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Bei § 226 geht es um „dauernde“ Beeinträchtigungen (Nr. 2: „dauernd nicht mehr gebrauchen“, Nr. 3: „dauernd entstellt“). Nun stellt sich die Frage, ob man von einer solchen Dauerhaftigkeit auch dann sprechen kann, wenn es medizinische Behandlungsmöglichkeiten gibt, die geeignet sind, den ursprünglichen Zustand (beinah gänzlich) wiederherzustellen, deren Durchführung das Opfer jedoch ablehnt.
Beispiel
O wehrt eine Messerattacke des A ab und verletzt sich dabei schwer an der linken Hand, mit der Folge, dass die Hand weitgehend gebrauchsunfähig wird. Diese Folge hätte wesentlich gemildert werden können, wenn O sich einer ärztlichen Nachbehandlung, vor allem aber einer Physiotherapie unterzogen hätte, was O aber ablehnte. Fraglich ist nun, ob die Folge in einem solchen Fall dem Täter auch zurechenbar ist.
Der BGH hat dies für § 226 Abs. 1 Nr. 2 bejaht. Es hat ausgeführt, dass, wollte man die Zurechenbarkeit verneinen, es nunmehr eine Obliegenheit des Opfers gäbe, an der Genesung mitzuwirken. Verletzte das Opfer diese Obliegenheit, wirke sich das strafmildernd auf den Täter aus. Dies widerspräche jedoch dem Gerechtigkeitsempfinden, attestiere man damit doch dem Opfer, dass es in gewisser Weise „selbst schuld“ sei.
BGH NJW 2017, 176.In der Literatur wird das überwiegend anders beurteilt. Demnach wird die Folge dem Täter dann nicht zugerechnet, wenn die Beseitigung oder das Abmildern der Folge dem Opfer zumutbar und machbar gewesen wäre, was u.a. von den Erfolgsaussichten und dem Risiko des Eingriffs abhängt. Dies wird mit dem Gedanken der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung und der Vermeidung von Willkür durch das Opfer begründet.
Schönke/Schröder-Stree/Sternberg-Lieben/Sternberg-Lieben § 226 Rn. 5; Joecks/Jäger/Jäger § 226 Rn. 30. Hiergegen wendet wiederum der BGH ein, dass der Begriff „Zumutbarkeit“ zu unbestimmt sei und gegen Art. 103 Abs. 2 GG verstoße.BGH NJW 2017, 176.Beispiel
Der BGH hat also im obigen Beispiel eine Strafbarkeit gem. § 226 Abs. 1 Nr. 2 bejaht. Da eine Physiotherapie weder gefährlich noch mit erheblichen Schmerzen verbunden ist, ist diese Entscheidung in der Literatur auf Widerspruch gestoßen.
Joecks/Jäger/Jäger § 226 Rn. 30. Nach der gegenteiligen Auffassung läge demnach eine Strafbarkeit gem. § 226 Abs. 1 Nr. 2 nicht vor.Interessanterweise hat der BGH bei der Dauerhaftigkeit der Entstellung in § 226 Abs. 1 Nr. 3 die Situation bislang anders beurteilt.
Beispiel
A hat B vier Vorderzähne ausgeschlagen. Diese können unproblematisch durch eine Zahnprothese ersetzt werden mit der Folge, dass der Verlust der Zähne nicht mehr auffällt.
Hier hat der BGH die Dauerhaftigkeit der Entstellung verneint, da das Einfügen einer Zahnprothese dem Opfer zumutbar sei.
BGHSt 24, 315.