Strafrecht Besonderer Teil 3

Vollrausch, § 323a

Juracademy JETZT WEITER LERNEN!

Dieses und viele weitere Lernvideos sowie zahlreiche Materialien für die Examensvorbereitung erwarten dich im Kurspaket Strafrecht



254 weitere Lernvideos mit den besten Erklärungen


1108 Übungen zum Trainieren von Prüfungsschemata und Definitionen


Prüfungsnahe Übungsfälle und zusammenfassende Podcasts


Das gesamte Basiswissen auch als Skript auf 1137 Seiten

E. Exkurs: Vollrausch, § 323a

I. Überblick

75

Sofern Sie in der gutachterlichen Prüfung die Strafbarkeit des Täters z.B. aus §§ 315b ff. verneint haben, weil dieser aufgrund einer alkoholischen Intoxikation gem. § 20 schuldunfähig ist und auch eine Strafbarkeit nach den Grundsätzen der actio libera in causa nicht in Betracht kommt, müssen Sie § 323a, den Vollrausch, prüfen.

76

Mit dieser Norm hat der Gesetzgeber das vorsätzliche oder fahrlässige Sich-Berauschen unter Strafe gestellt, sofern in diesem Zustand eine Straftat begangen wird, deretwegen der Täter mangels Schuldfähigkeit nicht bestraft werden kann. § 323a ist somit nach h.M. (näheres zur gegenteiligen Auffassung s. Rn. 87) ein abstraktes Gefährdungsdelikt, welches die Allgemeinheit vor den Gefahren schützt, die sich aus dem Zustand des Vollrausches ergeben, bei welchem dem Täter die Einsichts- oder/und Steuerungsfähigkeit fehlt. Bestraft wird der Täter also nicht wegen der im Rausch begangenen Handlung, sondern wegen der Handlung des Sich-Berauschens, welche zur Schuldunfähigkeit geführt hat.

S_SPP StrafR BT 1/§_23/Aufsatz/Abschn_I/Nr_1/Rz_1139S_SPP StrafR BT 1/§_23/Aufsatz/Abschn_I/Nr_2/Rz_1139S_SPP StrafR BT 1/§_26/Aufsatz/Abschn_II/Nr_4/Rz_1139Wessels/Hettinger/Engländer Strafrecht BT 1 Rn. 1139; Joecks/Jäger § 323a Rn. 29; BGHSt 32, 48.

77

Der Vollrausch ist ebenso wie §§ 315c und 316 ein eigenhändiges Delikt, d.h. Täter kann nur derjenige sein, der sich selbst in den Zustand der Schuldunfähigkeit versetzt. Demnach scheiden auch hier eine Mittäterschaft gem. § 25 Abs. 2 und eine mittelbare Täterschaft gem. § 25 Abs. 1 Alt. 2 aus.

78

Die im Rausch begangene Straftat, deretwegen der Täter nicht bestraft werden kann, ist nach h.M. eine objektive Bedingung der Strafbarkeit. Für den Aufbau bedeutet dies, dass die Rauschtat nach dem subjektiven Tatbestand zu prüfen ist.

Hinweis

Hier klicken zum Ausklappen

Eine solche objektive Bedingung der Strafbarkeit wird Ihnen evtl. schon bei § 231 (Beteiligung an einer Schlägerei) begegnet sein. Dort setzt der objektive Tatbestand das Beteiligen an einer Schlägerei bzw. das Verüben eines Angriffs voraus. Diesbezüglich muss der Täter auch vorsätzlich gehandelt haben. Nach dem subjektiven Tatbestand prüfen Sie, ob infolge dieser Schlägerei eine schwere Körperverletzung gem. § 226 oder der Tod eines anderen Menschen eingetreten ist.

79

Gem. § 323a Abs. 2 richtet sich der Strafrahmen des Vollrausches nach dem Strafrahmen der im Rausch begangenen Tat, sofern diese unter dem Regelstrafrahmen des Abs. 1 liegt. Es ist ein Strafantrag erforderlich, sofern die Rauschtat nur auf Antrag verfolgt werden könnte. Dies ergibt sich aus § 323a Abs. 3.

80

§ 323a kann sowohl vorsätzlich als auch fahrlässig verwirklicht werden. Der Aufbau des vorsätzlichen § 323a sieht wie folgt aus:

Prüfungsschema

Hier klicken zum Ausklappen
Wie prüft man: Vollrausch, § 323a (Vorsatz)

I.

Objektiver Tatbestand

 

 

1.

Taterfolg: Rausch

 

 

 

 

Grad der Berauschung

Rn. 83

 

2.

Tathandlung: Sichversetzen

 

 

 

 

Teilnahme

Rn. 91

 

3.

Kausalität und objektive Zurechnung

 

II.

Subjektiver Tatbestand

 

 

 

Vorsatz, wobei dolus eventualis ausreicht

 

III.

Objektive Bedingung der Strafbarkeit

 

 

 

Die im Rausch begangene Straftat, deretwegen der Täter gem. § 20 nicht bestraft werden kann

 

 

 

 

Innere Beziehung zur Tat

Rn. 89

IV.

Rechtswidrigkeit

 

V.

Schuld

 

VI.

Eventuell Strafantrag gem. § 323a Abs. 3 i.V.m. der Rauschtat

 

81

Sofern der Täter sich nur fahrlässig in einen Rausch versetzt hat, wird dieses Aufbauschema wie folgt abgewandelt:

Prüfungsschema

Hier klicken zum Ausklappen
Wie prüft man: Vollrausch, § 323a (Fahrlässigkeit)

I.

Tatbestand

 

1.

Taterfolg: Rausch

 

2.

Tathandlung: Sichversetzen

 

3.

Fahrlässigkeit: Außerachtlassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt bei objektiver Vorhersehbarkeit des Erfolges

 

4.

Kausalität und objektive Zurechnung

II.

Objektive Bedingung der Strafbarkeit: Rauschtat

III.

Rechtswidrigkeit

IV.

Schuld

 

 

Subjektiver Fahrlässigkeitsvorwurf

V.

Eventuell Strafantrag gem. § 323a Abs. 3 i.V.m. der Rauschtat

 

II. Tatbestand

82

Der Tatbestand des § 323a besteht in einem vorsätzlichen oder fahrlässigen Sichversetzen in einen Rausch.

1. Sichversetzen in einen Rausch

83

Der Täter muss sich durch alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel, wie z.B. Kokain, Heroin, Opium oder Ecstasy, in einen Rauschzustand versetzt haben.

Definition

Hier klicken zum Ausklappen
 Rausch

Rausch ist ein auf Intoxikation beruhender Zustand erheblich beeinträchtigter psychischer Fähigkeiten, der jedenfalls vorliegt, wenn sich der Täter in einem Zustand der verminderten Schuldfähigkeit befindet.

Küper SR BT Rn. 412; Joecks/Jäger § 323a Rn. 8.

Ein solcher Rauschzustand liegt unproblematisch vor, wenn feststeht, dass der Täter gem. § 20 schuldunfähig ist. Er liegt zweifelsfrei nicht vor, wenn feststeht, dass ein Zustand gem. §§ 20, 21 ausgeschlossen werden kann. Umstritten ist jedoch, wie solche Fälle zu behandeln sind, bei denen sich im Nachhinein nicht mehr ermitteln lässt, ob der Täter schuldunfähig gem. § 20, vermindert schuldfähig gem. § 21 oder trotz Einnahme berauschender Mittel uneingeschränkt schuldfähig war.

Beispiel

Hier klicken zum Ausklappen

Jurastudent J hat mit seinen Kommilitonen zusammen sein erstes Staatsexamen in seiner Stammkneipe gefeiert. Obwohl er nachweisbar einige Kölsch getrunken hat, setzt er sich an das Steuer seines Fahrzeuges und rammt auf dem Nachhauseweg den am Straßenrand abgestellten Ferrari des F, wodurch ein Schaden in Höhe von 8000 € entsteht.

Als die Polizei den J zwei Tage später als Täter ermittelt hat, lässt sich nicht mehr feststellen, wie hoch der BAK-Wert zum Zeitpunkt der Tat war. Aufgrund von Zeugenaussagen ist jedoch davon auszugehen, dass J jedenfalls Alkohol getrunken hatte. Hinsichtlich der Menge des konsumierten Alkohols reichen die Zeugenaussagen von „ganz wenig“ bis „total viel“.

In der Klausur würden Sie damit beginnen, die Strafbarkeit des J gem. § 315c zu prüfen. Enthält der Sachverhalt den Hinweis, dass die Staatsanwaltschaft jedenfalls von einer Alkoholisierung von 0,3 Promille ausgeht, können Sie die relative Fahruntüchtigkeit des J bejahen. Problematisch wird jedoch, ob J schuldhaft gehandelt hat, da insoweit auch eine Schuldunfähigkeit gem. § 20 in Betracht kommen kann. Da sich nicht mehr sicher feststellen lässt, wie der Alkoholisierungsgrad des J gewesen ist, muss nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ davon ausgegangen werden, dass J schuldunfähig gem. § 20 war.

Da bei den Straßenverkehrsdelikten, wie oben ausgeführt, die actio libera in causa nicht anwendbar ist, müssten Sie sich in der Klausur nun mit einem Vollrausch gem. § 323a beschäftigen. Voraussetzung dafür ist, dass J sich in einen Rausch versetzt hat. Bei erneuter Anwendung des „in dubio pro reo“-Grundsatzes müsste man nunmehr davon ausgehen, dass J zum Zeitpunkt der Verursachung des Verkehrsunfalls nicht schuldunfähig und auch nicht vermindert schuldfähig war. Diese Annahme würde zu einem Freispruch des J führen.

84

Nach dem Gesetzeswortlaut reicht es aus, dass der Täter wegen der rechtswidrigen Tat nicht bestraft werden kann, „… weil er infolge des Rausches schuldunfähig war oder weil dies nicht auszuschließen ist.“ Daraus ergibt sich nach überwiegender Auffassung, dass eine Rauschtat voraussetzt, dass jedenfalls der sichere Bereich des § 21 erreicht ist, die Schuldfähigkeit des Täters also zweifelsfrei wenigstens erheblich vermindert war.

S_SPP StrafR BT 1/§_23/Aufsatz/Abschn_I/Nr_2/Rz_1142S_SPP StrafR BT 1/§_23/Aufsatz/Abschn_I/Nr_3/Rz_1142S_SPP StrafR BT 1/§_26/Aufsatz/Abschn_III/Nr_2/Rz_1142Wessels/Hettinger/Engländer Strafrecht BT 1 Rn. 1142; BGHSt 32, 48. Insofern sind Zweifel dahingehend, ob der Täter schuldunfähig gem. § 20 oder nur vermindert schuldfähig gem. § 21 war, unerheblich. Nach h.A. hat jedoch ein Freispruch des Täters zu erfolgen, wenn sich noch nicht einmal sicher feststellen lässt, ob denn der sichere Bereich des § 21 erreicht ist. Kommt es auch in Betracht, dass der Täter voll schuldfähig war, so ist eine Bestrafung nach § 323a nicht möglich.S_SPP StrafR BT 1/§_23/Aufsatz/Abschn_I/Nr_2/Rz_1142S_SPP StrafR BT 1/§_23/Aufsatz/Abschn_I/Nr_3/Rz_1142S_SPP StrafR BT 1/§_26/Aufsatz/Abschn_III/Nr_2/Rz_1142Wessels/Hettinger/Engländer Strafrecht BT 1 Rn. 1142; OLG Karlsruhe NZV 2004, 592.

85

Nur teilweise wird in der Literatur vertreten, dass § 323a einen Auffangcharakter habe und auch dann anwendbar sei, wenn noch nicht einmal festgestellt werden könne, ob der Zustand des § 21 erreicht sei. Erforderlich sei lediglich, dass überhaupt ein irgendwie gearteter Rauschzustand vorgelegen hat.

Fischer § 323a Rn. 11c ; SK-Wolters § 323a Rn. 18.

Eine Wahlfeststellung ist nach h.M. wegen fehlender rechtsethischer und psychologischer Vergleichbarkeit nicht möglich.

BGHSt GrS 9, 390; S_SPP StrafR BT 1/§_23/Aufsatz/Abschn_I/Nr_2/Rz_1142S_SPP StrafR BT 1/§_23/Aufsatz/Abschn_I/Nr_3/Rz_1142S_SPP StrafR BT 1/§_26/Aufsatz/Abschn_III/Nr_2/Rz_1142Wessels/Hettinger/Engländer Strafrecht BT I Rn. 1142; a.A. Joecks/Jäger § 323a Rn. 27.

Beispiel

Hier klicken zum Ausklappen

Im obigen Fall würde dies bedeuten, dass J nach h.M. freizusprechen wäre. Lediglich die Literaturvertreter, die § 323a als Auffangtatbestand ansehen, kämen zu einer Bestrafung aus dieser Norm, da jedenfalls feststeht, dass J das ein oder andere Kölsch getrunken hat, mithin also aus biologischer Sicht ein Rauschzustand vorgelegen hat, auch wenn dieser nicht den Bereich des § 21 erreicht haben kann.

Wie bereits erwähnt, muss der Täter sich in diesen Zustand versetzt haben, indem er die berauschenden Mittel zu sich genommen hat.

2. Vorsatz oder Fahrlässigkeit

86

Den Vollrausch muss der Täter entweder vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführt haben. Vorsätzlich bedeutet, dass der Täter beim Konsumieren der Rauschmittel zumindest mit der Möglichkeit gerechnet hat, sich in einen vermindert schuldunfähigen Zustand zu versetzen und diese Möglichkeit billigend in Kauf genommen hat. Handelt der Täter hingegen fahrlässig, so hat er diese Möglichkeit bei Einnehmen der Rauschmittel nicht erkannt, hätte sie aber erkennen können.

III. Objektive Strafbarkeitsbedingung: die Rauschtat

87

In der Klausur muss nunmehr festgestellt werden, ob der Täter im Rausch eine Straftat begangen hat, deretwegen er aufgrund von § 20 nicht bestraft werden kann. Da Sie mit der Prüfung dieser Straftat angefangen haben, können Sie nach oben verweisen. Dabei muss es sich bei der Rauschtat um eine rechtswidrige Tat handeln. Diese rechtswidrige Tat muss alle gesetzlichen Anforderungen erfüllen. Hat der Täter z.B. im Rauschzustand einen Diebstahl begangen, so muss er die entsprechende rechtswidrige Zueignungsabsicht besessen haben. Als rechtswidrige Tat kommt auch ein Unterlassungsdelikt inkl. § 323c in Betracht.

S_SPP StrafR BT 1/§_23/Aufsatz/Abschn_I/Nr_3/Rz_1146Wessels/Hettinger/Engländer Strafrecht BT 1 Rn. 1146.

88

Entsprechend der Formulierung des § 323a wird eine Rauschtat verneint, wenn der Täter zwar rechtswidrig, aber entschuldigt gehandelt hat. Dies ergibt sich zum einen aus der Systematik der Verbrechenslehre, da andernfalls der betrunkene Täter härter zu bestrafen wäre als der nüchterne Täter. Darüber hinaus ergibt es sich aber auch aus dem Wortlaut der Norm, die voraussetzt, dass die Bestrafung aus der Rauschtat wegen der Schuldunfähigkeit „infolge des Rausches“ ausscheidet.

S_SPP StrafR BT 1/§_23/Aufsatz/Abschn_I/Nr_3/Rz_1149S_SPP StrafR BT 1/§_23/Aufsatz/Abschn_I/Nr_5/Rz_1149Wessels/Hettinger/Engländer Strafrecht BT 1 Rn. 1149; Joecks/Jäger § 323a Rn. 22.

Beispiel

Hier klicken zum Ausklappen

Der stocknüchterne A hält dem vollkommen betrunkenen B, der zu diesem Zeitpunkt einen BAK-Wert von 3,5 Promille aufweist, eine geladene Schusswaffe an den Kopf und fordert ihn auf, sich in sein Auto zu setzen, die Handbremse zu lösen und mit dem Fahrzeug den Berg hinunter zu rollen. In seiner Todesangst folgt B den Anweisungen des A. Aufgrund der Alkoholisierung kann er sein Fahrzeug jedoch nicht mehr kontrollieren, so dass er schon nach wenigen Metern mit einem am Straßenrand abgestellten Fahrzeug kollidiert.

Hier war B gem. § 20 schuldunfähig, so dass eine Strafbarkeit gem. § 315c Abs. 1 Nr. 1a schon aus diesem Grund nicht in Betracht kommt. Darüber hinaus war B aber auch entschuldigt gem. § 35, weil er sich im so genannten Nötigungsnotstand befand. (Eine Rechtfertigung gem. § 34 kommt nach h.M. nicht in Betracht, da die Tat nicht angemessen ist.) Wäre B nüchtern gewesen, so hätte er nicht wegen dieser Tat bestraft werden können. Würde man bei § 323a ausreichen lassen, dass die Rauschtat vorsätzlich und rechtswidrig begangen sein muss, so lägen die Voraussetzungen des § 323 vor. Dies würde jedoch zu schwer hinnehmbaren Wertungswidersprüchen führen.

Sofern die rechtswidrige Tat verjährt ist, kann der Täter ebenfalls nicht mehr gem. § 323a bestraft werden.

89

Streitig ist, ob der Täter des § 323a schon zum Zeitpunkt des Sich-Berauschens eine innere Beziehung zur später begangenen Tat haben muss.

Nach h.M. ist § 323a wie bereits ausgeführt ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Der Unwertgehalt der Tat liegt in dem Sich-Berauschen und dem damit einhergehenden Kontrollverlust. Aus diesem Grund soll die Rauschtat eine objektive Bedingung der Strafbarkeit sein, zu der der Täter keine innere Beziehung aufweisen muss.

BGHSt 16, 124; S_SPP StrafR BT 1/§_23/Aufsatz/Abschn_I/Nr_1/Rz_1139S_SPP StrafR BT 1/§_23/Aufsatz/Abschn_I/Nr_2/Rz_1139S_SPP StrafR BT 1/§_26/Aufsatz/Abschn_II/Nr_4/Rz_1139Wessels/Hettinger/Engländer Strafrecht BT 1 Rn. 1139; Schönke/Schröder-Hecker § 323a Rn. 12.

Eine in der Literatur vertretene Gegenauffassung meint, dass allein das Sich-Berauschen zunächst ein sozial adäquates Verhalten sei und von daher nicht als strafwürdig angesehen werden könne. Um dem Schuldprinzip angemessen Rechnung tragen zu können, bedürfe es von daher einer inneren Beziehung jedenfalls dergestalt, dass der Täter im Hinblick auf die im Rausch begangene Tat beim Sich-Berauschen fahrlässig gehandelt hat. Von dieser Fahrlässigkeit sei allerdings regelmäßig auszugehen, da jedermann von der alkoholbedingten Enthemmung und der Gefahr der Begehung von Straftaten in diesem Zustand wisse.

Otto Jura 1986, 479; Joecks/Jäger § 323a Rn. 25.

Beispiel

Hier klicken zum Ausklappen

Die eigentlich friedfertige A, die vor 4 Jahren infolge eines tragischen Unfalls ihren 5-jährigen Sohn verloren hat, setzt sich einmal im Jahr am Todestag ihres Sohnes in ihre Küche und betrinkt sich hemmungslos. Dies hatte bislang außer schweren Kopfschmerzen am Folgetag keinerlei Konsequenzen. Am Tattag klingelt nun aber die Nachbarin, mit der sie zerstritten ist, wild an ihrer Türe. Es kommt zu einem Streit, in dessen Verlauf A der N einen kräftigen Schlag auf die Nase verpasst, der zu einem Bruch des Nasenbeins führt. A hat zu diesem Zeitpunkt 3,1 Promille.

Eine Strafbarkeit gem. § 223 scheidet aufgrund der Schuldunfähigkeit gem. § 20 aus. Auch § 229 kommt nicht in Betracht, da das Sich-Betrinken, an welches man als Tathandlung anknüpfen kann, in Anbetracht der grundsätzlichen Friedfertigkeit der A und der bisherigen Historie an diesem Tag nicht sorgfaltspflichtwidrig war. Nach h.M. wäre A aber gem. § 323a zu bestrafen. Die Gegenauffassung käme zur Straflosigkeit, da in diesem speziellen Fall keine Fahrlässigkeit angenommen werden kann.

IV. Rechtswidrigkeit und Schuld

90

Der Täter kann bei dem Sichversetzen in einen Rauschzustand gerechtfertigt oder entschuldigt handeln. Insofern gelten die allgemeinen Grundsätze. Eine Rechtfertigung kann insbesondere dann in Betracht kommen, wenn der Täter aufgrund einer schweren Erkrankung z.B. Morphium nehmen muss. Hier muss an § 34 gedacht werden.

Joecks/Jäger § 323a Rn. 15.

V. Täterschaft und Teilnahme

91

Wie bereits ausgeführt, ist eine mittelbare Täterschaft gem. § 25 Abs. 1 Alt. 2 und eine Mittäterschaft gem. § 25 Abs. 2 aufgrund des Umstandes, dass es sich bei § 323a um ein eigenhändiges Delikt handelt, nicht möglich.

Streitig ist, ob eine Teilnahme am Vollrausch strafbar ist.

Beispiel

Hier klicken zum Ausklappen

Stammgast S möchte sein trübes Dasein für ein paar Stunden vergessen und begibt sich in seine Lieblingskneipe, wo Gastwirt G ihm kommentarlos immer wieder auf seine Bestellung hin ein Pils und einen Korn serviert, bis S sich kaum noch auf den Beinen halten kann. Kurz vor Mitternacht setzt sich S in diesem Zustand auf sein Mofa und verursacht beinahe einen schweren Personenschaden, weil er infolge der Alkoholisierung das Gleichgewicht verliert. Später stellt sich heraus, dass S einen BAK-Wert von 3,3 Promille hatte.

Eine Bestrafung des S gem. § 315c Abs. 1 Nr. 1a scheitert an § 20. S hat sich jedoch gem. § 323a strafbar gemacht, indem er sich – in diesem Fall wohl vorsätzlich – in einen Rausch versetzte.

Fraglich ist, ob Gastwirt G, indem er S immer wieder den Alkohol ausschenkte, sich der Beihilfe zum Vollrausch gem. §§ 323a, 27 strafbar gemacht hat.

92

 

In der Literatur wird die Möglichkeit der strafbaren Beteiligung teilweise abgelehnt. Es wird mit dem Schutzzweck der Norm argumentiert und darauf hingewiesen, dass § 323a nur dem Täter selbst die Pflicht zur Selbstkontrolle auferlege. Wollte man die Teilnahme am Vollrausch unter Strafe stellen, so würde dies dazu führen, dass in diesen Fällen Dritten die Pflicht zur Fremdkontrolle auferlegt würde. Dies hätte insbesondere für Wirte und Zechkumpane nicht hinnehmbare Auswirkungen.

Lackner/Kühl-Heger § 323a Rn. 17 m.w.N.

93

Nach Auffassung der herrschenden Meinung schafft jedoch auch der Teilnehmer eine abstrakte Gefahr für die Allgemeinheit, die vor den möglichen Konsequenzen eines Rauschzustandes bewahrt werden soll.

Hinweis

Hier klicken zum Ausklappen

Vergegenwärtigen Sie sich in diesem Zusammenhang, dass Gastwirte auch eine Garantenstellung aus § 13 und unter den gegebenen Voraussetzungen eine Aussetzung gem. § 221 begehen können, wenn sie Gästen bis zur Schuldunfähigkeit Alkohol ausschenken. Sie schaffen mit ihrem Verhalten also nicht nur eine Gefahr für die Allgemeinheit, sondern auch für Individualrechtsguter des Trinkenden.

Der Rauschzustand wird jedoch als besonderes persönliches Merkmal angesehen, welches gem. § 28 Abs. 1 die Strafbarkeit des Täters begründet. Da dieses Merkmal regelmäßig beim Teilnehmer fehlt, wird die Strafe für den Teilnehmer gem. § 49 Abs. 1 gemildert.

Schönke/Schröder-Hecker § 323a Rn. 24; BGHSt 10, 247; Joecks/Jäger § 323a Rn. 31.

Beispiel

Hier klicken zum Ausklappen

Im obigen Fall würde dies für Gastwirt G bedeuten, dass er sich jedenfalls nach h. A. der Beihilfe zu § 323a strafbar gemacht hat. Zugunsten des G wäre jedoch eine doppelte Strafmilderung zu berücksichtigen: zum einen wird schon gem. § 27 Abs. 2 der Strafrahmen herabgesetzt, zum anderen verlangt § 28 Abs. 1 eine weitere Strafmilderung.

Hinweis

Hier klicken zum Ausklappen

Unterscheiden Sie die Beteiligung an der Rauschtat von der Beteiligung an dem Vollrausch. Eine Beteiligung an der Rauschtat selbst ist unproblematisch möglich, da die Rauschtat jedenfalls eine vorsätzliche, rechtswidrige Tat i.S.d. §§ 26, 27 darstellt.

VI. Konkurrenzen

94

§ 323a tritt subsidiär zurück, sofern der Täter aus der Rauschtat selbst bestraft werden kann. Dies ist insbesondere möglich, wenn er nur vermindert schuldunfähig gem. § 21 ist, oder aber wenn eine Bestrafung unter Hinzuziehung der actio libera in causa möglich ist.

Expertentipp

Hier klicken zum Ausklappen

Diese Subsidiarität führt dazu, dass Sie in der Klausur zunächst mit der Rauschtat beginnen. Sofern Sie bei der Prüfung des § 20 feststellen, dass der Täter schuldunfähig ist, müssen Sie alsdann danach fragen, ob eine Bestrafung in Verbindung mit den Grundsätzen der actio libera in causa in Betracht kommt. Erst wenn Sie das verneint haben, gelangen Sie zu einer Prüfung des § 323a.

Begeht der Täter im Rausch mehrere Straftaten, deretwegen er nicht bestraft werden kann, so liegt insgesamt nur eine Rauschtat vor.

BGHSt 13, 223.

Mit diesen Online-Kursen bereiten wir Dich erfolgreich auf Deine Prüfungen vor

Einzelkurse

€19,90

    Einzelthemen für Semesterklausuren & die Zwischenprüfung

  • Lernvideos & Webinar-Mitschnitte
  • Lerntexte & Foliensätze
  • Übungstrainer des jeweiligen Kurses inklusive
  • Trainiert Definitionen, Schemata & das Wissen einzelner Rechtsgebiete
  • Inhalte auch als PDF
  • Erfahrene Dozenten
  • 19,90 € (einmalig)
Jetzt entdecken!

Kurspakete

ab €17,90mtl.

    Gesamter Examensstoff in SR, ZR, Ör für das 1. & 2. Staatsexamen

  • Lernvideos & Webinar-Mitschnitte
  • Lerntexte & Foliensätze
  • Übungstrainer aller Einzelkurse mit über 3.000 Interaktive Übungen & Schemata & Übungsfällen
  • Integrierter Lernplan
  • Inhalte auch als PDF
  • Erfahrene Dozenten
  • ab 17,90 € (monatlich kündbar)
Jetzt entdecken!

Klausurenkurse

ab €29,90mtl.

    Klausurtraining für das 1. Staatsexamen in SR, ZR & ÖR mit Korrektur

  • Video-Besprechungen & Wiederholungsfragen
  • Musterlösungen
  • Perfekter Mix aus leichteren & schweren Klausuren
  • Klausurlösung & -Korrektur online einreichen und abrufen
  • Inhalte auch als PDF
  • Erfahrene Korrektoren
  • ab 29,90 € (monatlich kündbar)
Jetzt entdecken!

Übungstrainer

€9,90mtl.

    Übungsaufgaben & Schemata für die Wiederholung

  • In den Einzelkursen & Kurspaketen inklusive
  • Perfekt für unterwegs
  • Trainiert Definitionen, Schemata & das Wissen aller Rechtsgebiete
  • Über 3.000 Interaktive Übungen zur Wiederholung des materiellen Rechts im Schnelldurchlauf
  • 9,90 € (monatlich kündbar)
Jetzt entdecken!