Schuldrecht Besonderer Teil 3

Die unentgeltliche Verfügung eines Nichtberechtigten (§ 816 Abs. 1 S. 2 BGB)

II. Die unentgeltliche Verfügung eines Nichtberechtigten (§ 816 Abs. 1 S. 2)

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Prüfungsschema

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Wie prüft man: Anspruch aus § 816 Abs. 1 S. 2 BGB

I.

Anspruchsentstehung

 

 

1.

Verfügung

 

 

2.

eines Nichtberechtigten

 

 

3.

Wirksamkeit gegenüber dem Berechtigten

 

 

4.

Unentgeltlichkeit

 

 

 

 

Analogie bei rechtsgrundlosem Erwerb?

Rn. 314

 

5.

Umfang des Anspruchs (wie im PS zu Rn. 276)

 

 

 

a)

Herausgabe des durch die Verfügung Erlangten

 

 

 

b)

Ersatz für gezogene Nutzungen, § 818 Abs. 1

 

 

 

c)

Herausgabe eines Surrogates, § 818 Abs. 1

 

 

 

d)

Wenn Herausgabe nicht (mehr) möglich: Wertersatz, § 818 Abs. 2

 

 

 

e)

Kein Anspruch bei fehlender Bereicherung
(Siehe dazu im PS unter Rn. 276)

 

II.

Rechtsvernichtende Einwendungen, insbesondere durch Erfüllung, Aufrechnung, nachträgliche Entreicherung (§ 818 Abs. 3)

 

III.

Durchsetzbarkeit

 

 

1.

Fälligkeit

 

 

2.

Einreden

 

308

Ein weiterer Spezialfall der Eingriffskondiktion ist in § 816 Abs. 1 S. 2 BGB enthalten. Hier hat der Entreicherte (also der, in dessen Vermögenssphäre eingegriffen wurde) ausnahmsweise einen Anspruch nicht gegen den Eingreifenden, sondern gegen den Letztempfänger. Entscheidend ist hier das Merkmal der Unentgeltlichkeit. Der Gesetzgeber belässt es also dabei, dass die Verfügung eines Nichtberechtigten z.B. gemäß §§ 932 ff. BGB gegenüber dem Berechtigten wirksam bleibt. Wenn aber die Leistung unentgeltlich erfolgt, wird der „Beschenkte“ als weniger schutzwürdig eingestuft und muss das „Erlangte“ herausgeben.Vgl. Brox/Walker, Besonderes Schuldrecht, § 42 Rn. 23. Juristisch korrekt formuliert ist der unentgeltliche Erwerb vom Nichtberechtigten somit nicht kondiktionsfest.

1. Anspruchsentstehung

a) Wirksame Verfügung eines Nichtberechtigten

309

Die Prüfungen der oben im Schema unter I 1 bis 3 genannten Voraussetzungen des § 816 Abs. 1 S. 2 BGB sind wie bei § 816 Abs. 1 S. 1 BGB durchzuführen.

b) Unentgeltlichkeit

aa) Definition und Normalfall

310

Verschenkt ein Nichtberechtigter einen ihm nicht gehörenden Gegenstand, scheitert die Kondiktion des Berechtigten nach § 816 Abs. 1 S. 1 BGB gegen ihn daran, dass der Nichtberechtigte eben „nichts erlangt“ hat. Folglich kann er nichts herausgeben.Vgl. Brox/Walker, Besonderes Schuldrecht, § 42 Rn. 23.

Hinweis

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Achtung! Natürlich hat der Berechtigte möglicherweise Anspruch auf Schadenersatz gegen den Nichtberechtigten aus anderen Anspruchsgrundlagen. Hier ist insbesondere an §§ 280, 275 oder §§ 823 ff. BGB zu denken.

Deshalb ist Schuldner der Kondiktion nach § 816 Abs. 1 S. 2 BGB auch nicht der Nichtberechtigte, sondern der, der aufgrund der Verfügung unmittelbar einen rechtlichen Vorteil erlangt hat, sofern die Leistung an ihn unentgeltlich war.

Definition

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Definition: Unentgeltlichkeit

Unentgeltlichkeit bedeutet, dass die Leistung unabhängig von einer Gegenleistung erfolgt.Vgl. Palandt/Sprau, BGB § 816 Rn. 14 sowie Palandt/Weidenkaff, BGB § 516 Rn. 8.

311

Dies ist bei einer „reinen“ Schenkung leicht zu beantworten. Der Beschenkte hat einen Vermögensgegenstand, ohne dass er irgendetwas dafür aus seinem Vermögen hingeben musste. Fraglich ist aber die Unentgeltlichkeit, wenn eine gemischte Schenkung vorliegt.

Beispiel

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Nichtberechtigter N „verkauft“ an seinen Neffen D ein ihm nicht gehörendes Auto für einen symbolischen Preis von 1000 €, obwohl der Wagen des E 25 000 € wert ist.

312

Zunächst scheint gegen die Kondiktion des E gegen N die von § 816 Abs. 1 S. 2 BGB verlangte Unentgeltlichkeit zu stehen. N hat schließlich etwas, wenn auch wenig, für das Auto bezahlt. Überwiegt aber bei gemischten Schenkungen der unentgeltliche Teil (wie in unserem Beispiel), wendet die herrschende Meinung § 816 Abs. 1 S. 2 BGB auf die gesamte Verfügung an.Vgl. Palandt/Sprau, BGB § 816 Rn. 14; MüKo BGB/Schwab, BGB § 816 Rn. 70 m.w.N. zum Meinungsstand. N muss daher an E das Auto herausgegeben.

313

Exkurs: Jetzt stellt sich natürlich die Frage, gegen wen N wegen der doch tatsächlich gezahlten 1000 € vorgehen muss. Die Antwort ist einfach. E kann nicht derjenige sein, der diesen Verlust zu tragen hat. Schon im Falle des § 816 Abs. 1 S. 1 BGB war die Gegenleistung nicht abzugsfähig (obwohl diese recht beträchtlich sein kann). Dann kann es erst recht nicht sein, dass der als wenig schutzwürdig angesehene Empfänger einer (überwiegend) unentgeltlichen Zuwendung den entgeltlichen Anteil vom Eigentümer erstattet bekommt. D muss sich wegen der gezahlten 1000 € an E halten und wegen der Nichterfüllung des Vertrages (gemischter Schenkungsvertrag) gegen ihn vorgehen.

bb) Analoge Anwendung des § 816 Abs. 1 S. 2 beim rechtsgrundlosen Erwerb?

314

Fraglich ist, ob nicht § 816 Abs. 1 S. 2 BGB dann analog angewandt werden kann, wenn die Verfügung des Nichtberechtigten zwar nicht unentgeltlich, aber rechtsgrundlos erfolgt ist. Diese Meinung ist in der Tat vertreten worden. Auf den ersten Blick spricht viel für eine solche Analogie, weil z.B. bei der erfolgreichen Anfechtung der Empfänger der Leistung nichts zu zahlen braucht und deshalb genauso schutzunwürdig erscheint, wie der, der kraft Schuldverhältnis (Schenkung) keine Gegenleistung entrichten muss.

315

Die ganz herrschende Meinung lehnt diese als Einheitskonditktionslehre bezeichnete Ansicht ab.Vgl. Looschelders, Schuldrecht BT, § 55 Rn. 29; MüKo BGB/Schwab, BGB § 816 Rn. 61 f., 71. Sie vertritt die Lehre von der Doppelkondiktion, die ihren Namen aus folgendem Grund trägt:   

316

Ein Nichtberechtigter verfügt über einen Gegenstand an einen Dritten aufgrund eines (aus welchen Gründen auch immer) nichtigen Vertrages. Eigentümer E muss nun gegen den Nichtberechtigten aus § 816 Abs. 1 S. 1 BGB vorgehen. „Erlangt“ hat der Nichtberechtigte hier einen Kondiktionsanspruch gegen den Dritten, den er nun als „das Erlangte“ an E abtreten muss („Kondiktion der Kondiktion“ oder eben „Zweikondiktionenlehre“).

Expertentipp

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Sie stellen sich jetzt zu Recht die Frage, ob und wann dieser Streit in einer Klausur zu besprechen ist. Leider hat die Rechtsprechung zwar vor Jahren und in einem speziellen Fall die Einheitslehre angewandt. Somit wäre es unklug, in geeigneten Fällen nicht auf diese Auseinandersetzung einzugehen.

Wir empfehlen:

1. Nur Sachverhalte, bei denen ein Nichtberechtigter aufgrund eines nichtigen Vertrages über eine Sache verfügt, sind geeignet für die Darstellung des Problems.

2. Sie beginnen mit der Kondiktion nach § 816 Abs. 1 S. 2 BGB gegen den Empfänger der Leistung. Beim Merkmal „Unentgeltlichkeit“ stellen sie fest, dass der Vertrag zwischen Verfügendem und Empfänger nicht unentgeltlich war, sondern nur rechtsgrundlos. Dann schreiben Sie beispielsweise:

„Fraglich ist, ob § 816 Abs. 1 S. 2 BGB entsprechend auf die rechtsgrundlose Verfügung eines Nichtberechtigten angewandt werden kann. Eine Ansicht bejaht dies. Das würde dazu führen, dass der Berechtigte mit nur einer Kondiktion gegen den Empfänger der Sache dieselbe herausverlangen kann. Für diese Ansicht spricht, dass der Partner eines nichtigen Vertrages zu keiner Leistung verpflichtet ist und deshalb genauso wenig schutzwürdig scheint, wie derjenige, der die Leistung unentgeltlich erhalten hat.

Dagegen spricht aber entscheidend, dass der Vertragspartner eines nichtigen Vertrages vorgeleistet haben kann. Richtig ist deshalb die Zweikondiktionenlehre der herrschenden Meinung, wonach der Berechtigte gegen den Nichtberechtigten aus § 816 Abs. 1 S. 2 BGB vorgeht und das von diesem Erlangte (nämlich die Kondiktion gegen den Empfänger der Leistung) herausverlangt (Kondiktion der Kondiktion). Aus diesem abgetretenen Recht kann dann der Berechtigte gegen den Empfänger vorgehen.

Ergebnis: Ein direkter Anspruch gegen den Empfänger aus § 816 Abs. 1 S. 2 BGB scheidet mangels Unentgeltlichkeit aus.“

3. Dann stellen Sie kurz die erwähnte Kondiktion der Kondiktion nach § 816 Abs. 1 S. 1 BGB gegen den verfügenden Nichtberechtigten dar. Im Anschluss daran zeigen Sie auf, dass der Berechtigte aus dann abgetretenem Recht die Sache vom Empfänger herausverlangen kann.

c) Umfang

aa) Herausgabe des Erlangten

317

Herausgeben muss der Schuldner der Kondiktion nach § 816 Abs. 1 S. 2 BGB ist das Erlangte, also den unentgeltlich erhaltenen Gegenstand. Ist die Herausgabe unmöglich (Gegenstand ist untergegangen, verloren gegangen usw.), ist nach § 818 Abs. 2 BGB der Wert zu ersetzen.Vgl. Palandt/Sprau, BGB § 816 Rn. 17. In einem solchen Fall liegt natürlich ein Wegfall der Bereicherung (siehe sofort) nahe.   

bb) Kein Wegfall der Bereicherung

Sache ist nicht mehr vorhanden

318

Hat der Schuldner die Sache, die er unentgeltlich erhalten hat, nicht mehr und hat er auch kein Surrogat (z.B. Versicherungsleistung) dafür erhalten, kann er sich gemäß § 818 Abs. 3 BGB auf den Wegfall der Bereicherung berufen mit dem Ergebnis, dass er nichts herausgeben muss. Dies gilt nur dann nicht, wenn er verschärft haftet (siehe Rn. 210 ff.).

Hinweis

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Diese Fallgruppe sollte in der Klausur auf der Ebene „Anspruch erloschen“ als rechtsvernichtende Einwendung geprüft werden.

Sache ist zwar vorhanden, Schuldner hatte jedoch Aufwendungen

319

Der Schuldner auch der Kondiktion nach § 816 Abs. 1 S. 2 BGB kann die Aufwendungen, die er ohne die Sache nicht gehabt hätte, ersetzt verlangen. Dies gilt natürlich dann nicht, sobald er verschärft haftet.

cc) Keine verschärfte Haftung

320

Expertentipp

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Wann tritt Rechtshängigkeit ein? Wenn Sie die Vorschriften aus der ZPO nicht mehr wissen, lesen Sie oben Rn. 213 noch einmal nach.

Wie oben Rn. 211 zur allgemeinen Leistungskondiktion dargestellt, scheitert die Berufung auf den Wegfall der Bereicherung, sobald der Gläubiger seinen Anspruch rechtshängig gemacht hat, § 819 Abs. 4 BGB: Der Grund dafür ist, dass ab diesem Zeitpunkt (spätestens) der Schuldner nicht mehr mit der Dauerhaftigkeit seines Rechtserwerbs rechnen darf und deshalb den (weiteren) Schutz des § 818 Abs. 3 BGB nicht mehr verdient.

321

Wie Sie von der Erörterung der allgemeinen Leistungskondiktion ebenfalls noch wissen, erweitert § 819 Abs. 1 BGB den Anwendungsbereich des § 819 Abs. 4 BGB auf die Fälle, in denen der Schuldner den Mangel des rechtlichen Grundes kannte oder später erfahren hat. Dasselbe gilt für den Schuldner der Durchgriffskondiktion nach § 816 Abs. 1 S. 2 BGB, sobald der Schuldner von der Nichtberechtigung des Verfügenden erfahren hat.

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