Schuldrecht Allgemeiner Teil 2

Tatbestand der Leistungsverzögerung

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A. Tatbestand der Leistungsverzögerung

I. Unterscheidung zwischen Leistungsverzögerung und Verzug

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Den Begriff „Leistungsverzögerung“ verwendet das Gesetz in § 280 Abs. 2, wo es heißt, dass Schadensersatz „wegen Verzögerung der Leistung“ nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 286 verlangt werden kann. § 286 Abs. 1 S. 1 beschreibt die objektiven (Regel-)Voraussetzungen für den Eintritt von Verzug. Danach tritt Verzug ein, wenn der Schuldner auf eine Mahnung des Gläubigers, die nach dem Eintritt der Fälligkeit erfolgt, nicht leistet. Das gilt nach § 286 Abs. 4 allerdings nicht, solange die Leistung infolge eines Umstandes unterbleibt, den der Schuldner nicht zu vertreten hat.

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An dem Verweis des § 280 Abs. 2 auf § 286 erkennen wir zunächst einmal, dass das Gesetz zwischen Leistungsverzögerung und Verzug unterscheidet.

Die Leistungsverzögerung beschreibt das Gesetz in den §§ 281 Abs. 1 S. 1, 323 Abs. 1 in der Weise, dass der Schuldner „eine fällige Leistung nicht erbringt“. Wie wir bereits festgestellt haben, kommt es für das Vorliegen der Nichtleistung als Pflichtverletzung nicht darauf an, worauf die Nichtleistung beruht und ob der Schuldner sie zu vertreten hat.

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Für die Abgrenzung der Pflichtverletzungskategorien „Leistungsverzögerung“ und „Verzug“ folgt daraus:

Beiden Tatbeständen ist gemeinsam, dass der Schuldner eine fällige Leistung nicht erbringt.

Der Eintritt des Verzuges verlangt aber zusätzlich noch, dass über die Fälligkeit der Leistung hinaus die weiteren objektiven Voraussetzungen des § 286 Abs. 1 bzw. Abs. 2 und 3 vorliegen müssen und der Schuldner die Nichtleistung nach Eintritt dieser besonderen objektiven Voraussetzungen auch zu vertreten hat (§ 286 Abs. 4). Der Verzug ist damit eine besondere Form der Leistungsverzögerung, die zusätzliche objektive Haftungsvoraussetzungen kennt und vom Vertretenmüssen abhängt.

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Die Pflichtverletzung der „Leistungsverzögerung“ und des Verzuges unterscheiden sich vom Ausbleiben der Leistung wegen Leistungsbefreiung nach § 275 dadurch, dass die Leistung ausbleibt, obwohl der Schuldner zur Leistung noch verpflichtet ist.

 

II. Nichtleistung trotz Fälligkeit

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Prüfungsschema

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Wie prüft man: Leistungsverzögerung = Nichtleistung trotz Fälligkeit

I.

Fälligkeit des Anspruchs

 

 

1.

Vertragliche Vereinbarung

 

 

2.

Besondere gesetzliche Bestimmung

 

 

3.

Festlegung durch „sonstigen Inhalt des Schuldverhältnisses“

 

 

4.

Grundregel des § 271 Abs. 1: sofort

 

II.

Durchsetzbarkeit des Anspruchs zum Fälligkeitstermin

 

 

1.

Bestand des Anspruchs

 

 

2.

Einredefreiheit

 

 

 

 

Beachtlichkeit der objektiven Einredelage

Rn. 97 ff.

III.

Nichtleistung, nicht erfüllt wenn:

 

 

1.

Annahmeverzug des Gläubigers (§§ 293 ff.)

 

 

2.

Vornahme der Leistungshandlung bei Schickschulden

 

 

 

 

Geldschulden

Rn. 118 f.

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Da die Leistungsverzögerung und ihre besondere Ausprägung als Verzug eine Nichtleistung trotz Fälligkeit voraussetzen, sollen diese beiden Merkmale zunächst behandelt werden. Das erleichtert uns die Erörterung der einzelnen Sekundäransprüche, die an eine Leistungsverzögerung oder sogar die gesteigerte Form des Verzuges anknüpfen. Da die Merkmale „Nichtleistung trotz Fälligkeit“ dort zwangsläufig immer wieder auftauchen werden, können wir sie an dieser Stelle für alle kommenden Anspruchsgrundlagen abhandeln.

1. Fälligkeit der Leistung

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Unter „Fälligkeit der Leistung“ ist allgemein der Zeitpunkt zu verstehen, von dem an der Gläubiger die Leistung verlangen kann.

BGH Urteil vom 1. Februar 2007 (Az. III ZR 159/06) unter Ziff. II 2a bb, Tz. 16 = NJW 2007, 1581; Herresthal JURA 2008, 561, 563 unter Ziff. III 1c. Kurz gesagt bedeutet Fälligkeit somit „Leisten müssen“.

Hinweis

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„Erfüllbarkeit“ meint demgegenüber den Zeitpunkt, ab dem der Schuldner leisten darf und der Gläubiger bei Nichtannahme in Annahmeverzug gem. §§ 293 ff. gerät.

Palandt-Grüneberg § 271 Rn. 1. Erfüllbarkeit bedeutet daher „Leisten dürfen“.

a) Vertraglich vereinbarte Fälligkeit

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Dieser Zeitpunkt richtet sich in erster Linie nach den Vereinbarungen der Parteien des Schuldverhältnisses.

Haben sich die Parteien bei Vertragsschluss auf einen Termin verständigt, ist nach der Auslegungsregel des § 271 Abs. 2 im Zweifel anzunehmen, dass der Gläubiger die Leistung nicht vor dieser Zeit verlangen, der Schuldner sie vor dieser Zeit aber bewirken kann.

Hinweis

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Davon ist die „Stundung“ zu unterscheiden. Die „Stundung“ ist eine Vereinbarung zwischen Gläubiger und Schuldner, die nicht die Fälligkeit erstmalig festlegt, sondern eine bereits eingetretene Fälligkeit nach hinten verschiebt.

BGH Urteil vom 2. April 2004 (Az. V ZR 105/03) unter Ziff. II 2a = WM 2004, 2183 = DNotZ 2005, 375; Palandt-Grüneberg § 271 Rn. 13.

Die Auslegungsregel des § 271 Abs. 2 schafft in zweierlei Hinsicht Klarheit:

Die Vereinbarung eines Leistungstermins muss nicht zwingend einen Fälligkeitstermin bedeuten. Sie kann beispielsweise auch so gemeint sein, dass der Anspruch bereits früher fällig sein und nur der Verzug später eintreten soll.

BGH Urteil vom 1. Februar 2007 (Az. III ZR 159/06) unter Ziff. II 2a cc, Tz. 17 = NJW 2007, 1581. § 271 Abs. 2 entscheidet bei Zweifeln für die spätere Fälligkeit und damit für die dem Schuldner günstigste Auslegung. Vor Erreichen des Vertraglich vereinbarten Zeitpunkts kann der Anspruch mangels Fälligkeit beispielsweise kein Zurückbehaltungsrecht des Gläubigers aus § 273 begründen, steht noch nicht zur Aufrechnung zur Verfügung (vgl. § 387), und eine Nichtleistung vor diesem Zeitpunkt kann keine Pflichtverletzung sein.

Beispiel

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V und K vereinbaren in einem Rahmenvertrag, dass V dem K seine Warenlieferungen monatlich in Rechnung stellt und der jeweilige Rechnungsbetrag spätestens am 30. Tag nach Zugang der Rechnung auf das in der Rechnung angegebene Konto zu zahlen ist.

Das vereinbarte „Zahlungsziel“ von 30 Tagen ist im Zweifel als Fälligkeitsbestimmung zu verstehen, so dass Fälligkeit nicht bereits mit Leistungserbringung oder Zugang der Rechnung, sondern erst 30 Tage später eintritt.

BGH Urteil vom 1. Februar 2007 (Az. III ZR 159/06) unter Ziff. II 2a cc, Tz. 17 = NJW 2007, 1581.

Hinweis

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Haben die Parteien „Zahlungsziele“ mit Fristen vereinbart („zahlbar 30 Tage nach Rechnungserhalt“), finden die §§ 186–193 zur Bestimmung von Fristbeginn und -ende Anwendung.

BGH Urteil vom 1. Februar 2007 (Az. III ZR 159/06) unter Ziff. II 2b, Tz. 24 ff. = NJW 2007, 1581. Fällt also beispielsweise der letzte Tag der Frist auf einen Samstag oder Sonntag, tritt Fälligkeit nach § 193 erst am nächsten Werktag ein.

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Außerdem erhält die Auslegungsregel des § 271 Abs. 2 dem Schuldner im Zweifel die Möglichkeit, den Anspruch freiwillig vorher zu erfüllen, indem der Anspruch im Zweifel sofort und vor dem vereinbarten Termin erfüllbar ist.

b) Gesetzlich besonders bestimmte Fälligkeit

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Das Gesetz sieht für verschiedene Schuldverhältnisse besondere Fälligkeitstermine vor.

Beispiel

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Rückzahlungsanspruch des Darlehensgebers: § 488 Abs. 3 S. 1;

Beispiel

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Fälligkeit des Miet- oder Pachtzinses: §§ 556b Abs. 1, 579 587;

Beispiel

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Rückgabeanspruch des Verleihers: § 604;

Beispiel

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Vergütung beim Werk- oder Dienstvertrag: §§ 614, 641.

c) Allgemeine Grundregel

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Wenn ein Fälligkeitstermin weder vertraglich vereinbart noch gesetzlich besonders bestimmt ist, treten Fälligkeit einerseits und Erfüllbarkeit andererseits nach § 271 Abs. 1 grundsätzlich sofort mit Entstehung des Anspruchs ein.

Etwas anderes gilt nach § 271 Abs. 1 nur dann, wenn sich ein späterer Fälligkeitstermin „aus den Umständen“ ergibt.

Beispiel

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Der Vermieter von Wohnräumen muss eine Kaution des Mieters im Zweifel noch nicht bei Beendigung des Mietverhältnisses zurückzahlen, sondern erst dann, wenn feststeht, ob ihm noch Ansprüche gegen den Mieter zustehen. Zur Feststellung seiner Ansprüche stehen dem Vermieter regelmäßig 3–6 Monate zur Verfügung.

Palandt-Weidenkaff Einf. v. § 535 Rn. 126.

Beispiel

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Der Werkunternehmer hat das Werk nach der dafür objektiv nach üblichen Maßstäben erforderlichen Zeit abzuliefern;

Palandt-Grüneberg § 271 Rn. 9.

Beispiel

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Ein im Zusammenhang mit einer Kündigung begründeter Abfindungsanspruch des Arbeitnehmers wird nicht schon mit Zugang der Kündigungserklärung, sondern erst im Zeitpunkt seines Ausscheidens zur Zahlung fällig.

BAG Urteil vom 15. Juli 2004 (Az. 2 AZR 630/03) unter Ziff. B II 2, Tz. 21 ff. = NJW 2005, 171 f.

2. Durchsetzbarkeit

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Wenn der Schuldner (noch) nicht leisten muss, kann es keine Pflichtverletzung darstellen, wenn er nicht leistet. Aus diesem Grunde werden alle Tatbestände, die an eine Leistungsverzögerung anknüpfen (§§ 281 Abs. 1 S. 1, 286 Abs. 1 S. 1, 323 Abs. 1), um ein ungeschriebenes, aber als selbstverständlich anerkanntes Tatbestandsmerkmal ergänzt: die volle Durchsetzbarkeit des Anspruchs.

Palandt-Grüneberg § 281 Rn. 8, § 286 Rn. 12 ff.; Palandt-Grüneberg § 323 Rn. 11 (im Palandt auch als „Wirksamkeit“ bezeichnet).

Diese „Durchsetzbarkeit“ ist unter folgenden Voraussetzungen gegeben:

a) Bestand des Anspruchs zum Fälligkeitstermin

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Logischerweise setzt die „Fälligkeit“ des Anspruchs voraus, dass der Anspruch zum Leistungstermin besteht und nicht – aus welchem rechtsvernichtenden Einwendungstatbestand auch immer – erloschen ist.

b) Einredefreiheit

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Zur vollständigen Durchsetzbarkeit des Anspruchs gehört auch die Einredefreiheit.

BGH Urteil v. 11. Dezember 2009 (Az. V ZR 217/08) unter Tz. 23 = NJW 2010, 1272; Palandt-Grüneberg § 281 Rn. 8, § 286 Rn. 12 ff.; Palandt-Grüneberg § 323 Rn. 11. Wenn der Schuldner zur Verweigerung der Leistung berechtigt ist, verhält er sich nicht pflichtwidrig und kann nicht in Verzug geraten, wenn er die Leistung nicht erbringt.

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Unterschieden werden dilatorische (aufschiebend hemmende) und peremptorische (dauerhaft hemmende) Einreden.

Beispiel

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Stundung oder §§ 273, 320, 348, 410 Abs. 1 S. 1, 771, 1000, 1382, 2014, 2015

Beispiel

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§§ 214, 821, 853, 1381, 2083, 2345

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Nach herrschender Auffassung führt grundsätzlich allein das objektive Bestehen einer Einredelage dazu, dass eine Leistungsverzögerung ausgeschlossen ist, sofern der Schuldner sich auf die Einrede spätestens im Prozess noch beruft.

Palandt-Grüneberg § 281 Rn. 8, § 286 Rn. 12; Palandt-Grüneberg § 323 Rn. 11.

Hinweis

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Da die Erhebung der Einrede selbst eine neue Tatsache ist, kann sie aus prozessualen Gründen in der Revisionsinstanz nicht mehr erfolgen (vgl. § 559 ZPO).

BGH Urteil vom 24. November 2006 (Az. LwZR 6/05) unter Ziff. III 2, Tz. 35 ff. m.w.N. = NJW 2007, 1269 ff. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Einredelage in den unteren Instanzen noch nicht bestand und unstreitig ist.BGH Urteil vom 24. November 2006 (Az. LwZR 6/05) unter Ziff. III 2c, Tz. 39 m.w.N. = NJW 2007, 1269 ff.

Beispiel

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K hat von V einen Pkw gekauft, der bei Übergabe gewährleistungspflichtige Mängel aufweist. K zahlt den Kaufpreis nicht. K kann sich gleichwohl nicht mit der Kaufpreiszahlung in Verzug befinden, da ihm wegen seines Anspruchs auf Nacherfüllung nach §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 ein Zurückbehaltungsrecht aus § 320 Abs. 1 S. 1 zusteht.

Palandt-Grüneberg § 320 Rn. 2. Dies gilt auch dann, wenn sich K zunächst auf diese Einrede nicht berufen hat, sondern „stumm“ keine Zahlung leistet.

Beispiel

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Der Fahrradhändler A betreibt auch eine Reparaturwerkstatt und soll das Fahrrad des B reparieren. Als Abholtermin ist der 10.5. vereinbart. Am 10.5. ist das Fahrrad noch nicht fertig, da A die Sache vergessen hatte. Einem Verzugseintritt steht nicht entgegen, dass B die gem. §§ 631 Abs. 1, 632 geschuldete (übliche) Vergütung noch nicht gezahlt hatte. Insoweit steht dem A die Einrede aus § 320 nicht zu, da die Vergütung nach § 641 Abs. 1 S. 1 im Zweifel erst bei Abnahme zu zahlen und A deshalb vorzuleisten verpflichtet ist (§ 320 Abs. 1 S. 1 Hs. 2).

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Eine Ausnahme macht die herrschende Meinung allerdings bei der Einrede aus § 273 (bzw. § 369 HGB) und aus § 410 Abs. 1 S. 1.

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Expertentipp

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Lesen Sie dazu bitte auch die Vorschriften in §§ 232–240, 273 Abs. 3 S. 2 durch.

Bei § 273 erklärt sich dies daraus, dass der Gläubiger nach § 273 Abs. 3 S. 1 die Möglichkeit hat, die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts durch eine Sicherheitsleistung abzuwenden.

Der Schuldner handelt rechtsmissbräuchlich, wenn er sich später auf sein Zurückbehaltungsrecht aus § 273 beruft, ohne dem Gläubiger früher Veranlassung gegeben zu haben, die Wirkung dieser Einrede durch Sicherheitsleistung abzuwehren.

BGH Urteil vom 21. Oktober 2004 (Az. III ZR 323/03) unter Ziff. 3 = NJW-RR 2005, 170 f.; Palandt-Grüneberg § 286 Rn. 13. Gleiches gilt für das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht aus § 369 HGB wegen § 369 Abs. 4 HGB.

Beispiel

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Der Automechaniker A hat den Wagen des B zum zweiten Mal zur Reparatur gebracht. Die Abholung ist für den 15.6. vereinbart. Aus der ersten Reparatur ist noch ein Betrag von 400 € offen. Am 15.6. erscheint B vergebens, da das Auto zwar repariert, aber die Werkstatt wegen Kurzurlaubs des A geschlossen ist. Hier kommt ein Verzug des A wegen der gem. § 633 Abs. 1 geschuldeten Herausgabe („Verschaffung“) des reparierten Fahrzeuges in Betracht. Dieser ist hier nicht deswegen ausgeschlossen, weil B die frühere Reparatur nicht bezahlt hatte. Dem A steht zwar insoweit eine Einrede aus § 273 Abs. 2 Hs. 1 Var. 1 zu, aber diese schließt den Verzug nur bei Geltendmachung durch den A aus, an der es hier fehlt. Auch die Einrede aus § 320 steht A nicht zu, da die Vergütung nach § 641 Abs. 1 S. 1 im Zweifel erst bei Abnahme zu zahlen und A deshalb vorzuleisten verpflichtet ist (§ 320 Abs. 1 S. 1 Hs. 2). Auch wegen der Abnahmepflicht des B aus § 640 Abs. 1 S. 1 scheidet ein Zurückbehaltungsrecht aus § 320 aus, da diese Pflicht eine abnahmefähige Verschaffung des Fahrzeugs voraussetzt.

Palandt-Sprau § 640 Rn. 11.

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Im Fall des § 410 Abs. 1 S. 1 folgt die Ausnahme aus der Regelung in § 410 Abs. 1 S. 2 Var. 2.

BGH Urteil vom 24. November 2006 (Az. LwZR 6/05) unter Ziff. II 3c bb (3), Tz. 28 = NJW 2007, 1269 ff.; Palandt-Grüneberg § 286 Rn. 13. Nach § 410 Abs. 1 S. 1 ist der Schuldner einer abgetretenen Forderung dem neuen Gläubiger nur gegen Aushändigung einer vom bisherigen Gläubiger über die Abtretung ausgestellten Urkunde zur Leistung verpflichtet. Diese Vorschrift begründet ein Leistungsverweigerungsrecht und damit eine vorübergehend hemmende („dilatorische“) Einrede.Siehe dazu im Skript „Schuldrecht AT I“ Rn. 492.

Hinweis

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§ 410 Abs. 1 S. 1 begründet keinen Gegenanspruch auf die Aushändigung einer Abtretungsurkunde, so dass nicht auf das allgemeine Zurückbehaltungsrecht aus § 273 Abs. 1 zurückzugreifen ist. Der Einredecharakter folgt vielmehr direkt aus dem Tatbestand des § 410 Abs. 1 S. 1.

BGH Urteil vom 24. November 2006 (Az. LwZR 6/05) unter Ziff. II 3c bb (3), Tz. 24.

Expertentipp

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Aus welcher Norm ergibt sich, was der Gesetzgeber unter „unverzüglich“ versteht?

Nach § 410 Abs. 1 S. 2 ist eine Kündigung oder Mahnung dem Schuldner gegenüber unwirksam, wenn der Gläubiger sie ohne Vorlegung der Abtretungsurkunde vornimmt und der Schuldner sie aus diesem Grunde unverzüglich zurückweist.

Diese Regelung wäre unsinnig, wenn das bereits bloße Bestehen des Einrederechts aus § 410 Abs. 1 den Verzug ausschließen würde. Die Mahnung wäre dann ja mangels „Fälligkeit“ i.S.d. § 286 Abs. 1 stets unwirksam, unabhängig davon, ob der Schuldner die Zurückweisung ausspricht oder nicht.

BGH Urteil vom 24. November 2006 (Az. LwZR 6/05) unter Ziff. II 3c bb (3), Tz. 24.

Das Zurückbehaltungsrecht aus § 410 Abs. 1 S. 1 wirkt damit wie das Zurückbehaltungsrecht aus § 273 Abs. 1 und schließt die Verzögerung nur aus, wenn und sobald es vom Gläubiger geltend gemacht wird. Eine rückwirkende Beseitigung der Verzugsfolgen ist durch Erhebung dieser beiden Zurückbehaltungsrechte nicht möglich.

BGH Urteil vom 24. November 2006 (Az. LwZR 6/05) unter Ziff. II 3c bb (3), Tz. 31. Solange der Schuldner die Einrede nicht erhebt, ist der Gläubiger nicht gehalten, von sich aus tätig zu werden und die Aushändigung der Abtretungsurkunde anzubieten. Anlass hat er dazu erst, wenn der Schuldner zum Ausdruck bringt, nur gegen Vorlage der Abtretungsurkunde leisten zu wollen.

Beispiel

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V hat M ein Haus mit Garten vermietet. Der Mietzins ist nach der vertraglichen Vereinbarung jeweils am 3. Werktag eines Monats im Voraus zu zahlen. M hat die Miete für die Monate Mai und Juni nicht entrichtet. Im Juli veräußert V das vermietete Hausgrundstück an den Z und tritt ihm die Ansprüche auf die ausstehenden Mieten ab. Im August wird Z als neuer Eigentümer des Grundstücks im Grundbuch eingetragen. Z teilt M mit, dass er nun gem. § 566 Abs. 1 als neuer Eigentümer in die Rechte und Pflichten des V eingetreten sei und ihm die Ansprüche auf die rückständigen Mieten abgetreten worden seien. Da M die offenen Mieten immer noch nicht bezahlt hat, spricht Z im September formgerecht die fristlose Kündigung aus.

M bittet Z darauf, ihm noch drei Monate Stundung zu gewähren. Z weist dies zurück und fordert M zur Räumung auf. Im November lässt M dem Z über seinen Anwalt mitteilen, die Kündigung sei unberechtigt, da Z ihm immer noch keine Abtretungsurkunde des V vorgelegt habe und er deshalb die offene Miete an ihn nicht habe zahlen müssen.

Ist die Kündigung wirksam?

Die formgerechte Kündigungserklärung des Z hat das Mietverhältnis dann wirksam beendet, wenn Z zur Kündigung berechtigt war. Das außerordentliche Kündigungsrecht des Z könnte sich hier aus § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 3a Var. 1 i.V.m. § 566 Abs. 1 ergeben. Dies setzt voraus, dass M mit der Entrichtung für zwei aufeinander folgende Termine in Verzug war. M hatte die Miete für die Monate Mai und Juni, also für zwei aufeinander folgende Termine, nicht gezahlt. Im Verzug befindet M sich nach § 286 aber nur dann, wenn der Z einen fälligen Anspruch auf die Miete für diese beiden Monate hatte und die weiteren Voraussetzungen des § 286 vorliegen. Nach der vertraglichen Vereinbarung war die Miete jeweils am 3. Werktag eines Monats zu zahlen. Einwendungen gegen den Bestand dieses Anspruchs sind nicht ersichtlich. Möglicherweise steht der Durchsetzbarkeit dieses Anspruchs und damit seiner „Fälligkeit“ i.S.d. § 286 aber entgegen, dass M nach § 410 Abs. 1 S. 1 nur gegen Vorlage einer Abtretungsurkunde zu leisten verpflichtet ist. Daraus ergibt sich für M ein Zurückbehaltungsrecht, das geeignet ist, den Eintritt der Verzugswirkungen solange zu verhindern, bis der Gläubiger eine Abtretungsurkunde vorlegt. Allerdings hatte M sich bis zum Zeitpunkt der Kündigung auf diese Einrede nicht berufen. Aus § 410 Abs. 1 S. 2 Var. 2 folgt, dass der bloße Bestand der Einrede aus S. 1 den Eintritt des Verzuges nicht verhindern kann, sondern nur die unverzügliche Geltendmachung dieser Einrede. Andernfalls wäre die in § 410 Abs. 1 S. 2 Var. 2 angeordnete Unwirksamkeit der Mahnung bei unverzüglicher Zurückweisung wegen Nichtvorlage der Urkunde sinnlos. Die später erfolgte Geltendmachung wirkt deshalb nicht zurück und kann daher die verzugsbegründende Fälligkeit des Mietzinsanspruches nicht mehr verhindern. Auch die weiteren Verzugsvoraussetzungen liegen hier vor.

Da M sich auch nach Zugang der Kündigung nicht unverzüglich (§ 121 Abs. 1 S. 1) auf seine Einrede aus § 410 Abs. 1 S. 1 berufen hat, ist die Kündigung auch nicht nach § 410 Abs. 1 S. 2 Var. 1 als unwirksam anzusehen. Das Mietverhältnis ist damit wirksam beendet worden.

3. Kein Annahmeverzug des Gläubigers

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Prüfungsschema

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Wie prüft man: Annahmeverzug des Gläubigers

I.

Nichtannahme der wie geschuldet angebotenen Leistung

 

1.

tatsächliches Angebot der Leistung, § 294

 

2.

keine Annahme der Leistung durch Gläubiger, § 293

 

3.

oder kein Angebot einer fälligen Vorauszahlung, § 298

 

4.

Ausnahme bei ungewissem Leistungstermin, § 299

II.

Vorzeitige Ablehnung der Leistung durch Gläubiger

 

1.

Ablehnung der Leistungsannahme, § 295

 

2.

Wörtliches Angebot des Schuldners, § 295

 

3.

Leistungsfähigkeit des Schuldners, § 297

III.

Unterbliebene Mitwirkungshandlung des Gläubigers

 

1.

Kalendermäßig bestimmbarer Mitwirkungstermin, § 296

 

2.

oder Aufforderung durch Schuldner, § 295

 

3.

Keine Vornahme der Mitwirkungshandlung

 

4.

Leistungsfähigkeit des Schuldners, § 297

104

Eine Leistungsverzögerung kann naturgemäß nur vorliegen, wenn der Schuldner trotz Fälligkeit und Durchsetzbarkeit nicht leistet. Anders als § 362 Abs. 1 sprechen die gesetzlichen Verzögerungstatbestände nicht davon, dass die Leistung bei Fälligkeit „bewirkt“ sein muss. „Bewirken“ meint, dass der geschuldete Leistungserfolg durch Vornahme einer Leistungshandlung herbeigeführt worden sein muss.

Vgl. dazu ausführlich im Skript „Schuldrecht AT I“ unter Rn. 150 ff. Vielmehr heißt es in den §§ 281, 286 und 323, dass der Schuldner die fällige Leistung „nicht erbringt“ (§§ 281, 323) oder „nicht leistet“ (§ 286).

Diese Formulierungen zeigen, dass der Gesetzgeber eine Pflichtverletzung im Sinn einer Leistungsverzögerung nur dann bejaht, wenn der Schuldner noch nicht einmal die seinerseits erforderliche Leistungshandlung vorgenommen hat.

Eine Leistungsverzögerung liegt folglich bereits dann nicht vor, wenn der Schuldner die Leistungshandlung in einer den Annahmeverzug (§§ 293 ff.) begründenden Weise vorgenommen hat.

BGH Urteil vom 3. April 2007 (Az. X ZR 104/04) unter Ziff. III 1, Tz. 7 = NJW 2007, 2761; Palandt-Grüneberg § 281 Rn. 12; § 286 Rn. 34; Palandt-Grüneberg § 323 Rn. 16. Dann hat er das seinerseits zur Leistung erforderliche getan und seine Leistungspflicht nicht verletzt. Annahmeverzug und Leistungsverzögerung schließen sich gegenseitig aus.

Die Voraussetzungen für den Annahmeverzug (= Gläubigerverzug) richten sich nach §§ 293–299.

a) Anbieten der Leistung

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Erforderlich ist nach § 293 zunächst, dass dem Gläubiger die Leistung überhaupt angeboten wird. Unter den Voraussetzungen der §§ 267, 268, 1150, 1249 kann auch ein Dritter die Leistung i.S.d. § 293 anbieten, wenn er die Leistung anstelle des Schuldners bewirken will.

aa) Tatsächliches Angebot, § 294

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Expertentipp

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Wiederholen Sie an dieser Stelle noch einmal die Regeln zum Leistungsort nach §§ 269, 270.

Ausführlich dazu das Skript „Schuldrecht AT I“ unter Rn. 153 ff.

Die Leistung muss dem Gläubiger nach § 294 grundsätzlich so, wie sie zu bewirken ist, am rechten Ort tatsächlich angeboten werden.

Das Angebot einer anderen, schlechten oder zu geringen Leistung oder das Angebot am falschen Ort genügt nicht. Der Gläubiger ist dann zur Annahme nicht verpflichtet (vgl. § 266). Die Verweigerung der Annahme kann aber ausnahmsweise gegen Treu und Glauben verstoßen, insbesondere wenn eine Teilleistung angeboten wird, die gegenüber dem geschuldeten Umfang nur geringfügig abweicht.

Palandt-Grüneberg § 266 Rn. 8.

bb) Wörtliches Angebot, § 295 S. 1

107

In bestimmten Fällen ist der Schuldner von der Last eines tatsächlichen Angebots befreit und darf sich mit einem wörtlichen Angebot begnügen. Das wörtliche Angebot ist eine empfangsbedürftige geschäftsähnliche Handlung, auf die die Regelungen über Willenserklärungen analog anzuwenden sind.

Palandt-Grüneberg § 295 Rn. 1. Die Bezeichnung „wörtliches“ Angebot ist als Abgrenzung zum „tatsächlichen“ Angebot und nicht als Formvorschrift gemeint. Das „wörtliche Angebot“ kann daher auch schlüssig ohne Worte erklärt werden.Palandt-Grüneberg § 295 Rn. 1.

(1) Fall des § 295 S. 1 Var. 1

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Ausnahmsweise genügt ein wörtliches Angebot der geschuldeten Leistung durch den Schuldner, wenn der Gläubiger ihm zuvor ausdrücklich oder schlüssig erklärt hat, dass er die Leistung nicht annehmen werde (§ 295 S. 1 Var. 1). Ein wörtliches Angebot vor Ablehnung der Leistung führt den Annahmeverzug hingegen nicht herbei.

BGH NJW 1988, 1201 unter Ziff. I 2. Etwas anderes soll nur dann gelten, wenn eine Wiederholung des wörtlichen Angebots keinesfalls Erfolg verspricht und deshalb als von vornherein sinnlose Förmelei anzusehen wäre.BGH Urteil vom 9. Oktober 2000 (Az. II ZR 75/99) unter Ziff. 1 = NJW 2001, 287, 288.

Beispiel

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Vermieter V hat die H GmbH als Hausverwalterin für seine Mietwohnungen eingesetzt. Die H erhält hierfür eine monatliche Pauschalvergütung in Höhe von 1000 €. Der entsprechend zwischen den beiden geschlossene Geschäftsbesorgungsvertrag ist zum 31.12.2019 befristet. Im November 2018 kommt es zwischen den Parteien zum Streit, da V der H einige Pflichtverletzungen vorwirft. Der Geschäftsführer der H meint, man werde in Zukunft sicher zur Zufriedenheit des V arbeiten. V weist dies zurück und beharrt auf einer Regelung über die sofortige Aufhebung des Verwaltervertrages. Als der Geschäftsführer von H dazu seine Zustimmung verweigert, erklärt V ihm gegenüber die fristlose Kündigung. H reagiert nicht weiter und stellt ihre Tätigkeit ein. Sie verlangt unter Hinweis auf Annahmeverzug des V am 31.12.2019 die gesamte Restvergütung abzüglich ersparter Aufwendungen aus §§ 675 Abs. 1, 615 S. 1. Ein solcher Anspruch besteht hier nicht, wobei dahingestellt bleiben kann, ob V überhaupt zur Kündigung berechtigt war. Es liegen nämlich die Voraussetzungen des Annahmeverzuges nicht vor. H hatte zwar der V ihre Leistungen im Gesprächstermin angeboten. Zu diesem Zeitpunkt hatte V die Annahme der Leistungen von H aber noch gar nicht verweigert. Dies geschah erst konkludent durch Ausspruch der fristlosen Kündigung. Im Anschluss daran hat H der V ihre Leistungen auch wörtlich nicht mehr angeboten. Ein solches Angebot war hier nicht vornherein sinnlos, da nicht auszuschließen ist, dass V sich bei „Gegenwehr“ der H anders verhalten und den Vertrag „sicherheitshalber“ zumindest vorübergehend durchgeführt hätte.

Gibt der Gläubiger seine Haltung später auf, muss der Schuldner nun tatsächlich anbieten

Palandt-Grüneberg § 295 Rn. 5. – andernfalls endet der Annahmeverzug.

(2) Fall des § 295 S. 1 Var. 2

109

Ein wörtliches Angebot genügt ferner, wenn zur Bewirkung der Leistung eine Handlung des Gläubigers erforderlich ist.

Beispiel

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Abholung bei Holschuld; Lieferung der zu reparierenden Sache; Bekanntgabe von Maßen bei geschuldeter Maßanfertigung; Erstellung der Rechnung, um den noch unklaren Zahlbetrag festzulegen (z. B. bei Arztrechnung); eigenes Erscheinen beim Theaterbesuch.

Dem wörtlichen Angebot steht die Aufforderung des Schuldners gleich, der Gläubiger, solle die Leistungshandlung vornehmen, § 295 S. 2.

Beispiel

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Annahmeverzug kann also auch schon dadurch eintreten, wenn der Verkäufer den Käufer auffordert, die verkaufte Sache nunmehr bei ihm abzuholen.

b) Entbehrlichkeit des Angebots nach § 296

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Selbst eines wörtlichen Angebots bedarf es nicht, wenn für die Mitwirkungshandlung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist und die Handlung an diesem Termin nicht vorgenommen wird, § 296. Die Fälle gleichen denen von § 286 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2.

Beispiel

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Abholtermin bei vereinbarter Holschuld; persönliches Erscheinen zur Theateraufführung beim Aufführungsvertrag; persönliches Erscheinen zum vereinbarten Arzttermin.

Hinweis

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Beim versäumten Arzttermin ist allerdings heftig umstritten, ob der Arzt dann nach § 615 sein Honorar abzüglich ersparter Aufwendungen verlangen kann. § 615 wird von einigen Gerichten für nicht anwendbar gehalten, da der Arzt im Hinblick auf die freie Kündigungsmöglichkeit des Patienten gem. §§ 621 Nr. 5, 627 das Ausfallrisiko zu tragen habe. In Betracht kommt aber ein Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 bzw. §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 282 wegen zu kurzfristiger Absage des Patienten. Hier muss genau untersucht werden, ob dem Arzt dadurch ein Schaden entstanden ist. In der Regel geht es hier darum, ob der Arzt bei rechtzeitiger Absage zusätzlich einen anderen Patienten hätte behandeln können.

Nimmt der Gläubiger die Mitwirkungshandlung später vor, endet sein Annahmeverzug. Der Schuldner muss die Leistung jetzt wieder nach § 294 tatsächlich anbieten.

Palandt-Grüneberg § 295 Rn. 5.

c) Leistungsfähigkeit des Schuldners (§ 297)

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Aus § 297 folgt, dass Annahmeverzug in den Fällen des §§ 295, 296 nur eintreten kann, wenn der Schuldner zur Leistung im Stande ist. Entscheidend ist, ob der Schuldner die Leistung erbringen kann, wenn der Gläubiger seine Mitwirkungshandlung vornimmt. Diese Fähigkeit muss zum Zeitpunkt des wörtlichen Angebots i.S.d. § 296 noch nicht gegeben sein; es muss zu diesem Zeitpunkt aber schon feststehen, dass sie im Falle nachfolgender Mitwirkung des Gläubigers sicher eingetreten wäre.Palandt-Grüneberg § 297 Rn. 2.

Beispiel

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K kauft bei V 100 Flaschen Wein einer bestimmten Gattung, die K am 10.5. bei V abholen soll. K erscheint zum Termin nicht. Hier tritt Annahmeverzug gem. §§ 295, 296 auch dann ein, wenn V 100 Flaschen der verkauften Sorte am 10.5. noch nicht ausgesondert, aber in seinem Lager gehabt hätte. Annahmeverzug träte hingegen nicht ein, wenn K am 10.5. ohnehin vergeblich erschienen wäre, da V sich noch nicht genügend mit Weinflaschen eingedeckt hatte.

d) Ausnahme des § 299

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Wie Sie gesehen haben, ist ein Verschulden des Gläubigers für den Eintritt des Annahmeverzuges nicht erforderlich. Bei unbestimmter Fälligkeit bzw. bei vorzeitiger Erfüllbarkeit eines Anspruchs müsste der Gläubiger ständig „auf der Lauer“ liegen, um Annahmeverzug zu verhindern. Dass dies bei aller gebotenen Sorgfalt auch von einem besonnenen Gläubiger nicht verlangt werden kann, liegt auf der Hand. Deshalb schafft das Gesetz für diese Fälle über einen Ausnahmetatbestand eine Art „Entschuldigungsgrund“. Nach § 299 kann Annahmeverzug in diesen Fällen nur eintreten, wenn der Gläubiger nicht nur vorübergehend außerstande ist, die Leistung entgegenzunehmen (z.B. längere Urlaubsreise ohne Vertreter vor Ort) oder die Leistung trotz angemessener Ankündigung des Schuldners im Voraus nicht entgegennimmt.

e) Sonderfall, § 298

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Expertentipp

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Lesen Sie hierzu bitte die §§ 274, 322, 348.

Schuldet der Gläubiger dem Schuldner seinerseits eine Leistung, so dass beiderseits ein Zurückbehaltungsrecht z. B. nach §§ 255, 273, 320, 348, 410 besteht, können beide Personen die Leistung bis zur Bewirkung der Gegenleistung verweigern. Das bedeutet aber nicht, dass beide untätig bleiben dürfen, solange der andere noch nicht geleistet hat. Vielmehr sind beide zu einem Zug-um-Zug-Austausch verpflichtet und müssen die dazu erforderlichen Leistungshandlungen vornehmen. Der Zug-um-Zug-Vorbehalt findet sich ausdrücklich in den §§ 274, 322, 348. § 298 gilt aber für alle Zurückbehaltungsrechte, auch wenn der Zug-um-Zug-Vorbehalt dort nicht ausdrücklich vorgesehen ist.

Palandt-Grüneberg § 298 Rn. 1.

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Deswegen lässt § 298 auch dann AnnahmeVerzug eintreten, wenn der Gläubiger zwar die Leistung anzunehmen bereit ist, aber die vom Schuldner nun gleichzeitig verlangte Gegenleistung selbst nicht in einer Weise anbietet, die den anderen Teil in Annahmeverzug nach §§ 294–296 versetzt. Nimmt der Schuldner die angebotene Leistung deshalb wieder mit, kann keine Leistungsverzögerung eintreten, da der Schuldner das seinerseits zur Leistung erforderliche getan hat und der Gläubiger sich nun im Annahmeverzug befindet.

Der Gläubiger kann den Schuldner also nicht zu einer Vorleistung zwingen, sondern muss die Nachteile seines Verhaltens tragen. Da das Verlangen der Gegenleistung seitens des Schuldners eine Mahnung darstellt, befindet sich der Gläubiger unter den weiteren Voraussetzungen des § 286 wegen der von ihm geschuldeten Gegenleistung nun seinerseits im Schuldnerverzug.

Palandt-Grüneberg § 298 Rn. 2. Die durch das Zurückbehaltungsrecht geschaffene Einredelage besteht zwar fort, wenn der Schuldner seine Leistung mangels angebotener Gegenleistung nicht bewirkt. Jedoch schließt sie bei einem Annahmeverzug begründenden Angebot des Schuldners den Tatbestand der Verzögerung und damit des Verzuges des Gläubigers nicht mehr aus.BGH in BGHZ 116, 244, 249 unter Ziff. II 2 = NJW 1992, 556 f. und NJW 1997, 581 unter Ziff. II 1. Andernfalls wäre der Schuldner gezwungen, doch in Vorleistung zu gehen, um Verzugsfolgen herbeizuführen.

Beispiel

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V verkauft K wieder 100 Flaschen Wein, die K am 10.5. bei ihm abholen soll. K erscheint am 10.5. und will die Flaschen mitnehmen. V verlangt den Kaufpreis, den K mangels ausreichenden Bargeldes nicht entrichten kann. V verweigert daher die Übergabe der Flaschen.

Eine Verzögerung der Leistungspflicht nach § 433 Abs. 1 seitens V besteht jetzt nicht, da sich K gem. §§ 298, 320 seinerseits im Annahmeverzug befindet. Eine Ausnahme nach § 299 kommt nicht in Betracht, da im Zweifel auch die Zahlungspflicht am 10.5. fällig werden sollte und deshalb ein kalendermäßig bestimmter Termin zur Zahlung vereinbart war. Umgekehrt besteht Verzug des K, da die Zahlungsverpflichtung am 10.5. fällig geworden ist und V dem K seine Leistung angeboten hat.

Vgl. Palandt-Grüneberg § 320 Rn. 12.

Beispiel

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Erneut verkauft V dem K 100 Flaschen Wein, die V ihm diesmal am 10.5. bringen soll. K meldet sich am 9.5. telefonisch bei V und teilt mit, er könne das Geld allerdings erst in einer Woche beibringen. V sagt daraufhin, er liefere die Flaschen nur gegen Barzahlung. K sagt daraufhin den Termin für den 10.5. ab. V hatte die Flaschen vorrätig.

Eine Verzögerung der Leistungspflicht nach § 433 Abs. 1 seitens V besteht auch hier nicht, da sich K seinerseits im Annahmeverzug befindet. Zwar hatte V dem K die 100 Flaschen nicht tatsächlich i.S.d. § 294 angeboten. Jedoch genügte hier gem. § 296 das mündliche Angebot des V am Telefon, da K dem V zu verstehen gegeben hatte, die Flaschen nicht so anzunehmen, wie das in § 298 vorgesehen ist. Danach muss K dem V bei Übergabe der Flaschen seinerseits den Kaufpreis anbieten. Indem K seine Annahmebereitschaft nur in Bezug auf die Flaschen, aber ohne Anbieten der Gegenleistung zum Ausdruck brachte, lehnte er gleichzeitig eine ordnungsgemäße Annahme ab.

BGH NJW 1997, 581 unter Ziff. II 1b.

4. Sonderfall: Schickschulden

a) Grundregeln

115

Expertentipp

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Wiederholen Sie an dieser Stelle noch einmal die Unterschiede zwischen Hol-, Bring- und Schickschuld.

Bei Schickschulden kann Annahmeverzug grundsätzlich erst eintreten, wenn der Gläubiger die Leistung, so wie sie zu bewirken ist, tatsächlich durch die Transportperson am Versandort (= Empfangsort) angeboten bekommt (§§ 293, 294).

Palandt-Grüneberg § 294 Rn. 2. Allerdings gehört der Transport hier gerade nicht zu den Pflichten des Schuldners. Sein Wohn- bzw. Geschäftssitz ist gem. § 269 der maßgebliche Leistungsort.Vgl. dazu Skript „Schuldrecht AT I“ Rn. 150 ff.

116

Für die Rechtzeitigkeit ist daher nach bislang herrschender Auffassung entscheidend, wann der Schuldner das zur Übermittlung der Sache seinerseits Erforderliche getan hat.

BGH in BGHZ 44, 178, 179 f. unter Ziff. 2: „Für die Rechtzeitigkeit der Leistung kommt es aber auf den Zeitpunkt der Leistungshandlung, nicht auf den des Leistungserfolges an (...)“; Palandt-Grüneberg § 286 Rn. 36. Die Verzögerung des Leistungserfolges durch die nun folgende Übermittlung durch die Transportperson kann jetzt keine Pflichtverletzung mehr darstellen.

Hinweis

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Beachten Sie, dass die Transportperson aus diesem Grunde auch kein Erfüllungsgehilfe des Schuldners ist, so dass eine Zurechnung etwaigen Verschuldens nach § 278 nicht in Betracht kommt.

Vgl. oben unter Rn. 59 f.

Beispiel

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Händler V verkauft dem K 100 Druckerpatronen, die K auf seine Kosten vereinbarungsgemäß zugeschickt werden sollen. Als Fälligkeitstermin ist der 10.6. vereinbart. V bringt die Patronen am 10.6. zum Paketkurier, der die Zustellung wegen organisatorischer Schwierigkeiten jedoch erst zum 15.6. ausführt. Hier liegt tatbestandlich keine Leistungsverzögerung vor, weil V am Termin das seinerseits zur Leistung erforderliche getan hatte.

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Die Parteien haben es aber in der Hand, den Termin in der Weise zu vereinbaren, dass der Termin nur durch Eintritt des Leistungserfolges gewahrt ist (sog. „Rechtzeitigkeitsklausel“). Dann muss die Leistungshandlung so frühzeitig vorgenommen werden, dass der Erfolg rechtzeitig eintreten kann.

Beispiel

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So läge es, wenn die Parteien im vorherigen Beispiel vereinbart hätten: „Ablieferung am 10.6.“ Es gilt auch hier, dass die Transportperson kein Erfüllungsgehilfe des V ist. Trotzdem hätte V die gesamte Verzögerung zu vertreten, also auch den Zeitraum, der durch die „Bummelei“ des Paketkuriers eingetreten ist: Weil er die Ware nicht rechtzeitig auf den Weg gebracht hatte, befand er sich mit Ablauf des 10.6. nach § 286 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4 in Verzug. Für die weiteren Umstände der Verzögerung gilt § 287 S. 2, so dass es auf § 278 gar nicht erst ankommt!

b) Besonderheiten bei Geldschulden

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Wie sich aus dem Gesetz ergibt stellen Geldschulden im Zweifel Schickschulden dar, da bei ihnen der Erfolgsort bei der Zahlstelle des Gläubigers liegt (§ 270 Abs. 1) und der Leistungsort beim Schuldner (§§ 270 Abs. 4, 269). Leistungs- und Erfolgsort fallen also auseinander.

Vgl. dazu Skript „Schuldrecht AT I“ Rn. 161 f.

Deshalb ist eigentlich die rechtzeitige Vornahme der zur Bewirkung der Geldleistung erforderlichen Leistungshandlung ausreichend, um eine Leistungsverzögerung abzuwehren.

Beispiel

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Bei Zahlung durch Überweisung käme es danach für die Rechtzeitigkeit darauf an, wann der Schuldner den Zahlungsvorgang (§ 675f Abs. 4) veranlasst und das Konto gedeckt ist und nicht darauf, wann der Betrag dem Konto des Gläubigers gutgeschrieben wurde.

119

Eine derartige Sichtweise verstößt im unternehmerischen Zahlungsverkehr jedoch gegen die EU-Zahlungsverzugsrichtlinie.

Richtlinie 2000/35/EG vom 29. Juni 2000 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr. Nach deren Art. 3 Abs. 1c soll der Gläubiger berechtigt sein, „bei Zahlungsverzug Zinsen insoweit geltend zu machen, als er seine vertraglichen und gesetzlichen Verpflichtungen erfüllt hat und den fälligen Betrag nicht rechtzeitig erhalten hat, es sei denn, dass der Schuldner für die Verzögerung nicht verantwortlich ist.“

Dieser Zinsanspruch wird im nationalen Recht durch §§ 288, 286 gewährt, die Zinsen während des Verzuges vorsehen. Die Richtlinie setzt nach ihrem Art. 3 Abs. 1c voraus, dass der Verzug erst durch das Erhalten des Geldbetrages beendet wird. Die Übertragung der allgemeinen Grundsätze für Schickschulden auf den besonderen Fall der Geldschuld führt aber dazu, dass der Zinsanspruch bereits vor Erhalt des Geldes endet, nämlich dann, wenn der Schuldner das seinerseits zur Leistung in bar oder per Überweisung Erforderliche getan hat.

Deswegen ist im unternehmerischen Verkehr in jedem Fall auf den rechtzeitigen Zahlungseingang, im Falle der Überweisung also auf die Gutschrift abzustellen.

Urteil des EuGH (Rs. C – 306/06 – Telekom) vom 3. April 2008 unter Tz. 23 ff. (abrufbar unter www.curia.europa.eu) = NJW 2008, 1935.

Hinweis

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Davon zu trennen ist – wie immer – die Frage, ob der Schuldner eine eingetretene Verzögerung auch zu vertreten hat.

Ausdrücklich auch das Urteil des EuGH (Rs. C – 306/06 – Telekom) vom 3. April 2008 unter Tz. 29 ff. Sonst kann auch nach Art. 3 der Richtlinie kein Verzug eintreten.

Beispiel

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Unternehmer M hat bei der V GmbH Büroräume angemietet. Der Mietzins ist spätestens am 3. Werktag eines Monats im Voraus auf ein Konto der V zu zahlen. M gibt den Betrag erst am 3. Werktag zur Überweisung (vgl. zu den Fristen § 675s, t). Aufgrund eines internen Versehens der Bank wird die Überweisung erst am 15. des Monats ausgeführt. Hier befindet sich M bis zum 15. nach § 286 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4 in Verzug, da er die Nichtleistung bei Fälligkeit wegen eigenen Verschuldens zu vertreten und für die weitere Verzögerung nach § 287 S. 2 ohne Rücksicht auf weiteres Verschulden ebenfalls einzustehen hat.

Anders liegt es, wenn er den Geldbetrag rechtzeitig zur Überweisung gebracht hätte und die Ausführung zum 3. Werktag lediglich aufgrund eines bankinternen Versehens unterblieben wäre. Denn das Verschulden der Bank muss sich der M nach § 278 nicht zurechnen lassen, da er zur Transaktion des Buchgeldes selbst nicht verpflichtet ist und die Bank deshalb nicht als seine Erfüllungsgehilfin tätig wird. Wegen § 286 Abs. 4 kann hier Verzug zu keinem Zeitpunkt eingetreten sein.

Hinweis

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Wann und wie die Entscheidung des EuGH im deutschen Recht umgesetzt wird, bleibt abzuwarten. Die allgemeinen Grundsätze über Verzug bei Schickschulden müssen aufgrund der Richtlinie nicht zwangsläufig revidiert werden. Sie gilt nur für den Zahlungsverkehr zwischen Unternehmern, also nicht bei Zahlungspflichten unter Beteiligung von Verbrauchern und bei sonstigen Schickschulden. In der Literatur wird teilweise eine einheitliche Anwendung  dieser Grundsätze bevorzugt und sieht deshalb auch bei Verbrauchern eine Zahlungsverspätung erst mit Erfüllung bzw. Annahmeverzug als beendet an.

Palandt-Grüneberg § 270 Rn. 5 f. m.w.N. Im Falle der Überweisung eines Verbrauchers ist also das Datum der Gutschrift auf dem Empfängerkonto maßgebend. Siehe aber auch 

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