im MediationsG werden zunächst die Aufgaben, Befugnisse und Ausbildungswege des Mediators/der Mediatorin näher umschrieben. Betont werden die Freiwilligkeit und die Vertraulichkeit (§ 1 Abs. 1 MediationsG) sowie die Neutralitätspflicht des Mediators (§ 1 Abs. 2 MediationsG). Da die Mediation von verschiedenen Berufsträgern ausgeübt wird, sieht das MediationsG zum Schutz der Parteien die Einführung eines „zertifizierten Mediators“ (§ 5 MediationsG) vor. Diese müssen diverse Vorgaben erfüllen, um den (geschützten) „Titel“ zu erhalten.

Verordnung über die Aus- und Fortbildung von zertifizierten Mediatoren (BGBl. I 2016, 1994). Anwalts-Mediatoren unterliegen zudem der Anwaltshaftung. BGH NJW 2017, 3442, 3443. Durch die Aufnahme der Mediation erleiden die Parteien verjährungsrechtlich keine Nachteile (Hemmung nach § 203 BGB). Einigen sich die Parteien vor dem Mediator, kommt es zu einer entsprechenden vertraglichen Abschlussvereinbarung (= außergerichtlicher Vergleich § 779 BGB). Diese Vereinbarung ist nicht vollstreckbar. Das ist nach wie vor – abgesehen von den (zusätzlichen) Kosten – das große Manko der Mediation. Die geringe Anzahl der Verfahren spiegelt dies wider. Einen echten Durchbruch hat die Mediation in Deutschland bislang nicht erzielt. Falls die Parteien auf Mediation oder andere außergerichtliche Konfliktbeilegungsmethoden verzichten und sogleich den Rechtsstreit suchen, eröffnet das MediationsG dem Gericht die Möglichkeit, nochmals den Versuch einer gütlichen Einigung zu starten (vgl. § 278 Abs. 5 ZPO; siehe hierzu Rn. 160).

Beispiel

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Mona schlägt der V-GmbH die Durchführung eines Mediationsverfahrens vor. Die V-GmbH lehnt dies höflich mit der Begründung ab, dass man nicht für jeden Kunden, der Ware reklamiere, einen Mediator einschalten könne. Außerdem möge Mona angesichts der Stundensätze dieser Berufsgruppe die entstehenden Mehrkosten bedenken. Zudem dürfe nicht vergessen werden, dass am Ende der Mediation keine verbindliche Entscheidung stehe. Mona scheitert folglich mit ihrem Vorschlag. Eine Zwangsmediation gibt es nicht. Für „kaufrechtliche Einmalkonflikte“ eignet sich dieses Verfahren eben nicht.

3. Weitere Streitschlichtungsangebote (für Verbraucher)

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Neben der Mediation existieren vor allem für Verbraucher zahlreiche weitere Instrumente der alternativen (nicht gerichtlichen) Streitbeilegung.

Näher Greger/Unberath/Steffek Recht der Alternativen Konfliktlösung Einl. Rn. 6 u. Teil D Rn. 1 ff. So halten bestimmte Branchen (z.B. Luftverkehr, Energie, Versicherung, Banken, Post, Anwaltschaft) eine diffuse Palette von Schlichtungsangeboten (Beschwerde-, Ombuds-, Schiedsstellen) bereit. Greger/Unberath/Steffek Recht der Alternativen Konfliktlösung Einl. Rn. 39. Zu nennen sind beispielsweise die Schlichtungsstelle des Bundesamt für Justiz für Ansprüche von Fluggästen gegen Luftfahrtunternehmen (§ 57b LuftVG), die Schlichtungsstelle der Deutschen Bundesbank (§ 14 UKlaG) sowie die Schlichtungsstelle der Bundesnetzagentur (§ 47a TKG).

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Am 1.4.2016 ist das Verbraucherstreitbeilegungsgesetz (VSBG) in Kraft getreten, das auf einer EU-Richtlinie beruht. Es beinhaltet eine weitere Form der freiwilligen Streitschlichtung. Ziel des Gesetzes ist die Errichtung eines flächendeckenden Netzes von (staatlich anerkannten) Verbraucherschlichtungsstellen. Träger können Vereine, behördliche Schlichtungsstellen und subsidiär die Universalschlichtungsstellen der Länder sein (§§ 3, 28, 29 VSBG). Die Verbraucherschlichtungsstellen (geschützter Begriff) sollen zügigen, billigen und qualifizierten Rechtsschutz in B2C-Streitigkeiten (§ 310 Abs. 3 BGB) anbieten. Das Verfahren soll spätestens nach ca. 5 Monaten mit einem (unverbindlichen) Schlichtungsvorschlag enden (§ 20 Abs. 2 i.V.m. §§ 17, 19 VSBG). Schlichter können nur Volljuristen oder zertifizierte Mediatoren sein (§ 6 Abs. 2 S. 2 VSBG). Um die Verbraucher über diese neue Idee zu informieren, müssen Unternehmen, die eine Webseite betreiben oder AGB verwenden, ihre Kunden darüber aufklären, ob sie an einem solchen Streitbeilegungsverfahren teilnehmen würden (§ 36 VSBG). Bei den meisten Internet-Unternehmen ist eine Negativerklärung auf der Homepage zu finden. Es gibt eben keinen Mitmachzwang, da es sich um ein freiwilliges Verfahren handelt. Flankiert wird das Ganze durch die ODR-Verordnung (Online-Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten). Nach Art. 14 ODR-VO sind Internet-Unternehmen verpflichtet, auf ihren Webseiten einen leicht zugänglichen (anklickbaren) Link auf die neue zentrale Internetplattform der EU (http://ec.europa.eu/consumers/odr) zu setzen. Dort wird ein elektronisches Beschwerdeformular bereitgestellt. In Deutschland ist das Bundesamt für Justiz zentrale Anlaufstelle für alle Fragen (§ 32 VSBG).

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Eine wichtige Begleitvorschrift zur außergerichtlichen Streitbeilegung bildet § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB, der sich mit der Hemmung der Verjährung befasst. Wird ein Antrag bei einer staatlichen oder staatlich anerkannten Schlichtungsstelle eingereicht, wird die Verjährung durch „Veranlassung“ der Bekanntgabe des Antrags gehemmt (§ 204 Abs. 1 Nr. 4a BGB). Dazu gehören alle Verbraucherschlichtungsstellen des VSBG. Bei sonstigen Streitbeilegungsstellen tritt die Hemmung der Verjährung nur bei einvernehmlicher Inanspruchnahme ein (§ 204 Abs. 1 Nr. 4b BGB), wobei das Einvernehmen in bestimmten Fällen unwiderleglich vermutet wird (§ 15a Abs. 3 S. 2 EGZPO). Voraussetzung für die Hemmung ist stets, dass der Gegenstand des Streits im Antrag hinreichend individualisiert wird.

BGH NJW 2015, 3297, 3298 f.; NJW 2016, 233 f.

Beispiel

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Nach Durchsicht der AGB der „VORORT Fliesen GmbH“ muss Mona feststellen, dass diese an einer freiwilligen Streitschlichtung kein Interesse hat. In Ziffer 9 der AGB findet Mona folgenden Text: „Die EU stellt eine Plattform zur Online-Streitbeilegung bereit, die Sie unter http://ec.europa.eu/consumers/odr aufrufen können. Wir ziehen es vor, Ihr Anliegen im direkten Austausch zu klären und nehmen daher nicht an einem Verbraucherschlichtungsverfahren teil.“

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Um einen verbesserten Rechtsschutz gegen „Hassbotschaften“ zu erreichen, ist 2017 das Netzwerkdurchsetzungsgesetz in Kraft getreten, das Nutzerinnen und Nutzern Sozialer Netzwerke mit mehr als 2 Mio. registrierten Mitgliedern (z.B. Facebook, Twitter, YouTube etc.) beisteht. Die Plattformen müssen den Nutzern ein wirksames und transparentes Beschwerdeverfahren zur Verfügung stellen, damit rechtswidrige Inhalte schnellstens gelöscht werden. Zudem muss ein Zustellungsbevollmächtigter benannt werden, falls es zu einer Klage auf Löschung kommt (§ 5 Abs. 1 NetzDG).

4. Schiedsgerichtliches Verfahren

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Das in §§ 1025 ff. ZPO geregelte Schiedsverfahren erlaubt es den Parteien, einen Rechtsstreit durch eine sog. Schiedsvereinbarung vor einem privaten Schiedsgericht auszutragen und ihn damit der staatlichen Gerichtsbarkeit zu entziehen. Unter der Internetadresse www.disarb.org findet sich interessantes Zahlenmaterial zur deutschen Schiedsgerichtsbarkeit.

a) Adressatenkreis

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Diese Möglichkeit der autonomen Konfliktlösung durch verbindlichen Schiedsspruch eines Dritten nutzen vor allem Unternehmen in internationalen Handels- und Wirtschaftsstreitigkeiten. Aber auch eine Reihe von nationalen Unternehmen ist in die Schiedsgerichtsbarkeit „abgewandert“, z.B. in gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten.

Vgl. BGH NJW 2015, 3234 (MediaMarkt); BGH NJW 2017, 892. Ein wesentlicher Vorteil der „privaten Rechtsfindung“ besteht für die „Global-Player“ vor allem darin, dass Schiedssprüche weltweit anerkannt und für vollstreckbar erklärt werden (vgl. § 1061 ZPO), Vgl. BGH NZG 2017, 227 (Thailand). während ein nationales Urteil nicht in allen Staaten anerkannt wird. Beispielsweise hat sich China verpflichtet, Schiedssprüche anzuerkennen, nicht aber Urteile „normaler Gerichte“. Die globalisierten Unternehmen nutzen als Schiedsgerichte bevorzugt institutionelle Schiedsgerichtsorganisationen, wie etwa das Schiedsgericht der Internationalen Handelskammer in Paris, das Chinesisch-Europäische Schiedsgerichtszentrum in Hamburg sowie den London Court of International Arbitration.

b) Vorteile im Überblick

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Als Vorteile für das Schiedsverfahren werden die größere Flexibilität der Verfahrensgestaltung, die kürzere Verfahrensdauer, die Kostengünstigkeit bei hohen Streitwerten, die Nichtöffentlichkeit und damit Vertraulichkeit des Verfahrens, die spezielle Sachkunde der Schiedsrichter in technischen oder rechtlichen Fragen, die freie Wahl des Orts des Schiedsverfahrens sowie der Verhandlungssprache, die freie Rechtswahl sowie die internationale Vollstreckbarkeit des Schiedsspruchs (weltweit) genannt.

Vgl. Heinrich NZG 2016, 1406; Musielak/Voit ZPO § 1025 Rn. 2. Die Verjährung des Anspruchs wird mit Beginn des schiedsrichterlichen Verfahrens gehemmt (§ 204 Abs. 1 Nr. 11 BGB).

c) Schiedsverfahren

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Voraussetzung für das schiedsrichterliche Verfahren ist eine privatrechtliche Schiedsvereinbarung zwischen den Parteien. Einseitige Anordnungen (z.B. im Testament) genügen nicht.

BGH NJW 2017, 2112 u. 2115. Die Schiedsvereinbarung muss freiwillig erfolgen. Die Formerfordernisse sind in § 1031 ZPO aufgeführt. Gegenstand einer Schiedsvereinbarung kann jeder vermögensrechtliche Anspruch sein (§ 1030 ZPO). Ausgeschlossen sind Schiedsvereinbarungen beispielsweise in Mietsachen (§ 1030 Abs. 2 ZPO). Liegt eine Schiedsgerichtsvereinbarung vor und wird dennoch Klage bei einem staatlichen Gericht erhoben, ist die Klage als unzulässig abzuweisen, wenn der Beklagte dies rechtzeitig rügt (§ 1032 Abs. 1 ZPO). Im Regelfall ist das Schiedsgericht mit drei Schiedsrichtern besetzt. Das Schiedsgericht muss unabhängig und neutral sein. BGH NJW 2016, 2266, 2268 f. Der Schiedsspruch hat für die Parteien die Wirkung eines rechtskräftigen Urteils (§ 1055 ZPO). Die Zwangsvollstreckung aus dem Schiedsspruch ist erst nach Vollstreckbarkeitserklärung durch ein staatliches Gericht möglich (§§ 1060 ff. ZPO). In bestimmten Fällen kann der Schiedsspruch wieder beseitigt werden (§ 1059 Abs. 2 ZPO), z.B. bei fehlender Unparteilichkeit des eingeschalteten Sachverständigen. BGH NJW 2018, 70 ff.

Beispiel

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Mona hat keinen Schiedsvertrag mit der V-GmbH geschlossen. Schiedsvereinbarungen mit Verbrauchern sind eher unüblich und stets an § 307 BGB zu messen. Nachdem nun sämtliche Formen der außergerichtlichen Streitbeilegung für den Fall von Mona keine Rolle spielen, wird Mona um die Aufnahme eines Prozesses nicht herum kommen. Eine kleine Chance besteht noch für Mona, einigermaßen rasch und kostengünstig an ihr Recht (bzw. zu einem Vergleich) zu kommen. Dies soll im Folgenden erläutert werden.

 

III. Vorgeschaltete Güteverhandlung; gerichtliche Güteversuche

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Das Instrument der Güteverhandlung ist kein Konzept der „außergerichtlichen“ Streitschlichtung, da sie die Erhebung einer Klage, also einen Prozess, voraussetzt. Da die Güteverhandlung aber auf eine rasche und frühzeitige Streitbeilegung gerichtet ist, soll sie – systematisch ungenau – dennoch an dieser Stelle behandelt werden. Nach § 278 Abs. 2 ZPO muss der mündlichen Verhandlung zwingend eine Güteverhandlung vorausgehen. Diese seit 2002 geltende Vorschrift ist § 54 ArbGG nachgebildet. Die Güteverhandlung ist nicht Teil der mündlichen Verhandlung, sondern vorgeschaltet. Ziel dieses Termins ist, eine frühzeitige, einvernehmliche Lösung des Konflikts zu fördern. Auf die Güteverhandlung kann das Gericht daher nur verzichten, wenn ein Einigungsversuch bereits vor einer außergerichtlichen Gütestelle (siehe hierzu Rn. 21) stattgefunden hat oder wenn die Güteverhandlung erkennbar aussichtslos erscheint (§ 278 Abs. 2 S. 1 ZPO). Wie die Güteverhandlung ausgeht, hängt u.a. auch von der Verhandlungsführung und dem Verhandlungsgeschick des Richters ab. Manche Länder haben daher Modellversuche mit speziell ausgebildeten Güte- bzw. Mediationsrichtern gestartet.

Hierzu Ahrens NJW 2012, 2464 m.w.N. Das Mediationsgesetz (Rn. 12, 24) hat diesen Trend aufgegriffen. Um eine gütliche Einigung der Parteien vor Gericht noch intensiver zu fördern, hat das Gericht nach § 278 Abs. 5 ZPO zur Durchführung der Güteverhandlung nun mehrere Optionen. Nach Wahl des Gerichts kann es die Güteverhandlung selbst durchführen oder die Parteien an einen speziellen (nicht entscheidungsbefugten) Güterichter verweisen, der wiederum alle Modelle einvernehmlicher Konfliktlösung (z.B. Mediation) einsetzen kann (§ 278 Abs. 5 S. 2 ZPO). Richter/innen, die an einem Güte-/Mediationsverfahren mitgewirkt haben, sind von einer späteren Streitentscheidung ausgeschlossen (§ 41 Nr. 8 ZPO). MüKo-Stackmann ZPO § 41 Rn. 28. Außerdem kann das Gericht den Parteien die Durchführung einer außergerichtlichen Mediation vorschlagen (§ 278a ZPO), um so die Güteverhandlung bzw. den Prozess überflüssig zu machen.

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Führt das Gericht die Güteverhandlung selbst durch, erläutert es den Sach- und Streitstand (§ 278 Abs. 2 S. 2 ZPO), insbesondere das Prozessrisiko der Parteien. Finden die Parteien daraufhin keine Lösung, kommt es zur mündlichen Verhandlung, die entweder gleich im Anschluss (§ 279 Abs. 1 S. 1 ZPO) oder in einem gesonderten Termin (§ 279 Abs. 1 S. 2 ZPO) stattfindet. Aber auch bei Scheitern der Vergleichsgespräche in der Güteverhandlung darf das Gericht nicht „aufgeben“. Vielmehr ist das Gericht nach § 278 Abs. 1 ZPO in jeder Lage des Rechtsstreits verpflichtet, auf eine gütliche Einigung hinzuwirken. Es kann für weitere Güteversuche jederzeit an einen Güterichter verweisen (§ 278 Abs. 5 S. 1 ZPO). Finden die Parteien dagegen in der Güteverhandlung eine gemeinsame Lösung, wird ein gerichtlicher Vergleich geschlossen, der vollstreckbar ist (§ 794 Nr. 1 ZPO). Der Vergleich ist zu seiner Wirksamkeit vom Prozessgericht zu protokollieren (§ 160 Abs. 3 Nr. 1 ZPO); beim Vergleich vor dem Güterichter müssen die Parteien zunächst übereinstimmend die Aufnahme eines Protokolls beantragen (§ 159 Abs. 2 S. 2 ZPO). Schaffen es die Parteien, sich in der Güteverhandlung zu einigen, wird der Prozess in einem äußerst frühen Stadium beendet (spart Zeit und Kosten).

Beispiel

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Das Gericht teilt Mona in der Güteverhandlung mit, dass es klärungsbedürftig sei, ob die Verfärbungen überhaupt als Sachmangel zu bewerten seien. Dem Geschäftsführer der V-GmbH erklärt das Gericht, dass man über das Bestehen einer Pflicht zum Ein- und Ausbau gründlicher diskutieren müsse und bei Bewertung des Prozesskostenrisikos eine hälftige Übernahme der Kosten durchaus angemessen sei. Der Geschäftsführer lehnt diesen Vorschlag auf Anraten seines Anwalts ab. Die Güteverhandlung ist damit gescheitert. Der Weg zur Durchführung des (restlichen) Erkenntnisverfahrens ist nun frei.

IV. Zusammenfassung

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Für einen typischen Sachmangelfall aus dem Kaufrecht stehen in der Praxis kaum „Streitvermeidungsstrategien“ zur Verfügung. Viele Unternehmen lehnen den Weg der Verbraucherschlichtung derzeit ab. Gelingt es dem Käufer also nicht, durch hartnäckige und argumentative Kommunikation den Verkäufer zu überzeugen, dass er den Mangel auf seine Kosten beseitigen muss, bleibt als einziger Weg die Aufnahme eines Prozesses. Möglicherweise gelingt es dem Gericht in der Güteverhandlung, die Parteien zu einer Einigung (zu einem Vergleich) zu bewegen. Andernfalls aber muss der Prozess zu Ende geführt werden. Diese Prozedur steht Mona nun bevor.

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