Schuldrecht Allgemeiner Teil 2 - Beiderseits zu vertretende Unmöglichkeit

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Schuldrecht Allgemeiner Teil 2

Beiderseits zu vertretende Unmöglichkeit

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F. Sonderfall: Beiderseits zu vertretende Unmöglichkeit

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Der Ausnahmetatbestand des § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 behandelt mit dem Fall der „weit überwiegenden“ Verantwortlichkeit des Gläubigers einen Fall der beiderseits zu vertretenden Unmöglichkeit. Hat der Gläubiger der nach § 275 ausgeschlossenen Leistung den Befreiungstatbestand „weit überwiegend“ zu vertreten, muss er seine Gegenleistung erbringen. Trifft ihn gar kein Vorwurf, wird er nach § 326 Abs. 1 S. 1 von seiner Gegenleistungspflicht frei.

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Was passiert aber, wenn der Gläubiger hinsichtlich des Befreiungstatbestandes mitverantwortlich ist, aber nicht „weit überwiegend“ (also mit einer Quote unter 80 %)?

Bei der Regelung des § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 könnte es sich um eine grundsätzliche Wertentscheidung des Gesetzgebers handeln,

Gruber JuS 2002, 1066 ff. welche die beiderseits zu vertretende Unmöglichkeit abschließend regelt. Dann spielt eine Mitverantwortlichkeit des Gläubigers unter 80 % keine Rolle – er muss die Gegenleistung nicht erbringen.

Diese Ansicht führt aber im Ergebnis zu einem unflexiblen „Alles-oder-nichts-Prinzip“. Zur Lösung des Problems werden verschiedene Vorschläge gemacht, die sich zunächst einmal im grundlegenden Lösungsansatz unterscheiden. Die eine Ansicht will dem Schuldner der gestörten Leistung den Anspruch auf die Gegenleistung im Grundsatz, wenn auch gekürzt, erhalten. Man könnte sie daher als „Anspruchserhaltungstheorie“ bezeichnen. Umstritten ist dabei die Kürzungsmethode. Am einfachsten ist der Vorschlag, den Anspruch des Schuldners auf die Gegenleistung im Umfang seines Mitverschuldens analog § 254 zu kürzen.

So z.B. Stoppel Jura 2003, 224 (226). Man könnte diese Ansicht als „Kürzungstheorie“ bezeichnen. Gegen diesen Lösungsansatz spricht aber, dass er nur dann zu gerechten Ergebnissen führt, wenn die vereinbarten Leistungen gleichwertig sind.

Beispiel

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V verkauft K einen PKW (Wert 10 000 €) zum Preis von 10 000 €. Der Pkw wird vor Übergabe an K durch beiderseitiges Verschulden (je 50%) zerstört. Nach der Kürzungstheorie kann V von K gem. § 433 Abs. 2 i.V.m. § 254 analog 5000 € verlangen.

Abwandlung: Hätte der Wert des PKW aber 11 000 € betragen, würde nach der Kürzungstheorie nicht berücksichtigt, dass dem K durch Verschulden des V ein Gewinn von 1000 € entgangen ist.

Um dieses ungerechte Ergebnis zu vermeiden, schlagen die Vertreter der Gegenansicht vor, dem V den Anspruch auf den Kaufpreis zwar in Ausnahme zu § 326 Abs. 1 in voller Höhe zu erhalten, diesen aber mit einem Gegenanspruch des K auf Schadensersatz aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 283 (berechnet nach der Surrogationstheorie und gekürzt nach § 254) zu verrechnen.

Vgl. Canaris JZ 2001, 499 (511) m.w.N. Diese Ansicht könnte man als „Verrechnungstheorie“ bezeichnen.

Im vorstehenden Beispiel führt die Anwendung der Verrechnungstheorie in der Abwandlung zu folgendem Ergebnis: Dem Kaufpreisanspruch des V von 10 000 € steht ein Schadensersatzanspruch des K nach der Surrogationstheorie in Höhe von grundsätzlich 11 000 € (Wert der Sache als Surrogat für die zerstörte Sache) gegenüber. Dieser Anspruch des K ist nach § 254 um 50 % zu kürzen. Die Verrechnung beider Ansprüche (10 000 €–5500 €) ergibt einen Restkaufpreisanspruch des V in Höhe von 4500 €.

Für diese Ansicht spricht das gerechte Ergebnis, nämlich dass der Schaden des K nicht völlig unberücksichtigt bleibt. Gegen beide Ansichten spricht aber der dogmatische Ansatz, nämlich dass dem Schuldner der gestörten Leistung der Anspruch auf die Gegenleistung grundsätzlich erhalten bleibt. Nach dem Regel-Ausnahmeprinzip ist das Erlöschen des Anspruchs gem. § 326 Abs. 1 der Regelfall und die Anspruchserhaltung nach § 326 Abs. 2 die Ausnahme. Die Anspruchserhaltungstheorien fügen den in § 326 Abs. 2 geregelten Ausnahmen systemwidrig noch eine weitere hinzu.

In dogmatischer Übereinstimmung mit der Systematik des § 326 gehen die (hier sog.) Anspruchserlöschenstheorien davon aus, dass der Anspruch des Schuldners der gestörten Leistung nach § 326 Abs. 1 erlischt. Umstritten sind allerdings die daraus zu ziehenden Folgerungen.

Zu einen wird vorgeschlagen, dass an die Stelle des nach § 326 Abs. 1 erloschenen Anspruchs auf die Gegenleistung ein Schadensersatzanspruch des Schuldners der gestörten Leistung aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 wegen Rücksichtsnahmepflichtverletzung tritt, der wiederum nach § 254 zu kürzen ist.

Vgl. z.B. Rauscher ZGS 2002, 333 m.w.N. Diese Ansicht könnte man als „Theorie des gekürzten Schadensersatzanspruchs“ bezeichnen. Diese Ansicht gelangt, mit anderer Anspruchsgrundlage, zum gleichen Ergebnis, wie die oben dargestellte „Anspruchskürzungstheorie“. Es sprechen daher gegen sie die gleichen Argumente.

Die herrschende Ansicht bleibt bei § 326 Abs. 2 S. 1 Fall 1 zwar ebenfalls an der 80-Prozent-Grenze stehen und verneint die Ausnahme bei niedrigerer Mitverantwortungsquote des Gläubigers.

Aus § 280 Abs. 1 folgt aber ein Schadensersatzanspruch des Schuldners der ausgeschlossenen Sachleistung gegen den Gläubiger, wenn die Leistungsbefreiung auch auf eine Rücksichtspflichtverletzung des Gläubigers zurückzuführen ist. Der Schaden liegt dann in der nach § 326 Abs. 1 S. 1 entfallenen Vergütung. Der Schadensersatzanspruch mindert sich um das Mitverschulden des Schuldners nach § 254 Abs. 1. Dass dieser Anspruch durch § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 ausgeschlossen sein sollte, wird aus den gesetzlichen Regelungen nicht deutlich.

Palandt-Grüneberg § 326 Rn. 15 m.w.N.

Der Schadensersatz des Gläubigers aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 283 mindert sich ebenfalls nach § 254 Abs. 1, und zwar um die Quote seines eigenen Verursachungsbeitrages. Man könnte diesen Lösungsansatz als „Theorie der Doppelkürzung“ bezeichnen.

Es stehen sich danach zwei (gekürzte) Schadensersatzansprüche der Parteien gegenüber.

Beispiel

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In der Abwandlung des Ausgangsbeispiels ergibt sich danach folgendes Ergebnis:

Dem V steht nach §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 i.V.m. § 254 ein Schadensersatzanspruch in Höhe der Hälfte des nach § 326 Abs. 1 erloschenen Kaufpreisanspruchs, also 5000 € zu. Dem steht ein Schadensersatzanspruch des K aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 283 (berechnet nach der Differenztheorie) in Höhe des entgangenen Gewinns (1000 €), gekürzt nach § 254 um 50 %, also 500 € zu. Miteinander verrechnet ergibt sich noch ein Anspruch des V in Höhe von 4500 €.

Expertentipp

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Wenn, wie im Normalfall, Leistung und Gegenleistung gleichwertig sind, brauchen Sie den Theorienstreit nicht zu entscheiden Differieren Preis und Wert der Sache sollte man der Lösung die (hier sog.) „Theorie der Doppelkürzung“ zugrunde legen, da sie sowohl vom Ergebnis, als auch vom dogmatischen Ansatz her am überzeugendsten zu begründen ist.

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Beispiel

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V verkauft an K sein Motorrad (Wert 10 000 €) zum Preis von 11 000 €. Vor Übereignung an K wird das Motorrad durch beiderseitiges Verschulden zerstört. V ist zu 60 %, K zu 40% schuld. Ansprüche des V?

A.

Kaufpreiszahlung, § 433 Abs. 2?

I.

Nach Kürzungstheorie nur 40 % des vereinbarten Preises, also 4400 €.

II.

Nach Verrechnungstheorie wird der volle Kaufpreis (11 000 €) mit dem nach § 254 gekürzten Gegenanspruch des K gegen V aus §§ 280 Abs. 1, 3, 283, 254 – 40 % von 10 000 € (Wert des Motorrads) = 6000 € verrechnet. Restkaufpreisanspruch nach Verrechnung = 5000 €.

III.

Nach Anspruchserlöschenstheorie: Wegen § 326 Abs. 1 kein Kaufpreisanspruch des V mehr, aber

B.

SEA des V gegen K aus §§ 280 Abs. 1, 254 in Höhe von 40 % des dem V durch die Pflichtverletzung des K entgangenen Kaufpreises = 4400 €. Die Theorie von der Doppelkürzung ändert in diesem Beispiel am Ergebnis nichts. Da der Kaufpreis höher war als der Wert des Motorrads, hat K nach der Differenztheorie keinen verrechenbaren Schadensersatzanspruch erworben.

Fazit: Bei Unterschied zwischen Wert und Preis kommt die Verrechnungstheorie zu einem anderen Ergebnis. Dem V bleibt danach sein Verhandlungsgewinn anteilig erhalten!

 

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