Strafrecht Allgemeiner Teil 1

Vosätzliche Begehungsdelikte - Subjektiver Tatbestand

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C. Subjektiver Tatbestand

I. Überblick

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Expertentipp

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Vergleichen Sie die §§ 212 und 222, §§ 223 und 229 sowie §§ 306 und 306d!

Wie bereits dargestellt werden bei einer Straftat drei verschiedene Unwerte unterschieden, nämlich der Handlungs-, der Erfolgs- und der Gesinnungsunwert. Im objektiven Tatbestand haben Sie die Verwirklichung des Erfolgsunwertes geprüft, indem Sie festgestellt haben, dass objektiv eine Rechtsgutsverletzung, z.B. in Gestalt des Todes bei § 212, eingetreten ist. Im Vorsatz kommt nun – ebenso wie in der Fahrlässigkeit – der Handlungsunwert zum Ausdruck. Der Handlungsunwert der VorsatzDelikte ist dabei grundsätzlich gravierender als jener der Fahrlässigkeitsdelikte, was sich vor allem in den zumeist geringeren Strafrahmen der Fahrlässigkeitsdelikte ausdrückt.

Im Einzelfall kann es für einen Täter also bedeutsam sein, ob ihm Vorsatz unterstellt wird oder zu seinen Gunsten nur Fahrlässigkeit angenommen wird. Die Abgrenzung ist, wie wir sehen werden, insbesondere beim dolus eventualis zur bewussten Fahrlässigkeit schwierig.

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Gem. § 15 ist grundsätzlich nur vorsätzliches Handeln strafbar, es sei denn, der Gesetzgeber bedroht fahrlässiges Handeln ausdrücklich mit Strafe. Die Anzahl der Fahrlässigkeitsdelikte im StGB ist überschaubar. Es gibt keine fahrlässigen Eigentums- oder Vermögensdelikte und keine fahrlässigen Urkundsdelikte. Körperverletzungs- und Tötungsdelikte sowie Straßenverkehrs- und Brandstiftungsdelikte sind jedoch fahrlässig begehbar.

Neben dem Vorsatz sind in einigen Delikten darüber hinausgehende Absichten zu prüfen, wie z.B. in § 242 die Zueignungsabsicht, in § 263 die Bereicherungsabsicht und in § 274 die Nachteilszufügungsabsicht. Was unter „Absicht“ bei diesen Normen zu verstehen ist, ist durch Auslegung zu ermitteln. Dazu mehr unter Rn. 103.

Des Weiteren ist es denkbar, dass Sie im subjektiven Tatbestand weitere Voraussetzungen zu prüfen haben. So werden dort die täterbezogenen Mordmerkmale der 1. und 3. Gruppe des § 211 geprüft, ferner die Rechtswidrigkeit der erstrebten Zueignung oder Bereicherung bei den §§ 242 und 263. Die einzelnen, im subjektiven Tatbestand zu prüfenden Voraussetzungen richten sich damit erneut nach dem jeweiligen Delikt. Wir werden uns nachfolgend mit den allgemeinen Grundsätzen auseinandersetzen, die für alle Delikte gleichermaßen geprüft werden müssen.

 

II. Vorsatzelemente

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Nach herrschender Ansicht setzt sich der Vorsatz aus einem Willens- und einem Wissenselement zusammen.BGHSt 36, 1, 10. Vorsatz ist demnach der Wille zur Verwirklichung eines Straftatbestandes in Kenntnis aller seiner objektiven Umstände.BGHSt 19, 295 ff. Üblicherweise wird folgende Kurzformel zur Definition verwendet: 

Definition

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Definition: Vorsatz

Vorsatz ist das „Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung“.

Das Verhältnis der beiden Elemente zueinander, insbesondere, das Erfordernis des voluntativen Elementes ist umstritten. Dieser Streit wirkt sich vor allem bei der Abgrenzung des dolus eventualis zur bewussten Fahrlässigkeit aus und wird unter Rn. 106. ausführlich dargestellt.

Expertentipp

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In der Klausur wird er – wenn überhaupt – auch nur dort zu thematisieren sein. Bei den Vorsatzformen dolus directus 1. und 2. Grades können Sie mit der oben genannten Kurzformel unter Berücksichtigung der nachfolgend dargestellten Besonderheiten arbeiten.

Verlangt man mit der h.M. beide Elemente, so ist zunächst festzustellen, dass dem Wollen notwendig das Wissen vorausgehen muss. Ein Täter muss erst etwas wissen, bevor er einen entsprechenden Willen entwickeln kann.

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Der Vorsatz muss als Spiegelbild zum objektiven Tatbestand sämtliche Tatbestandsmerkmale umfassen, die Sie im objektiven Tatbestand geprüft haben. Dies gilt sowohl für die geschriebenen Merkmale des objektiven Tatbestandes z.B. „fremde Sache“ bei § 303 als auch für die unbeschriebenen Merkmale, z.B. die Kausalität bei § 212.

Hinweis

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Beachten Sie, dass Sie bei der objektiven Zurechnung nur eine Wertung vorgenommen haben. Auf diese Wertung braucht sich der Vorsatz des Täters nicht zu erstrecken.

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Der Täter muss die objektiven Tatbestandsmerkmale kennen und deren Verwirklichung wollen. Irrt der Täter auch nur hinsichtlich eines dieser objektiven Merkmale, so liegt gem. § 16 Abs. 1 ein Tatbestandsirrtum vor, der eine Bestrafung ausschließt.

Beispiel

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Der gut versicherte A beschädigt in der Dunkelheit auf dem Firmenparkplatz einen blauen VW Golf, in der Annahme, es handele sich um sein eigenes Fahrzeug. Er möchte die Versicherungssumme kassieren und sich mit dem Geld einen schönen Kurztrip nach Mallorca finanzieren. Tatsächlich ritzt A in das Fahrzeug seines Arbeitskollegen auf der Beifahrerseite einen langen Kratzer.

Hier hat A den objektiven Tatbestand der Sachbeschädigung gem. § 303 Abs. 1 erfüllt. Da A aber keine Kenntnis von der Fremdheit der Sache hatte, fehlt es gem. § 16 Abs. 1 am Vorsatz. Da die fahrlässige Sachbeschädigung nicht strafbar ist, hat A sich insoweit nicht strafbar gemacht. In Betracht kommt aber eine Strafbarkeit gem. §§ 265, 22, 23 wegen versuchten Versicherungsmissbrauchs.

Darüber hinaus können Wissen und Wollen jedoch in unterschiedlichen Intensitätsgraden vorliegen.

 

III. Erscheinungsformen des Vorsatzes

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Man unterscheidet zwischen drei Vorsatzformen, nämlich der Absicht (dolus directus 1. Grades), dem Direkten Vorsatz (dolus directus 2. Grades) und dem Eventualvorsatz (dolus eventualis).Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT Rn. 326 ff.

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Grundsätzlich gilt, dass alle drei Vorsatzarten gleichwertig sind. Sofern nicht das Gesetz im Einzelfall besondere Anforderungen an den Vorsatz stellt, genügt für die Begehung eines Deliktes die schwächste Vorsatzart, mithin dolus eventualis, selbst bei schwersten Delikten, wie z.B. dem Mord.

Die einzelnen Vorsatzarten unterscheiden sich im Verhältnis des Wissens- zum Willenselement bzw. in ihrer Stärke.

1. Absicht

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Definition

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Definition: Absicht

Absicht oder dolus directus 1. Grades liegt dann vor, wenn es dem Täter gerade darauf ankommt, die Rechtsgutsverletzung herbeizuführen bzw. den Umstand zu verwirklichen, für den das Gesetz absichtliches Handeln vorsieht.BGHSt 16, 1.

Absicht ist also zielgerichteter Erfolgswille, wobei dieser Erfolgswille das Motiv des Handelns darstellen kann, jedoch nicht unbedingt mit dem Motiv identisch sein muss. Bei der Absicht ist das voluntative Element besonders stark ausgeprägt. Hinsichtlich des kognitiven Elementes ist es ausreichend, dass der Täter den Eintritt der Tatbestandsverwirklichung mindestens als möglich voraussieht.BGHSt 18, 246 ff.; 21, 283 ff.

Beispiel

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Dem in finanzielle Schwierigkeiten geratenen A kommt es in erster Linie darauf an, in den Genuss der Erbschaft zu gelangen, welche seine Mutter im Falle ihres Ablebens hinterlassen wird. Aus diesem Grund baut er in dem Privatflugzeug der Mutter eine Bombe ein, um so die Mutter zu töten. Dabei ist er sich nicht vollständig sicher, ob das von ihm gewählte Konstrukt auch tatsächlich funktioniert, hofft aber auf einen entsprechenden Erfolg, der nach kurzer Flugzeit auch wunschgemäß eintritt.

Hier lag auf der Wissensseite kein sicheres Wissen des A um den Erfolgseintritt vor. Diese Unwägbarkeit wurde jedoch durch den zielgerichteten Willen, die Mutter umzubringen, kompensiert. Allerdings war der Tod der Mutter in der Planung des A nur notwendiges Zwischenziel. Das Motiv seines Handelns bestand darin, in den Genuss seiner Erbschaft zu gelangen.

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Wie bereits ausgeführt, wird im Gesetz gelegentlich eine besondere Absicht verlangt. Leider hat der Gesetzgeber den Begriff Absicht bzw. den Begriff „um zu“, der eine Absicht beschreibt, nicht einheitlich verwendet, so dass die jeweilige Bedeutung im Einzelfall durch Auslegung zu ermitteln ist.

Es ist möglich, dass sich die Absicht nach dem Gesetzeswortlaut auf ein Merkmal des objektiven Tatbestandes bezieht. In diesem Fall hat der Gesetzgeber den Vorsatz auf dolus directus 1. oder 2. Grades verengt, d.h. er bringt zum Ausdruck, dass ausnahmsweise dolus eventualis nicht ausreicht.

Beispiel

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Bei der beabsichtigten schweren Körperverletzung gem. § 226 Abs. 2 sowie der absichtlichen Strafvereitelung nach § 258 Abs. 1 reicht dolus eventualis beim Täter nicht aus. Daraus folgt, dass der Täter zumindest sicher wissen muss, dass der Erfolg eintreten wird.

Expertentipp

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Lesen Sie hierzu die §§ 226 Abs. 2, 258, 164 und 187!

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Darüber hinaus gibt es in einigen Strafvorschriften besondere Absichten, welche dann subjektive Tatbestandsmerkmale mit eigenständigem Charakter sind. Sie kennzeichnen in diesen Vorschriften eine über den Vorsatz hinausgehende, überschießende Innentendenz.

Die bereits genannten Absichten wie die Zueignungsabsicht in § 242 bzw. die Bereicherungsabsicht in § 263 sowie die Nachteilszufügungsabsicht in § 274 sind Absichten im obigen Sinne.

Fraglich ist in jedem Einzelfall, ob unter Absicht dolus directus 1. oder 2. Grades zu verstehen ist.

Bei der Zueignungsabsicht im Rahmen des § 242 ist dolus directus 1. Grades erforderlich, soweit es die Aneignungskomponente betrifft, hinsichtlich der Enteignungskomponente reicht hingegen dolus eventualis aus.

Bei der Nachteilszufügungsabsicht gem. § 274 reicht dolus directus 2. Grades aus.

Der Grund für diese Differenzierung liegt darin, dass es einem klassischen Diebstahlstäter in erster Linie wohl niemals darauf ankommen wird, das Opfer zu enteignen. Maßgeblich wird für den Dieb sein, sich die Sache selbst anzueignen. Das Gleiche gilt für den Täter, der eine Urkundenunterdrückung begeht. In erster Linie wird es diesem Täter darauf ankommen, sich selbst einen Vorteil zu verschaffen. Würde man also hinsichtlich des Enteignungsvorsatzes bei § 242 bzw. der Nachteilszufügung bei § 274 eine Absicht i.S.d. dolus directus 1. Grades verlangen, würde man in wesentlichen Fällen eine Strafbarkeit nach den §§ 242 bzw. 274 verneinen müssen.

Hinweis

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Als Faustregel kann man sich merken, dass der Begriff der Absicht dann als dolus directus 1. Grades zu verstehen ist, wenn er eine für den Täter oder einen Dritten günstige Position beschreibt. Umschreibt der Begriff dagegen eine besondere Schädigung eines Dritten, so genügt zumeist dolus directus 2. Grades.

2. Direkter Vorsatz

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Definition

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Definition: Direkter Vorsatz

Direkter Vorsatz oder dolus directus 2. Grades liegt vor, wenn der Täter weiß oder als sicher voraussieht, dass er den gesetzlichen Tatbestand verwirklicht, unabhängig davon, ob ihm der Eintritt des Erfolges erwünscht ist.

Bei dieser Vorsatzform ist also das kognitive Element besonders stark ausgeprägt. Aus diesem starken kognitiven Element ergibt sich zwangsläufig das voluntative Element, denn wenn ein Täter sicher weiß, dass eine Rechtsgutsverletzung eintritt und dennoch handelt, so wird er diese auch wollen.

Beispiel

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A möchte wiederum seine Mutter durch eine Flugzeugexplosion töten. Zu diesem Zweck hat er eine Bombe gebastelt, bei der zu 99 % sicher ist, dass sie, sobald das Flugzeug eine Höhe von 3000 m erreicht hat, explodieren wird. A weiß, dass an diesem Tag im Flugzeug auch seine Schwester sitzen wird, deren Tod er nicht beabsichtigt und die ihm letztlich auch leid tut. Gleichwohl baut er die Bombe ein, welche in Höhe von 3000 m explodiert. Hier hat A bezüglich der Schwester „lediglich“ dolus directus 2. Grades, hinsichtlich der Mutter immer noch dolus directus 1. Grades.

3. Bedingter Vorsatz

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Der bedingte Vorsatz stellt die schwächste Form des Vorsatzes dar. Wie er zu definieren ist, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten.Zum Meinungsstand Jäger Strafrecht AT Rn. 75 ff. m.w.N.  Problematisch ist insbesondere die Abgrenzung zur bewussten Fahrlässigkeit.   

Unter Fahrlässigkeit versteht man im Allgemeinen das Außerachtlassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt bei objektiver Vorhersehbarkeit des tatbestandlichen Erfolges.Fischer § 15 Rn. 12; Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT Rn. 335. Bei der unbewussten Fahrlässigkeit kennt der Täter die Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung nicht. Bei der bewussten Fahrlässigkeit hingegen hält der Täter nach h.M. die Tatbestandsverwirklichung für möglich, vertraut aber darauf, dass sie nicht eintreten werde.Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT Rn. 335. 

Beispiel

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A überholt auf der Landstraße einen vor ihm fahrenden Trecker, obwohl er den entgegenkommenden Verkehr bereits herannahen sieht und nach seiner Einschätzung lediglich noch 200 m zum Überholen hat. Er vertraut aber schon im eigenen Interesse darauf, dass er unter Ausnutzung der maximalen Beschleunigungsmöglichkeit seines Fahrzeuges den Überholvorgang rechtzeitig abschließen und eine Kollision vermeiden kann. Leider gelingt dies nicht. Das entgegenkommende Fahrzeug muss abbremsen und ausweichen, so dass es bei dem Insassen zu einer Körperverletzung kommt.

Hier hat A nach h.M. eine fahrlässige Körperverletzung gem. § 229 begangen, da er um die Möglichkeit des Eintritts des tatbestandlichen Erfolges wusste, aber gleichwohl darauf vertraut hat, dass dieser nicht eintreten wird.

Hinsichtlich der Definition des dolus eventualis besteht zunächst Einigkeit dahingehend, dass der Täter den Erfolgseintritt zumindest für möglich gehalten haben muss. Es muss also zunächst einmal ein kognitives Element vorliegen. Ob dies ausreicht oder ob darüber hinaus ein voluntatives Element erforderlich ist, wird unterschiedlich beurteilt. Dabei können im Wesentlichen zwei Ansätze unterschieden werden:

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In der Literatur wird teilweise ausschließlich auf die Wissensseite abgestellt. Es wird u.a. davon ausgegangen, dass ab einer gewissen, vom Täter angenommenen Wahrscheinlichkeit bzw. Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung bedingter Vorsatz vorliege, unabhängig davon, wie der Täter innerlich zu dieser Verwirklichung stehe, sog. Wahrscheinlichkeitstheorie und Möglichkeitstheorie.Schmidhäuser JuS 1980, 241; Jakobs Strafrecht AT § 8 Rn. 23.

Den Vertretern dieser Theorien wird entgegengehalten, dass der Vorsatz zu weit in den Bereich der bewussten Fahrlässigkeit ausgedehnt und somit nur schwer von ihr abgrenzbar wird. Außerdem werde verkannt, dass für den Vorsatz eben nicht nur die Wissensseite, sondern darüber hinaus auch die Willensseite maßgeblich sei. Entscheidend sei, dass der Täter in Kenntnis der Möglichkeiten die innere Kälte aufbringe, den Gedanken an die Tatbestandsverwirklichung aufrecht zu erhalten.BGH NStZ-RR 2007, 43.

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Dem gegenüber stellt die vornehmlich in der Rechtsprechung vertretene Einwilligungs- oder Billigungstheorie entscheidend auf die Wollensseite des Täters ab. Danach muss der Täter den Erfolg, wie bei der bewussten Fahrlässigkeit auch, lediglich für möglich halten. Entscheidend für den Vorsatz ist aber, dass der Täter diesen für möglich gehaltenen Erfolg gebilligt oder billigend in Kauf genommen hat.RGSt 76, 115; BGHSt 36, 1; 44, 99; 7, 363. Unter Billigen ist dabei aber ein „billigen im Rechtssinne“ zu verstehen, bei welchem es nicht erforderlich ist, dass der Täter den Erfolgseintritt für gut befindet. Es reicht aus, wenn dem Täter der Erfolg zwar unerwünscht ist, er sich aber mit dessen Eintritt abfindet.

In diesem Sinne versteht auch die in der herrschenden Literatur vertretene Ernstnahmetheorie den dolus eventualis.Jescheck/Weigend Strafrecht AT § 29 III 3a; SK-Rudolphi § 16 Rn. 43 m.w.N.


Expertentipp

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Zu der Abgrenzung nach der h.M. können mithin folgende zwei Formeln herangezogen werden:

Bewusste Fahrlässigkeit: Der Täter sagt sich: „Es wird schon gut gehen!“

Bedingter Vorsatz: Der Täter sagt sich: „Na, wenn schon!“

Diese Formeln sollten Sie jedoch in der Klausur nur als Gedankenstütze verwenden!

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Zu bedenken ist, dass die Billigungstheorie letztlich jedenfalls die Möglichkeitstheorie voraussetzt. Der Täter kann nur das billigen, was er zuvor gewusst hat. Darüber hinaus zieht der BGH zur Begründung des Inkaufnehmens die Umstände heran, die für die Wahrscheinlichkeits- bzw. Möglichkeitstheorie Basis der Theorie sind. Je wahrscheinlicher objektiv der Erfolgseintritt ist, desto eher wird der BGH dem Täter unterstellen, dass er diesen Erfolgseintritt billigend in Kauf genommen hat. Die Annahme von Billigung liegt dementsprechend nahe, wenn der Täter sein Vorhaben trotz äußerster Gefährlichkeit durchführt, ohne auf einen glücklichen Ausgang vertrauen zu können, und wenn er es dem Zufall überlässt, ob sich die von ihm erkannte Gefahr verwirklicht oder nicht.BGH NStZ 1984, 19.

Beispiel

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In der Klausur wird es zumeist nicht erforderlich sein, sämtliche Abgrenzungstheorien darzustellen. Begnügen Sie sich mit der oben dargestellten Unterscheidung zwischen den Theorien, die nur das Wissenselement verlangen und der h.M., die zusätzlich das Wollenselement verlangt. Häufig werden alle Theorien zu demselben Ergebnis gelangen. Sollte dem nicht so sein, so müssen Sie sich zwischen den Theorien entscheiden.

Sofern Sie sich für die h.M. entscheiden, wird Ihre Aufgabe dann vornehmlich darin liegen, aufgrund einer nachvollziehbaren Argumentation darzulegen, warum ein Täter, der die Möglichkeit des Erfolgseintritts gekannt hat, mit dolus eventualis und nicht mit bewusster Fahrlässigkeit gehandelt hat. Diese Argumentation muss sich an objektiven Umständen orientieren, die der Sachverhalt Ihnen an die Hand gibt.

Steht im Sachverhalt ausdrücklich drin, dass der Täter „auf einen guten Ausgang vertraut hat“ (= bewusste Fahrlässigkeit) oder den Erfolg „billigend in Kauf genommen hat“ (= dolus eventualis), reicht eine kurze Darstellung der h.M.

Was es bedeutet, wenn ein Täter bei Kenntnis der Möglichkeit des Erfolgseintritts diesen „billigend in Kauf nimmt“, zeigt der nachfolgend dargestellte „Lederriemenfall“:

Beispiel

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J und K wollen sich von dem gemeinsamen Freund M einen Anzug und das für die Bezahlung der Miete des Zimmers notwendige Geld verschaffen. Sie planen, ihn widerstandsunfähig zu machen, um dann in Ruhe aus der Wohnung diese Sachen zu entfernen. Dabei soll M mit einem ledernen Hosenriemen gewürgt und dann zu gefesselt und zu geknebelt werden. Als sie jedoch über die Todesgefahr nachdenken, verlässt sie der Mut und sie beschließen, M durch einen Schlag mit dem Sandsack bewusstlos zu machen, wobei ernsthafte Verletzungen ausgeschlossen sein sollen.

Am Tattag nimmt K jedoch ohne Wissen des J für alle Fälle einen Lederriemen mit. Unter einem Vorwand verschaffen sie sich Zutritt zur Wohnung des M. Nachts geht J in das Zimmer des M und will ihm den Sandsack gegen den Kopf schlagen. M wird jedoch wach und setzt sich zur Wehr. In diesem Augenblick kommt K mit dem Lederriemen gelaufen und wirft M diesen über den Kopf. Als J das Vorhaben des K erkennt, hilft er mit. Beide ziehen mit aller Gewalt an dem Riemen, bis M keinen Laut mehr von sich gibt und die Arme fallen lässt. Versuche zur Wiederbelebung des M bleiben erfolglos.„Lederriemenfall“, BGHSt 7, 363.

K und J könnten sich wegen mittäterschaftlich begangenen Mordes gem. §§ 211, 212, 25 Abs. 2 strafbar gemacht haben, indem sie M mit dem Lederriemen würgten.

Der objektive Tatbestand ist verwirklicht, da das Würgen kausal und objektiv zurechenbar den Tod des M herbeigeführt hat. Daneben ist das objektive Mordmerkmal der Heimtücke verwirklicht.

Fraglich ist jedoch, ob K und J vorsätzlich gehandelt haben, als sie M mit dem Lederriemen würgten. Vorsatz bedeutet Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung. Vorliegend könnte bedingter Vorsatz vorgelegen haben. Nach h.M. liegt bedingter Vorsatz dann vor, wenn der Täter mit der Möglichkeit des Erfolgseintritts rechnet und diesen billigend in Kauf nimmt, d.h. sich mit dem Eintritt desselben abfindet.

Dass K und J mit der Möglichkeit des Erfolgseintrittes rechneten, ergibt sich schon daraus, dass sie zuvor bei der Tatplanung diese Möglichkeit zunächst in Erwägung zogen, dann jedoch aufgrund der Todesgefahr verworfen haben. Fraglich ist, ob sie darauf vertraut haben, der Erfolg werde nicht eintreten oder aber ob sie den Erfolgseintritt in ihren Plan mit aufgenommen und sich damit abgefunden haben.

Aufgrund der hohen Gefährlichkeit des Strangulierens und der Schwierigkeit, dieses Strangulieren so zu dosieren, dass nur Bewusstlosigkeit, nicht aber der Zustand eintritt, der unmittelbar zum Tode führt, muss davon ausgegangen werden, dass J und K die Möglichkeit des Todes des M in Kauf genommen haben. Bei dieser enormen Gefährlichkeit und der hohen Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts können sie nicht darauf vertraut haben, der Erfolg werde schon nicht eintreten. Zu berücksichtigen ist auch, dass ihnen die Todesgefahr sehr wohl bewusst gewesen sein muss, da sie die Möglichkeit, den M auf diese Art und Weise außer Gefecht zu setzen, bereits vorher diskutiert und in Anbetracht dieser Gefahr verworfen haben. Während der konkreten Tatausführung handelt es sich mithin um ein Vorgehen, welches vorher durchdacht war und mithin nicht durch Spontaneität gekennzeichnet war. Die Möglichkeit des Todeseintritts, die sie bei der Planung noch abgehalten hat, hat nunmehr nicht dazu geführt, dass sie von ihrem Vorhaben ablassen. Man kann mithin davon ausgehen, dass sie den Erfolgseintritt in ihren Tatplan mit aufgenommen haben.

Die Theorien, die im Wesentlichen auf das kognitive Element abstellen, und verlangen, dass der Erfolgseintritt für die Täter möglich bis wahrscheinlich gewesen sein muss, gelangen vorliegend zum selben Ergebnis, da man aufgrund der vorherigen Reflexion, wie oben ausgeführt, davon ausgehen muss, dass die Täter diesen Erfolg sogar für wahrscheinlich hielten, da sie ansonsten ihren ursprünglichen Plan zunächst nicht verworfen hätten.

Es ist mithin davon auszugehen, dass K und J bedingt vorsätzlich handelten.

Da sie darüber hinaus aus Habgier handelten sowie rechtswidrig und schuldhaft, haben sie sich gem. §§ 211, 212, 25 Abs. 2 strafbar gemacht.   

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Da bei Tötungsdelikten eine höhere Hemmschwelle angenommen werden muss, die der Täter zu überwinden hat, verlangt der BGH insbesondere hier überzeugende Indizien, die darauf schließen lassen, dass der Täter den Erfolg billigend in Kauf genommen hat.BGH NStZ 1983, 467; 83, 365; 97, 391.

Expertentipp

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Achten Sie darauf, dass Sie in Ihrer Klausur eine überzeugende Begründung nicht durch einen formelhaften Hinweis auf die „Hemmschwellentheorie“ des BGH ersetzen. Es gibt in diesem Sinne keine „Theorie“. Mit dem Hinweis auf die Hemmschwelle hat der BGHBGH Urteil vom 22.3.2012, AZ 4 StR 558/11 – abrufbar unter www.bundesgerichtshof.de. nur deutlich gemacht, dass an die gem. § 261 StPO erforderliche „Überzeugung“ des Gerichts bei der Bejahung des Tötungsvorsatzes erhöhte Anforderungen zu stellen sind. So müssen im Wege einer Gesamtbetrachtung die Tat, also die Gefährlichkeit der Handlung und das Risiko des Erfolgseintritts, sowie der Täter, insbesondere seine Motive und ggfs. enthemmende Umstände wie Alkoholisierung oder Gruppendynamik sowie weitere vorsatzkritische Elemente mit in die Abwägung einbezogen werden. Gefragt ist also in der Klausur eine am Sachverhalt orientierte, plausible Argumentation.   

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Was bei einer solch umfassenden Abwägung in Betracht gezogen werden muss, lässt sich an den Raser-Entscheidungen des BGHBGH JA 2018, 468 und nachfolgend BGH JuS 2020, 892. nachvollziehen.  

Hinweis

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Die Angeklagten H und N, die ihre Autos über alles liebten, trafen nachts in der Berliner Innenstadt an einer roten Ampel aufeinander. Spontan verständigten sie sich nun auf ein Wettrennen durch die Berliner Innenstadt über Straßen, die zu diesem Zeitpunkt mit Nachtschwärmern sowie Taxen, Bussen und sonstigen Verkehrsteilnehmern noch recht gut besucht waren. Über eine längere Strecke fuhren sie nun hintereinander oder nebeneinander her, wobei sie mit bis zu 170 km/h unterwegs waren und mehrfach rote Ampeln überfuhren. Mit einem leichten Vorsprung fuhr nun N, auf dessen Beifahrersitz K saß, bei Rot in den Kreuzungsbereich Tauentzienstraße/Nürnberger Straße ein. Aufgrund der baulichen Gegebenheiten war eine Einsichtnahme nach rechts in die Nürnberger Straße nicht möglich. Zur gleichen Zeit fuhr aufgrund der auf Grün stehenden Ampel der vorfahrtsberechtigte W in die Kreuzung ein und kollidierte mit H, der aufgrund der Gegebenheiten nicht mehr in der Lage war, zu reagieren. Das Fahrzeug des H drehte sich durch den Zusammenstoß nach links und kollidierte nunmehr mit dem Fahrzeug des N, bevor er ebenso wie das Fahrzeug des N, gegen eine Hochbeeteinfassung knallte und stehen blieb. Aufgrund der massiven Schäden an allen Fahrzeugen sah der Unfallort aus wie ein Schlachtfeld. N und H, der nicht angeschnallt war, hatten nur leichte oberflächliche Verletzungen. Die Beifahrerin K trug eine Lungenkontusion rechts, eine Knieprellung links, eine Kopfplatzwunde und eine Schnittverletzung am linken Daumen davon. W verstarb aufgrund seiner schweren Verletzungen noch am Unfallort.

Hier sprechen die Gefährlichkeit der Handlung (Einfahren in eine nicht einsehbare Kreuzung mit 170 km/h und bei einer auf Rot stehenden Ampel) und die dementsprechend hohe Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts zunächst einmal dafür, dass jedenfalls der zuerst in die Kreuzung einfahrende und mit W kollidierende N mit der Möglichkeit rechnete, mit einem anderen Fahrzeug zu kollidieren und den Fahrer zu töten. Hat sich der Fahrer aber auch innerlich gedacht „na wenn schon“ oder hat er darauf vertraut, dass „es schon gut gehen werde“? Wie so häufig ist nicht das kognitive, sondern das voluntative Element schwerer zu begründen.

Hier sind nun die vorsatzkritischen Aspekte bei der Argumentation mit einzubeziehen: N glaubte, er beherrsche sein Fahrzeug wie einst „Michael Schumacher“, die ganze Aufmerksamkeit galt nur dem Gewinn des Rennens („Tunnelblick“), er liebte sein Auto und wollte sicherlich nicht, dass dieses infolge einer Kollision zerstört wird, vor allem aber wollte er sich und seine Beifahrerin bei einer Kollision nicht selbst gefährden.

Trotz dieser vorsatzkritischen Aspekte hat das erstinstanzlich urteilende LG Berlin den Vorsatz bejaht. Der BGH (a.a.O.), der nur überprüfen kann, ob die Argumentation des LG frei von Rechtsfehlern zustande gekommen ist, hat jedenfalls die 2. Entscheidung des LG Berlin diesbezüglich bestätigt.

Beispiel

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Der sich in persönlichen und beruflichen Schwierigkeiten befindliche A fasste spontan den Entschluss, sich umzubringen. Nach erheblichem Alkoholkonsum steuerte er sein Fahrzeug mit einem BAK-Wert von mindestens 1,8 ‰ und höchstens 2,65 ‰ mit einer Geschwindigkeit von mindestens 120 km/h bei erlaubten 100 km/h auf die spätere Unfallkreuzung mit einer - wie ihm bekannt war - vorfahrtsberechtigten Straße zu. Wegen dichten Bewuchses am Straßenrand war es ihm nicht möglich, von rechts in den Kreuzungsbereich einfahrende, vorfahrtsberechtigte Fahrzeuge rechtzeitig wahrzunehmen und sein Fahrzeug gegebenenfalls abzubremsen, was er aufgrund seines Suizidentschlusses ohnehin nicht vorhatte. A hielt zumindest für möglich, dass es im Kreuzungsbereich zu einer Kollision mit einem anderen Fahrzeug kommen und Insassen desselben hierdurch zu Tode kommen könnten, was ihm gleichgültig war. Tatsächlich prallte das Fahrzeug des A ungebremst mit einer Geschwindigkeit von 120 km/h im rechten Winkel auf ein aus einem Kleintransporter und Anhänger bestehendes vorfahrtsberechtigtes Fahrzeuggespann. In der Folge wurde der Kleintransporter gegen eine Holzhütte geschleudert. Seine Fahrerin F erlitt Prellungen und Schnittwunden.

Auch hier wurde seitens des LG und danach des BGHBGH BeckRS 2021, 2968. der Tötungsvorsatz bejaht. Das vorsatzkritische Element der Eigengefährdung, welches beim Berliner Raser die Bejahung des Vorsatzes erschwerte, spielte hier keine Rolle, da der Täter sich selbst töten wollte und dafür die Kollision mit einem anderen in Kauf nahm. Vorsatzkritisch waren hier die Alkoholisierung des A sowie die spontane und affektive Erregung, die aber letztlich nicht zum Vorsatzausschluss führten.      

Hinweis

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In einer Klausur wäre in beiden Fällen das Ergebnis, zu welchem Sie gelangen, zweitrangig. Wesentlich ist die ausführliche und überzeugende Argumentation unter Berücksichtigung aller vorsatzkritischen Argumente. Die schwierige Abgrenzung erfolgt dabei zumeist beim voluntativen Element.

4. Alternativer Vorsatz

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Eine besondere Form des Vorsatzes stellt der so genannte alternative Vorsatz dar.

Von einem alternativen Vorsatz spricht man, wenn der Täter bei Vornahme einer Handlung nicht sicher weiß, ob er durch diese Handlung zwei unterschiedliche Tatbestände oder Erfolge verwirklichen wird, jedoch beide Möglichkeiten in Kauf nimmt, dabei gleichzeitig aber nur einen Erfolg herbeiführen möchte.

Beispiel

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A schlägt mit einem Hammer in Richtung der X und ihres unmittelbar hinter ihr stehenden Bruders Y. Er hält es für möglich und nimmt es billigend in Kauf, dass der Hammer eine der beiden Personen treffen und verletzen könnte. Er will jedoch nur eine der beiden Personen verletzen. Tatsächlich trifft der Hammer Y am Arm.BGH NJW 2021, 795. 

Nach herrschender Meinung muss in Fällen der vorliegenden Art unter Bejahung von Idealkonkurrenz wegen aller erfassbaren Delikte bestraft werden.BGH NStZ-RR 2006, 168; LK-Hillenkamp § 22 Rn. 37.

Beispiel

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Im obigen „Hammerfall“ hat der BGH dementsprechend eine Strafbarkeit des Täters gem. §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB an Y und gem. §§ 223, 224 abs. 1 Nr. 2, 22, 23 StGB an X bejaht. Beide Delikte stünden, so der BGH, aufgrund der Klarstellungsfunktion des § 52 StGB zueinander in Tateinheit. Bei der Strafzumessung müsse aber berücksichtigt werden, dass der Handlungsunwert in Bezug auf X, ähnlich wie bei einem untauglichen Versuch, gering sei.BGH NJW 2021, 795.

Nach einer anderen Auffassung muss berücksichtigt werden, dass der Täter nur eine Rechtsgutsverletzung wolle, auch wenn er beide in Kauf nehme. Demnach soll der Täter nur wegen des schwereren Delikts bestraft werden. Beim milderen Delikt wird entsprechend der Vorsatz verneint.Lackner/Kühl § 15 Rn. 29; LK-Schröder § 16 Rn. 106.
Eine dritte Auffassung wiederum differenziert nach dem Verhältnis der Delikte zueinander: Sofern die Delikte annähernd eine gleiche Schutzrichtung und Tatschwere haben, soll der Täter nach dem verwirklichten Delikt bestraft werden, das versuchte Delikt soll in Gesetzeskonkurrenz zurücktreten. Tateinheit hingegen soll angenommen werden, wenn das versuchte Delikt im Unrechtsgehalt wesentlich schwerer wiegt.Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT Rn. 353 ff.   

Beispiel

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In der Klausur müssen Sie bei einem solchen Sachverhalt mit der Prüfung des objektiv verwirklichten Deliktes beginnen. Sofern dieses das mildere Delikt ist, muss der o.g. Streit schon im subjektiven Tatbestand diskutiert werden, da einer Auffassung zufolge bezüglich dieses Delikts der Vorsatz zu verneinen wäre. Sofern es das schwerere Delikt ist, können Sie den Vorsatz ohne große Diskussion bejahen. Der Streit wird dann bei der nachfolgenden Prüfung des Versuchs im Tatentschluss dargestellt.

Expertentipp

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Vom alternativen Vorsatz ist der kumulative Vorsatz abzugrenzen. Beim dolus cumulativus richtet sich der Vorsatz des Täters darauf, durch eine Handlung mehrere Erfolge nebeneinander zu verwirklichen (im obigen Beispiel also sowohl X als auch Y mit dem Hammerschlag treffen zu wollen). Hier ist unproblematisch eine Strafbarkeit aus allen vom Vorsatz umfassten Taten zu bejahen.

IV. Bezugszeitpunkt

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Aus § 16 Abs. 1 folgt, dass der Vorsatz bei der Begehung der Tat vorliegen muss. Dieses Übereinstimmen von objektiver Tatbestandsverwirklichung und Vorsatz nennt man Simultanitätsprinzip (oder Koinzidenzprinzip).Rengier Strafrecht AT § 14 Rn. 64.

Gem. § 8 ist eine Tat zu der Zeit begangen, zu welcher der Täter gehandelt hat oder im Falle des Unterlassens hätte handeln müssen. Daraus folgt, dass nicht der Eintritt des Erfolges maßgeblich ist. Der Tatbestandsvorsatz muss nur bei Versuchsbeginn, d.h. spätestens bei Vornahme der zum Taterfolg führenden Handlung bzw. beim Unterlassen der erforderlichen Handlung vorliegen.

Expertentipp

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Achten Sie insofern immer wieder auf Ihren Obersatz, der auch für den objektiven Tatbestand maßgeblich ist. Dieser Obersatz könnte z.B. lauten: „A könnte sich wegen Totschlags gem. § 212 Abs. 1 strafbar gemacht haben, indem er M würgte.“ Die Tathandlung, deren Strafbarkeit Sie prüfen, ist das Würgen. Zum Zeitpunkt des Würgens muss der Täter dementsprechend auch Vorsatz gehabt haben. Was der Täter vorher oder nachher gewusst und gewollt hat, ist unbeachtlich.

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Gibt der Täter nach Eintritt der Tat in das Versuchsstadium, also nach dem unmittelbaren Ansetzen, seinen Vorsatz auf, so ist dies für die Bestrafung aus vorsätzlichem Delikt grundsätzlich unerheblich. Man spricht insofern von einem dolus subsequens.

Beispiel

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Der betrogene A schreibt sich seinen ganzen Kummer von der Seele und verfasst ein Pamphlet, mit welchem er seine Ex–Freundin B aufs Unflätigste beschimpft. Nachdem er den Brief abgeschickt hat, überkommt ihn ein reuiges Gefühl und darüber hinaus die Hoffnung, B eventuell noch einmal zurückgewinnen zu können, woraufhin er vergebens versucht, den Brief abzufangen.

Hier liegt der objektive Tatbestand der Beleidigung gem. § 185 vor, sobald der Brief bei B eingegangen und die beleidigende Äußerung zu ihrer Kenntnis gelangt ist. A hat auch vorsätzlich gehandelt, da er zum Zeitpunkt des Abfassens des Briefes, mithin zum Zeitpunkt der Äußerung der Beleidigung, den entsprechenden Tatbestandsvorsatz aufwies. Unerheblich ist, dass dieser Vorsatz sich im Nachhinein änderte.

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Denkbar ist auch, dass der Täter während der Tatbegehung seinen Vorsatz ändert. Sie müssen dann besonders darauf achten, dass objektiver Tatbestand und Vorsatz zueinanderpassen. Erneut können durch einen präzisen Obersatz Fehler vermieden werden.


Beispiel

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A und B fesseln und knebeln die beiden 84-jährigen Opfer X und Y nachts in deren Schlafzimmer, um die Safekombination zu erfahren. Anschließend lassen sie diese dort liegen, nunmehr davon ausgehend, dass diese hilflose Lage zum Tode führen könnte, der tatsächlich nicht eintritt, da die Opfer gefunden werden.BGH JuS 2020, 696.

Man könnte prüfen, ob sich A und B wegen mittäterschaftlich begangenem, versuchten Mordes strafbar gemacht haben könnten, indem sie X und Y fesselten und knebelten. Zu diesem Zeitpunkt hatten sie allerdings noch keinen Tötungsvorsatz. Den fassten sie erst im Anschluss (dolus antecedens), so dass eine Strafbarkeit verneint werden muss. Es kommt aber ein versuchter Mord durch das nachfolgende Unterlassen des Lösens der Fesseln und Herausnehmen des Knebels in Betracht. 

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Ebenso wie der dolus subsequens ist auch der dolus antecedens unbeachtlich. Von einem dolus antecedens spricht man, wenn der Täter zwar vor der Tatausführung einen entsprechenden Vorsatz hatte, zum Zeitpunkt des Versuchsbeginns diesen Vorsatz jedoch bereits aufgegeben hatte.


Beispiel

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A möchte das Bild seines Erbonkels O, welches in dessen Eigentum steht, entwenden. Auf dem Weg zum Haus erreicht ihn dann jedoch ein Telefonanruf seines Bruders B, welcher ihn darüber informiert, dass der Onkel gerade verstorben sei und er als Alleinerbe nunmehr Eigentümer des gesamten Besitzes geworden sei. A, hoch erfreut über diese Nachricht, nimmt nunmehr mit gutem Gewissen das Bild von der Wand, da er davon ausgeht, dass es sich bei dem Bild um sein eigenes Bild handelt. In Wirklichkeit ist jedoch die Nachricht des Bruders falsch gewesen. Der Onkel erfreut sich bester Gesundheit.

Hier liegt unproblematisch der objektive Tatbestand des Diebstahls gem. § 242 vor, da das Bild zum Zeitpunkt der Wegnahmehandlung im Eigentum des Onkels stand und mithin für A fremd war. Im Augenblick der Wegnahme des Bildes ging A jedoch davon aus, dass es aufgrund der Erbschaft zu seinem eigenen Bild geworden ist. Wäre die Nachricht des Bruders B zutreffend gewesen, wäre A gem. § 1922 BGB Eigentümer des Bildes geworden. Insofern fehlte ihm zum Zeitpunkt der Wegnahmehandlung der erforderliche Vorsatz. Unerheblich ist, dass dieser Vorsatz vor dem Telefonat noch gegeben war, da es insoweit ausschließlich auf die Simultanität zwischen Ausführungshandlung und Vorsatz ankommt.

Problematisch sind die Fälle, in denen der Erfolg eher als geplant eintritt. Es muss dann geprüft werden, ob die Handlung, die überraschender Weise bereits zum Erfolgseintritt geführt hat, schon das unmittelbare Ansetzen zur Tat darstellt. Ist das der Fall und ist die Abweichung vom vorgestellten Kausalverlauf zugleich unbeachtlich, dann kommt eine Bestrafung aus vollendetem Delikt in Betracht. Lesen Sie hierzu den Übungsfall „Rache ist süß“, außerdem die Ausführungen unter Rn. 121.

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