Zivilprozessordnung

Grundlagen des Zivilprozessrechts

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1. Teil Einführung in das Zivilprozessrecht

A. Grundlagen

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Solide Kenntnisse des Bürgerlichen Rechts sind unabdingbar für das Bestehen der beiden juristischen Staatsexamina oder eines Bachelorstudiengangs im Wirtschaftsrecht. Wer die einzelnen Anspruchsgrundlagen im BGB AT, im Schuldrecht AT und BT, im Sachen-, Familien- und Erbrecht sicher beherrscht, wird sein Studium erfolgreich abschließen. Ganz getan ist es damit aber nicht. Denn die „juristische Realität“ besteht in vielen Fällen gerade darin, dass ein bestehender materieller Anspruch nicht oder nur unzureichend erfüllt wird. Kauft jemand ein kaputtes Handy und verweigert der Verkäufer Umtausch oder Reparatur (§§ 437 Nr. 1, 439 BGB), ist der Käufer darauf angewiesen, seine Rechte „zwangsweise“ zu realisieren. Da Selbsthilfe, sei es in Form von Gewalt oder Drohung, sei es in Form von „Schwarzen Sheriffs“ in Deutschland verboten ist, muss der Käufer der mangelhaften Sache grundsätzlich staatliche Hilfe in Anspruch nehmen. Der Staat wiederum muss diese Hilfe durch seinen Justizapparat garantieren (sog. Justizgewährungsanspruch).

Näher Zöller/Vollkommer ZPO Einl. Rn. 48. Die Befugnis, Recht zu sprechen, haben ausschließlich Richterinnen und Richter (Art. 92 GG). Sie genießen richterliche Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG).

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Wie die gerichtliche Durchsetzung eines zivilrechtlichen Anspruchs im Einzelnen vor sich geht, regelt das Zivilprozessrecht. Kernstück ist die Zivilprozessordnung (= ZPO) mit über 1000 Paragrafen. Weitere wichtige Prozessgesetze sind das GVG (= Gerichtsverfassungsgesetz), das FamFG (= Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit) sowie das ZVG (= Gesetz über die Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung). Bei Einschaltung eines Rechtsanwalts/einer Rechtsanwältin sind die BRAO (= Bundesrechtsanwaltsordnung) sowie das RVG (= Rechtsanwaltsvergütungsgesetz) als weitere Quellen maßgebend. Den Beruf „Rechtsanwalt/Rechtsanwältin“ als unabhängigem Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO) dürfen nur Volljuristen/Volljuristinnen ausüben. Für die besonderen Aufgaben des Rechtspflegers enthält das RpflG (= Rechtspflegergesetz) nähere Vorgaben.

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Weitere Rechtsquellen gibt es bei Fällen mit Auslandsberührung. Hier spielt das EU-Recht mittlerweile eine bedeutende Rolle. So haben zahlreiche EU-Verordnungen Eingang in das deutsche Zivilprozessrecht gefunden.

Eine Übersicht gibt Adolphsen Zivilprozessrecht § 2 Rn. 33 ff. Besonders wichtig ist die EuGVO (= Europäische Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen = EuGVVO = „Brüssel Ia-VO“), die Regeln zur internationalen Zuständigkeit (sind die Gerichte eines Landes für den Fall zuständig) sowie Vorgaben zur Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen anderer europäischer Staaten enthält. Weitere Verordnungen sind die EuVTVO, die EuInsVO, die EuZustVO, die EuBagatellVO (grenzüberschreitende Streitigkeiten bis 2000 €), die EuMahnVO, die EuBeweisVO sowie die EuKoPfVO. Diese europäische Entwicklung im (internationalen) Prozessrecht spiegelt sich im 8. und 11. Buch der ZPO mit entsprechenden Ausführungsvorschriften wider (§§ 946 ff.; §§ 1067 ff. ZPO). Darüber hinaus finden sich in der ZPO noch verstreut Verweise auf Fälle mit Auslandsbezug (z.B. §§ 55, 276 Abs. 1 S. 3, 339 Abs. 2 ZPO etc.).Grunsky/Jacoby Zivilprozessrecht Rn. 858.

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Das Zivilprozessrecht ist in zwei Teile gegliedert: das Erkenntnisverfahren und das anschließende Vollstreckungsverfahren.

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Ziel des Erkenntnisverfahrens ist die Erlangung eines vollstreckbaren Titels gegen die beklagte Partei. Das anschließende Vollstreckungsverfahren dient der zwangsweisen Durchsetzung eines Titels durch staatliche Vollstreckungsorgane. Aufgrund der Dauer eines Zivilprozesses stellt die ZPO für besonders dringliche Fälle zusätzlich das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zur Verfügung (§§ 916 ff. ZPO). Hier kommt der Anspruchsberechtigte quasi über Nacht zu einem Titel, der im Regelfall aber die bloße Sicherung des Anspruchs gewährt. Arrest und einstweilige Verfügung sind die Formen des einstweiligen Rechtsschutzes.

Detailkenntnisse über den Zivilprozess sind für das erste juristische Staatsexamen fehl am Platz, da es keine „reinen ZPO-Klausuren“ gibt. Jedoch werden in sämtlichen Prüfungsordnungen der sechzehn Bundesländer den Studierenden Grundkenntnisse des Zivilprozessrechts abverlangt. Diese werden meist als Zusatzfragen zum materiellen Recht gestellt. Spezialkenntnisse werden erst dann erforderlich, wenn es in Richtung „Berufstätigkeit“, sei es als Referendar/Referendarin, Richter/Richterin, Anwalt/Anwältin oder Justiziar/Justiziarin, geht. Hier ist eine vertiefte Beschäftigung mit der Materie des Prozessrechts unerlässlich.

B. Ausgangsfall

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Zivilprozessrecht ist alles andere als „graue Theorie“. Denn jeder Zivilprozess setzt einen „echten Streit“ zwischen zwei Personen, also einen Fall aus dem Zivilrecht, voraus. Dementsprechend wird in diesem Lehrbuch ein Ausgangsfall aus dem Kaufrecht zugrunde gelegt. Anhand dieses realen Ausgangsfalls werden die Schritte und Abfolgen eines Zivilprozesses erläutert und mögliche Varianten und Fallstricke für die beteiligten Personen aufgezeigt. Soweit es zum besseren Verständnis für einzelne Themenbereiche erforderlich ist, wird der Ausgangsfall in den jeweiligen Kapiteln in kleinere Varianten zerlegt.

I. Sachverhalt

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Beispiel

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Mona (M) studiert im fünften Semester Rechtswissenschaft in Köln. Seit Bestehen der Zwischenprüfung ist sie – aufgrund einer großzügigen Schenkung ihrer Eltern – Eigentümerin einer 2-Zimmer-Wohnung im Stadtteil Sürth, die sie zusammen mit ihrem Freund Thomas, einem Betriebswirtschaftsstudenten, bewohnt. Nach einem sechsmonatigen Aufenthalt in Pisa als Erasmusstudentin beschließt Mona, ihr altes Bad zu renovieren. Bei der „VORORT Fliesen GmbH“ (V-GmbH) im Kölner Süden findet sie italienische Markenfliesen zu günstigen Preisen. Am 2.1.2022 kauft Mona 30 polierte Bodenfliesen zum Gesamtpreis von 800 €, die ihr Fliesenleger Felix Fromm (F) nach mehrfacher Erinnerung für 400 € fachgerecht verlegt. Kurze Zeit später zeigen sich auf den Fliesen hässliche Verfärbungen. Der Geschäftsführer der V-GmbH, Gerald Grün (G), streitet nach Rücksprache mit dem Hersteller jegliche Verantwortung ab. Mona beauftragt daraufhin den Sachverständigen Simon Sand (S). Dieser stellt fest, dass die Fliesen falsch poliert wurden und Abhilfe nur durch einen kompletten Austausch möglich sei. Die Kosten hierfür beziffert der Sachverständige auf insgesamt 850 € (= 550 € Ausbau- und Entsorgungskosten der alten Fliesen, 300 € Einbaukosten für die neuen Fliesen). Für seine Expertise stellt der Sachverständige Mona zudem 200 € in Rechnung.

Auch nach Vorlage des Sachverständigengutachtens verweigert die V-GmbH mit Schreiben vom 14.2.2022 die Lieferung 30 neuer Bodenfliesen und den Ein- und Ausbau dieser.

II. Materielle Rechtslage – Erfolgsaussichten einer Klage?

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Expertentipp

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Versuchen Sie zunächst selbst, diesen Gewährleistungsfall zu lösen. Nutzen Sie die Gelegenheit und machen Sie sich mit den neuen Vorschriften im kaufrechtlichen Gewährleistungsrecht vertraut, die ab 1.1.2022 gelten.

Mona stellt folgende Überlegungen an:

1. Mögliche Anspruchsgrundlagen

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Mona könnte hier verschiedene Posten geltend machen: Die Neulieferung von 30 Fliesen (1) und den Ersatz von Ein- und Ausbaukosten (2) oder alternativ den Ein- bzw. Ausbau der Fliesen selbst (3).

(1) Ein Anspruch auf Neulieferung der 30 Fliesen könnte sich aus §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 BGB ergeben. Dies setzt einen Kaufvertrag (§ 433 Abs. 1 BGB), eine mangelhafte Sache (§ 434 BGB) sowie das Vorliegen eines Sachmangels bei Gefahrübergang (§ 446 BGB) voraus. Hier geht es um einen Verbrauchsgüterkauf, da Mona als Privatkäuferin Verbraucherin (§ 13 BGB) und die V-GmbH gewerblich handelnde Unternehmerin (§ 14 BGB) ist und die Fliesen bewegliche Waren sind (§ 474 BGB). In diesem Fall muss Mona das Vorhandensein der Verfärbungen bei Gefahrübergang nicht beweisen (§ 477 BGB), da sich der Mangel innerhalb von einem Jahr gezeigt hat Eingehend zur Beweislast BGH NJW 2017, 1093. Nach § 439 Abs. 1 BGB steht ihr als Käuferin ein Wahlrecht zwischen Reparatur und Ersatzlieferung zu. Da die Reparatur der Fliesen technisch unmöglich ist (§ 275 Abs. 1 BGB), bleibt Mona nur das Recht auf Ersatzlieferung. 

 

(2) Ein Anspruch auf Ersatz für die Ein- und Ausbaukosten könnte sich hier aus § 439 Abs. 3 BGB ergeben. Ein Kaufvertrag (§ 433 Abs. 1 BGB), eine mangelhafte Sache (§ 434 BGB) sowie das Vorliegen eines Sachmangels bei Gefahrübergang (§ 446 BGB) liegen vor. Die Fliesen wurden von F verlegt und damit eingebaut, bevor ihr mangelhafter Zustand offenbar wurde. Das Verlegen von Fliesen entspricht auch ihrem Verwendungszweck. Infolge der Branchenüblichkeit der Aufwendungen ist von Erforderlichkeit der Aufwendungen i.S.v. § 439 Abs. 3 BGB auszugehen. Mona kann daher auch den Ersatz der Ein- und Ausbaukosten geltend machen. 

Hinweis

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Seit 2018 ist in § 439 Abs. 3 BGB nun die Ersatzpflicht des Verkäufers für Ein- und Ausbaukosten näher geregelt. Danach muss der Verkäufer die erforderlichen Aufwendungen für Ein- und Ausbau tragen. Nach § 439 Abs. 4 BGB kann der Verkäufer die vom Käufer gewählte Art der Nacherfüllung unbeschadet des § 275 Abs. 2 und 3 BGB verweigern, wenn sie nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich ist. Der Käufer kann einen Vorschuss verlangen (§ 475 Abs. 4 BGB). Die Beweislastumkehr ist nun in § 477 BGB geregelt, die Regressansprüche in §§ 445a, 445b BGB.
Damit wurde der zuvor bestehende Meinungsstreit von Rechtsprechung und Literatur, ob § 439 Abs. 1 BGB auch die Ein- und Ausbaukosten erfasst, ein für alle Mal aufgelöst.

 

(3) Fraglich erscheint hier aber, ob Mona auch den Ein- und Ausbau selbst von der V-GmbH nach § 439 Abs. 1 BGB verlangen könnte. Dies ist nicht abschließend geklärt. 

Gegen eine solche Pflicht zum Ein- und Ausbau spricht jedoch der Wortlaut des § 439 Abs. 3 BGB. Dieser sieht nur die Kostenübernahme, nicht aber das Tätigwerden selbst vor. Dies gilt umso mehr, da der Regierungsentwurf zu § 439 Abs. 3 ursprünglich das Wahlrecht vorsah, dies aber im Gesetzgebungsverfahren dann gestrichen wurde. BT-Drs. 18/8486, S. 9. Auch nach Umsetzung der Warenkaufrichtlinie 2022 und trotz Bekanntheit dieser Streitfrage hat der Gesetzgeber sich gegen eine ausdrückliche Aufnahme des Ein- und Ausbaus in den Wortlaut des § 439 Abs. 3 BGB entschieden. Dies zeigt, dass es nicht in seinem Interesse war, dem Käufer ein Wahlrecht zuzugestehen. 

Desweiteren hatte der Gesetzgeber bei Schaffung der Regelung die sogenannten Bauhandwerker-Fälle vor Augen. Hat ein Handwerker beim Besteller im Rahmen des Werkvertrags eingebaute Ware zuvor bei einem Verkäufer bezogen und wäre sodann der Verkäufer berechtigt, den Einbau und Ausbau selbstständig vorzunehmen, so müsste dieser in der Sphäre des Bestellers - mit welchem keine Sonderverbindung besteht, tätig werden. Da der Besteller solche Arbeiten nicht zu dulden bräuchte, sollte von vornherein eine faktische Einbeziehung Dritter in Werkverträge mit Endkunden vermieden werden.

Für eine Pflicht zum Ein- und Ausbau wird hingegen angeführt, dass dies Vorteile sowohl für den Käufer, als auch für den Verkäufer hat. Der Käufer muss sich auf diese Weise nicht um den Einbau und Ausbau kümmern, während der Verkäufer meist kostengünstiger selbst ein- und ausbauen kann, anstatt die teurere Selbstvornahme des Käufers zu bezahlen.

Es bleibt daher unklar für Mona, ob sie diesen Posten verlangen kann oder sich mit dem Ersatz der Kosten für den Ein- und Ausbau begnügen muss.

2. Chancenabwägung

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Die Prüfung der materiellen Rechtslage ist stets die erste Maßnahme, die Mona (bzw. ein Anwalt, wenn es sich bei dem Rechtssuchenden um einen juristischen Laien handelt) ergreifen wird, um die Erfolgsaussichten einer Klage und das Kostenrisiko abzuschätzen. Das Kostenrisiko ist deshalb so bedeutsam, da der Verlierer eines zivilgerichtlichen Rechtsstreits nach § 91 ZPO grundsätzlich sämtliche angefallenen Kosten (eigener Anwalt, gegnerischer Anwalt, Gerichtskosten) tragen muss. Ein Prozess kann somit teuer werden.

Mona diskutiert daher die gefundenen Ergebnisse mit ihrem Freund Thomas, der ihr wegen der „etwas wackeligen“ Rechtslage von einem gerichtlichen Streit abrät. Er schlägt stattdessen vor, den Ein- und Ausbau der Fliesen selbst zu organisieren oder zumindest nochmals einen Güteversuch mit der V-GmbH zu starten. Als angehende Juristin will sich Mona allerdings nicht damit zufrieden geben. Insofern ist es ihr auch egal, dass der Ein- und Ausbau durch den Verkäufer einer mangelhaften Sache in der juristischen Fachliteratur umstritten ist. Schließlich sind auch die Kosten für die Neulieferung und der Ersatz für Ein- und Ausbaukosten erfasst. Das zeige doch, dass der Gesetzgeber vorallem den Verbraucher schützen wolle. 
Daher beschließt Mona, die V-GmbH auf Neulieferung der Fliesen und deren Einbau sowie den Ausbau der alten mangelhaften Fliesen zu verklagen. Allerdings fehlen ihr jegliche Kenntnisse über das Zivilprozessrecht, da sie noch keine Vorlesung zu diesem Rechtsgebiet besucht hat. Unklar ist ihr, ob sie Kosten vorstrecken muss, welches Gericht für ihren Fall zuständig ist und ob sie einen Anwalt benötigt. Ihr Studienkollege Kai rät ihr, erst dann einen Prozess zu führen, wenn sie folgende Themengebiete des Zivilprozessrechts beherrscht:

Rechtswegzuständigkeit, Verfahrensgrundsätze, Klagearten, allgemeine Verfahrensvorschriften und Verfahren im ersten Rechtszug, Wirkungen gerichtlicher Entscheidungen, gütliche Streitbeilegung, Arten und Voraussetzungen der Rechtsbehelfe, Beweisgrundsätze, Zwangsvollstreckung (allgemeine Voraussetzungen, Arten, Rechtsbehelfe), vorläufiger Rechtsschutz.

C. Internetrecherche

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In diesem Skript wird sich Mona Schritt für Schritt Grundkenntnisse im Zivilprozessrecht aneignen. Zum Nachschlagen wichtiger Gesetze am Computer verwendet Mona die offizielle Homepage des Bundesministeriums der Justiz „www.gesetze-im-internet.de“ bzw. die Website der EU für europäische Rechtsakte „eur-lex.europa.eu“, zum Recherchieren der BGH-Rechtsprechung „www.bundesgerichtshof.de“. Informationen über Internet-Versteigerungen durch die Gerichtsvollzieher findet sie unter „www.justiz-auktion.de“. Testfragen zum Zivilprozessrecht bekommt Mona unter „www.juriq.de“ beantwortet.

D. Aktuelle Reformen

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Das Verfahren in Familiensachen (Ehe, Unterhalt, Kindesumgang etc.) war bis 2009 in der ZPO geregelt. Mit dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) hat der Gesetzgeber ein eigenes „Prozessgesetz“ für Familiensachen geschaffen und weitere Themen (Betreuungssachen, Grundbucheinträge, Nachlasssachen) aufgenommen. Das FamFG ist am 1.9.2009 in Kraft getreten. Auch wenn oft auf die ZPO verwiesen wird, gibt es eigene Begrifflichkeiten. Statt einer „Klage“ gibt es „Anträge“, die Parteien sind die „Beteiligten“ und heißen Antragsteller/in bzw. Antragsgegner/in, die ein „Verfahren“ und keinen „Prozess“ führen. Das Gericht entscheidet stets durch Beschluss, nicht durch Urteil (§ 38 FamFG). Installiert wurde das „Große Familiengericht“ (kein gesetzlicher Begriff) mit einer umfassenden Zuständigkeitskonzentration (z.B. Scheidung, Zugewinn, elterliche Sorge, Unterhalt, Gewaltschutzsachen). Im erstinstanzlichen Verfahren herrscht grundsätzlich Anwaltszwang (§ 114 FamFG). Ein weiteres Ziel des FamFG ist, die außergerichtliche Streitbeilegung zu fördern. Das Gericht kann in sog. Folgesachen anordnen, dass beide Ehepartner an einem kostenfreien Informationsgespräch über Mediation oder andere Formen der außergerichtlichen Konfliktbeilegung teilnehmen (§ 135 FamFG).

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Im Jahr 2012 hat der Gesetzgeber die Mediation gesetzlich verankert, um in Deutschland auf breiter Ebene eine Kultur der Streitvermeidung zu etablieren. Am 26.7.2012 ist das Gesetz zur Förderung der Mediation und anderer Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung (MediationsG)

BGBl. I 2012, 1577; hierzu Ahrens NJW 2012, 2465. in Kraft getreten, das gesetzliche Regelungen zur außergerichtlichen und gerichtlichen Mediation in allen Verfahrensordnungen (ZPO, ArbGG, FamFG, VwGO, FGO, SGG) enthält. Erklärtes Ziel ist eine rasche und kostengünstige außergerichtliche Streitbeilegung. Einen Schwerpunkt des Gesetzes bilden die berufsrechtlichen Vorgaben für Mediatoren und Mediatorinnen (Aufgaben, Befugnisse, Ausbildung, Verjährung). Zusätzlich wurden die gerichtlichen Güteversuche (§§ 278 Abs. 5, 278a ZPO) neu konzipiert.

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Das Gesetz zur Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung aus dem Jahr 2009 hat zahlreiche Neuerungen im Vollstreckungsrecht gebracht.

BGBl. I 2009, 2258. Die meisten Änderungen sind 2013 in Kraft getreten. Ganz im Sinne des Gläubigerschutzes steht nun die frühzeitige Informationsbeschaffung über (pfändbare) Vermögenswerte des Schuldners an erster Stelle. Zudem wurde die elektronische Datenverarbeitung im Vollstreckungsrecht fortentwickelt. Das Vermögensverzeichnis (§ 802f Abs. 5 ZPO) und das Schuldnerverzeichnis (§ 882h Abs. 1 ZPO) werden elektronisch geführt. Die EuKoPfVO (Nr. 655/2014) erlaubt seit 2017 eine (einfache) grenzüberschreitende vorläufige Kontenpfändung in der EU; die (deutschen) Ausführungsvorschriften sind neu in die ZPO eingefügt worden (§§ 946–959 ZPO).

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Die fortschreitende Digitalisierung stellt auch die Justiz vor neue Herausforderungen. Zahlreiche Neuregelungen in der ZPO greifen diesen technischen Fortschritt auf (Videokonferenz § 128a ZPO, Internetversteigerungen § 814 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, Fotos in elektronischer Form §§ 885a Abs. 2, 760 S. 2 ZPO etc.). Mit dem Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten (ERV-Gesetz) vom 10.10.2013

BGBl. I 2013, 3786. wird der Versuch gestartet, auch für Gerichtsverfahren endgültig in das Zeitalter papierloser (elektronischer) Kommunikation vorzustoßen. Die wichtigsten Änderungen sind 2016 bzw. 2018 in Kraft getreten. Zum 1.1.2018 kommt das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) gem. § 31a BRAO. Es leidet allerdings unter Startschwierigkeiten. Nach dem neuen § 130a ZPO können Anträge nun elektronisch über das beA bei Gericht eingereicht werden. Es besteht für Anwälte eine sog. passive Nutzungspflicht (= ins beA sehen; § 31a Abs. 6 BRAO).Zur E-Justiz Jost/Kempe NJW 2017, 2705; Kasper/Ory NJW 2017, 2709; Siegmund NJW 2017, 3134. Die Pflicht zur elektronischen Einreichung von Schriftsätzen (§ 130d ZPO n.F.) wird für Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen erst 2022 verbindlich. Mit dem Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs (E-Akte-Gesetz) vom 5.7.2017BGBl I 2017, 2208. wird es auch für die (Zivil-)Gerichte ernst. Auch sie müssen ihre Papier-Aktenführung allmählich aufgeben. Die Gerichte dürfen sich allerdings mit der E-Akte bis 2026 Zeit lassen (§ 298a Abs. 1a ZPO). Für sehbehinderte Personen gilt es, einen barrierefreien Zugang zu allen Dokumenten zu schaffen (§ 191a GVG).

E. Herausforderungen einer ZPO-Prüfung

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Juristen und Juristinnen stehen bei jeder Prüfung vor der Herausforderung, für die Fallfragen eine sachgerechte (vertretbare) Lösung zu finden. Die Art und Weise, eine Lösung zu finden, ist in sämtlichen juristischen Fragestellungen durch die Methodenlehre vorgegeben. Die Kenntnis der Methodenlehre ist für eine überzeugende Argumentation unverzichtbar. Die Rechtswissenschaft lebt von der Sprache, der Diskussion und dem Gerechtigkeitsgedanken. Jeder Studierende ist daher gut beraten, seine Gedanken in ausführlicher Weise auf Papier zu bringen. In Deutschland, wie auch in vielen anderen europäischen Kontinentalländern, existiert der Vorteil, dass Rechtsuchende in nahezu allen Rechtsgebieten auf ein Gesetz zurückgreifen können. Englische Juristen dagegen stehen regelmäßig vor der Herausforderung, zur Falllösung Gerichtsurteile (auswendig) abrufen zu müssen (= case law). In Deutschland werden Prozesse unter den Rahmenbedingungen der ZPO geführt. Für eine Falllösung ist somit primär der Wortlaut einer Vorschrift aus der ZPO zugrunde zu legen. Dies bedeutet, dass die Studierenden zunächst dadurch „punkten“ können, dass sie die richtige Vorschrift finden und deren Wortlaut richtig wiedergeben. Ist der Wortlaut mehrdeutig, kommt die systematische Auslegung zum Tragen. Damit ist es von Vorteil, zu wissen, in welchem Kontext die Vorschrift steht (Nachbarvorschriften, Abschnitt). Helfen Wortlaut und systematische Auslegung nicht weiter, wird die teleologische Auslegung relevant, die nach dem Zweck der Vorschrift fragt. Das Positive für Studierende ist, dass sie den Zweck des Gesetzes nicht selbst erfinden müssen, sondern – das mag langweilig anmuten – die bereits geäußerten Vorstellungen von Rechtsprechung und Literatur übernehmen können und müssen. Der Knackpunkt ist also oft, den Meinungsstreit zu kennen und korrekt wiederzugeben. Dieses Buch will hierzu Hilfestellung bieten.

Hinweis

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Viele Themenbereiche der ZPO sind nicht zentral und zusammenhängend an einer Stelle behandelt, sondern auf eine Vielzahl von Vorschriften verteilt. Diese im Kontext stehenden Vorschriften sollten daher am Rand der „Hauptnorm“ kommentiert werden (soweit es die jeweilige Prüfungsordnung erlaubt). Hier ist aktives Handeln beim Lesen gefordert. Die ZPO (Schönfelder) und ein Bleistift sind unverzichtbare Arbeitsmittel für dieses Buch.

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