Staatsorganisationsrecht

Die Normenkontrolle

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1. Die Normenkontrolle

196

Normenkontrolle ist die gerichtliche Prüfung der Vereinbarkeit eines Rechtssatzes mit dem Grundgesetz. Nur das BVerfG darf feststellen, dass ein Gesetz mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist. Wenn ein anderes Gericht ein Gesetz für verfassungswidrig hält und es deshalb nicht anwenden will, muss es zuvor die Entscheidung des BVerfG einholen (konkrete Normenkontrolle). Darüber hinaus können die Bundesregierung, eine Landesregierung oder ein Viertel der Mitglieder des Bundestages die Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm überprüfen lassen (abstrakte Normenkontrolle).

a) Die abstrakte Normenkontrolle

197

Im Gegensatz zur konkreten Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG, die aus Anlass eines bestimmten Rechtsstreits erfolgt, ist die abstrakte Normenkontrolle i.S.d. Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG einzelfallunabhängig. Sie dient einzig und allein dem Ziel, die Gültigkeit oder Ungültigkeit einer Norm zu klären. Man spricht daher von einem objektiven Verfahren zum Schutz der Rechtsordnung.BVerfGE 1, 396, 407. Die Prüfungsvoraussetzungen der abstrakten Normenkontrolle sind in Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, §§ 13 Nr. 6, 76 ff. BVerfGG geregelt.  

Prüfungsschema

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Wie prüft man: „Die abstrakte Normenkontrolle ist erfolgreich, wenn sie zulässig und begründet ist.“

A.

Zulässigkeit

 

 

I.

Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts, Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, § 13 Nr. 6 BVerfGG

 

 

II.

Antragsberechtigung, Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, § 76 Abs. 1 BVerfGG

 

 

 

 

Antrag der Bundesregierung, einer Landesregierung oder eines Viertels der Mitglieder des Bundestages

 

 

III.

Antragsgegenstand, Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, § 76 Abs. 1 BVerfGG

 

 

 

 

Bundes- oder Landesrecht

 

 

 

 

Zu prüfendes Gesetz ist noch nicht in Kraft getreten

Rn. 200

 

IV.

Antragsgrund, Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG

 

 

 

 

„Meinungsverschiedenheiten oder Zweifel“ bzw. § 76 Abs. 1 Nr. 1 BVerfGG: „für nichtig halten“

Rn. 201

 

V.

Besonderes Klarstellungsinteresse

 

 

VI.

Form, § 23 Abs. 1 BVerfGG

 

 

 

 

Schriftliche Begründung

 

B.

Begründetheit

 

 

 

„Der Antrag ist begründet, wenn das X-Gesetz mit Normen des Grundgesetzes nicht vereinbar ist.“ (Prüfungsgegenstand ist ein formelles Bundesgesetz)

 

 

 

Oder:

 

 

 

„Der Antrag ist begründet, wenn das Y-Gesetz mit dem Grundgesetz oder sonstigem Bundesrecht nicht vereinbar ist.“ (Prüfungsgegenstand ist ein Landesgesetz)

 

 

I.

Formelle Rechtmäßigkeit

 

 

 

1.

Zuständigkeit

 

 

 

2.

Verfahren

 

 

 

3.

Form

 

 

II.

Materielle Rechtmäßigkeit

 

C.

Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, § 78 BVerfGG

 

 

 

„Gemäß § 78 S. 1 BVerfGG wird das BVerfG das X-Gesetz für nichtig erklären.“

 

aa) Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der abstrakten Normenkontrolle

198

Aus der objektiven Natur der abstrakten Normenkontrolle folgt, dass es in diesem Verfahren keinen Antragsgegner, keine Antragsbefugnis und keine Antragsfristen gibt. Die Urheber der Norm, deren Unvereinbarkeit mit höherrangigem Recht gerügt wird, sind nicht Antragsgegner. Sie werden gem. § 77 BVerfGG um eine Stellungnahme gebeten und insoweit an dem Verfahren beteiligt.

(1) Antragsberechtigung

199

Wer zur Einleitung eines abstrakten Normkontrollverfahrens berechtigt ist, wird in § 76 BVerfGG abschließend festgelegt: die Bundesregierung, jede Landesregierung und ein Viertel der Mitglieder des Bundestages. Der Bundesrat ist nicht antragsberechtigt. Dies ist auch nicht erforderlich, weil die Landesregierungen ein Antragsrecht haben. So können sie z.B. Bundesgesetze überprüfen lassen, die möglicherweise in die Zuständigkeit der Länder eingreifen.

Das niedrige Quorum im Bundestag ermöglicht es in der Regel der parlamentarischen Opposition, eine abstrakte Normenkontrolle einzuleiten. Dieses Quorum dient, ebenso wie die Antragsberechtigung der Landesregierungen, dem Minderheitenschutz.

Hinweis

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Als objektives Beanstandungsverfahren kennt die abstrakte Normenkontrolle keinen Antragsgegner.

(2) Antragsgegenstand

200

Expertentipp

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Machen Sie sich hier den wesentlichen Unterschied zur konkreten Normenkontrolle klar, bei der ein förmliches, nachkonstitutionelles Gesetz notwendig ist.

Antragsgegenstand kann jede Rechtsnorm des Bundes oder eines Landes jeglicher Rangstufe (formelles Gesetz, Rechtsverordnung, Satzung) sein.

Beispiel

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Im Rahmen einer abstrakten Normenkontrolle könnte die Vereinbarkeit der Rechtsverordnung eines Landes mit einer Bundesrechtsverordnung geklärt werden.

Das zu prüfende Gesetz ist noch nicht in Kraft getreten. Grundsätzlich muss es sich bei der zu prüfenden Norm um bestehendes, geltendes Recht handeln. Von diesem Grundsatz wird aber eine Ausnahme gemacht, wenn ein Gesetz zwar noch nicht in Kraft getreten, wohl aber nach Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG verkündet ist. Begründen lässt sich diese Ausnahme damit, dass die Tätigkeit aller am Rechtsetzungsverfahren beteiligten Organe abgeschlossen und die Geltung lediglich noch eine Frage des Zeitablaufs ist.BVerfGE 1, 396, 400. Nach dem Außerkrafttreten einer Norm kann ein Normenkontrollverfahren solange eingeleitet werden, wie die Norm Rechtswirkungen hat. 

Hinweis

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Kein zulässiger Antragsgegenstand eines abstrakten Normenkontrollverfahrens sind Verordnungen und Richtlinien der Europäischen Union. Sie liegen außerhalb der Kontrollkompetenz des BVerfG. Zuständig sind der EuGH und das Europäische Gericht Erster Instanz.

(3) Antragsgrund

201

Zulässiger Antragsgrund sind Meinungsverschiedenheiten oder Zweifel über die Vereinbarkeit des Prüfungsgegenstandes mit höherrangigem Recht (Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG) bzw. die Überzeugung von der Nichtigkeit der Norm (§ 76 BVerfGG).

Gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG reichen „Meinungsverschiedenheiten oder Zweifel“ über die Rechtmäßigkeit des Gesetzes aus, während § 76 Abs. 1 Nr. 1 BVerfGG darüber hinausgehend verlangt, dass der Antragsteller die Norm für nichtig hält. Einfaches Gesetzesrecht kann jedoch ein nach der Verfassung bestehendes Antragsrecht nicht einschränken, so dass wegen des Geltungsvorrangs des Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG Meinungsverschiedenheiten oder Zweifel als Antragsgrund ausreichen. § 76 BVerfGG muss hier verfassungskonform im Sinne von Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG interpretiert werden.BVerfGE 96, 133, 137.

Gem. § 76 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG kann ein Normenkontrollverfahren auch das Ziel haben, die Vereinbarkeit von Bundes- oder Landesrecht mit höherrangigem Recht positiv festzustellen – ein sog. Normbestätigungsverfahren.

Expertentipp

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Zur konkurrierenden Gesetzgebung s. Rn. 232 ff.

Ein Sonderfall ergibt sich aus Art. 93 Abs. 1 Nr. 2a GG, § 76 Abs. 2 BVerfGG. Bundesgesetze, die im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung erlassen worden sind, können darauf geprüft werden, ob sie mit der Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG vereinbar sind. Art. 93 Abs. 1 Nr. 2a GG erweitert für diesen Sonderfall den Kreis der Antragsberechtigten: Zusätzlich zu den Landesregierungen sind die Landtage und der Bundesrat antragsberechtigt.

(4) Besonderes Klarstellungsinteresse

202

Das BVerfG verlangt als ungeschriebene Zulässigkeitsvoraussetzung ein „besonderes objektives Interesse an der Klarstellung der Geltung“ der zur Prüfung gestellten Norm. Ein solches Interesse wird bei einem Antrag auf Normverwerfung (§ 76 Abs. 1 Nr. 1 BVerfGG) als gegeben angesehen, wenn der Antragsteller von der Nichtigkeit „überzeugt“ ist. Das objektive Klarstellungsinteresse entfällt nur in Ausnahmefällen, wenn etwa eine verfassungsgerichtliche Entscheidung über die Antrag bereits ergangen ist oder die angegriffene Bestimmung außer Kraft getreten ist und keine Wirkungen mehr entfaltet. Im Falle eines Antrags auf Normbestätigung (§ 76 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG) wird verlangt, dass eine zuständige Stelle die fragliche Norm tatsächlich nicht angewendet hat.BVerfGE 106, 244, 250.

Hinweis

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Das Klarstellungsinteresse wird durch die Möglichkeit anderer Rechtsschutzformen nicht berührt. Selbst wenn daher der Antragsteller sein Begehren im Wege eines Organstreits oder einer Bund-Länder-Streitigkeit geltend machen könnte, wird dadurch die Zulässigkeit der abstrakten Normenkontrolle nicht eingeschränkt.

Es ist nicht notwendig, dass der Antragsteller von der zu überprüfenden Norm betroffen ist. Auf ein Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers kommt es nicht an.

Hinweis

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Der Antrag der abstrakten Normenkontrolle ist unbefristet zulässig.

bb) Die Prüfung der Begründetheit der abstrakten Normenkontrolle

203

Die abstrakte Normenkontrolle ist begründet, wenn der Prüfungsgegenstand, insbesondere das Bundesgesetz, mit höherrangigem Recht, insbesondere mit dem Grundgesetz, unvereinbar ist, Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG i.V.m. § 78 S. 1 BVerfGG.

Expertentipp

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Beachten Sie bei der Begründetheit, dass der Prüfungsmaßstab sich aus § 78 S. 1 BVerfGG ergibt: Bundesrecht kann nur auf seine Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz, Landesrecht wegen Art. 31 GG auch auf seine Vereinbarkeit mit sonstigem Bundesrecht überprüft werden.

cc) Die Normenkontrollentscheidung des Bundesverfassungsgerichts

204

Gelangt das BVerfG zu der Überzeugung, dass eine ihm zur Prüfung vorgelegte Norm mit höherrangigem Recht unvereinbar ist, so erklärt es diese Norm gem. § 78 S. 1 BVerfGG grundsätzlich für nichtig. Gem. § 31 Abs. 2 BVerfGG hat die Entscheidung des BVerfG Gesetzeskraft. Sie wird – wie jedes Gesetz auch – im Bundesgesetzblatt veröffentlicht.

Ist ein Gesetz teilweise verfassungswidrig, so wird es vom BVerfG insgesamt für nichtig erklärt, wenn der verbleibende, nicht verfassungswidrige Rest, isoliert betrachtet, keinen Sinn mehr macht und vom Gesetzgeber nicht isoliert erlassen worden wäre. In den Fällen der Teilnichtigkeit kommt es also darauf an, ob das Gesetz teilbar ist oder ob es eine Sinneinheit darstellt.Vertiefend zur abstrakten Normenkontrolle Hillgruber/Goos Verfassungsrecht Rn. 491 ff.

b) Die konkrete Normenkontrolle (Richtervorlage)

205

Wenn ein Gericht bei einem konkreten, aktuell verhandelten Fall, der Meinung ist, dass das dabei anzuwendende Recht nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist, dann muss dieses Gericht das laufende Verfahren unterbrechen und eine Entscheidung des BVerfG abwarten. Dieses Verfahren wird konkrete Normenkontrolle oder Richtervorlage genannt. Schließt das BVerfG sich der Auffassung des vorlegenden Gerichtes an, so wird die Norm vom BVerfG für nichtig erklärt. Dies hat für das vorlegende Gericht die Folge, dass es diese Norm nicht anzuwenden braucht. Schließt das BVerfG sich dagegen der Auffassung des vorlegenden Gerichtes nicht an, so ist dies für das vorlegende Gericht verbindlich. Es muss die Norm anwenden, auch wenn es sie für verfassungswidrig hält.

Hinweis

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Gäbe man jedem Gericht selbst die Kompetenz, ein formelles Gesetz (Parlamentsgesetz) wegen Verfassungswidrigkeit nicht anzuwenden, führte das zu erheblicher Rechtsunsicherheit: Manche Gerichte würden dann eine Norm vielleicht anwenden, weil sie diese Norm für verfassungsgemäß halten. Andere Gerichte, die der gegenteiligen Ansicht sind, würden dieselbe Norm nicht anwenden. Um hier für eine einheitliche Linie zu sorgen, wird die Befugnis, eine Norm für verfassungswidrig zu erklären und nicht anzuwenden, beim BVerfG zentral angesiedelt. Man spricht vom Verwerfungsmonopol des BVerfG für formelle Gesetze.

Sie müssen in den Fällen der konkreten Normenkontrolle also stets zwischen dem Ausgangsverfahren und dem Verfahren vor dem BVerfG unterscheiden. Das Ausgangsverfahren ist das Verfahren, das vor dem vorlegenden Gericht anhängig ist. Dieses Verfahren wird ausgesetzt, wenn das Gericht dem BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG eine Norm zur Prüfung vorlegt. Sobald das BVerfG entschieden hat, wird das Ausgangsverfahren auf der Grundlage der Entscheidung des BVerfG fortgesetzt und zum Abschluss, d.h. zu einer Entscheidung gebracht. Das Normenkontrollverfahren ist insoweit ein Zwischenverfahren.

Die konkrete Normenkontrolle ist in Art. 100 Abs. 1 GG und in den §§ 13 Nr. 11 und 80 ff. BVerfGG geregelt.

Prüfungsschema

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Wie prüft man: „Die konkrete Normenkontrolle ist erfolgreich, wenn sie zulässig und begründet ist.“

A.

Zulässigkeit

 

 

I.

Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts, Art. 100 Abs. 1 GG,

 

 

 

 

§ 13 Nr. 11 BVerfGG

 

 

II.

Antragsberechtigung, Art. 100 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 GG

 

 

 

 

Gericht

 

 

III.

Antragsgegenstand, Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG

 

 

 

 

Gesetz

 

 

IV.

Richterliche Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes, Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG

 

 

 

 

„Hält . . . für verfassungswidrig“

 

 

 

 

Mehrheit des Gerichts hat lediglich Zweifel

Rn. 209

 

 

 

Möglichkeit verfassungskonformer Auslegung

Rn. 209

 

V.

Entscheidungserheblichkeit, Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG

 

 

 

 

„auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt“

 

 

 

 

Kein anderes Ergebnis bei Verfassungsmäßigkeit

Rn. 210

 

 

 

Vorlagepflicht bei Mehrfachvorlagen

Rn. 210

 

VI.

Form, §§ 23 Abs. 1, 80 Abs. 2 BVerfGG

 

 

 

 

Schriftliche Begründung

 

B.

Begründetheit

 

 

 

„Der Antrag ist begründet, wenn die vorgelegte Norm gegen grundgesetzliche Bestimmungen verstößt.“ (Art. 100 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG)

 

 

 

Oder:

 

 

 

„Der Antrag ist begründet, wenn die vorgelegte Norm gegen grundgesetzliche Bestimmungen oder sonstiges Bundesrecht verstößt.“ (Art. 100 Abs. 1 S. 2 GG)

 

 

I.

Formelle Verfassungsmäßigkeit

 

 

 

1.

Zuständigkeit

 

 

 

2.

Verfahren

 

 

 

3.

Form

 

 

II.

Materielle Verfassungsmäßigkeit

 

C.

Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, §§ 81, 82 Abs. 1 i.V.m. § 78 BVerfGG

 

 

 

„Das BVerfG wird das X-Gesetz gem. §§ 82 Abs. 1, 78 S. 1 BVerfGG für nichtig erklären.“

 

aa) Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der konkreten Normenkontrolle

206

Expertentipp

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Machen Sie sich den Unterschied klar: Die abstrakte Normenkontrolle heißt abstrakt, weil sie unabhängig von einem konkreten Rechtsstreit ist. Bei der konkreten Normenkontrolle hingegen geht es um eine Rechtsnorm, die ein Gericht in einem Rechtsstreit anzuwenden hat.

Die Zulässigkeitsvoraussetzungen entnehmen Sie abschließend dem Art. 100 Abs. 1 GG. § 80 Abs. 1 BVerfGG verweist auf diese Norm. Daraus ergeben sich insbesondere folgende Prüfungspunkte:

(1) Antragsberechtigung

207

Antragsberechtigt sind nur Gerichte. Das sind alle Stellen, die sachlich unabhängig sind, in einem formell gültigen Gesetz mit den Aufgaben eines Gerichtes betraut und als Gerichte bezeichnet werden.BVerfGE 6, 55, 63.

Beispiel

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Kein Gericht im Sinne von Art. 100 Abs. 1 GG ist ein einzelner Rechtspfleger.

(2) Antragsgegenstand

208

Zulässiger Antragsgegenstand nach Art. 100 Abs. 1 GG ist jedes Landes- oder Bundesgesetz. Gemeint ist hier nur das förmliche nachkonstitutionelle Gesetz. Förmliche Gesetze sind Gesetze eines Legislativorgans, hierzu gehören auch das Grundgesetz und die Landesverfassungen.

Beispiel

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Die Straßenverkehrsordnung ist als Bundesrechtsverordnung (vgl. Art. 80 GG, § 6 Abs. 1 StVG) zwar Gesetz im materiellen, nicht aber im formellen Sinne. Sie ist daher kein tauglicher Prüfungsgegenstand.

Nachkonstitutionell sind Gesetze, die später als das Grundgesetz, also nach dem 23. Mai 1949 erlassen worden sind. Allerdings kann vorkonstitutionelles Recht dann zulässiger Antragsgegenstand sein, wenn der nachkonstitutionelle Gesetzgeber es in seinen Willen aufgenommen, es also geändert oder neu bekannt gemacht hat.BVerfGE 132, 372, 386; Gersdorf/Heilmann/Bizuga AL 2017, 89, 94.

Beispiel

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Deshalb sind das BGB, das StGB oder die ZPO nachkonstitutionelles Recht, obwohl diese Gesetze ursprünglich weit vor 1949 erlassen worden sind.

Satzungen, Verwaltungsvorschriften und Rechtsverordnungen kann jedes Gericht selbst verwerfen, braucht sie also nicht dem BVerfG zur Prüfung vorzulegen. Das Verfahren der konkreten Normenkontrolle ist dann überflüssig.

Beispiel

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Zur Umsetzung einer Rechtschreibreform müssen sowohl die Bundes- als auch die Landesverwaltung entsprechende Verwaltungsvorschriften erlassen. Im Zuge der letzten Rechtschreibreform kam es in der Folge zu divergierenden Entscheidungen der Verwaltungsgerichte, die zu einer uneinheitlichen Verbindlichkeit der Rechtschreibregeln führte.

Hinweis

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Die Normverwerfungskompetenz des BVerfG betrifft nur förmliche nachkonstitutionelle Gesetze.

(3) Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der Norm

209

Das Vorlagegericht muss gem. Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG die fragliche Norm für verfassungswidrig halten. Dies erfordert die Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit. Zweifel reichen insofern nicht aus. Das BVerfG stellt hier strenge Anforderungen, um zu verhindern, dass es von den Fachgerichten als Instanz zur Klärung schwieriger Rechtsfragen in Anspruch genommen wird. Eine Vorlage aus Neugier oder eine Vorlage aus Unsicherheit wären unzulässig.

Nur einer der Beisitzer ist von der Verfassungswidrigkeit überzeugt, während die Mehrheit des Gerichts lediglich Zweifel hat. Das Gericht hat folglich keinen ausreichenden Grund zur Vorlage.

Das Gericht ist von der Verfassungswidrigkeit der Norm überzeugt. Gleichzeitig ist es der Auffassung, dass es sie durch eine verfassungskonforme Auslegung beheben kann. Diese Möglichkeit schließt die Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit aus, so dass die Vorlage unzulässig ist.

(4) Entscheidungserheblichkeit

210

Ein Gericht kann nicht jedes förmliche nachkonstitutionelle Gesetz dem BVerfG vorlegen. Es muss auf die Gültigkeit der vorgelegten Norm im Ausgangsverfahren ankommen. Auf diese Weise wird eine überflüssige Inanspruchnahme des BVerfG vermieden. Kommt es für die Entscheidung des vorlegenden Gerichts auf die Verfassungsmäßigkeit einer Norm gar nicht an, so ist eine Befassung des BVerfG unzulässig.

Definition

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Definition: Entscheidungserheblich

Entscheidungserheblich in diesem Sinne ist eine Vorschrift, wenn der Ausgangsrechtsstreit bei ihrer Ungültigkeit anders zu entscheiden wäre, als bei ihrer Gültigkeit.

Das Gericht ist von der Verfassungswidrigkeit des anzuwendenden Strafgesetzes überzeugt. Es möchte den Angeklagten aber auch aus anderen Gründen freisprechen. Da die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes zwar zum Freispruch führte, kein anderes Ergebnis aber bei seiner Verfassungsmäßigkeit einträte, ist die Vorlagefrage nicht entscheidungserheblich.

Gem. § 80 Abs. 2 BVerfGG muss das vorlegende Gericht in dem Vorlagebeschluss angeben, inwiefern von der Gültigkeit der Rechtsvorschrift seine Entscheidung abhängig ist und mit welcher übergeordneten Rechtsnorm sie unvereinbar ist.

Hinweis

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Beachten Sie, dass der Antrag nicht an eine Frist gebunden ist.

Vorlagepflicht bei Mehrfachvorlagen: Fraglich ist, ob für ein Gericht eine Vorlagepflicht besteht, wenn das BVerfG mit der konkreten Frage bereits aufgrund einer anderen Richtervorlage beschäftigt ist. Alternativ wäre eine Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung des BVerfG denkbar. Gegen Mehrfachvorlagen spricht der Prüfungsgegenstand, der in beiden Fällen derselbe ist. Eine einzelne Entscheidung hätte wegen § 31 Abs. 2 BVerfGG („Gesetzeskraft“) ohnehin Allgemeinverbindlichkeit. Für Mehrfachvorlagen spricht, dass sich die Erstvorlage u.U. erledigen könnte, ohne dass über die Verfassungswidrigkeit der Normen entschieden wurde (z.B. bei Unzulässigkeit der ersten Vorlage). Vor allem aber ist dem Wortlaut des Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG („ist . . . einzuholen“) keine Einschränkung zu entnehmen. Schließlich bieten Mehrfachvorlagen dem BVerfG auch eine breitere Entscheidungsgrundlage. Somit besteht die Vorlagepflicht.

bb) Die Prüfung der Begründetheit der konkreten Normenkontrolle

211

Für die Sachentscheidung des BVerfG gelten dieselben Regeln wie bei der abstrakten Normenkontrolle. § 82 Abs. 1 BVerfGG verweist auf diese Regeln.Vertiefend Hillgruber/Goos Verfassungsprozessrecht Rn. 566 ff.

Expertentipp

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Beachten Sie bitte, dass sich bei der Prüfung der Begründetheit der Prüfungsmaßstab unmittelbar aus den Obersätzen ergibt. Sie brauchen ihn deshalb nicht separat zu erläutern. Falls Sie ihn dennoch knapp darstellen wollen, könnten Sie wie folgt formulieren:

„Als formelles Bundesgesetz wird das X-Gesetz am gesamten Grundgesetz in sachlicher und förmlicher Hinsicht gemessen.“

„Das Landesgesetz Y wird sowohl am Grundgesetz als auch an sonstigem Bundesrecht gemessen.“

cc) Exkurs: Das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV

212

Ein ähnliches Vorlageverfahren gibt es auf europäischer Ebene: das Vorabentscheidungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gem. Art. 267 AEUV. Danach entscheidet der EuGH im Wege der Vorabentscheidung

über die Auslegung der Verträge,

über die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Organe Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union.

Wird eine derartige Frage einem nationalen Gericht gestellt und hält dieses Gericht eine Entscheidung darüber zum Erlass seines Urteils für erforderlich, so ist die Vorlage vor dem EuGH zulässig. Dabei ist zwischen Instanzgerichten und letztinstanzlichen Gerichten zu unterscheiden: Instanzgerichte können Auslegungsfragen dem EuGH vorlegen; letztinstanzliche Gerichte müssen dies tun. Auf diese Weise wird eine einheitliche Auslegung und Anwendung des Unionsrechts durch die nationalen Gerichte gewährt.

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