Strafrecht Besonderer Teil 1

Die einfache vorsätzliche Körperverletzung, § 223

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B. Die einfache vorsätzliche Körperverletzung, § 223

I. Überblick

149

§ 223 enthält zwei Varianten der Körperverletzung: Zum einen die körperliche Misshandlung (erste Alternative), zum anderen die Gesundheitsschädigung (zweite Alternative). Beide Tatmodalitäten stehen selbstständig nebeneinander, überschneiden sich aber häufig.

Beispiel

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Das Schlagen mit der Faust ist zum einen eine körperliche Misshandlung zum anderen aber auch, wenn dadurch z.B. ein Bluterguss verursacht wird, eine Gesundheitsschädigung.

Das Abschneiden eines langen Zopfes hingegen ist nur eine körperliche Misshandlung, so wie andererseits das 55-fache Röntgen, bei welchem eine Zellveränderung eintreten kann, nur eine Gesundheitsschädigung ist.

150

In beiden Varianten stellt § 223 ein Erfolgsdelikt dar, mit der Folge, dass zwischen der Körperverletzungshandlung und dem eingetretenen Erfolg sowohl Kausalität als auch objektive Zurechnung bestehen muss. Der Prüfungsaufbau gem. § 223 sieht mithin wie folgt aus:

Prüfungsschema

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Wie prüft man: Körperverletzung, § 223

I.

Objektiver Tatbestand

 

 

1.

Körperliche Misshandlung:

 

 

 

a)

Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens oder der körperlichen Unversehrtheit

 

 

 

b)

kausal und objektiv zurechenbar durch eine üble und unangemessene Behandlung

 

 

2.

Gesundheitsschädigung

 

 

 

a)

pathologischer Zustand

 

 

 

b)

kausal und objektiv zurechenbar hervorgerufen oder gesteigert

 

 

 

 

 

ärztlicher Heileingriff

Rn. 159

II.

Subjektiver Tatbestand

 

 

 

dolus eventualis reicht aus

 

 

 

 

HIV Fälle

 

III.

Rechtswidrigkeit

 

 

 

hypothetische Einwilligung beim ärztlichen Heileingriff

Rn. 166

IV.

Schuld

 

V.

Strafantrag gem. § 230

 

II. Objektiver Tatbestand

151

Der objektive Tatbestand ist verwirklicht bei einer

körperlichen Misshandlung

oder

Gesundheitsschädigung

 

1. Körperliche Misshandlung

152

Definition

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Definition: körperlichen Misshandlung

Unter einer körperlichen Misshandlung ist eine üble, unangemessene Behandlung zu verstehen, durch die kausal und objektiv zurechenbar das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit mehr als nur unerheblich beeinträchtigt wird.BGHSt 14, 269; Wessels/Hettinger/Engländer Strafrecht BT 1 Rn. 210.

153

Die körperliche Unversehrtheit ist beeinträchtigt, wenn es zu einem Substanzverlust, zu einem Ausfall oder zu einer Herabsetzung der körperlichen Funktionen oder zu Verunstaltungen gekommen ist, wobei eine Schmerzzufügung nicht erforderlich ist.Wessels/Hettinger/Engländer Strafrecht BT 1 Rn. 211 mit zahlreichen Beispielen.

Beispiel

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Um B zu demütigen, greift A im Rahmen einer Auseinandersetzung zu einer Schere und schneidet B den ihr lieb gewordenen, einen Meter langen Zopf ab.

Der BGH hat in diesem Fall eine körperliche Misshandlung angenommen, da die körperliche Unversehrtheit durch das Abschneiden der Haare beeinträchtigt war. Es wurde deutlich gemacht, dass es nicht auf eine Schmerzempfindung ankomme.BGH NJW 53, 1440.   

154

Das körperliche Wohlbefinden ist regelmäßig beeinträchtigt beim Hervorrufen oder Aufrechterhalten von Schmerzzuständen sowie ohne Schmerzempfinden auch bei der Beeinträchtigung des Nervensystems durch z.B. extreme Schalleinwirkung.

Hinweis

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Psychische Beeinträchtigungen, die sich nicht körperlich auswirken, z.B. durch Schocklähmung oder Schlaf- und Konzentrationsstörungen, stellen weder eine körperliche Misshandlung noch eine Gesundheitsschädigung dar.BGH NStZ 2000, 25; Wessels/Hettinger/Engländer Strafrecht BT 1 Rn. 211. Wirkt also ein Täter auf sein Opfer lediglich psychisch ein, dann liegt eine Körperverletzung erst dann vor, wenn ein pathologisch, somatisch objektivierbarer Zustand hervorgerufen wurde, der vom Normalzustand nachteilig abweicht. Dies erscheint in Anbetracht der nachhaltigen Auswirkungen von psychischen Beeinträchtigungen auf die gesamte Lebensführung befremdlich, ist aber vor dem Hintergrund der erforderlichen Objektivierbarkeit einer Körperverletzung erklärlich.Wie schwerwiegend diese Beeinträchtigungen sein können, ohne dass § 223 verwirklicht ist, hat der BGH erneut deutlich gemacht mit seinem Beschluss vom 18.7.2013 Az 4 StR 168/13 – abrufbar unter www.bundesgerichtshof.de.

155

Die Behandlung muss das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit mehr als nur unerheblich beeinträchtigt haben. Ob die Erheblichkeitsschwelle überschritten ist, beurteilt sich aus der Sicht des objektiven Beobachters, wobei sowohl die Dauer als auch die Intensität der Einwirkung zu berücksichtigen sind.Schönke/Schröder-Eser § 223 Rn. 4. Hier kann in der Klausur wie immer i.E. vieles mit der entsprechenden Begründung vertreten werden. 

Beispiel

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Fußballspieler A hat sich auf dem Platz so sehr über den Schiedsrichter S geärgert, dass er ihn bei nächster Gelegenheit anspuckt.

Das OLG Zweibrücken hat in einem vergleichbaren Fall die beim Betroffenen ausgelösten Ekelgefühle als unterhalb des Erheblichen eingestuft und eine Strafbarkeit wegen Körperverletzung verneint.OLG Zweibrücken NJW 91, 240; anders BGH NStZ 2016, 27 bei ausgelöstem Brechreiz Davon unberührt bleibt selbstverständlich eine Bestrafung wegen Beleidigung.  

Beispiel

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Nachdem die in einer Diskothek jobbende Studentin S einen Raucher (R) aufgefordert hatte, dieses vor der Türe zu tun, kam R aggressiv auf sie zu und blies ihr aus einer Entfernung von unter einem Meter Zigarettenqualm mit spürbar feuchter, d.h. mit Spuckeanteilen versetzter Atemluft ins Gesicht. Durch dieses Anpusten wurden die Schleimhäute der S merkbar gereizt.

Anders als im obigen Fall hat das AG ErfurtAG Erfurt beck-online, FD-StrafR 2013, 352027; auch BGH NStZ 2016, 27. neben der Beleidigung eine Körperverletzung bejaht. Zigarettenrauch und Spucke seien über die Bagatellgrenze hinausgehende Beeinträchtigungen des körperlichen Wohlbefindens. Diese Gesundheitsbeeinträchtigung resultiere sowohl aus den karzinogenen Anteilen des Rauchs als auch aus den potentiellen Viren und Bakterien der Körperflüssigkeit „Spucke“.     

Beispiel

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Im Rahmen einer hitzigen Auseinandersetzung versetzt A der B eine schallende Ohrfeige, die zur Wangenrötung mit sichtbaren Fingerspuren führt.

Hier hat der BGH eine Körperverletzung bejaht, da die bei der Geschlagenen hervorgerufenen Beeinträchtigung mehr als nur unerheblich war.BGH bei Dallinger MDR 1973, 901.

2. Gesundheitsschädigung

156

Definition

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Definition: Gesundheitsschädigung

Unter einer Gesundheitsschädigung wird das kausale und objektiv zurechenbare Hervorrufen oder Steigern eines vom Normalzustand nachteilig abweichenden, pathologischen Zustandes verstanden.BGHSt 36, 1; Wessels/Hettinger/Engländer Strafrecht BT 1 Rn. 213.

157

Unter einem pathologischen, d.h. krankhaften Zustand ist dabei jede nachteilig abweichende Veränderung der körperlichen Verfassung zu verstehen. Unerheblich ist es, ob bei dem Betreffenden diese Veränderung Schmerzempfindungen auslöst.

Beispiel

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Arzt A hat die Patientin P davon überzeugt, über 55 Röntgenaufnahmen ihres Skeletts anfertigen zu lassen, weil angeblich nur auf diese Art und Weise eine Krebserkrankung ausgeschlossen werden könne.

Hier hat Arzt A sich aufgrund des exzessiven Röntgens wegen Körperverletzung strafbar gemacht, auch wenn die Veränderungen der Körperzellen nicht sofort nachweisbar sind. Nach Ansicht des BGH ist es ausreichend, dass „die Zerstörung der Zellstrukturen durch Röntgenuntersuchungen die Gefahr von Langzeitschäden nicht unwesentlich erhöht“ hat.BGH StV 1998, 203.

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Wichtiger Anwendungsfall der Gesundheitsschädigung sind die Übertragungen von Krankheiten, wobei es nicht erforderlich ist, dass diese Krankheiten schon zum Ausbruch gekommen sind, so z.B. bei einer Infektion mit dem HI-Virus, da der (tödliche) Ausbruch der Krankheit mit der Infektion bereits prädeterminiert ist.BGHSt 36, 1; 36, 262; anders

Für eine Strafbarkeit aus vollendetem Delikt muss allerdings die Kausalität zwischen dem Sexualkontakt und der Infektion zweifelsfrei nachgewiesen werden. Dies geht innerhalb der ersten 6 Monate mit einem Virus-Sequenz-Vergleich, danach ist ein solcher Nachweis aufgrund der Veränderung der genetischen Information nicht mehr möglich.Jäger Strafrecht BT Rn. 94 Es bleibt dann nur noch eine Strafbarkeit aus Versuch möglich, sofern der zumindest bedingte Vorsatz nachgewiesen werden kann.   

Hinweis

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Hier müssen Sie sich in einer Klausur mit schwierigen Abgrenzung „dolus eventualis – bewusste Fahrlässigkeit“ befassen. Insoweit verweisen wir auf das Skript Strafrecht AT I. Zur Abgrenzung werden wie immer vor allem die Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts und die Gefährlichkeit der Handlung herangezogen.

Der BGHBGHSt 36, 1 ff. und 262; anders Herzberg JZ 89, 470 ff., Frisch JuS 90, 366 ff., die den bedingten Vorsatz verneinen hat es in der Vergangenheit ausreichen lassen, dass der Täter die Umstände kennt, aus denen sich die Gefährlichkeit ergibt. Denn trotz der geringen Ansteckungsgefahr trage jeder einzelne Sexualkontakt das volle Risiko einer Infizierung und eines tödlichen Verlaufs in sich. Verneint hat er jedoch den bedingten Tötungsvorsatz u.a. mit dem Hinweis auf die guten Behandlungsmöglichkeiten der Krankheit. 

Eine Straflosigkeit kommt in Betracht, wenn der HIV-Träger seinen Sexualpartner zuvor über die Infektion und das Ansteckungsrisiko aufgeklärt hat und dieser gleichwohl ungeschützten Geschlechtsverkehr mit dem Täter hat. Der vorgestellte (Versuch) oder tatsächlich eingetretene Erfolg ist dem Täter dann wegen einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung nicht objektiv zurechenbar.

Dieselben Probleme ergeben sich bei einer Infektion mit dem Corona-Virus. Auch hier dürfte schon vor Ausbruch der Krankheit eine Gesundheitsschädigung vorliegen.Lesen Sie dazu Hotz NStZ 2020, 320 Der Nachweis der Kausalität dürfte hier allerdings noch schwieriger sein als bei einer HIV-Infektion.

III. Ärztliche Heilbehandlung

159

In Literatur und der Rechtsprechung ist umstritten, ob der ärztliche Heileingriff eine Körperverletzung nach §§ 223 ff. darstellt.

 

160

Nach einer verbreiteten Meinung in der Literatur liegen ärztliche Heileingriffe unter gewissen Voraussetzungen außerhalb des Schutzzwecks der Körperverletzungsdelikte und stellen damit keine tatbestandliche Handlung dar (teleologische Restriktion). Sofern sie jedenfalls medizinisch indiziert sind und lege artis ausgeführt wurden (damit fallen rein kosmetische oder experimentelle Eingreife heraus) , wird im Ergebnis das körperliche Wohl des Patienten im Ganzen entweder erhöht oder aber jedenfalls bewahrt, nicht jedoch beeinträchtigt. Teilweise wird jedoch zwischen gelungenen und misslungen Eingriffen und zwischen solchen mit oder ohne Substanzverlust unterschieden. Ein Schutz des Patienten vor eigenmächtiger Heilbehandlung durch den Arzt soll bei Vorliegen aller Voraussetzungen ausschließlich über §§ 239 und 240 erfolgen.Lesen sie dazu mit den jeweiligen Nachweisen Schönke/SchröderSternberg-Lieben § 223 Rn. 30f

161

Der Gesetzgeber hat mittlerweile in § 630d BGB festgelegt, dass vor der Durchführung eines medizinischen Eingriffs die Einwilligung des Patienten einzuholen ist. Aus § 630e BGB ergeben sich die entsprechenden Aufklärungspflichten des Arztes. Von daher gibt es im Hinblick auf die zivilrechtlichen Regelungen gute Gründe, der Auffassung der Rechtsprechung und Teilen der Literatur zu folgen und den ärztlichen Heileingriff tatbestandlich als Körperverletzung anzusehen, der jedoch unter den Voraussetzungen einer rechtfertigenden Einwilligung straflos ist.BGH NStZ 1996, 34; Wessels/Hettinger/Engländer Strafrecht BT 1 Rn. 302

162

Die Rechtsprechung hat seit jeher einen ausreichenden Schutz des Selbstbestimmungsrechts des Patienten nur dann als gewährleistet angesehen, wenn in jedem ärztlichen Eingriff eine tatbestandliche Körperverletzung gesehen wird, unabhängig davon, ob die Maßnahme zu Heilzwecken angezeigt ist oder nicht.BGHSt 11, 111; BGH NStZ 96, 34. Die Strafbarkeit des Arztes soll dann entfallen, wenn der Eingriff aufgrund einer wirksam erteilten Einwilligung, kraft (hypothetischer oder) mutmaßlicher Einwilligung oder im Rahmen eines rechtfertigenden Notstandes zulässig ist.BGHSt 16, 309; BGH NJW 68, 1206. Im Rahmen der zu prüfenden Einwilligung wird die ärztliche Aufklärung bedeutsam: Ist sie nur unvollständig vorgenommen worden, so leidet die vom Patienten abgegebene Willenserklärung an rechtlichen Mängeln mit der Folge, dass die Einwilligung nicht wirksam erteilt wurde.BGH NStZ 96, 34. (es sei denn, der Mangel kann über eine sog. „hypothetische Einwilligung“ geheilt werden. Vgl. dazu Rn. 167).

Beispiel

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Motorradfahrer M wird mit einer schweren Verletzung am rechten Unterschenkel ins Krankenhaus eingeliefert. Arzt A rät dem M zur sofortigen Operation und Amputation des Unterschenkels, da ansonsten die Gefahr des Absterbens des Beins mit weiteren Komplikationen für den Gesamtorganismus bestünde. Aus religiösen Gründen weigert sich Motorradfahrer M jedoch, diese Operation vornehmen zu lassen und verweist auf Gottes Wille. Arzt A setzt sich über diese Weigerung hinweg, narkotisiert M und nimmt ihm danach in einer mehrstündigen Operation den Unterschenkel ab.

Hier könnte man eine Körperverletzung nach § 223 ablehnen, da der von A vorgenommene Eingriff medizinisch indiziert war und den Regeln der ärztlichen Kunst entsprach. Darüber hinaus war die Heilbehandlung erfolgreich, da das Absterben des gesamten Beins abgewendet werden konnte. Arzt A hat sich jedoch nach § 240 strafbar gemacht, indem er M nötigte, die Operation zu dulden. Ggf. liegt auch eine Strafbarkeit nach § 239 vor.

Dagegen spricht jedoch die Außerachtlassung des Selbstbestimmungsrechts des A. Nach Ansicht der Rechtsprechung läge demgemäß eine Körperverletzung nach § 223 vor, da ein ausdrücklich entgegenstehender Wille des M eine rechtfertigende Einwilligung scheitern lässt und der Tatbestand des § 223 durch den ärztlichen Eingriff verwirklicht ist. Auch eine Berufung auf § 34 scheidet aus, da der Eingriff nicht angemessen ist.

 

163

Der Streit muss in der Klausur im objektiven Tatbestand dargestellt werden, und zwar bei der Frage, ob der Arzt eine tatbestandsmäßige Handlung vorgenommen hat. Sofern Sie der Rechtsprechung und Teilen der Literatur folgen möchten, die das bejahen (was in Anbetracht der vielfältigen Differenzierungen innerhalb der gegenteiligen Literaturauffassung in einer Klausur sinnvoll erscheint), prüfen Sie dann anschließend bei der Rechtswidrigkeit die Voraussetzungen der rechtfertigenden Einwilligung.

IV. Subjektiver Tatbestand

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Der Täter muss mit Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung handeln, wobei dolus eventualis ausreicht.

Handelt der Täter mit Tötungsvorsatz, bleibt jedoch die Tötung im Versuch stecken und ist das Opfer gleichwohl verletzt, so ist nach überwiegender Auffassung der Körperverletzungsvorsatz als Minus im Tötungsvorsatz mit enthalten, da eine Tötung nur über die Verletzung des Körpers möglich ist.Joecks/Jäger StGB Vor § 223 Rn. 22; BGH NJW 1961, 1779

V. Rechtswidrigkeit und Schuld

165

Zunächst einmal gelten die allgemeinen Grundsätze. Sie prüfen also, ob die Körperverletzung z.B. gem. § 32 gerechtfertigt oder aber gem. § 35 entschuldigt sein könnte. Besonderheiten gibt es jedoch bei der rechtfertigenden Einwilligung in Zusammenhang mit dem ärztlichen Heileingriff und generell im Hinblick auf § 228.

1. Ärztlicher Heileingriff

166

Expertentipp

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Wiederholen Sie an dieser Stelle die Voraussetzungen der rechtfertigenden Einwilligung, dargestellt im Skript „Strafrecht AT I“.

Beim ärztlichen Heileingriff wird die rechtfertigende Einwilligung relevant, wenn Sie diesen mit der Rechtsprechung tatbestandlich als Körperverletzung angesehen haben. Sie müssen dann überprüfen, ob der Eingriff durch eine rechtfertigende Einwilligung gedeckt ist.

167

Diese rechtfertigende Einwilligung muss unter anderem frei von Willensmängeln, insbesondere frei von Täuschung erfolgt sein. Dies ist grundsätzlich nicht der Fall, wenn der Patient nicht gem. § 630e BGB vollumfänglich über Art, Umfang und Durchführung des Eingriffs aufgeklärt wurde, sog. Diagnose-, Therapie- und Eingriffsaufklärung.Wessels/Hettinger/Engländer Strafrecht BT 1 Rn. 297

Allerdings fragt der BGH bei Aufklärungsfehlern danach, ob der Patient die Einwilligung versagt hätte, wenn er über das infrage kommende Risiko aufgeklärt worden wäre. Hätte er die Einwilligung auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung erteilt, z.B. weil das Risiko gering und die Operation sehr wichtig ist, dann ist der Aufklärungsfehler über die sog. „hypothetische Einwilligung“ geheilt (Gedanke des rechtmäßigen Alternativverhaltens).BGH NStZ 96, 34, StV 2004, 376. Zustimmend ein Teil der Literatur, siehe dazu den Überblick bei Otto/Albrecht Jura 10, 267 ff.; Jansen ZJS 11, 485 ff.

Hinweis

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Diese hypothetische Einwilligung wurde zunächst von der zivilrechtlichen Rechtsprechung entwickelt und findet sich nun in § 630h Abs. 2 S. 2 BGB.

Der hypothetischen Einwilligung wird in der LiteraturSchönke/Schröder-Eser § 223 Rn. 40h; Wessels/Hettinger/Engländer Strafrecht BT 1 Rn. 298. teilweise entgegengehalten, dass dadurch Aufklärungsmängel strafrechtlich weitgehend irrelevant würden und zudem der Grundsatz der Subsidiarität der mutmaßlichen Einwilligung, mit der die hypothetische Einwilligung im Wesentlichen vergleichbar ist, da auch hier nach dem vermeintlichen und nicht dem tatsächlichen Willen gefragt wird, unterlaufen werde.   

Beispiel

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Arzt A nimmt bei Patient P eine Fettabsaugung vor, ohne ihn darüber aufgeklärt zu haben, dass bei der OP die eigentlich erforderliche Anästhesieschwester bzw. der Anästhesist selbst nicht zugegen sind und die Betäubung sowie das Patientenmonitoring von ihm selbst unter der Assistenz eines Chemiestudenten vorgenommen wird. P verstirbt aufgrund einer fehlerhaften Narkose.BGH Entscheidung vom 5.7.2007 Az 4 StR 549/06 – abrufbar unter www.bundesgerichtshof.de.

Hier hat der BGH eine fehlerhafte Einwilligung angenommen, da nicht davon ausgegangen werden kann, dass P seine Einwilligung erteilt hätte, wenn er die genauen Umstände gekannt hätte, zumal es sich nur um eine Schönheitsoperation gehandelt hat, die auch zu einem späteren Zeitpunkt hätte durchgeführt werden können.

(Auch die Literatur hätte i.Ü. den Tatbestand der Körperverletzung bejaht, da der Eingriff nicht medizinisch indiziert war.)    

2. § 228

168

Zu beachten ist bei den Körperverletzungsdelikten § 228. Danach bleibt die Tat rechtswidrig, wenn sie trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt. § 228 legt damit eine generalpräventiv begründete Grenze individueller Autonomie fest.Fischer § 228 Rn. 8.

Expertentipp

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In der Klausur prüfen Sie zunächst sämtliche Voraussetzungen der rechtfertigenden Einwilligung durch. Erst wenn Sie zu dem Ergebnis kommen, dass die Tat gerechtfertigt sein könnte, fragen Sie danach, ob nicht ausnahmsweise die Rechtfertigung wegen § 228 zu verneinen sein könnte. Wie immer ist mit einer überzeugenden Argumentation alles vertretbar.

Nach herrschender Auffassung richtet sich die Sittenwidrigkeit vor allem nach Art und Gewicht des Erfolges der Körperverletzungen und dem Grad der möglichen Lebensgefahr. Der mit der Tat verfolgte Zweck ist nur dann von Bedeutung, wenn er eine eigentlich als sittenwidrig zu bewertende Körperverletzung kompensiert, weil er positiv oder einsehbar ist (z.B. bei lebensgefährlichen ärztlichen Eingriffen, die zur Lebensrettung vorgenommen werden). Je gravierender die tatsächlich eingetretenen Verletzungen oder die drohenden Gefahren sind, desto eher kann die Sittenwidrigkeit angenommen werden. Ob die Grenze zur Sittenwidrigkeit überschritten ist, ist aufgrund einer „ex ante“ vorzunehmenden Beurteilung zu entscheiden.BGHSt 49, 34; 166; Stree NStZ 2005, 40.

Beispiel

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Das „Autosurfen“ birgt die große Gefahr, dass der oben auf dem Dach des Autos liegende „Surfer“ sich beim Herunterfallen lebensgefährliche Verletzungen zuzieht.OLG Düsseldorf, NStZ-RR 1997, 325

Das Verabreichen von Rauschmitteln kann ebenso wie sadomasochistische Praktiken sittenwidrig sein, wenn „bei vorausschauender objektiver Betrachtung aller maßgeblichen Umstände der Betroffene in konkrete Todesgefahr gebracht wird“.BGH Urteil vom 26.5.2004 Az 2 StR 505/03 – abrufbar unter www.bundesgerichtshof.de.

Bei verabredeten und zugleich einvernehmlichen Massenschlägereien (gerne unter Fußballfans rivalisierender Vereine) insbesondere im öffentlichen Raum wird von der RechtsprechungOLG München BeckRS 2013, 18011; BGH Beschluss vom 20.2.2013 Az 1StR 585/12 – abrufbar unter www.bundesgerichthof.de. regelmäßig die Sittenwidrigkeit bejaht, auch wenn zuvor Regeln festgelegt werden. Begründet wird dies mit der unkontrollierbaren Eskalationsgefahr des Geschehens und nicht ausschließbaren gravierenden Körperverletzungsfolgen. Diese Wertung kann aus § 231 entnommen werden. Der BGHBGH Beschluss vom 20.2.2013 Az 1StR 585/12 – abrufbar unter www.bundesgerichthof.de; bestätigend BGH NJW 2015, 1545. hat in Abgrenzung dazu aber auch deutlich gemacht, dass mit erheblichen Gesundheitsgefahren verbundene Sportwettkämpfe – auch bei einer Austragung durch Mannschaften – von dieser Rechtsprechung nicht erfasst seien (Boxen, Fußball). Hier solle das Regelwerk der Sportarten, welches regelmäßig durch eine neutrale Instanz (Schiedsrichter) kontrolliert werde, die Gefährdung begrenzen. Etwas anderes gelte nur bei grob regelwidrigem Verhalten (sog. „Blutgrätsche“ beim Fußball).

Die Sittenwidrigkeit kann mithin auch aus den Wertungen anderer Gesetze entnommen werden, so der §§ 216, 218 und 231.

Beispiel

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Führt eine nicht anderweitig gerechtfertigte (versuchte) Tötung auf Verlangen gem. § 216 nur zu einer Körperverletzung, so kann diese wegen § 228 nicht durch eine rechtfertigende Einwilligung gerechtfertigt sein, weil die Gefahr der Körperverletzung im Tod bestand und das Leben nur unter den Voraussetzungen der §§ 1901a ff BGB über eine Einwilligung disponibel ist.

Die Verletzung der körperlichen Integrität der Mutter kann nicht über eine Einwilligung gerechtfertigt sein, wenn es sich um eine strafbare Abtreibung gem. §§ 218ff handelt.

Allein der Verstoß gegen ein anderes Gesetz rechtfertigt aber noch nicht die Sittenwidrigkeit der Tat. Wie bereits ausgeführt muss ergänzend der Zweck berücksichtigt werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn es sich um medizinische Maßnahmen handelt.

Beispiel

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Pflegekraft P verabreicht dem im Sterben liegenden und schwere Schmerzen erduldenden O nachts 10 mg Morphin, obgleich die Ärztin A nur 5 mg verordnet hatte. Hier hat P gegen § 29 Abs.1 S. 1 Nr. 6b BtMG verstoßen, da er ohne entsprechende ärztliche Anordnung Morphin verabreicht hat.

Der BGH hat die Sittenwidrigkeit abgelehnt und ausgeführt, dass die BtMG-Norm dem Schutz der Volksgesundheit (Universalrechtsgut) diene und von daher keine Wertung für den konkreten Fall enthalte, bei welchem es um grundsätzlich straflose Schmerzlinderung beim Sterben gehe. Er hat darauf hingewiesen, dass beim „Sterben eines unheilbar Kranken, dem unmittelbar vor dem Tod nur noch durch Schmerzbekämpfung geholfen werden kann, eine besondere Ausnahmesituation“ bestehe.

Hinweis

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Wiederholen Sie an dieser Stelle den Erlaubnis- und den Erlaubnistatbestandsirrtum, dargestellt im Skript „Strafrecht AT I“.

Expertentipp

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Beachten Sie, dass in Zusammenhang mit § 228 eine Irrtumsproblematik sehr klausurrelevant werden könnte: Irrt sich ein Täter über die tatsächlichen Gefahren eines Eingriffs, hält er also z.B. bei sadomasochistischen Praktiken den Eintritt schwerer Körperverletzungen oder gar des Todes nicht für möglich, so ist die Einwilligung zwar unwirksam, es liegt aber ein Erlaubnistatbestandsirrtum vor, der ggfs. nur zur Bestrafung aus einer Fahrlässigkeitstat führt. Kennt der Täter hingegen die Gefahren, bewertet aber gleichwohl die Tat nicht als sittenwidrig, so irrt er sich in rechtlicher Hinsicht, so dass ein Verbotsirrtum gem. § 17 angenommen werden kann. Hier hängt die Strafbarkeit davon ab, ob der Irrtum vermeidbar war.

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