Strafrecht Allgemeiner Teil 1

Rechtswidrigkeit - Einverständnis und Einwilligung

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G. Einverständnis und Einwilligung

I. Überblick

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Es ist möglich, dass das Tatopfer auf seine rechtlich geschützten Interessen verzichtet. Dieser Verzicht kann je nach Eigenart des gesetzlichen Tatbestandes entweder als tatbestandsausschließendes Einverständnis oder als rechtfertigende Einwilligung verstanden werden.

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Ein tatbestandsausschließendes Einverständnis hat zur Folge, dass, wie der Begriff es schon vermuten lässt, der objektive Tatbestand nicht verwirklicht ist.

Eine rechtfertigende Einwilligung hat zur Folge, dass der Tatbestand zwar verwirklicht ist, das in Frage kommende Tun bzw. Unterlassen jedoch ausnahmsweise aufgrund dieser Einwilligung, welche einen Rechtfertigungsgrund darstellt, erlaubt ist.

Expertentipp

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Sollten Sie die eigenverantwortliche Selbstgefährdung nicht mehr oder noch nicht können, nutzen Sie die Gelegenheit, das Kapitel „objektive Zurechnung“ unter Rn. 77 zu wiederholen.

Expertentipp

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Davon abzugrenzen ist die eigenverantwortliche Selbstgefährdung, welche im objektiven Tatbestand bei der objektiven Zurechnung geprüft wird. Hier hat das Opfer sich selbst gefährdet, der Täter hat daran lediglich unterstützend mitgewirkt. Wird die Selbstgefährdung in der Klausur bejaht, haben Sie damit gleichzeitig festgestellt, dass derjenige, der sie fördert oder veranlasst, nicht Täter sein kann. Wird sie verneint, dann müssen Sie in der Klausur die einverständliche Fremdgefährdung prüfen. In diesen Fällen ist das Opfer durch den Täter (fremd) gefährdet worden, war aber mit der Gefährdung einverstanden, was dann zur Prüfung der rechtfertigenden Einwilligung führt.

II. Tatbestandsausschließendes Einverständnis

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Ob der Wille des Opfers, seine Interessen preiszugeben, als Einverständnis oder Einwilligung zu verstehen ist, hängt von den Besonderheiten der jeweiligen Tatbestände ab. Ein Einverständnis liegt in der Regel bei Delikten vor, bei denen die Tathandlung gerade darauf beruht, dass sie gegen den Willen oder ohne die Zustimmung des Betroffenen vorgenommen werden muss.

Es handelt sich insbesondere um solche Delikte, die sich (auch) gegen die Willensfreiheit richten, wie z.B. die §§ 177, 240, und 239. Aber auch bei Delikten, die das Eigentum schützen, kann der Wille des Opfers schon auf Tatbestandsebene relevant werden.

Beispiel

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So lautet die Definition der Wegnahme bei § 242: Bruch fremden und Begründung neuen, nicht notwendigerweise tätereigenen Gewahrsams gegen oder ohne den Willen des Gewahrsamsinhabers.

Bei allen anderen Tatbeständen kann der Wille des Tatopfers nur eine Einwilligung darstellen, an welche im Regelfall höhere Anforderungen zu stellen sind, als an das tatbestandsausschließende Einverständnis.

204

Die Voraussetzungen des Einverständnisses differieren abhängig vom jeweiligen Tatbestand. Grundsätzlich gilt, dass das Einverständnis wegen des tatsächlichen Charakters nur die natürliche Willensfähigkeit des Betroffenen voraussetzt. Daraus folgt, dass für gewöhnlich ein durch Täuschung erschlichenes Einverständnis gleichwohl ein wirksames, tatbestandsausschließendes Einverständnis darstellt.BGHSt 32, 1; Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT Rn. 560 ff.

Beispiel

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A gaukelt der 80-jährigen O vor, er sei von der Hausverwaltung geschickt worden, um die Heizungszähler abzulesen. In Wahrheit handelt es sich jedoch um einen Dieb, der sich auf diese Weise Zutritt zur Wohnung verschafft, um alsdann in einem unbeobachteten Moment die Opfer auszurauben. O gewährt ahnungslos dem A Zutritt zu ihrer Wohnung.

Eine Verwirklichung des objektiven Tatbestands des § 123 ist vorliegend nicht gegeben, da das Eindringen begrifflich voraussetzt, dass das Opfer mit diesem Eindringen nicht einverstanden ist. Da es sich um eine faktische Position handelt, die das Opfer aufgibt, ist nach h.M. lediglich Voraussetzung, dass der Betroffene in der Lage war, einen entsprechenden Willen zu bilden, d.h. es reicht die natürliche Willensfähigkeit. Unerheblich ist, dass das tatbestandsausschließende Einverständnis vorliegend durch Täuschung erschlichen wurde.Lackner/Kühl § 123 Rn. 5; andere Ansicht: OLG München NJW 1972, 7725; SK-Rudolphi § 123 Rn. 18, wonach von einem tatbestandsausschließenden Einverständnis nur dann ausgegangen werden könne, wenn die Willensbildung nicht durch Täuschung oder Nötigungsdruck gekennzeichnet sei.

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Im Gegensatz zur rechtfertigenden Einwilligung braucht das tatbestandsausschließende Einverständnis weder ausdrücklich noch konkludent erklärt zu werden. Ausreichend und entscheidend ist allein, dass es zum Zeitpunkt der Tatbegehung vorliegt.Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT Rn. 561 ff. Sofern der Täter irrtümlich davon ausgeht, das erforderliche Einverständnis liege vor, befindet er sich in einem Irrtum gem. § 16 Abs. 1 S. 1, welcher den Tatbestandsvorsatz entfallen lässt. Liegt umgekehrt das tatbestandsausschließende Einverständnis vor, welches der Täter jedoch nicht kennt, so ist der objektive Tatbestand nicht verwirklicht, es kommt eine Strafbarkeit wegen untauglichen Versuchs in Betracht.    

Beispiel

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Berghüttenbesitzer B hat die Türe seiner Hütte offenstehen lassen und an der Türe ein großes rotes Herz befestigt, auf dem steht „Ein herzliches Willkommen dem Gast“. Wanderer W glaubt, dass B seine Hütte, wie dies durchaus nicht unüblich ist, den Vorbeikommenden gegen Hinterlassen eines geringen Obolus für eine Übernachtung zur Verfügung stellt und tritt erfreut ein. In Wahrheit hat B dieses Herz für seine Freundin aufgehängt, mit der er sich für den Abend dort verabredet hat und die vor ihm dort eintreffen wird. Er ist keinesfalls damit einverstanden, dass wildfremde Wanderer in der Hütte Unterschlupf suchen.

Hier liegt bzgl. § 123 objektiv kein tatbestandsausschließendes Einverständnis zum Betreten der Hütte durch W vor. Gleichwohl geht W vom tatsächlichen Vorliegen dieses Einverständnisses aus, so dass es ihm insoweit an dem erforderlichen Vorsatz fehlt.

Im umgekehrten Fall läge ein untauglicher Versuch vor: B hat das Herz tatsächlich aufgehängt, um vorbeikommenden Wanderern die Möglichkeit des Unterschlupfes zu bieten. W glaubt jedoch, dass dieses Herz ausschließlich für die Freundin aufgehängt worden ist, tritt aber gleichwohl ein, weil er friert und müde ist.

In diesem Fall ist der objektive Tatbestand nicht verwirklicht, da ein tatbestandsausschließendes Einverständnis faktisch vorliegt. Da W dieses jedoch nicht kennt, liegt der Handlungsunwert des Hausfriedensbruchs nach § 123 vor, so dass W einen versuchten Hausfriedensbruch begangen hat, der jedoch straflos ist.

III. Die rechtfertigende Einwilligung

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Bei der rechtfertigenden Einwilligung ist zu unterscheiden zwischen der tatsächlich vorliegenden und der mutmaßlichen Einwilligung.

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1. Die tatsächliche rechtfertigende Einwilligung

 

a) Überblick

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Die rechtfertigende Einwilligung basiert auf dem aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gem. Art. 2 Abs. 1 GG resultierenden Autonomieprinzip. Sie ist gesetzlich nicht geregelt, wird aber in § 228 als möglich vorausgesetzt. Die gewohnheitsrechtlich entwickelten Voraussetzungen sind umfangreicher als jene des tatbestandsausschließenden Einverständnisses.

Die rechtfertigende Einwilligung müssen Sie in der Klausur wie folgt prüfen:

Prüfungsschema

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Wie prüft man: Die rechtfertigende Einwilligung

I.

Objektive Voraussetzungen

 

1.

Der Rechtsgüterverzicht muss rechtlich zulässig sein (Disponibilität des geschützten Rechtsgutes).

 

2.

Die Einwilligung muss vor der Tat erteilt worden sein und zum Tatzeitpunkt noch fortbestehen.

 

3.

Die Einwilligung muss nach außen ausdrücklich oder konkludent kundgegeben worden sein.

 

4.

Es muss Einwilligungsfähigkeit vorliegen.

 

5.

Die Einwilligung muss ernstlich und frei von Willensmängeln sein.

 

6.

§ 228 bei Körperverletzungen: Die Tat darf nicht gegen die guten Sitten verstoßen.

II.

Subjektive Voraussetzungen

 

 

Der Täter muss in Kenntnis und aufgrund der Einwilligung handeln.

b) Voraussetzungen

aa) Disponibles Rechtsgut

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Voraussetzung für die Einwilligung ist zunächst, dass der Rechtsgutsinhaber über ein disponibles Rechtsgut verfügt. Die Einwilligung kann sich mithin nur auf Individualrechtsgüter, nicht jedoch auf Rechtsgüter der Allgemeinheit beziehen, da bei Letzteren ein Einzelner nicht wirksam einwilligen kann.

Beispiel

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A setzt sich mit 1,3 Promille an das Steuer seines Fahrzeuges und bringt seine Freundin F, die weiß, dass A nicht mehr fahrtüchtig ist, ihn aber gleichwohl bittet, sie nach Hause zu fahren, bis zur Haustüre.

Hier hat A sich gem. § 316 strafbar gemacht. Eine Rechtfertigung durch F kommt nicht in Betracht, da § 316 die Sicherheit des allgemeinen Straßenverkehrs schützt, F mithin in diese Verletzung nicht einwilligen kann.

Es gibt aber Normen, die sowohl Universal- als auch Individualrechtsgüter schützen. So schützt § 315c Abs. 1 sowohl die Sicherheit des Straßenverkehrs als auch Leib, Leben und fremde Sachen von bedeutendem Wert. Streitig ist in solchen Fällen, ob nicht eine Teileinwilligung in Betracht kommen könnte, wenn die Individualrechtsgutsträger mit der Gefährdung einverstanden sind.Dazu im Überblick Rengier Strafrecht AT § 17 Rn. 22. Wir werden uns ausführlicher mit dem Thema bei den Straßenverkehrsdelikten im Skript „Strafrecht BT III“ befassen, vorab aber schon ein.

Beispiel

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A überredet seine alkoholisierte Freundin F, ihn nachts nach Hause zu fahren. F hat zum Tatzeitpunkt einen BAK Wert 1,3 Promille und ist absolut fahruntauglich, was sowohl sie als auch er wissen. Gleichwohl kommt sie der Bitte des A nach. Auf dem Weg kommt sie alkoholbedingt von der Straße ab und kollidiert beinahe mit einem Müllcontainer.

Hier ist der objektive Tatbestand des § 315c Abs. 1 Nr. 1a verwirklicht. Die einzig gefährdete Person war aber A, der aufgrund der Kollision hätte Verletzungen davontragen können. Dieser hat nun aber in die Gefährdung seiner körperlichen Integrität eingewilligt. Vertreten kann man nun, dass der Erfolgsunwert der individuellen Gefährdung aufgehoben ist über die Einwilligung, so dass nur eine Strafbarkeit gem. § 316 übrig bleibt. Genauso gut ist vertretbar, dass die Rechtfertigung innerhalb einer Norm nicht teilbar ist, so dass es bei einer Strafbarkeit aus § 315c Abs. 1 Nr. 1a bleibt.

Hinweis

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Achten Sie also beim Lernen des Besonderen Teils des Strafrechts darauf, dass Sie sich bei jeder Norm das geschützte Rechtsgut einprägen!

Darüber hinaus ergibt sich aus § 216, dass das Rechtsgut „Leben“ grundsätzlich nicht disponibel ist, da trotz Vorliegens einer entsprechenden Einwilligung (= ernstliches Verlangen, aufgrund dessen der Täter bestimmt wurde) der Täter strafbar bleibt.

Daraus folgt, dass die aktive Sterbehilfe, bei welcher der Täter dem Opfer z.B. ein Medikament injiziert, welches zum Tod führt, strafbar gem. § 216 ist. Die früher sogenannte passive Sterbehilfe ist hingegen unter gewissen Voraussetzungen straflos. Sie unterfällt nunmehr dem Begriff „medizinischer Behandlungsabbruch“. Beim medizinischen Behandlungsabbruch müssen Sie sich mit den §§ 1827 ff. BGB befassen, welche die Voraussetzungen einer rechtfertigenden Einwilligung normieren. Sofern gem. § 1827 Abs. 1 BGB tatsächlich eine Patientenverfügung vorliegt, welche medizinische Behandlungen untersagt, muss der Betreuer diesen Willen umsetzen, ist also aufgrund einer rechtfertigenden Einwilligung straflos. Das gilt ebenfalls für das medizinische Personal. Abs. 2 regelt den Fall, dass keine ausdrückliche Erklärung vorliegt. Dann muss der Wille ermittelt werden, sodass wir bei der mutmaßlichen Einwilligung sind.BGHSt 55, 191; Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT Rn. 481.

bb) Vor der Tat erteilt und zum Zeitpunkt der Tat fortbestehend

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Die Einwilligung muss vor der Tat erteilt worden sein und zum Zeitpunkt der Tat noch fortbestehen. Außerdem muss sie nach außen entweder ausdrücklich oder konkludent erklärt worden sein. Nicht erforderlich ist, dass die Kundgabe gegenüber demjenigen erfolgt, der sich später auf die Einwilligung beruft. Erforderlich ist insoweit nur, dass der spätere Täter von der Einwilligung Kenntnis hat.BGHSt 17, 359; LK-Hirsch Vor § 32 Rn. 111.

cc) Einwilligungsfähigkeit

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Wichtig ist, dass das Opfer einwilligungsfähig ist. Das bedeutet, dass es nach seiner geistigen und sittlichen Reife im Stande sein muss, die Bedeutung und die Tragweite des Verzichts zu erkennen und entsprechend zu beurteilen. Grundsätzlich ist ein bestimmtes Alter dafür nicht erforderlich, so dass auch Minderjährige einwilligungsfähig sein können. Entscheidend ist ausschließlich, dass das Opfer Tragweite und Auswirkungen des Eingriffs voll erfasst. Das Opfer muss den wesentlichen Verlauf des Eingriffs und die Folgen erkannt haben.BGHSt 12, 379 ff.; Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT Rn. 568.


Beispiel

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A und B wollen den Wettstreit um die attraktive F mit den Fäusten zu Ende bringen. Aus diesem Grund verabreden sie sich vor der Kneipe. Es ist ausgemacht, dass der Sieger alleine um die Gunst der F buhlen darf. Allerdings hat B zum Zeitpunkt der Abgabe seiner Erklärung bereits 15 Kölsch und 10 Klare getrunken, so dass er einen BAK-Wert von 2,0 Promille hat. Dementsprechend kann er bereits den ersten Faustschlägen des A nicht Stand halten und geht nach kurzer Zeit mit schweren Prellungen zu Boden.

Eine Rechtfertigung aufgrund ausdrücklicher Einwilligung kommt vorliegend nicht in Betracht, da aufgrund der Alkoholisierung davon ausgegangen werden kann, dass es B an der erforderlichen Einsichtsfähigkeit fehlte.OLG Frankfurt NStZ 1991, 235; BGHSt 4, 88.

Ist der Rechtsgutsträger nicht einwilligungsfähig, so ist an seiner Stelle der gesetzliche Vertreter zur Einwilligung befugt. Bei einem Minderjährigen sind das gem. §§ 1626 ff. BGB die Eltern, bei geistig behinderten oder psychisch erkrankten Erwachsenen der Betreuer gem. §§ 1896 ff. BGB. Möglich ist auch, dass der Rechtsgutsträger eine Vollmacht erteilt für den Fall, dass er selbst keine Entscheidung treffen kann (Patientenverfügung).Verrel NStZ 2003, 449. Beachten Sie aber, dass eine tatsächlich gegebene Einwilligung des gesetzlichen Vertreters unbeachtlich sein kann. 

Beispiel

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Arzt A führt in seiner Praxis mit Betäubung die religiös motivierte Beschneidung eines 4-jährigen Jungen durch. Die Eltern des Jungen hatten zuvor die Einwilligung erteilt.

Das LG KölnLG Köln NStZ 2012, 449; dazu auch Putzke MedR 2012, 621. hat die Wirksamkeit der tatsächlich vorliegenden Einwilligung verneint. Es führt aus, dass gem. § 1627 BGB vom Sorgerecht der Eltern nur solche Maßnahmen gedeckt seien, die dem Wohle des Kindes dienten. Abzuwägen seien das Recht der Eltern auf Erziehung ihres Kindes und auf Religionsfreiheit (Art 4 Abs. 1, 6 Abs. 2 GG) auf der einen Seite sowie das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 und 2 GG) auf der anderen Seite. Nach Auffassung des LG Köln überwiege letzteres, so dass eine Einwilligung nicht hätte erteilt werden dürfen. Den Arzt hat es gleichwohl aufgrund eines unvermeidbaren Verbotsirrtums gem. § 17 frei gesprochen.

Der Gesetzgeber hat in die Personensorge der Eltern in § 1631d BGB inzwischen die Beschneidung mit einbezogen, so dass mittlerweile eine wirksame Einwilligung unter den dort normierten Voraussetzungen erteilt werden kann.  

dd) Frei von Täuschung, Drohung und Zwang

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Weitere Voraussetzung ist nach überwiegender Auffassung, dass die Einwilligung ernstlich und frei von Willensmängeln sein muss. Sie ist infolgedessen unwirksam, wenn sie durch Drohung, Täuschung oder Irrtum zustande gekommen ist.OLG Stuttgart NJW 1982, 2266; BGHSt 43, 306 ff.; Jäger Strafrecht AT Rn. 138.

Wichtig ist, dass der Rechtsgutsträger sich über die Folgen und die Tragweite gerade im Hinblick auf das verletzte Rechtsgut im Klaren ist.

Bei einem täuschungsbedingten Irrtum ist umstritten, welcher Art der Irrtum sein muss.  

Beispiel

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Mutter M spiegelt ihrem Ex-Freund F vor, dass er der Vater der 5-jährigen T sei, die schwer erkrankt ist und dringend eine Niere benötigt. Sie überredet zusammen mit dem eingeweihten Arzt A den F zu einer Nierenspende. Später erfährt F, dass es sich gar nicht um seine Tochter handelt und erklärt empört, dass er bei Kenntnis des wahren Sachverhalts niemals seine Niere gespendet hätte.

Stellt man mit der engen Absicht darauf ab, dass der Irrtum nur dann relevant sein soll, wenn er rechtsgutsbezogen ist, wäre Arzt A, der dem F die Niere entnommen hat, gerechtfertigt und straflos. Lässt man hingegen auch einen Motivirrtum ausreichen, hat sich der Arzt gem. § 223 strafbar gemacht.

Nach einer engen Auffassung stehen nur solche Irrtümer einer rechtfertigenden Einwilligung entgegen, die rechtsgutsbezogen sind.Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT Rn. 573. Dies soll der Fall sein, wenn das Opfer über Art, Umfang oder Schwere des Eingriffs irrt. Damit zieht der rechtsgutsbezogene Ansatz den Kreis wirksamer Einwilligungen sehr weit und versagt in Fällen der erschlichenen Organspende. Aus diesem Grund bedingt nach der herrschenden Meinung jeder wesentliche, täuschungsbedingte Irrtum einen relevanten Willensmangel, der die Einwilligung unwirksam werden lässt. Damit sind auch solche Einwilligungen unwirksam, die auf einem Motivirrtum beruhen.BGHSt 16,309; 32, 267; Rengier Strafrecht AT § 23 Rn. 27 m.w.N. Diese Auffassung beruft sich darauf, dass mit der Einbeziehung dieser Irrtümer das Selbstbestimmungsrecht des Opfers am besten geschützt sei.   

Expertentipp

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Nutzen Sie die Gelegenheit und lernen Sie § 223, dargestellt im Skript „Strafrecht BT I“.

ee) Die hypothetische Einwilligung

Bei ärztlichen Heileingriffen muss der Patient über Art, Umfang, Gefahren, Folgen und Ziele der Operation oder sonstigen medizinischen Maßnahme aufgeklärt worden sein, damit die Einwilligung wirksam ist.BGHSt 12, 379.

Beispiel

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Schönheitschirurg A, der sich erst kürzlich niedergelassen hat, überredet die 18-jährige Schülerin S dazu, sich das überflüssige Fett an den Hüften absaugen zu lassen, ohne sie dabei über die möglichen Risiken einer Infektion aufzuklären. Tatsächlich entzündet sich danach das Gewebe, so dass eine weitere Operation notwendig wird.

Eine wirksame Einwilligung liegt hier nicht vor. S ist mit ihren 18 Jahren zunächst einwilligungsfähig. Die Einwilligung leidet jedoch an wesentlichen Willensmängeln, da S nicht vollumfänglich über die Risiken des Eingriffs aufgeklärt ist und mithin nicht in Kenntnis sämtlicher Umstände gehandelt hat. Die Einwilligung könnte von daher aufgrund eines Irrtums unwirksam sein.

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Eine Besonderheit bei Aufklärungsmängeln im Zusammenhang mit ärztlichen Heileingriffen stellt die vom BGH entwickelte Rechtsfigur der hypothetischen Einwilligung dar, die nicht mit der mutmaßlichen Einwilligung verwechselt werden sollte. Bei der hypothetischen Einwilligung handelt es sich um eine im zivilrechtlichen Arzthaftungsrecht entwickelte Rechtsfigur, mit der Aufklärungsmängel „geheilt“ werden können. Danach sollen Aufklärungsmängel im Rahmen der Einwilligung dann unbeachtlich sein, wenn der Patient auch bei einer den Anforderungen genügenden Aufklärung in den Eingriff eingewilligt hätte.BGH NStZ 1996, 34; StV 2004, 376; NStZ 2012, 205; vgl. dazu auch den Fall bei Jäger Strafrecht AT Rn. 146c. Im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsordnung wenden der BGH und einige Literaturvertreter diese Rechtsfigur auch im Strafrecht an.BGH NStZ 1996, 34; StV 2004, 376; NStZ 2012, 205; Kühl Strafrecht AT § ;9 Rn. 47a.

Hinweis

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Beachten Sie, dass in § 630h Abs 2 S. 2 BGB folgendes geregelt ist: „Genügt die Aufklärung nicht den Anforderungen des § 630e, kann der Behandelnde sich darauf berufen, dass der Patient auch im Fall einer ordnungsgemäßen Aufklärung in die Maßnahme eingewilligt hätte.“ Berücksichtigt man das bereits genannte Prinzip der „Einheitlichkeit der Rechtsordnung“, dann hat man ein weiteres Argument zugunsten der hypothetischen Einwilligung.

Beispiel

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Im obigen Beispiel wäre also zu klären, ob S ihre Einwilligung auch erteilt hätte, wenn sie um das Risiko der Infektion gewusst hätte. Wird dies bejaht, ist die Einwilligung, die sie erteilt hat, wirksam und eine Strafbarkeit des Arztes gem. § 223 scheidet aus.

In einem vergleichbaren Fall starb der Patient während einer Fettabsaugung, weil der Arzt die Verabreichung der Narkotika und das Patienten-Monitoring ohne Unterstützung durch einen Anästhesisten selber durchgeführt hatte, über diesen Umstand den Patienten aber nicht aufgeklärt hatte.BGH NStZ-RR 2007, 340. Da der Patient verstorben war, musste die hypothetische Einwilligung anhand objektiver Umstände ermittelt werden (wie Sie sehen, gibt es hier eine deutliche Parallele zur mutmaßlichen Einwilligung!). Der BGH hat deutlich gemacht, dass sich die Einwilligung in einen ärztlichen Heileingriff nur auf eine lege artis durchgeführte Behandlung beziehen könne, der durchgeführte Eingriff diese Anforderungen aber nicht erfülle. Da es sich zudem nicht um eine lebensrettende, eilbedürfte Operation gehandelt hat, wurde die hypothetische Einwilligung verneint.  

Eine solche „ex post“ Klärung birgt vom psychologischen Ansatz her Probleme, da man hypothetisch nach erfolgter Operation kaum wird klären können, ob man zuvor eingewilligt hätte. Diese Entscheidung wird maßgeblich vom Erfolg der bereits durchgeführten Operation abhängen. Zudem wird mit der hypothetischen Einwilligung die Sperrwirkung der tatsächlichen Einwilligung gegenüber der mutmaßlichen Einwilligung unterlaufen und das Selbstbestimmungsrecht des Patienten geschwächt. Aus diesem Grund wird dieses Rechtsinstitut in der Literatur zum großen Teil abgelehnt.Putzke Rechtspfleger Studienhefte 2012, 65; Sowada NStZ 2012, 1 mit einer ausführlichen Darstellung der Problematik und weiteren Nachweisen; Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT Rn. 599 m.w.N.

Hinweis

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Liegen die Voraussetzungen einer hypothetischen Einwilligung nicht vor, glaubt aber der Arzt irrig während des Eingriffs, der Patient hätte auch bei Kenntnis sämtlicher Umstände eingewilligt, dann befindet sich der Arzt in einem Erlaubnistatbestandsirrtum, der nach h.M. über § 16 Abs. 1 analog gelöst wird.

Weiß der Arzt hingegen, dass die Voraussetzungen nicht vorliegen, der Patient mithin nicht eingewilligt hätte, er den Eingriff aber trotzdem aufgrund der Zweckmäßigkeit durchführen dürfe, handelt es sich um einen Erlaubnisirrtum, der über § 17 zu lösen ist.BGH NStZ 2012, 205.

ff) § 228 bei Körperverletzungsdelikten

213

Bei Eingriffen in die körperliche Integrität ist darüber hinaus § 228 zu berücksichtigen. Danach darf die Tat nicht gegen die guten Sitten verstoßen. Entscheidend ist, dass nicht die Einwilligung, sondern die Tat als solche sittenwidrig sein muss.

§ 228 ist nicht nur bei einer vorsätzlichen Körperverletzung gem. § 223, sondern auch bei einer fahrlässigen Körperverletzung gem. § 229 und bei einer fahrlässigen Tötung gem. § 222 zu beachten. Wesentlich ist, dass die Opfer hier nicht in die Verletzung einwilligen, da diese ja weder vom Vorsatz des Täters noch von ihrem eigenen Vorsatz umfasst ist, sondern in Ausführung der sorgfaltspflichtwidrigen und gefährlichen Handlung. Bei der fahrlässigen Tötung wird die Tat aber in der Regel nach den nachfolgend dargestellten Grundsätzen gegen die guten Sitten verstoßen, so dass eine Einwilligung zwar theoretisch möglich, praktisch aber immer aufgrund von § 228 unwirksam sein wird.Fischer StGB § 228 Rn. 4.

Um die Sittenwidrigkeit zu bestimmen, werden vor allem der Grad der Gefährdung sowie das ex ante betrachtete, drohende Ausmaß der Körperverletzung herangezogen. Ausnahmsweise wird dann ergänzend der mit der Körperverletzung verfolgte Zweck mit einbezogen.Jäger Strafrecht AT Rn. 146c; Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT Rn. 562. Zusätzlich können gesetzliche Wertungen berücksichtigt werden. So kann sich aus § 231 die Sittenwidrigkeit von verabredeten Schlägereien und aus § 216 die Sittenwidrigkeit von lebensgefährdenden Handlungen ergeben.BGH NStZ 15, 270 („Hooliganschlägerei“).

Expertentipp

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Als Faustregel bei § 228 gilt: Je schwerwiegender die drohende Körperverletzung und je höher das Risiko eines tödlichen Verlaufs ist, desto eher ist Sittenwidrigkeit zu bejahen.

Beispiel

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Der polizeilich gesuchte Schwerverbrecher A lässt sich vom Schönheitschirurgen der Unterwelt in einem mehrstündigen Eingriff ein neues Gesicht verpassen, indem Nase, Kinn, Augen und Wangen verändert werden.

Hier handelt es sich um einen schwerwiegenden operativen Eingriff, dessen Zweck es ist, den A der Strafverfolgung zu entziehen. Die Sittenwidrigkeit ist aufgrund dessen zu bejahen.

Beispiel

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A hat auf Bitten seiner Freundin F diese schon in der Vergangenheit mit sadomasochistischen Spielen beglückt. Dieses Mal soll er die F mittels eines Seidenschals bis zur Bewusstlosigkeit würgen. Trotz erheblicher Bedenken ob der Gefährlichkeit gibt er dem Drängen der F nach. Leider verstirbt F daran.

Da A keinen Tötungsvorsatz hatte, kommt nur eine Körperverletzung mit Todesfolge in Betracht. Der Tatbestand liegt unproblematisch vor. A könnte jedoch aufgrund einer rechtfertigenden Einwilligung straffrei sein. Der BGHBGHSt 49, 166. hat jedoch in Anbetracht der Todesgefahr die Sittenwidrigkeit gem. § 228 bejaht. Hingewiesen hat er u.a. auf § 216 und den sich daraus ergebenden absoluten Schutz des menschlichen Lebens.    

Beispiel

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A und B betreiben mit Leidenschaft das sog. Autosurfen. Während einer auf dem Dach des Fahrzeuges liegt und sich an den Fensterholmen der geöffneten Fenster festhält, steuert der andere das Fahrzeug. Bei einer solchen Aktion fällt nun B vom Dach und erleidet ein schweres Schädel-Hirn-Trauma, das zu Lähmungen und geistiger Behinderung führt.

Auch in diesem Fall wurde in Anbetracht wiederum der Gefahren und des nicht schützenswerten Zwecks die Sittenwidrigkeit der fahrlässigen Körperverletzung bejaht. Das OLG DüsseldorfOLG Düsseldorf NStZ-RR 1997, 325. musste sich aber zunächst mit der Frage beschäftigen, ob im Rahmen des geprüften § 229 nicht eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung des B vorlag, die schon die objektive Zurechnung unterbrochen hätte. Dies wurde jedoch abgelehnt, da A als Fahrzeugführer die Tatherrschaft hatte.    

Beispiel

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A, B und C verabreden sich mit Mitgliedern einer rivalisierenden Jugendbande zu einer einvernehmlichen Schlägerei, die jedoch nur mit Faustschlägen und Tritten ausgeführt werden soll. Erhebliche Verletzungen nehmen Sie dabei billigend in Kauf. Tatsächlich landet Z mit erheblichen Verletzungen auf der Intensivstation.

Der BGHBGH Beschluss vom 25.3.2013 AZ 1 StR 585/12 – abrufbar unter www.bundesgerichtshof.de. hat die Verurteilung wegen mittäterschaftlich begangener, gefährlicher Körperverletzung an Z bestätigt. Eine rechtfertigende Einwilligung wurde unter Hinweis auf § 228 verneint. Die Sittenwidrigkeit wurde mit der Eskalationsgefahr von Schlägereien begründet. Hier können Sie auch mit dem Rechtsgedanken des § 231 arbeiten.

Expertentipp

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Was dem Anstandsgefühl zuwider läuft, kann sehr unterschiedlich beurteilt werden. In der Klausur können Sie daher an dieser Stelle vieles vertreten. Wichtig ist wie stets, dass Sie dem Korrektor eine nachvollziehbare Argumentation liefern.

 

gg) Subjektives Element

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Wie bei allen Rechtfertigungsgründen muss der Täter schließlich auch bei der rechtfertigenden Einwilligung in Kenntnis und aufgrund der Einwilligung gehandelt haben.

2. Die mutmaßliche rechtfertigende Einwilligung

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Nachdem Sie die tatsächliche Einwilligung (zumindest gedanklich) angeprüft und festgestellt haben, dass sie nicht vorliegt und auch nicht einholbar ist, können Sie danach fragen, ob der Täter aufgrund einer mutmaßlichen Einwilligung gerechtfertigt sein könnte.

Bei der mutmaßlichen Einwilligung handelt es sich um einen eigenständigen, gewohnheitsrechtlich anerkannten Rechtfertigungsgrund, der aber immer nur dann Anwendung findet, wenn eine wirksame Einwilligung nicht vorliegt.

Die mutmaßliche Einwilligung basiert auf zwei Prinzipien:

Prinzip der Geschäftsführung ohne Auftrag: Das Handeln des Täters liegt im materiellen Interesse des Betroffenen.

Prinzip des mangelnden Interesses: Der Rechtsgutsträger hat an der Rechtsgutserhaltung kein Interesse.

216

Das Prinzip der Geschäftsführung ohne Auftrag ist vor allem bei medizinischen Eingriffen von Ärzten von Bedeutung, so z.B. wenn Gefahr im Verzug ist und die Einwilligung des Betroffenen nicht oder nicht rechtzeitig eingeholt werden kann.

Beispiel

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Motorradfahrer M wird bewusstlos ins Krankenhaus geliefert. Zur Erhaltung seines Lebens ist es dringend erforderlich, M zu operieren.

Hier kann aufgrund der Bewusstlosigkeit des M eine tatsächliche Einwilligung nicht eingeholt werden. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass die Durchführung der Operation im Interesse des Betroffenen liegt.

Beim Prinzip des mangelnden Interesses beruht die Einwilligung darauf, dass es an einem schutzwürdigen Erhaltungsinteresse des Betroffenen fehlt.

Beispiel

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Anwältin A gibt der Sekretärin S 50 €, damit diese einen schönen Strauß Blumen besorgt, den sie abends ihrer Frau schenken möchte. S bezahlt im Blumenladen jedoch nicht mit dem von A übergebenen 50-Euro-Schein, sondern mit ihrem eigenen, da ihr eigener Euroschein bereits eingerissen und verdreckt ist, so dass sie ihn gerne loswerden möchte.

Hier liegt keine Unterschlagung am 50-Euro-Schein vor, da von einer mutmaßlichen Einwilligung der A ausgegangen werden kann aufgrund des fehlenden, schutzwürdigen Erhaltungsinteresses.

217

Die Fälle des Handelns im materiellen Interesse des Betroffenen sind die weitaus häufigeren. Die Voraussetzungen der mutmaßlichen Einwilligung sind die nachfolgenden:

Prüfungsschema

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Wie prüft man: Die mutmaßliche Einwilligung

I.

Objektive Voraussetzungen

 

1.

Disponibles Rechtsgut

 

2.

Subsidiarität der mutmaßlichen gegenüber der erklärten Einwilligung

 

3.

Übereinstimmung mit dem hypothetischen Willen des Rechtsgutsträgers

 

4.

Keine Sittenwidrigkeit gem. § 228

II.

Subjektive Voraussetzungen

 

 

Der Wille, im Sinne des Einwilligungsberechtigten zu handeln und eine gewissenhafte Prüfung des hypothetischen Willens

In der Klausur müssen Sie zunächst beachten, dass – wie bereits angemerkt – die mutmaßliche Einwilligung subsidiär ist gegenüber der ausdrücklich erklärten Einwilligung. Daraus folgt, dass ein erkennbar entgegenstehender Wille des Rechtsgutsträgers, auch wenn er bei objektiver Betrachtung absolut unvernünftig ist, stets zu beachten ist.

Beispiel

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Patient P kann nur durch eine Nierentransplantation gerettet werden. Obwohl Arzt A ihm erklärt, dass eine Spenderniere gefunden wurde, lehnt P die Operation ab. Sofern der Arzt die Operation nunmehr gleichwohl durchführt, kann er sich nicht auf eine mutmaßliche Einwilligung berufen, da ein entgegenstehender Wille des P ihm diese Möglichkeit versperrt.

Aus der Subsidiarität ergibt sich ferner, dass es erforderlich ist, den Rechtsgutsträger vorher zu befragen. Nur wenn diese Möglichkeit nicht gegeben ist, ist Raum für die mutmaßliche Einwilligung. Auf eine Befragung kann verzichtet werden, wenn dadurch ein größerer Schaden entstehen würde.

Beispiel

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Ärztin A stellt bei einer Blinddarmoperation fest, dass sich ein Tumor im Darm entwickelt hat, den sie mit herausnehmen könnte. Hier wäre es verfehlt, von der Ärztin zu verlangen, dass sie erst diese Operation beendet, dann den Patienten über den Eingriff und die Risiken aufklärt und danach einen zweiten Eingriff durchführt. Beruht der Eingriff auf dem Prinzip mangelnden Interesses, so ist eine vorherige Befragung des Rechtsgutsträgers in aller Regel nicht durchzuführen.

218

Die Einwilligung muss darüber hinaus dem hypothetischen Willen des Dispositionsbefugten entsprechen. Nach dem ex ante Maßstab muss mithin ermittelt werden, welche Entscheidung der Betroffene in der konkreten Situation getroffen hätte. Objektive Kriterien wie die Maßstäbe eines vernünftig Handelnden haben insoweit nur indizielle Bedeutung.Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT Rn. 585 ff.; Jescheck/Weigend Strafrecht AT § 34 VII 3; Maurach/Zipf Strafrecht AT Band 1 § 28 Rn. 12. Sofern es sich um einen medizinischen Behandlungsabbruch handelt, ist § 1901a Abs. 2 BGB zu beachten.

Liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Betroffene sich abweichend von der Norm entschieden hätte, können Sie davon ausgehen, dass der hypothetische Wille mit dem übereinstimmt, was gemeinhin „als normal und vernünftig“ angesehen wird.BGH NJW 1988, 2310 ff.

Subjektiv muss wiederum der Wille vorliegen, im Sinne des Einwilligungsberechtigten und aufgrund der mutmaßlichen Einwilligung zu handeln. Darüber hinaus wird von der h.M. eine gewissenhafte Prüfung der für die hypothetische Einwilligung bedeutsamen Umstände durch den Täter verlangt.OLG Düsseldorf NZV 1991, 77; Jescheck/Weigend Strafrecht AT § 34 VII 3.

Beispiel

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Wenn in obigem Transplantationsfall (Rn. 217) der Patient bereits ins Koma gefallen ist, darf Arzt A gleichwohl die Transplantation nicht vornehmen, wenn er weiß, dass P einer religiösen Gemeinschaft angehörte, die derartige Nierentransplantationen verbietet, da in diesem Fall davon ausgegangen werden muss, dass der mutmaßliche Wille nicht auf die Vornahme des Eingriffs gerichtet wäre. Was Arzt A selbst über diesen Eingriff denkt, ist insofern irrelevant.

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