Strafrecht Allgemeiner Teil 2

Mittelbare Täterschaft - Irrtümer

V. Irrtümer

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Zunächst gilt auch für die mittelbare Täterschaft, dass eine Vorsatzzurechnung nicht in Betracht kommt. In der Klausur müssen Sie also für den mittelbaren Täter feststellen, dass sich sein Vorsatz auf die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes erstreckte. Zugleich muss er in dem Bewusstsein der Tatherrschaft (materiell objektive Theorie) gehandelt haben.

Sofern der unmittelbar Handelnde über das hinausgeht, was der Hintermann sich vorgestellt hat, sich mithin also in einem Exzess befindet, ist eine strafrechtliche Verantwortlichkeit des Hintermannes nicht gegeben, da sich der Vorsatz auf diese Umstände nicht bezieht.

Expertentipp

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Bitte beachten Sie auch hier, dass wegen der Teilbarkeit von Täterschaft und Teilnahme auch bei einem Exzess gleichwohl eine mittelbare Täterschaft z.B. am Grunddelikt oder an einem anderen Delikt in Betracht kommen kann.

Beispiel

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A veranlasst den emotional von ihm abhängigen, geistig schwer gestörten und nicht schuldfähigen B, der C die Handtasche zu stehlen. Bei dem Diebstahl führt B einen Baseballschläger mit sich, mit welchem er auf C einschlägt, bevor er die Handtasche wegnimmt. Der Einsatz des Baseballschlägers war von A weder geplant noch vorhergesehen.

Hier ist A nur mittelbarer Täter eines Diebstahls. Der tatbestandlich durch B ebenfalls verwirklichte, schwere Raub kann ihm nach § 25 Abs. 1 Alt. 2 nicht zugerechnet werden, da es insoweit am entsprechenden Vorsatz des A fehlt.

In der Klausur müssen Sie mit dem Raub beginnen. Bei der Frage nach der Zurechnung der Tathandlung stellt sich mit dem BGH dann schon das Problem, ob der Täter diese Tat mit animus auctoris begehen will. Sie sollten das unter Einbeziehung des später zu prüfenden Vorsatzes verneinen und alsdann den Diebstahl in mittelbarer Täterschaft prüfen. Wie bei der Mittäterschaft auch können objektiver und subjektiver Tatbestand nicht klinisch voneinander getrennt werden. Beachten Sie, dass der Aufbau der Logik und nicht die Logik dem Aufbau folgen muss!

Bei der mittelbaren Täterschaft können verschiedene Irrtümer klausurrelevant werden. Bei diesen Irrtümern ist zu unterscheiden, ob der unmittelbar Handelnde einem Irrtum unterliegt oder aber der Hintermann sich irrt.

1. Error in persona des Vordermannes

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In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, wie sich ein error in persona des Vordermannes auf den Hintermann auswirkt.

Beispiel

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A veranlasst den geisteskranken B, C zu erstechen. Zu diesem Zweck gibt er B ein Foto von C und erklärt ihm, dass dieser gewöhnlich dienstags abends das Gasthaus „Zur Goldenen Sonne“ aufsucht. B begibt sich daraufhin zu diesem Gasthaus. Als D die Tür verlässt, hält er diesen irrtümlich für C und sticht zu.

Beispiel

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Ärztin A weist die Krankenschwester K an, dem einzigen in Zimmer 35 liegenden Patienten P ein Kreislaufmittel zu injizieren. In Wahrheit enthält die Spritze, die A der K übergibt, jedoch ein tödlich wirkendes Gift. Aufgrund einer Unaufmerksamkeit verwechselt K die Zimmer und verabreicht dem falschen Patienten das Gift.

Nach bislang herrschender Meinung wird der error in persona für den Hintermann als aberratio ictus gewertet. Es wird ausgeführt, dass es keinen Unterschied mache, ob der Täter sich eines mechanischen Werkzeuges oder eines menschlichen Werkzeuges bediene. Das menschliche Werkzeug sei ebenso wie die fehlgeleitete Kugel anzusehen. Dies hat zur Folge, dass im Hinblick auf das tatsächlich getroffene Objekt eine fahrlässige Täterschaft in Betracht kommt, in Tateinheit mit einer versuchten Verwirklichung in mittelbarer Täterschaft an dem nicht getroffenen Objekt.SK-Rudolphi § 16 Rn. 30; Jescheck/Weigend Strafrecht AT § 62 III 2; LK-Schünemann § 25 Rn. 149.

Eine im Schrifttum vordringende Ansicht differenziert:

Sofern der Hintermann dem Vordermann die Individualisierung anhand bestimmter Charakteristika überlässt, wird der Irrtum des Vordermannes als ein auch für den Hintermann unbeachtlicher error in persona angesehen. Insofern wird die Konstellation mit der Anstiftung verglichen. Handelt das Werkzeug hingegen ohne Auswahlmöglichkeit bei der Individualisierung, so stellt sich der Irrtum für den Hintermann als aberratio ictus dar, da in diesem Fall das menschliche Werkzeug tatsächlich einem mechanischem Werkzeug gleichzustellen sei.Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT Rn. 859; Schönke/Schröder-Cramer/Heine § 25 Rn. 51.

Beispiel

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Auf die obigen Fälle übertragen bedeutet dies, dass nach herrschender Meinung in beiden Fällen eine aberratio ictus anzunehmen ist. Nach der Gegenansicht muss entsprechend der Differenzierung bei der Krankenschwester K eine aberratio ictus für die Ärztin A angenommen werden, da diese ihr genau vorgegeben hat, welche Person zu treffen ist. Im anderen Fall liegt für den Hintermann ein unbeachtlicher error in persona vor, da der Auswahlirrtum des unmittelbar Handelnden, der das Tatobjekt individualisieren musste, auch für den Hintermann unbeachtlich ist.

2. Der Hintermann glaubt, er sei Anstifter während er tatsächlich mittelbarer Täter ist

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Hinweis

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Es sind Konstellationen denkbar, in denen objektiv eine mittelbare Täterschaft vorliegen kann, der Hintermann jedoch subjektiv die Situation einer Anstiftung annimmt.

Sofern bei unmittelbar Handelnden der Strafbarkeitsmangel nur auf der Ebene der Schuld liegt, sind diese Fälle unproblematisch, da die für § 26 erforderliche vorsätzliche und rechtswidrige Haupttat gegeben ist. 

Beispiel

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In obigem Fall weiß A nicht, dass B geisteskrank ist, als er diesen zur Tötung des C überredet.

Es liegt objektiv eine mittelbare Täterschaft vor, da B gem. § 20 schuldunfähig ist. Subjektiv glaubt A jedoch, er habe B zur Tötung des C angestiftet.

Dieser Fall des Irrtums ist unproblematisch. A ist hier wegen vollendeter Anstiftung zu bestrafen. Die vorsätzliche rechtswidrige Haupttat ist gegeben. Darüber hinaus richtete sich auch der Vorsatz des A auf eine Anstiftung.

Problematisch sind die Fälle, in denen der Strafbarkeitsmangel des Vordermannes auf der Ebene des Vorsatzes oder der Rechtswidrigkeit liegt, der Hintermann aber irrig von einer vorsätzlichen und rechtswidrigen Tat des anderen ausgeht.

Beispiel

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Die Jagdkumpanen A und B sitzen in der Dämmerung auf Rotwild an, als der Wilderer W durchs Gebüsch schleicht. A glaubt, auch B habe erkannt, dass es sich bei W um einen Menschen und nicht um einen Hirsch handelt. Er übergibt B das Gewehr mit der Aufforderung, zu schießen. Tatsächlich hat der kurzsichtige B aber nicht erkannt, dass es sich bei W um einen Menschen handelt und gibt in der Annahme, er erschieße einen Hirsch, einen Schuss auf W ab.

Objektiv liegt hier wiederum die Situation der mittelbaren Täterschaft vor, da bei B ein Strafbarkeitsmangel, nämlich fehlender Vorsatz, vorliegt. A hat diesen Strafbarkeitsmangel jedoch nicht erkannt. Er wollte vielmehr B zu einer vorsätzlichen rechtswidrigen Haupttat anstiften. Eine Anstiftung kommt jedoch nicht in Betracht, da es an der vorsätzlichen Haupttat fehlt.

Teilweise wird in der Literatur vertreten, dass trotz des Umstandes, dass eine vorsätzliche rechtswidrige Haupttat nicht vorliegt, eine Bestrafung wegen Anstiftung in Betracht komme. Die Täterschaft sei im Verhältnis zur Teilnahme eine wertungsmäßig schwerere Beteiligungsform. Sofern objektiv diese höhere Stufe vorliege, müsse, wenn subjektiv der Täter glaube, auf der niedrigen Stufe zu handeln, wenigstens als „Auffangstrafbarkeit“, das Geschehen auf dieser niedrigeren Stufe erfasst werden können.Lackner/Kühl § 25 Rn. 10; Schöneborn ZStW 87, 911.

Nach herrschender MeinungWessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT Rn. 860; Bloy ZStW 2005, 3. steht diese Auffassung im Widerspruch zum eindeutigen Wortlaut des § 26, der eine vorsätzliche rechtswidrige Haupttat voraussetzt und stellt damit eine verbotene Analogie dar. Eine Bestrafung wegen Anstiftung kommt nach dieser Auffassung demnach nicht in Betracht. Eine Bestrafung wegen mittelbarer Täterschaft kommt jedoch ebenfalls nicht in Betracht, da der Anstiftervorsatz nicht mit dem Vorsatz des mittelbaren Täters auf eine Stufe zu stellen ist. Denkbar ist einzig eine versuchte Anstiftung, die gem. § 30 lediglich bei Verbrechen mit Strafe bedroht ist.   

Beispiel

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Im obigen Fall käme also die teilweise in der Literatur vertretene Auffassung zu einer vollendeten Anstiftung zum Totschlag in Betracht, obwohl gar kein vorsätzlicher Totschlag durch B verwirklicht wurde. Nach h.M. hätte sich A wegen versuchter Anstiftung gem. § 30 Abs. 1 strafbar gemacht, die strafbar ist, da es sich bei § 212 um ein Verbrechen handelt.

Expertentipp

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In der Klausur fangen Sie mit der mittelbaren Täterschaft an, da diese als schwerere Begehungsform die Anstiftung verdrängt. Sie stellen dann fest, dass der Täter nach dem BGH nicht mit animus auctoris und nach der Literatur nicht mit Tatherrschaftsbewusstsein gehandelt hat. Da Sie hier den objektiven und subjektiven Tatbestand „durchmischen“, können Sie, um Anmerkungen eines Korrektors zu vermeiden, die Prüfung mit „Tatbestand“ übertiteln. Danach überprüfen Sie, ob eine Anstiftung in Betracht kommt. Bei dem Prüfungspunkt „vorsätzliche rechtswidrige Haupttat“ stellen Sie den oben aufgezeigten Streit dar. Sofern Sie sich für die h.M. entscheiden, machen Sie danach weiter mit § 30 Abs. 1.

3. Der Hintermann glaubt, er sei mittelbarer Täter, wohingegen der Vordermann jedoch vorsätzlich und rechtswidrig handelt

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Denkbar ist auch der umgekehrte Fall, wonach der Hintermann ein Strafbarkeitsmanko beim Vordermann annimmt, welches zur mittelbaren Täterschaft führen würde, tatsächlich der Vordermann jedoch vorsätzlich und jedenfalls rechtswidrig handelt, so dass objektiv die Situation der Anstiftung gegeben ist.

Beispiel

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In obigem Jägerfall ist die Situation nunmehr umgekehrt: A glaubt, B habe nicht erkannt, dass es sich bei dem vermeintlichen Hirsch um W handelt. Tatsächlich hat B, der inzwischen Kontaktlinsen trägt, dies jedoch sehr genau erkannt, und gibt in voller Kenntnis der Umstände den Schuss auf W ab.

Da der Hintermann an der vollendeten Rechtsgutsverletzung mitgewirkt hat, nimmt die herrschende Meinung hier eine vollendete Anstiftung an. Es wird davon ausgegangen, dass der Anstiftervorsatz als „Minus“ im schwereren und damit vorwerfbareren Vorsatz des mittelbaren Täters enthalten sei (Ausnahme: §§ 160, 271, da dort das täterschaftliche Handeln mit geringerer Strafe bedroht ist).Schönke/Schröder-Cramer/Heine Vor §§ 25 ff. Rn. 83; Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT Rn. 860.

Teilweise wird in der Literatur eine versuchte mittelbare Täterschaft angenommen.Maurach/Gössel/Zipf Strafrecht AT 2 § 48 Rn. 39; SK-Hoyer § 25 Rn. 145. Es wird darauf hingewiesen, dass der Anstifter eine vorsätzliche und rechtswidrige Tat eines anderen fördern möchte, der Täter jedoch eine eigene Tat begehen möchte, so dass das argumentum a maiore ad minus nicht überzeuge. Einige Vertreter bestrafen daneben noch wegen vollendeter Anstiftung.LK-Schünemann, § 25 Rn. 146.

Expertentipp

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Auch hier fangen Sie mit der mittelbaren Täterschaft an, stellen jedoch im objektiven Tatbestand fest, dass der unmittelbar Handelnde volldeliktisch handelt und der Hintermann weder im Wissen noch im Wollen überlegen ist (deswegen kein „Täter hinter dem Täter“). Danach fragen Sie, ob eine Anstiftung in Betracht kommt. Bei dem Prüfungspunkt Vorsatz stellen Sie den oben aufgezeigten Streit dar. Sofern Sie sich für die teilweise in der Literatur vertretene Auffassung entscheiden, lehnen sie § 26 ab und machen weiter mit Versuch, wobei hier nicht die Verwirklichung des Grunddelikts, sondern die mittelbare Täterschaft versucht wird. Entscheiden Sie sich für die h.M., dann prüfen Sie die Anstiftung zu Ende durch.

Beispiel

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Unproblematisch ist der Fall, wenn B im vorangegangenen Beispiel zwar wiederum erkennt, dass es der Wilderer ist, nunmehr aber unerkannt geisteskrank ist und aufgrund der Stimmen, die A durch seine Aufforderung unwissentlich in seinem Kopf ausgelöst hat, nun zur Tat „gezwungen“ wird.

Hier liegt sowohl objektiv als auch subjektiv eine mittelbare Täterschaft vor. Allerdings war der Vorsatz des Täters auf eine Überlegenheit im Wissen gerichtet, wohingegen tatsächlich eine Überlegenheit im Wollen vorliegt. Dieses Abweichen kann man aber als unwesentlich ansehen, so dass eine Bestrafung aus mittelbarer Täterschaft möglich ist.

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