Staatsorganisationsrecht

Die besondere Stellung der Parteien nach dem Grundgesetz

2. Die besondere Stellung der Parteien nach dem Grundgesetz

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Die besondere Funktion der Parteien wird von Art. 21 GG aufgenommen. Die Vorschrift stellt bestimmte Anforderungen an Parteien und verleiht ihnen Rechte.

Einfachgesetzliche Regelungen für die Parteien finden sich im nach Art. 21 Abs. 3 GG erlassenen Parteiengesetz. Die wichtigsten Punkte sind:

Eine Partei und ihre Gebietsverbände der jeweils höchsten Stufe, in der Regel Landesverbände, können unter ihrem Namen klagen und verklagt werden. Dies gilt auch dann, wenn die Partei ein nicht-rechtsfähiger Verein sein sollte (Abweichung von § 54 S. 2 BGB in § 3 PartG).

Eine Partei hat Anspruch auf Gleichbehandlung mit anderen Parteien durch die öffentliche Gewalt gem. § 5 PartG.

Eine Partei muss eine schriftliche Satzung und ein schriftliches Programm haben (§ 6 Abs. 1 PartG).

Die innere Ordnung der Parteien muss auf der Grundlage der Satzung demokratischen Grundsätzen entsprechen. Das Nähere wird in den §§ 6 ff. PartG geregelt.

Die Parteien haben Anspruch auf staatliche Finanzierung, deren Bemessung in erster Linie an den Wahlerfolg anknüpft (§§ 18 ff. PartG).

Die Parteien sind verpflichtet, über die Herkunft und die Verwendung der Mittel, die ihnen pro Kalenderjahr zufließen, öffentlich Rechenschaft zu geben (§ 23 ff. PartG).

Ebenfalls von wichtiger Relevanz sind Regelungen über das Aufstellungsverfahren für Wahlkreis- und Listenkandidaten der Parteien nach den §§ 21 ff. BWahlG.

a) Die Gründungs- und Betätigungsfreiheit von Parteien

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Expertentipp

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Kommentieren Sie sich die einschlägigen Vorschriften des PartG bei Art. 21 GG.

Die die Staatsorgane tragenden Mehrheitsparteien könnten ein Interesse daran haben, bereits im Vorfeld des Willensbildungsprozesses die Gründung von konkurrierenden Parteien zu unterbinden bzw. bestehende Parteien zu verbieten. Dieses Phänomen ist in totalitären Staaten mit einem Einparteiensystem, wie beispielsweise während der nationalsozialistischen Herrschaft, zu beobachten.

Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG bestimmt daher, dass die Gründung von Parteien frei ist. Die Gründung erfolgt grundsätzlich ohne Zulassungs- oder Genehmigungsverfahren traditionell als nicht-rechtsfähiger Verein durch Rechtsgeschäft des bürgerlichen Rechts.

Eine Folge der Gründungs- und Betätigungsfreiheit einer Partei ist, dass die Aufnahme von Mitgliedern grds. im Ermessen der Partei steht.

Hinweis

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Einerseits gebietet Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG den Parteien als Institution des Verfassungslebens eine demokratische Binnenstruktur. Andererseits ist ihnen wegen des Gebots der Parteienfreiheit die Gestaltung ihrer inneren Ordnung zu belassen. Hieraus folgt, dass es keinen grundsätzlichen Anspruch des Bürgers auf den Beitritt und auf den Verbleib in einer Partei geben kann. Insbesondere die Aufnahme von Mitgliedern steht im Ermessen der Partei (vgl. § 10 Abs. 1 S. 1 PartG). Dies ergibt sich auch aus der in Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG verankerten Gründungsfreiheit, die auch die freie Programmgestaltung der Partei und damit die Freiheit der Parteien, ihre programmatische Ausrichtung durch die Aufnahme nur bestimmter Mitglieder zu verfolgen, mit umfasst. Aus Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG folgt lediglich, dass der Mitgliedsantrag nicht willkürlich abgelehnt werden kann.

Hinweis

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Der Ausschluss von Mitgliedern aus der Partei ist einfachgesetzlich in §§ 10 Abs. 4 und 5 PartG eingehender geregelt und an engere Voraussetzungen geknüpft.

b) Chancengleichheit der Parteien

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Expertentipp

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Das Recht auf Chancengleichheit hängt eng mit der amtlichen Neutralitätspflicht zusammen. Vgl. Sie hierzu Rn. 21.

Zu den besonderen Rechten gehört die Chancengleichheit der Parteien. Diese ergibt sich aus der besonderen Stellung der Parteien in Art. 21 GG i.V.m. dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Im Rahmen des Wahlkampfes und bei der Wahl selbst leitet sich der Anspruch auf chancengleiche Behandlung aus Art. 21 Abs. 1 i.V.m. dem Grundsatz der Gleichheit der Wahl des Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG ab.Ständige Rspr., vgl. BVerfGE 91, 262, 269.

Die politischen Parteien müssen danach die gleichen Möglichkeiten haben, an dem Willensbildungsprozess der Gesellschaft mitzuwirken. Der Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien bedeutet bei einer Wahl, dass die Rechtsordnung jeder Partei grundsätzlich die gleichen Möglichkeiten im Wahlkampf und Wahlverfahren und damit die gleiche Chance im Wettbewerb um die Wählerstimmen gewährleistet. Es müssen jedoch nicht Unterschiede ausgeglichen werden, die sich aus der unterschiedlichen Größe, Leistungsfähigkeit und politischen Zielsetzung der Parteien ergeben. Der Staat muss lediglich alle Parteien formal gleich behandeln; für eine Ungleichbehandlung müssen zwingende GründeBVerfGE 111, 54, 105. vorliegen.   

Beispiel

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Deshalb bedarf die Fünf-Prozent-Sperrklausel, die Parteien unterhalb dieser Schwelle bei der Vergabe von Mandaten grds. nicht berücksichtigt, zwingender Gründe. Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist bei Bundestags- und Landtagswahlen die „Sicherung des Charakters der Wahl als eines Integrationsvorgangs bei der politischen Willensbildung des Volkes und die Gewährleistung der Funktionsfähigkeit der zu wählenden Volksvertretung“BVerfGE 95, 408, 418. ein besonders wichtiger Grund, der den Gesetzgeber ausnahmsweise zu Abweichungen vom Grundsatz der formalen Wahlrechtsgleichheit berechtigt. Die Überwindung der Fünf-Prozent-Hürde ist ein wichtiges Indiz dafür, dass die Partei in der Bevölkerung hinreichend verankert ist und es sich somit um eine politisch ernst zu nehmende Gruppe handelt. S. auch Rn. 95.   

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Die „streng formale“ Chancengleichheit soll nicht nur für den Bereich des Wahlrechts, sondern für das gesamte Vorfeld der Wahlen und somit für die gesamte Tätigkeit der Parteien gelten.BVerfGE 104, 14, 20. So müssen alle Parteien unter gleichen rechtlichen Bedingungen in den Wahlkampf eintreten können.BVerfGE 82, 322, 337. 

Hinweis

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Der Gleichbehandlungsanspruch der Parteien bei staatlicher Leistungsgewährung ist in § 5 PartG konkretisiert. Die Vorschrift soll eine gerechte und angemessene Verteilung von Leistungen an die Parteien gewährleisten. Nach § 5 Abs. 1 S. 2 bis 4 PartG ist eine Differenzierung nach Maßgabe der Bedeutung der Parteien möglich: Prinzip der abgestuften Chancengleichheit.BVerfGE 114, 121, 134 ff.; a.A. teilweise in der Literatur, vgl. Ipsen in Sachs GG Art. 21 Rn. 40 ff.

c) Parteikritische amtliche Äußerungen

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Das Recht auf Chancengleichheit der Parteien wird verletzt, wenn Staatsorgane als solche parteiergreifend zugunsten oder zulasten einer Partei in den Wahlkampf einwirken. Das amtliche Neutralitätsgebot gilt aber nur für amtliche Äußerungen (vgl. hierzu Rn. 20)

Hinweis

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Erkennen Sie die rechtlichen Zusammenhänge des Themas „Amtliche Neutralitätspflicht“ im Hinblick auf das Demokratieprinzip (Rn. 21), die Wahlrechtsgrundsätze (Rn. 22) und die Chancengleichheit der Parteien?

Hierbei gelten nach der Rechtsprechung des BVerfGBVerfGE 136, 323; 138, 102. aufgrund der besonderen Stellung des Bundespräsidenten für dessen Äußerungen andere rechtliche Maßstäbe als für Äußerungen von Mitgliedern der Bundesregierung.

Beispiel

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In einer Gesprächsrunde von mehreren hundert Berufsschülern in einem Schulzentrum ging der Bundespräsident auf die Proteste von Mitgliedern der N-Partei gegen ein Asylbewerberheim ein und sagte u.a. „Wir brauchen Bürger, die auf die Straße gehen und den Spinnern ihre Grenzen aufweisen. Dazu sind sie alle aufgefordert. Ich bin stolz Präsident eines Landes zu sein, in dem die Bürger ihre Demokratie verteidigen.“

       Nach Auffassung des BVerfGBVerfGE 136, 323. finden zwar auch Äußerungen des Bundespräsidenten ihre Grenzen in der Bindung an das Recht der Parteien auf Chancengleichheit, dem Demokratieprinzip sowie der Freiheit und Gleichheit der Wahl. Die verfassungsgerichtliche Kontrolle ist bei Äußerungen des Bundespräsidenten allerdings darauf beschränkt, ob er willkürlich Partei ergreift. Der beschränkte Prüfungsmaßstab hängt mit den besonderen Funktionen des Bundespräsidenten zusammen, der nach außen und innen die BR Deutschland repräsentiert und die Einheit des Staates verkörpert. Diese Repräsentativ- und Integrationsfunktion überlässt dem Bundespräsidenten einen weitgehenden Einschätzungsspielraum. Dessen konkrete Äußerungen hat das BVerfG nicht als willkürliche Parteiergreifung betrachtet, da er zu bürgerschaftlichen Engagement in einer dem Grundgesetz entsprechenden Form der Auseinandersetzung gegenüber politischen Ansichten, von denen Gefahren für die freiheitlich demokratische Grundordnung ausgehen, aufgerufen hat.

In einem anderen Fall ging es um eine Äußerung der Bundesfamilienministerin, die am Rande ihrer Teilnahme an der Verleihung eines Demokratiepreises in einem Zeitungsinterview sich wie folgt geäußert hat: „Auch ich werde im…Wahlkampf mithelfen, alles dafür zu tun, dass es gar nicht so weit kommt bei der Wahl. Ziel Nummer 1 muss sein, dass die NPD nicht in den Landtag kommt.“.

       Auch in diesem Fall hat das BVerfGBVerfGE 138, 102. die wegen der negativen Äußerung erhobene Organklage der N-Partei zurückgewiesen, allerdings mit anderer Begründung. Bei öffentlichen Äußerungen von Mitgliedern der Bundesregierung ist der verfassungsgerichtliche Kontrollmaßstab dichter, da sie – anders als der Bundespräsident – keine integrative, sondern eine staatsleitende Funktion wahrnehmen und das Regierungsprogramm die Vorstellungen der sie tragenden Parteien widerspiegelt. Es ist ihnen daher jede über das bloße Regierungshandeln hinausgehende Maßnahme untersagt, die in parteiergreifender Weise auf den Wettbewerb der Parteien Einfluss nimmt. Im konkreten Fall hat das BVerfG die Äußerungen der Bundesfamilienministerin aber dem (privaten) politischen Meinungskampf zugeordnet. Die beanstandete Äußerung ist ohne Inanspruchnahme staatlicher Autorität oder Amtsressourcen erfolgt (keine Verwendung von Staatssymbolen, kein äußerungsbezogener Einsatz von Sach- oder Finanzmitteln aus ihrem Regierungsamt). Sie ist organisatorisch von der amtlichen Verleihung des Demokratiepreises getrennt (kein Inhalt der Preisverleihungsrede). Auch inhaltlich bezieht sich das Interview in keiner Weise auf ihr Amt als Mitglied der Bundesregierung. 

Prüfungstipp

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Die beiden vom BVerfG im Ergebnis unterschiedlich entschiedenen Fälle parteiergreifender Stellungnahmen von Regierungsmitgliedern in Erl. 20 (Äußerung des Bundesinnenministers auf der Homepage des Ministeriums) und in dieser Erl. (Äußerung der Bundesfamilienministerin im privaten politischen Meinungskampf) zeigen auf, dass in der Klausur jeder einzelne Sachverhalt differenziert zu prüfen ist und der Abgrenzung der amtlichen von der privaten parteipolitischen Äußerung eine wichtige Funktion für die Falllösung zukommt.

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