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Schuldrecht Allgemeiner Teil 1 - Das neue Verbraucherrecht und Widerrufsrecht - Verbraucherwiderruf

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Schuldrecht Allgemeiner Teil 1

Das neue Verbraucherrecht und Widerrufsrecht - Verbraucherwiderruf

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Inhaltsverzeichnis

7. Teil Der Verbraucherwiderruf

A. Allgemeines

270

§ 355 Abs. 1 Satz 1 bestimmt: „Wird einem Verbraucher durch Gesetz ein Widerrufsrecht nach dieser Vorschrift eingeräumt, so sind der Verbraucher und der Unternehmer an ihre auf den Abschluss des Vertrags gerichteten Willenserklärungen nicht mehr gebunden, wenn der Verbraucher seine Willenserklärung fristgerecht widerrufen hat“.

Abweichend von dem Grundsatz „pacta sunt servanda“ räumt der Gesetzgeber aus Gründen des Verbraucherschutzes einem Verbraucher in bestimmten Sonderfällen das Recht ein, sich durch einfachen Widerruf, der vom Verbraucher nicht begründet werden muss, von der vertraglichen Bindung zu lösen. Entgegen verbreiteter Meinung kann nicht jeder Vertrag widerrufen werden. Die Anwendung des § 355 setzt vielmehr ein dem Verbraucher an anderer Stelle des BGB oder außerhalb des BGB eingeräumtes Widerrufsrecht voraus. Die einzelnen Widerrufsrechte werden wir unter F) behandeln.

Beispiel

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Widerrufsrecht bei „Außergeschäftsraumverträgen“ nach §§ 312b, 312g Abs. 1 bei „Fernabsatzgeschäften“ nach §§ 312c, 312g Abs. 1, bei „Verbraucherdarlehensverträgen“ nach §§ 491, 495 etc.

271

Das in § 355 vorausgesetzte Widerrufsrecht stellt eine rechtsvernichtende Einwendung dar. Rechtsfolge ist somit die Unwirksamkeit des zunächst wirksam zustande gekommenen Vertrags mit Wirkung ex nunc. Im Klausurprüfschema zum vertraglichen Erfüllungsanspruch ist daher der Prüfungspunkt „Anspruch erloschen“ der richtige Prüfungsstandort.

Weitere Folge des Widerrufs ist die Entstehung eines Anspruchs auf Rückgewähr der wechselseitig empfangenen Leistungen. Dieser Anspruch ist für Außergeschäftsraum- und Fernabsatzverträge in § 357, für Verträge über Finanzdienstleistungen in § 357b geregelt. Bei diesen Ansprüchen ist die wirksame Ausübung des Widerrufsrechts unter dem Prüfungspunkt „Anspruch entstanden“, Unterpunkt „Anspruchsvoraussetzungen“ zu untersuchen.

Die nachfolgende Darstellung beschränkt sich aus Gründen der Klausurrelevanz auf die wichtigsten Verbraucherwiderrufsrechte. Dabei handelt es sich um das Widerrufsrecht bei Außergeschäftsraumverträgen (§§ 312b, 312g), bei Fernabsatzverträgen (§§ 312c, 312g) und bei Verbraucherdarlehensverträgen (§§ 491, 495) inklusive der in §§ 510, 513 genannten Verträge.

B. Prüfungspunkte beim Verbraucherwiderruf

272

Bei jedem Verbraucherwiderrufsrecht können drei Problemkreise auftreten:

Hinweis

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Unter welchen tatbestandlichen Voraussetzungen entsteht ein Verbraucherwiderrufsrecht?

Wie wird es wirksam ausgeübt?

Was sind die Rechtsfolgen einer wirksamen Ausübung?

Zunächst sind die Voraussetzungen eines Widerrufsrechts nach der jeweiligen speziellen Gesetzesmaterie zu bestimmen, in der dieses geregelt ist. In einem zweiten Schritt ist die wirksame (insbesondere fristgemäße!) Ausübung des Widerrufsrechts nach § 355 zu untersuchen.

Entsprechend der klausurtypischen Behandlung des Prüfungsstoffes geht die folgende Darstellung zunächst von der Rechtsfolgenseite aus, da regelmäßig auch in der Klausur der Einstieg in die Problematik des Verbraucherwiderrufs über die Rechtsfolge erfolgen wird.

Beispiel

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V hat mit K einen Kaufvertrag abgeschlossen, bei welchem dem K ein Widerrufsrecht zusteht. Nachdem K den Kaufpreis gezahlt hat, erklärt er den Widerruf und verlangt von V die Rückzahlung des Kaufpreises.

Fallfrage: Kann K von V Rückzahlung des Kaufpreises verlangen?

Die Prüfung dieser Frage in der Klausur geht von der Rechtsfolgenseite aus, d.h., Sie müssen nach Rechtsnormen suchen, welche die konkrete Rechtsfolge (hier: Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises) enthalten.

Die Fallfrage könnte aber auch lauten: Kann V von K Ersatz für eine eventuelle Beschädigung der gelieferten Sache oder Zahlung einer Nutzungsvergütung verlangen?

Damit Sie auch mit solchen Fragestellungen in der Klausur zurecht kommen, müssen Sie vorher wissen, ob sich aus einem ausgeübten Widerrufsrecht überhaupt derartige Rechtsfolgen ergeben können. Mit dieser Frage werden wir uns zuerst befassen.

Anschließend soll die Grundnorm des § 355 dargestellt werden, welche grundsätzlich einheitlich die Ausübung eines Widerrufsrechts regelt. Die Besonderheiten der einzelnen Widerrufsrechte werden in einem dritten Schritt angesprochen.

C. Die Rechtsfolgen des Verbraucherwiderrufs

273

Mit der wirksamen Ausübung des Widerrufs wandelt sich das ursprüngliche Vertragsverhältnis in ein Rückgewährschuldverhältnis um. Dies bedeutet, dass die bisher erbrachten Leistungen zurück zu gewähren sind.

I. Besonderheiten bezüglich der Leistungszeit

274

Gegenüber der allgemeinen Vorschrift zur Leistungszeit (§ 271 „im Zweifel sofort“) enthalten die §§ 355 Absatz 3 Satz 1, 357 Abs. 1, 357b Absatz 1 einige Besonderheiten:

Bei Außergeschäftsraumverträgen und Fernabsatzverträgen sind nach § 357 Abs. 1 die empfangenen Leistungen spätestens nach 14 Tagen zurück zu gewähren.

Bei Finanzdienstleistungsverträgen beträgt die Rückgewährfrist 30 Tage (§ 357b Abs. 1).

Hinweis

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Zu beachten ist, dass diese Fristen nicht mit der Widerrufsfrist verwechselt werden dürfen. Vielmehr setzen sie einen fristgerecht erklärten Widerruf voraus und regeln nur die Art und Weise der Rückgewähr der empfangenen Leistungen.

II. Besonderheiten bezüglich des Leistungsorts

275

Die Grundregel hierfür trifft § 355 Abs. 3 S. 3. Danach ist die Ware vom Verbraucher an den Unternehmer zurückzusenden. Es handelt sich um eine Schickschuld,

Palandt-Grüneberg § 355 Rn. 13. bei der der Unternehmer nach § 355 Abs. 3 S. 4 die Verlustgefahr trägt. Die Parteien können zu Gunsten des Verbrauchers die Abholung durch den Unternehmer vereinbaren. Aus der Schickschuld wird dann eine Holschuld (vgl. § 357 Abs. 6).Palandt-Grüneberg § 355 Rn. 13. Eine Modifizierung enthält § 357 Abs. 7. Bei Außergeschäftsraumverträgen, bei denen die Ware zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses zur Wohnung des Verbrauchers geliefert worden ist, ist der Unternehmer verpflichtet, die Ware auf eigene Kosten abzuholen, wenn die Ware so beschaffen ist, dass sie nicht per Post zurückgesandt werden kann.

Hinweis

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§ 357 Absatz 7 geht auf Art. 14 Absatz 1 der VRRL zurück und umfasst insb. diejenige Konstellation, dass ein Vertreter die Ware zur Wohnung des Verbrauchers liefert. (Nur) dann beschränkt sich die Verpflichtung des Verbrauchers auf die Rücksendung bei Vorliegen der sog. Postversandfähigkeit (Grenze aktuell bei 31,5 kg bei DHL).
Liegt diese Konstellation nicht vor, muss der Verbraucher auch erschwerte Bedingungen hinnehmen und beispielsweise ein Logistikunternehmen mit der Rücksendung beauftragen.

III. Wertersatz

276

Bei Außergeschäftsraum- und Fernabsatzverträgen hat der Verbraucher nach § 357a Abs. 1 Wertersatz für Wertverlust der Ware zu leisten, wenn der Wertverlust auf einem Umgang mit der Ware zurückzuführen ist, der nicht zur Prüfung der Beschaffenheit, der Eigenschaften oder der Funktionsweise der Ware erforderlich war und der Unternehmer den Verbraucher formgerecht über sein Widerrufsrecht unterrichtet hat.

IV. Ausschluss sonstiger Ansprüche/abweichende Vereinbarungen

277

§ 361 Abs. 1 stellt klar, dass weitergehende Ansprüche des Unternehmers gegen den Verbraucher infolge des Widerrufs nicht bestehen. Damit sind insbesondere Ansprüche aus den §§ 280 ff. und dem Bereicherungsrecht gemeint. Während das Gesetz früher auf die Rechtsfolgen des Rücktritts verwies, enthalten die §§ 355 ff. heute ein grds. in sich geschlossenes System von Ansprüchen insoweit es nur um die Folgen des (bloßen) Widerrufs geht.

Die Vorschrift will verhindern, dass der Verbraucher durch eine vermeintlich bestehende große Zahl verschiedener Ansprüche gegen ihn vom Widerruf absieht.

Hinweis

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Hieraus wird abgeleitet, dass auch Ansprüche Dritter gegen den Widerrufenden ausgeschlossen sein müssen. Nur so könne der Zweck der Vorschrift effektiv umgesetzt werden („effet utile“).

Die Regelung umfasst den Widerruf von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen, Fernabsatzverträgen sowie sämtlichen weiteren Verbraucherverträgen. Damit ist die Umsetzung von Art. 14 V VRRL überschießend erfolgt.

Ein Anspruch des Unternehmers gegen den Verbraucher auf Nutzungswertersatz für Waren besteht nicht mehr. Ein Anspruch auf Wertersatz wegen Verschlechterung der Sache (Wertersatz) kann dagegen bestehen (z.B. § 357a Abs. 1), ist jedoch seinem Umfang nach auf die Regelungen des Widerrufs beschränkt.

Hinweis

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Ausgeschlossen sind auch Ansprüche aus culpa in contrahendo wegen eines Widerrufs ohne sachlichen Grund. Dies erfolgt daraus, dass der Widerruf gar nicht begründet werden muss. Eine Grenze ist jedoch dort zu ziehen, wo der Widerruf missbräuchlich oder sogar schikanös ausgeübt wird.

Aus § 361 Abs. 1 folgt jedoch nicht, dass generell keine weiteren Ansprüche bestehen können. Allerdings wird in der Literatur nicht durchgehend einheitlich bewertet unter welchen Umständen weitere Ansprüche bestehen können.

Einigkeit besteht darüber, dass Ansprüche gegen den Verbraucher dann nicht ausgeschlossen sind, wenn er seine Pflichten aus dem Widerruf (Rückgewährschuldverhältnis) verletzt. So insbesondere, wenn die Rücksendung verzögert erfolgt (§ 286) oder ausbleibt (§§ 281, 283 ggf. § 285).

Methode

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Dies lässt sich gut mit dem Sinn und Zweck der Vorschrift begründen (siehe oben). Hat der Verbraucher den Widerruf bereits ausgeübt, so hat die Vorschrift ihren Schutzzweck erfüllt.

Eine weitergehende Haftung des Verbrauchers ist auch dann nicht ausgeschlossen, wenn die Pflichtverletzung nicht im Zusammenhang mit dem Widerruf und seinen Folgen selbst steht.

Hier ist allerdings streitig welche Konstellationen erfasst sind. Während vereinzelt  vertreten wird, dass jede Verletzung von Schutzpflichten ausreichend sein soll, vertreten andere, dass nur bei grob fahrlässiger oder vorsätzlicher Verletzung der Pflichten Ansprüche bestehen können. Andere wiederum beschränken die Haftung auf den Fall des Rechtsmissbrauchs.

§ 361 Abs. 2 ordnet an, dass von den §§ 355 – 360 nicht zu Ungunsten des Verbrauchers abgewichen werden kann. Die Vorschriften sind demnach einseitig zwingend. Wie aus anderen Verbraucherschutzvorschriften – wie z.B. § 476 Abs. 4 – bekannt, sind auch Umgehungsgeschäfte unzulässig.

§ 361 Abs. 3 beschäftigt sich mit der Beweislast. Beruft sich der Unternehmer darauf, dass die Widerrufsfrist nicht eingehalten wurde, so muss er die zugrunde liegenden Tatsachen beweisen. Hierzu gehört neben der ordnungsgemäßen Belehrung der Nachweis über die Mitteilung des Widerrufs und den Beginn der Widerrufsfrist. Der Verbraucher muss dagegen beweisen, dass er eine Widerrufserklärung fristgerecht abgegeben hat und diese dem Unternehmer zugegangen ist.

D. Allgemeine Voraussetzungen der Verbraucherschutzrechte

278

Befassen wir uns zunächst mit der gesetzlichen Regelungssystematik, da Sie daraus Rückschlüsse für die Prüfung in der Klausur ableiten können.

Die allgemeinen Voraussetzungen finden sich in § 312. Damit folgt das Gesetz dem Grundprinzip des „vor die Klammer Ziehens“.

Nach § 312 Abs. 1 sind die Vorschriften des 1. und 2. Kapitels des Untertitels 2 nur auf Verbraucherverträge im Sinne des § 310 Absatz 3 anzuwenden, bei denen sich der Verbraucher zu der Zahlung eines Preises verpflichtet.

Prüfungspunkte sind daher:

Verbrauchervertrag

Verpflichtung des Verbrauchers zur Zahlung eines Preises

I. Verbrauchervertrag

Definition

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„Unternehmer“

Nach § 310 Abs. 3 liegt ein Verbrauchervertrag bei einem Vertrag zwischen einem „Unternehmer“ und einem „Verbraucher“ vor.

Hinweis

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§ 312 Abs. 1 BGB aF. enthielt in seinem Wortlaut einen Verweis auf § 310 Abs. 3 BGB, der den Begriff des Verbrauchervertrags legal definiert. Mit der Änderung des Gesetzes zum 01.01.2022 wurde dieser Verweis nun gestrichten. Trotz der Änderung soll der § 310 Abs. 3 BGB jedoch weiterhin zur Definition des Verbrauchervertrags herangezogen werden. Der Gesetzgeber hielt den Verweis schlechthin für überflüssig, da Legaldefinitionen ohnehin für das gesamte BGB geltenBT-Drs. 19/27653, S. 35.

1. Unternehmer

279

Der Begriff des Unternehmers ist in § 14 definiert.

Definition

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Unternehmer

Danach ist Unternehmer eine natürliche oder juristische Person (z.B. GmbH, Aktiengesellschaft etc.) oder eine rechtsfähige Personengesellschaft (z.B. oHG, KG, BGB-Gesellschaft etc.), die bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbstständigen beruflichen Tätigkeit handelt.

Hinweis

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Außer der Definition des Unternehmers enthält § 14 damit gleichzeitig eine Aufzählung der denkbaren Rechtssubjekte des BGB (natürliche Personen, juristische Personen, rechtsfähige Personengesellschaften).

2. Verbraucher

280

Verbraucher ist nach § 13 jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu einem Zweck abschließt, der überwiegend weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbstständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann.

Definition

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Verbraucher

Verbraucher ist nach dieser Definition also auch ein Kaufmann oder ein selbstständiger Arzt, der sich für Privatzwecke einen Laptop anschafft. Bei gemischter Nutzung reicht es aus, wenn die private Nutzung überwiegt.

Erwägungsgrund 17 zur RL 2001/83/EU; Münchener Kommentar-Micklitz § 13 Rn. 40 m.w.N.

Andererseits schließt nicht jede berufliche Nutzung die Verbrauchereigenschaft aus, sondern nur die Nutzung zu selbstständigen beruflichen oder gewerblichen Zwecken. So ist z.B. auch ein Arbeitnehmer, der sich Berufskleidung anschafft, Verbraucher. Dagegen ist der selbstständige Rechtsanwalt, der sich eine Robe kauft, kein Verbraucher.

II. Leistung des Unternehmers

281

Das Rechtsgeschäft muss eine Leistung des Unternehmers zum Gegenstand haben. Der Begriff der „Leistung“ ist weit auszulegen. Erfasst werden also nicht nur Kaufverträge, sondern Leistungen aller Art.

Palandt-Grüneberg § 312  Rn. 3.. Dabei ist auf die gesetzlich angeordnete Rollenverteilung zu achten. Der Erbringer der Leistung muss der Unternehmer, nicht der Verbraucher sein.
Der neue § 312 Abs. 1 BGB sieht nun vor, dass „sich der Verbraucher zu der Zahlung eines Preises verpflichtet“. Diese Formulierung ersetzt das bis dahin geltende Erfordernis der „entgeltliche(n) Leistung des Unternehmers“. Der neue Begriff des Preises ist in § 327 Abs. 1 S. 2 BGB definiert und geht weiter als der des Entgelts. Er soll damit neben Zahlungen in Form von Geld auch digitale Zahlungsmittel wie etwa Kryptowährungen erfassen Siehe Martens in BeckOK, Hau/Poseck, § 312, Rn. 9a, 9b. Andere Auswirkungen der Wortlautänderung sind hingegen nicht intendiert.
§ 312 Abs. Ia regelt die Konstellation des  „Zahlens mit Daten“.
D.h., wenn der Verbraucher dem Unternehmer personenbezogene Daten bereitstellt oder sich hierzu verpflichtet. Allerdings gilt dies gemäß Satz 2 nur dann, wenn der Unternehmer die Daten nicht ausschließlich dazu verarbeitet, um seine Leistungspflicht oder an ihn gestellte rechtliche Anforderungen zu erfüllen.

Die Bereitstellung der Daten muss stets auf einer vertraglichen Vereinbarung zwischen Verbraucher und Unternehmer beruhen. Nach vorzugswürdiger Ansicht führt eine datenschutzrechtlich rechtswidrige Nutzung oder Verpflichtung nicht zur Unwirksamkeit des Vertrags. Dies würde sich i.d.R. nur zu Lasten des Verbrauchers auswirken und ist von den verbraucherschützenden Vorschriften nicht intendiert.

Der Begriff der personenbezogenen Daten wird im BGB nicht definiert. Hier kann auf Art. 4 Nr. 1 DSGVO zurückgegriffen werden.

Definition

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Personenbezogene Daten
Alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen; als identifizierbar wird eine natürliche Person angesehen, die direkt oder indirekt, insbesondere mittels Zuordnung zu einer Kennung wie einem Namen, zu einer Kennnummer, zu Standortdaten, zu einer Online-Kennung oder zu einem oder mehreren besonderen Merkmalen, die Ausdruck der physischen, physiologischen, genetischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität dieser natürlichen Person sind, identifiziert werden kann;
§ 312 Abs. 1a verlangt nicht, dass die personenbezogenen Daten des Verbrauchers betroffen sind. Mit Blick auf Sinn und Zweck der Regelung werden fremde Daten nur dann als Preis berücksichtigt werden können, wenn sie aus der Sphäre des Verbrauchers stammen.
Die Regelungen der DSGVO stehen unabhängig neben den Regelungen aus dem Widerrufsrecht. D.h. die §§ 312 ff. lassen die Rechte aus der DSGVO oder anderen Datenschutzbestimmungen unberührt und umgekehrt (§ 327q). 

Hinweis

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Erbringt der Verbraucher andere Leistungen oder stellt nicht personenbezogene Daten (Sachdaten) zur Verfügung, kann eine analoge Anwendung der Vorschrift zurückhaltend diskutiert werden. Auch sonstige Leistungen können erfasst sein. Hier ist die Frage zu stellen, ob eine echte Gegenleistung im Raum steht.
Die Daten sind durch den Verbraucher bereitgestellt, wenn der Unternehmer auf die Daten – ggf. auch durch eigene Auswertung – zugreifen kann. Hier ist eine sehr weite Betrachtung veranlasst, BT-Drs. 19/27653, S. 39. Nutzt der Unternehmer die personenbezogenen Daten ohne Wissen des Verbrauchers, stehen dem Verbraucher ebenfalls die Rechte aus den §§ 312 ff. zu.

Vertiefung

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Freiwilligkeit und Kopplungsverbot
Dabei muss die Einwilligung freiwillig erteilt worden sein. Hier gilt es insbesondere Art. 7 Abs. 4 DSGVO zu berücksichtigen. Hier ist das sogenannte Kopplungsverbot geregelt. Diese Regelung muss in Einklang mit der Hingabe von Daten im Sinne von § 312 Abs. 1a gebracht werden. Eine Freiwilligkeit kann bezweifelt werden, wenn ein sehr starker Akteur am Markt eine Leistung anbietet, die für den Verbraucher wesentlich ist und der Akteur die Leistung nur gegen „Zahlung mit Daten“ anbietet.
Eine Ausnahme sieht Abs. Ia S. 2 vor, welche eng auszulegen ist. Das Vorliegen der Tatsachen ist vom Unternehmer zu beweisen.

282

Fraglich ist, ob nach der Umsetzung der Modernisierungs - RL  (Umgesetzt mit dem Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen vom 25.6.2021 mit Wirkung zum 1.1.2022) Verbraucherbürgschaften, die gem. § 312b außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen worden sind, weiterhin nicht – so zumindest die neue Rechtsprechung des BGHBGH NJW 2020, 3649. – dem  Widerrufsrecht aus § 312g unterfallen. 

Im Rahmen des Fernabsatzvertrags gem. § 312c ist anerkannt, dass ein Widerrufsrecht des Verbrauchers nicht besteht. Dies auch dann nicht, wenn die Bank dem Verbraucher ein – ggf. vorausgefülltes – Bürgschaftsformular zuschickt und der Verbraucher es dieser unterschrieben zukommen lässt.NJOZ 2017, 10.

Der an dieser Stelle schon lang schwelende Streit folgt insb. daraus, dass die Bürgschaft (§ 765) kein gegenseitiger, sondern ein einseitig verpflichtender Vertrag ist und zum anderen daraus, dass der Gläubiger des Bürgen (i.d.R. eine Bank) ihre Leistung (Darlehensauszahlung) nicht an den Bürgen, sondern an den Darlehensnehmer erbringt.

Einleitend wollen wir einen kurzen Blick auf die Entwicklung der Rechtsprechung zu diesem Themenkomplex werfen.

Auf Vorlage des BGH am 11.1.1996 entschied der EuGH im sog. Dietzinger - Urteil, dass der Widerruf einer Verbraucherbürgschaft auf Bürgschaften zu beschränken ist, bei denen der Hauptschuldner Verbraucher ist. EuGH NJW 1998, 1259. Neben dieser doppelten Verbrauchereigenschaft wurde auch die doppelte Haustürsituation gefordert, also für Darlehensvertrag und Bürgschaft.

Methode

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Hier wurde u.a. mit der Akzessorietät der Bürgschaft argumentiert. Allerdings wurde dabei verkannt, dass dieser Grundsatz die Stellung des Bürgen verbessern und nicht verschlechtern will.

Im Jahr 2006 entwickelte der BGH einen eigenen Lösungsansatz und erweiterte die Anwendung des Widerrufrechts. Seither waren auch solche Bürgschaften widerruflich, bei denen der Hauptschuldner Unternehmer war.BGH NJW 2006, 845. Dieser Weg war zulässig, da die damals gültige Haustürwiderrufs – RL nur eine Mindestharmonisierung vorsah, somit eine überschießende Umsetzung zuließ. Der Akzessorietätsgedanke wurde verworfen (s.o.) und nunmehr weder die doppelte Verbrauchereigenschaft noch die doppelte Haustürsituation gefordert.

Der (neue) Wortlaut von § 312 Abs. 1 in den jeweiligen Fassungen seit dem 13.6.2014 – 31.12.2021 verlangte nunmehr ausdrücklich „eine entgeltliche Leistung des Unternehmers“ ggü. dem Verbraucher. Streitig war sodann insb., ob die Leistung des Unternehmers auch gerade ggü. dem Bürgen erbracht werden muss.

In der Literatur wurde teilweise für eine Gesamtbetrachtung plädiert und damit eine erweiternde Auslegung des § 312 Abs. 1. Demnach galt es das vertragliche Synallagma zu lockern und die Hauptschuld in die Bewertung der Bürgschaftsverpflichtung einbeziehen. Insb. wurde auch auf die Schutzbedürftigkeit  im Rahmen dieser besonderen Vertriebsform abgestellt und darauf hingewiesen, dass die Drucksituation sich im Rahmen der Bürgschaft nicht von der Situation im Rahmen des Hauptvertrags unterscheide. Teilweise wurde auch eine analoge Anwendung der §§ 312 ff. vertreten.

Hinweis

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Die VRRL ist zwar vollharmonisierend umzusetzen, allerdings steht es dem nationalen Gesetzgeber frei, für Verträge, die der Richtlinie nicht unterfallen, entsprechende nationale Rechtsvorschriften beizubehalten oder einzuführen.

Der BGH ist den Ansätzen großer Teile der Literatur in seinem Urteil aus dem Jahr 2020 nicht gefolgt.BGH NJW 2020, 3649. Maßgeblich stellt der BGH darauf ab, dass die vertragscharakteristische Leistung gerade aufgrund des Verbrauchervertrags ggü. dem Verbraucher zu erfolgen hat. Dies ist im Rahmen der Bürgschaft jedoch nicht der Fall. Ggü. dem Bürgen wird keine Leistung erbracht, hier erbringt vielmehr der Bürge einseitig eine Leistung ggü. dem Unternehmer in Gestalt des Bürgschaftsversprechens. Eine Leistung ggü. einem Dritten reicht gerade nicht aus. Auch einer analogen Anwendung der Vorschriften für außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge erteilt der BGH eine Absage. Hier fehlt die notwendige Regelungslücke. Der Gesetzgeber wollte von vornherein nur solche Verträge erfassen, bei denen das o.g. vertragscharakteristische Leistungsverhältnis besteht (Austauschverträge). Dem Gesetzgeber war seit dem Dietzinger – Urteil die Problematik bekannt und wurde mit der Neuregelung im Jahr 2014 nicht behoben, weshalb eine Planwidrigkeit nicht angenommen werden kann.   

Auch kommt nach Ansicht des BGH eine Rechtsfortbildung oder eine richtlinienkonforme Auslegung nicht in Betracht, bzw. zu keinem anderen Ergebnis. Dies folgt bei Verbraucherkreditbürgschaften insb. daraus, dass § 312 Abs. 1 a.F. Art. 3 Abs. 1 VRRL entspricht und nur diejenigen Verbraucherverträge umfasst sind, die in Art. 9 VRRL dargelegt werden (lesen).

Vertiefung

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Rechtsfortbildung und richtlinienkonforme Auslegung

Der BGH begründet dies insb. wie folgt: „Das Widerrufsrecht besteht danach bei Dienstleistungsverträgen im Sinne von Art. 2 Nr. 6, bei Kaufverträgen im Sinne von Art. 2 Nr. 5 sowie bei Verträgen über die Lieferung von Wasser, Gas oder Strom, wenn sie nicht in einem begrenzten Volumen oder in einer bestimmten Menge zum Verkauf angeboten werden, von Fernwärme (vgl. Erwägungsgrund 25) oder von digitalen Inhalten (vgl. Art. 2 Nr. 11), die nicht auf einem körperlichen Datenträger geliefert werden. Einseitig den Verbraucher verpflichtende Verträge vermitteln nach Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie 2011/83/EU aber nach wie vor grundsätzlich kein Widerrufsrecht; sie unterfallen nicht dem Anwendungsbereich der Richtlinie, da sie keine Leistung des Unternehmers zum Vertragsgegenstand haben. Allein dieses Verständnis von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2011/83/EU entspricht auch ihrem Schutzzweck. Die Richtlinie zielt nicht darauf ab, sämtliche Verträge, in denen sich als Vertragspartner ein Verbraucher und ein Unternehmer gegenüberstehen, einzubeziehen. Vielmehr liegt dem mit der Richtlinie geschaffenen Schutzsystem der Gedanke zugrunde, dass der Verbraucher sich bei Abschluss von Verträgen zu kommerziellen Zwecken in bestimmten Situationen gegenüber dem Unternehmer in einer geschwächten Verhandlungsposition befindet. Mit dem Widerrufsrecht zum Außergeschäftsraumvertrag sollte der Nachteil ausgeglichen werden, dass die Initiative zu den Vertragsverhandlungen in der Regel vom Gewerbetreibenden ausgeht und der Verbraucher auf die Verhandlungen außerhalb der Geschäftsräume des Gewerbetreibenden nicht vorbereitet ist oder psychisch unter Druck steht. Dies birgt die Gefahr, dass der Verbraucher Waren kauft oder Dienstleistungen in Anspruch nimmt, die er ansonsten nicht kaufen oder in Anspruch nehmen würde, beziehungsweise Verträge über Waren und Dienstleistungen zu überhöhten Preisen schließt, weil er keine Möglichkeit hat, Qualität und Preis des Angebots mit anderen Angeboten zu vergleichen. Alle Überlegungen stellen danach auf eine Leistung des Unternehmers ab. Hieran knüpfen die Informationspflichten des Unternehmers nach Art. 6 und die Pflichten des Verbrauchers nach Art. 14 der Richtlinie an.“

Vertiefung

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Vorlage an den EuGH

Der BGH hat die Frage nicht dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt. Dies ist in der Literatur auf Kritik gestoßen. Der BGH unterließ die Vorlage mit Blick auf das – aus seiner Sicht – klare Auslegungsergebnis. In der Literatur ist insb. umstritten, ob das Dietzinger – Urteil betroffen ist. Gegen eine Betroffenheit wird insb. vorgetragen, dass es hier um den Schutz des Bürgen unabhängig von der Tatsache geht, ob das Grundgeschäft von einem Verbraucher getätigt wurde. Im Hinblick auf eine Verbraucherkreditbürgschaft gilt es ergänzend zu berücksichtigen, dass die VRRL Finanzdienstleistungen und Verbraucherkredite außerhalb von Geschäftsräumen nicht mehr erfasst. In anderen Konstellationen wäre eine Vorlage wohl sinnvoll. Allein die gewichtigen kritischen Stimmen in der Literatur zeigen jedoch, dass vorliegend nicht, wie der BGH meint, ein eindeutiges Auslegungsergebnis („acte clair“) vorliegt.

Seit dem 1.1.2022 enthält der Wortlaut von § 312 Abs. 1 nicht mehr die Formulierung „entgeltliche Leistung des Unternehmers“. Dies hat den (alten) Streit wieder befeuert.

Teilweise wird aus der Wortlautänderung abgeleitet, dass nunmehr nicht nur auf die vertragscharakteristische Leistung des Unternehmers abzustellen sei, sondern vielmehr die Perspektive des Verbrauchers einzunehmen sei.

Andere Teile der Lit. folgen der bisherigen Rechtsprechung des BGH. Die neue Formulierung ändert nichts an dem Umstand, dass sich der Verbraucher zur Zahlung eines Preises ggü. dem Unternehmer nur verpflichtet, um die vertragscharakteristische Leistung zu erhalten. Dies gilt auch dann, wenn sich der Verbraucher (nur) dazu verpflichtet „dem Unternehmer“ i.S.d.         § 312 Abs. Ia S. 1 mit Daten bereitzustellen.

E. Die Widerrufsrechte

283

Ein Widerrufsrecht bei Verbraucherverträgen besteht nur in den gesetzlich bestimmten Fällen. Es besteht also nicht bei allen Verbraucherverträgen.

Beispiel

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Rentner K erwirbt im Möbelgeschäft des V eine Einbauküche. Hierbei handelt es sich zwar um einen „Verbrauchervertrag“ i.S.d. § 310 Abs. 3, jedoch besteht für Verträge dieser Art kein gesetzliches Widerrufsrecht.

Im Folgenden werden wir uns näher mit den klausurrelevanten Widerrufsrechten, nämlich den Widerrufsrechten bei Außergeschäftsraumverträgen, Fernabsatzverträgen und Verbraucherdarlehensverträgen befassen.

I. Außergeschäftsraumverträge, §§ 312b, 312g Abs. 1

1. Schutzzweck der §§ 312b, 312g

284

§ 312g bezweckt, den Verbraucher vor der spezifischen Überrumpelungssituation bei Geschäften in einer der in § 312b genannten Situationen zu schützen. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass der Verbraucher in solchen Verhandlungssituationen typischerweise zu übereilten Reaktionen neigt, sei es aus Überraschung, um den Verkäufer abzuwimmeln oder aus schlichter Höflichkeit.

2. Klausurprüfungspunkte

285

Beim Außergeschäftsraumvertrag nach § 312b sind folgende Punkte zu prüfen:

Prüfungsschema

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Wie prüft man: Der Widerruf beim Außergeschäftsraumvertrag

I.

Vertragsparteien: Verbraucher (§ 13) und Unternehmer (§ 14)

II.

Vertragsgegenstand: Verpflichtung des Verbrauchers zur Zahlung eines Preises

III.

Situationsbedingte Voraussetzungen des § 312b Abs. 1 S. 1 Nr. 1–4

a) Vertragsparteien und Vertragsgegenstand

286

Es muss ein Vertrag zwischen einem Verbraucher i.S.v. § 13 und einem Unternehmer i.S.v. § 14 vorliegen, bei dem sich der Verbraucher zur Zahlung eines Preises verpflichtet. Insoweit sei auf die oben dargestellten Erläuterungen verwiesen.

b) Situationsbedingte Voraussetzungen des § 312b Abs. 1

287

§ 312b Abs. 1 enthält die Definition des Außergeschäftsraumvertrages in mehreren Varianten.

Ausgangspunkt ist, dass der Vertrag grundsätzlich außerhalb eines Geschäftsraums abgeschlossen wurde. Der Begriff des „Geschäftsraums“ wird in § 312b Abs. 2 definiert. Das Gesetz unterscheidet dabei zwischen unbeweglichen und beweglichen Gewerberäumen.

Definition

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Geschäftsräume

Geschäftsräume sind danach zunächst unbewegliche Gewerberäume, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit dauerhaft ausübt. Keine unbeweglichen Gewerberäume sind danach Geschäftsräume anderer Unternehmer, die der Unternehmer nur gelegentlich benutzt.

Beispiel

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Der Unternehmer hält in dem Konferenzraum eines Hotels eine Werbeveranstaltung ab. Werden bei einer solchen Veranstaltung entgeltliche Verträge mit Verbrauchern abgeschlossen, liegt ein Außergeschäftsraumvertrag nach § 312b Abs. 1 Nr. 1 vor.

Dagegen liegt kein Außergeschäftsraumvertrag vor, wenn der Vertrag in einem Raum abgeschlossen wurde, den der Unternehmer auf Dauer nutzt.

Beispiel

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Das R-Repetitorium hält im hierfür auf Dauer angemieteten Saal des Kolpinghauses an drei Tagen in der Woche Kurse zur Vorbereitung auf das 1. Juristische Staatsexamen ab. Jurastudent J meldet sich im Kursraum zur Kursteilnahme an. Hier liegt kein Außergeschäftsraumvertrag vor, so dass dem J kein Widerrufsrecht nach § 312g Abs. 1 zusteht. R hält die Kurse in den Räumen regelmäßig ab. R muss nicht Eigentümer des Grundstücks sein, auf dem sich das Gebäude befindet. Auch kommt es nicht auf den zeitlichen Umfang, sondern nur auf die Dauerhaftigkeit der Nutzung an.

Gegenbeispiel: Das R-Repetitorium hält eine Werbeveranstaltung in dem von der Verbindung V einmalig zu diesem Zweck zur Verfügung gestellten Saal ab. Student J meldet sich auf dieser Veranstaltung zum Kurs an. Hier handelt es sich um einen Außergeschäftsraumvertrag mit Widerrufsrecht nach § 312g Abs. 1.

Geschäftsräume sind aber auch bewegliche Gewerberäume, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit für gewöhnlich ausübt. Hierunter fallen z.B. Marktbuden, Verkaufswagen und saisonale Verkaufsstätten.

aa) Fall 1: Vertragsschluss außerhalb der Geschäftsräume, § 312b Abs. 1 Nr. 1

288

§ 312b Abs. 1 Nr. 1 erfasst den Fall, dass das Rechtsgeschäft bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit des Verbrauchers und des Unternehmers (Abgrenzung zum Fernabsatzvertrag) oder seines Beauftragten (§ 312b Abs. 1 S. 2) an einem Ort geschlossen wurde, der kein Geschäftsraum des Unternehmers ist. Für diese Variante kommt es auf den Ort des Vertragsschlusses an.

Beispiel

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Die Z-GmbH vertreibt Zeitschriften und unterhält hierfür vorübergehend einen Werbestand im Supermarkt S. Verbraucher V bestellt, nachdem er vom Zeitschriftenwerber angesprochen wurde, die Zeitschrift „Computer aktuell“. Der Supermarkt ist zwar Geschäftsraum des Betreibers, aber nicht der Z. Die Willenserklärungen des V und der Z wurden im Supermarkt S abgegeben. Es liegt ein Außergeschäftsraumvertrag vor, da der Vertragsschluss außerhalb der Geschäftsräume der Z erfolgte.

Beispiel

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Die B vertreibt gewerblich Einbauküchen. Am 20.4. schloss Privatmann A auf der alle zwei Jahre stattfindenden „Messe Rosenheim“ an dem Verkaufs- und Informationsstand der B einen schriftlichen Kaufvertrag über eine Einbauküche zum Gesamtpreis von 10 000 € ab. Eine Widerrufsbelehrung enthielt der Kaufvertrag nicht. Bei der „Messe Rosenheim“ handelte es sich um eine klassische Verkaufsmesse, bei der neben Unternehmern, die einen Vertragsschluss auf der Messe erzielen wollten, auch vereinzelt Aussteller vertreten waren, die den Messestand primär oder ausschließlich zu Informationszwecken unterhielten. A widerrief den Vertragsschluss noch am gleichen Tage unter Hinweis auf §§ 312b, g.

Nach Ansicht des BGH steht dem A kein Widerrufsrecht nach § 312b zu, da es sich nicht um einen Außergeschäftsraumvertrag i.S.v. § 312b handelte.

BGH Urteil vom 10.4.2019 (Az: VIII ZR 82/17) BeckRS 2019, 7655. Nach § 312b Abs. 2 S. 1 sind Geschäftsräume auch bewegliche Gewerberäume, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit „für gewöhnlich“ ausübt (klassischer Fall wäre die Verkaufsbude des Schaustellers auf Kirmesveranstaltungen). Darunter fällt nach Ansicht des BGH aber auch ein Messestand eines Unternehmers, an dem der Unternehmer seine Tätigkeit nur „an wenigen Tagen“ im Jahr ausübt, wenn in Anbetracht aller Umstände ein normal informierter Verbraucher vernünftigerweise damit rechnen konnte, dass der Unternehmer ihn dort anspricht, um mit ihm einen Vertrag zu schließen. Der BGH berief sich hierbei auch auf die Interpretation des EuGH, wonach es in diesen Fällen an dem für das Widerrufsrecht maßgeblichen Überraschungsmoment fehle.EuGH Urteil vom 7.8.2018 (Az: C-485/17) WRP 2018, 1183. BGH und EuGH interpretieren den Begriff „für gewöhnlich“ somit nicht nach der Häufigkeit der Verwendung eines Messestandes, sondern danach, ob es sich um einen Messestand handelt, der nicht nur zur Verbraucherinformation über das Produkt eingesetzt wird, sondern danach, ob er nach seinem Erscheinungsbild und den sonstigen Begleitumständen „für gewöhnlich“ dazu dient, dass dort Verträge mit Verbrauchern abgeschlossen werden. Im Unterschied zum Ausgangsbeispiel (Werbestand im Supermarkt) muss der Verbraucher auf einer Verkaufsmesse damit rechnen, dass der Unternehmer ihn nicht nur über sein Produkt informieren, sondern mit ihm einen Vertrag abschließen möchte.

bb) Fall 2: Vertragsangebot des Verbrauchers außerhalb der Geschäftsräume, § 312b Abs. 1 Nr. 2

289

Alternativ stellt § 312b Abs. 1 Nr. 2 darauf ab, ob der Verbraucher sein Vertragsangebot unter den in Nr. 1 genannten Umständen abgegeben hat.

Beispiel

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Wie Ausgangsbeispiel (Werbestand im Supermarkt), doch kommt der Abonnementsvertrag erst durch Annahmebestätigung der Z zustande. Auch hier liegt ein Außergeschäftsraumvertrag vor. Es macht also keinen Unterschied, ob der Vertrag außerhalb der Geschäftsräume des Unternehmers sofort geschlossen wird oder ob der Verbraucher in dieser Verhandlungssituation lediglich sein Vertragsangebot abgegeben hat. Dies entspricht der ratio legis. Die Überrumpelungssituation, vor der der Verbraucher geschützt werden soll, ist dieselbe, wie beim sofortigen Vertragsschluss, da der Verbraucher nach § 145 bereits an sein Angebot gebunden ist.

cc) Fall 3: Vertragsschluss in den Geschäftsräumen, nach vorheriger Ansprache des Verbrauchers außerhalb der Geschäftsräume, § 312b Abs. 1 Nr. 3

290

Im Fall des § 312b Abs. 1 Nr. 3 wird der Vertrag zwar in den Geschäftsräumen des Unternehmers oder unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln geschlossen; jedoch erfolgt bei dieser Variante der Vertragsschluss unmittelbar nachdem der Verbraucher zuvor außerhalb der Geschäftsräume vom Unternehmer oder dessen Beauftragten persönlich und individuell angesprochen wurde.

Beispiel

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Die Z-GmbH hat auf der Straße vor ihrem Geschäft einen Stand aufgebaut, an welchem Werbeprospekte für ihre Zeitschriften verteilt werden. Der Werber weist Verbraucher V darauf hin, dass er bei Bestellung im Laden ein Werbegeschenk erhält. Daraufhin begibt sich V sofort in das Geschäft, unterschreibt die Bestellung und erhält das Werbegeschenk. Hier liegt ebenfalls ein Außergeschäftsraumvertrag vor, obwohl sowohl der Unternehmer, als auch der Verbraucher ihre Willenserklärungen in den Geschäftsräumen der Z abgegeben haben.

Gegenbeispiel: V hat sich die Werbeprospekte zunächst mit nach Hause genommen, um die Angelegenheit erst einmal zu überschlafen. Erst am nächsten Tag unterschreibt er das Zeitschriftenabonnement im Geschäft der Z. Hier steht dem V kein Widerrufsrecht zu, weil er den Vertrag nicht unmittelbar nachdem er auf der Straße von dem Werber angesprochen worden ist, in den Geschäftsräumen der Z unterschrieben hat. Auch dies entspricht der ratio legis, da die von § 312b vorausgesetzte Überrumpelungssituation am Tag des Vertragsschlusses nicht mehr besteht.

Hinweis

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Achtung, hier liegt ein wichtiger Unterschied zur bisherigen Rechtslage vor! Nach § 312 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 a.F. bestand ein Widerrufsrecht schon dann, wenn der Verbraucher „ … im Anschluss an ein überraschendes Ansprechen … im Bereich öffentlicher Verkehrsflächen zum Abschluss des Vertrages bestimmt worden ist“. Danach war ein enger zeitlicher oder räumlicher Zusammenhang zwischen „Haustürsituation“ und der Abgabe der Willenserklärung des Verbrauchers nicht erforderlich, solange noch die Kausalität festgestellt werden konnte. So war der BGH der Ansicht, selbst bei einem Abstand von drei Wochen könne theoretisch noch ein Haustürgeschäft vorliegen.

BGH NJW-RR 2009, 1275 (1277 Rn. 19). Nach der enger gefassten Neuregelung ist in solchen Situationen ein Widerrufsrecht nicht mehr möglich. Den Erwägungsgründen zur Verbraucherrechtsrichtlinie ist zu entnehmen, dass es darauf ankommen soll, ob der Verbraucher genug Zeit hatte, vor dem Vertragsschluss über das Angebot des Unternehmers nachzudenken.ErwG 21 S. 5 RL 2011/83/EU.

dd) Fall 4: Vertragsschluss in den Geschäftsräumen des Unternehmers bei einer vom Unternehmer (mit) organisierten Ausflugsveranstaltung, § 312b Abs. 1 Nr. 4

291

Nach § 312b Abs. 1 Nr. 4 liegt ein Außergeschäftsraumvertrag auch dann vor, wenn der Vertrag auf einem Ausflug geschlossen wurde, der von dem Unternehmer oder mit seiner Hilfe organisiert wurde, um bei dem Verbraucher für den Verkauf von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen zu werben und mit ihm entsprechende Verträge abzuschließen.

Die Vorschrift erweitert den Anwendungsbereich des § 312b Abs. 1 S. 1 Nr. 1, indem er auch Verträge erfasst, die anlässlich einer Ausflugsveranstaltung in den Geschäftsräumen des Unternehmers geschlossen werden.

Die klassischen „Kaffeefahrten“, bei denen der Unternehmer Werbeveranstaltungen in für solche Fahrten von Fall zu Fall angemieteten Gaststätten, also außerhalb seiner Geschäftsräume durchführt, um den Teilnehmern Heizdecken etc. zu verkaufen, werden bereits unmittelbar von § 312b Abs. 1 Nr. 1 erfasst.

Palandt-Grüneberg § 312b Rn. 7. Veranstalter der Ausflugsveranstaltung kann auch ein Dritter sein, der die Veranstaltung organisiert und durchführt. Es genügt, dass die Veranstaltung mit Hilfe des Unternehmers durchgeführt wird. Das ist bereits dann zu bejahen, wenn der Dritte weiß und duldet, dass der Unternehmer Werbung und Verkaufstätigkeit entfaltet.Palandt-Grüneberg § 312b Rn. 7 m.w.N. Die Vorschrift betrifft typischerweise gewerbliche Veranstaltungen, bei denen für den Verbraucher aufgrund der Art der Ankündigung oder der Durchführung der Veranstaltung das Freizeiterlebnis im Vordergrund steht.Palandt-Heinrichs § 312 Rn. 16. Keine Freizeitveranstaltungen i.d.S. sind daher markt- oder messeähnliche Leistungsschauen oder Verkaufsausstellungen, die der Verbraucher typischerweise nicht wegen des Freizeitwerts, sondern wegen des Warenangebots besucht.

Ist auf Seiten des Verbrauchers ein Vertreter aufgetreten, so kommt es nach dem Rechtsgedanken des § 166 darauf an, ob der Vertreter durch die in § 312b Abs. 1 Nr. 1–4 vorausgesetzte Willensbeeinflussung zum Abschluss des Vertrages bestimmt wurde

BGH NJW 2000, 2268, 2270.. Hat der Vertreter ohne Vertretungsmacht gehandelt, so steht dem Vertreter (wegen seiner Haftung nach § 179) das Widerrufsrecht zu.BGH NJW 2000, 2268, 2270.

Die Außengeschäftsraumverträge, §§ 312b, g Abs. 1

I. Allgemeine Voraussetzungen

Vertrag zwischen Unternehmer und Verbraucher

Verpflichtung des Verbrauchers zur Zahlung eines Preises

Gleichzeitige körperliche Anwesenheit beider Teile

II. Situationsbedingte Voraussetzungen des § 312b Abs. 1

Fallgruppe

WE des Verbrauchers

WE des Unternehmers

zusätzliche situationsbedingte Voraussetzungen

§ 312b Abs. 1 Nr. 1

außerhalb Geschäftsraum

außerhalb Geschäftsraum

keine

§ 312b Abs. 1 Nr. 2

außerhalb Geschäftsraum

innerhalb Geschäftsraum

keine

§ 312c Abs. 1 Nr. 3

innerhalb Geschäftsraum

innerhalb Geschäftsraum

nach vorheriger Ansprache des Verbrauchers durch Unternehmer außerhalb der Geschäftsräume

§ 312d Abs. 1 Nr. 4

innerhalb Geschäftsraum

innerhalb Geschäftsraum

auf einer vom Unternehmer (mit) organisierten Ausflugsveranstaltung

II. Fernabsatzverträge nach § 312c

1. Schutzzweck

292

Die §§ 312c, 312g bezwecken den Verbraucher vor den Gefahren der „Unsichtbarkeit des Vertragspartners und des Produkts“ zu schützen, da der Verbraucher sich hier regelmäßig nur sehr eingeschränkt selbst ein Bild von der Person seines Vertragspartners sowie des Produkts machen kann.

Palandt-Grüneberg § 312c, Rn. 1. Das Gesetz bedient sich hier des klassischen Verbraucherschutzinstrumentariums, indem es dem Unternehmer umfassende Informationspflichten auferlegt (§ 312d–f), und zugleich dem Verbraucher ein Widerrufsrecht (§ 312g Abs. 1) einräumt.

2. Klausurprüfungspunkte

293

Bei den §§ 312c ff. sind folgende Punkte zu beachten:

a) Vertragsparteien und Vertragsgegenstand

294

Erforderlich ist auch hier ein Verbrauchervertrag, bei dem sich der Verbraucher zur Zahlung eines Preises verpflichtet.

b) Situationsbedingte Voraussetzungen des § 312c

295

Fernabsatzverträge sind Verträge, bei denen der Unternehmer oder eine in seinem Namen oder Auftrag handelnde Person und der Verbraucher für die Vertragsverhandlungen und den Vertragsschluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwenden.

Hierunter fallen alle Verträge über Waren und Dienstleistungen, die zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln (z.B. Briefe, E-Mails, Kataloge, Teleshopping, Telefonanrufe etc., vgl. § 312c Abs. 2) im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebssystems abgeschlossen werden. Ein solches Vertriebssystem setzt voraus, dass es den Vertragsschluss ohne gleichzeitige körperliche Anwesenheit beider Parteien ermöglicht.

Palandt-Grüneberg § 312c Rn. 3. Hierin liegt der Unterschied zum Außergeschäftsraumvertrag, da dieser die gleichzeitige körperliche Anwesenheit der Parteien oder ihrer Beauftragten voraussetzt (vgl. § 312b Abs. 1). Beide Vorschriften schließen sich daher tatbestandlich gegenseitig aus.Palandt-Grüneberg § 312c Rn. 9.

Kein Fernabsatzvertrag liegt vor, wenn die entscheidenden Verhandlungen im Geschäft des Unternehmers stattgefunden haben und der Besteller die Ware oder Dienstleistung anschließend telefonisch bestellt.

Beispiel

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Verbraucher V interessiert sich für ein neues Fernsehgerät. Er lässt sich im „Medien-Markt“ (M) ausführlich über das Gerät XZ 20 beraten. Angesichts des Preises von 500 € erklärt er dem Verkäufer, er müsse die Sache noch einmal überdenken. Er werde sich am nächsten Tag melden. Am nächsten Morgen ruft V bei M an und bestellt unter Bezugnahme auf das Gespräch vom vorigen Tag das Gerät. Hier liegt kein Fernabsatzvertrag vor, da die Vertragsverhandlungen im Geschäft des M stattgefunden haben und lediglich der Vertragsschluss telefonisch erfolgte.

Ein Fernabsatzvertrag liegt aber dann vor, wenn der Verbraucher das Ladengeschäft lediglich zum Zwecke der Information über die Waren und Dienstleistungen aufsucht und anschließend den Vertrag aus der Ferne verhandelt und abschließt.

ErwG 20 S. 2 RL 2011/83/EU. Abgrenzungsprobleme tauchen dann auf, wenn die Verhandlungsphase sehr kurz ausfällt und nichts anderes enthält, als die Informationen über die Ware oder Dienstleistung.

Beispiel

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Professor P ist zu einer Tagung gereist und spaziert am Tagungsort durch die Fußgängerzone. Er betritt das Spielwarengeschäft des U, um für seine Kinder ein Geschenk zu kaufen. Er sieht u.a. ein zwar schönes, aber sperriges und schweres Bauklotzset für 60 €. Er unterhält sich mit dem Verkäufer über den Preis, das geeignete Alter des Kindes und die Gesundheitsverträglichkeit der Farben. Letztlich sagt P, dass er das Bauklotzset wegen seiner Größe und Schwere leider nicht auf der Tagung und der Reise herumtragen möchte. Daraufhin erklärt ihm der Verkäufer: „Wir haben auch einen Online-Shop“ und übergibt dem P eine Visitenkarte mit den erforderlichen Angaben. Wieder daheim, bestellt P das Bauklotzset online. Liegt hier ein Fernabsatzgeschäft vor? Die Beantwortung dieser Frage entscheidet u.a. darüber, ob dem P ein Widerrufsrecht nach § 312g zusteht. Ein Fernabsatzvertrag liegt nämlich nur dann vor, wenn die Parteien nicht nur für den Vertragsschluss, sondern auch für die Vertragsverhandlungen ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwendet haben. Haben dagegen sämtliche Verhandlungen im Geschäft des U stattgefunden (so im vorherigen Beispiel im Geschäft des M), besteht kein Widerrufsrecht. Hier könnte man der Ansicht sein, dass kein wesentlicher Unterschied zum vorherigen Beispiel erkennbar ist. Allerdings erfolgte die Bestellung dort unter eindeutiger Bezugnahme auf das Gespräch zwischen V und M vom Vortag. Dagegen weist die Online-Bestellung des P keinen erkennbaren Bezug zum vorangegangenen Beratungsgespräch auf. Richtigerweise wird man daher in diesem Fall ein Fernabsatzgeschäft bejahen müssen.

Beispiel nach Hilbig-Lugani ZJS 5 2013, 441 ff. (447).

Unternehmer i.S.v. § 312c können nicht nur Gewerbetreibende, sondern auch Freiberufler, z.B. Rechtsanwälte, sein (vgl. die Legaldefinition des Unternehmers in § 14).

Beispiel

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Rechtsanwalt R ist im Kapitalmarktrecht tätig. Er weist auf seiner Internetseite darauf hin, dass Kapitalanlegern einer bestimmten Fondsgesellschaft gegen diese wegen eines Berechnungsfehlers ein Anspruch auf Zahlung einer höheren Ausschüttung zustehe. Auf der Internetseite des R befindet sich ein Downloadlink für eine von dem Anleger auszufüllende auf R lautende anwaltliche Vollmacht. Verbraucher V schickt die ausgefüllte Vollmacht an R zurück. R schreibt per Serienbrief die Fondsgesellschaft an und berechnet dem V eine Rechnung für seine Tätigkeit. Ein persönlicher Kontakt zwischen R und V hat zu keinem Zeitpunkt stattgefunden. Über ein Widerrufsrecht wurde V nicht belehrt. Nach Ansicht des BGH steht dem V ein Widerrufsrecht nach § 312g zu, da es sich beim Abschluss des Anwaltsvertrages um ein Fernabsatzgeschäft i.S.v. § 312c handelt.

BGH NJW 2018, 690 ff.

III. Das Widerrufsrecht beim Verbraucherdarlehensvertrag, Finanzierungshilfen und beim Ratenlieferungsvertrag

1. Verbraucherdarlehensvertrag

296

Ein Verbraucherdarlehensvertrag ist nach § 491 Abs. 1 ein entgeltlicher Darlehensvertrag zwischen einem Unternehmer als Darlehensgeber und einem Verbraucher als Darlehensnehmer. Das Gesetz unterscheidet hierbei zwischen Allgemein-Verbraucherdarlehens- und Immobliliar-Verbraucherdarlehensverträgen.

Der Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag ist in § 491 Abs. 2 S. 1 definiert. Es handelt sich dabei um entgeltliche Darlehensverträge zwischen einem Unternehmer als Darlehensgeber und einem Verbraucher als Darlehensnehmer. Die Definition des Immobiliar-Darlehensvertrages findet sich in § 491 Abs. 3.

Die folgende Darstellung beschränkt sich aus Gründen der Examensrelevanz auf den Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag.

Gem. § 495 Abs. 1 steht dem Verbraucher ein Widerrufsrecht nach § 355 zu.

Bei der Prüfung des Verbraucherwiderrufsrechts nach § 495 sind folgende Punkte zu beachten:

Prüfungsschema

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Wie prüft man: Das Verbraucherwiderrufsrecht nach § 495

I.

Vertragsparteien: Verbraucher (§ 13) als Darlehensnehmer und Unternehmer (§ 14) als Darlehensgeber

II.

Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag (§ 491 Abs. 2 S. 1, keine Ausnahme nach § 491 Abs. 2 S. 2)

III.

Kein Ausschluss des Widerrufsrechts

(§ 495 Abs. 2 Nr. 1-3)

a) Vertragsparteien

297

Hinsichtlich des persönlichen Anwendungsbereichs ist im Bereich des Verbraucherkreditrechts auf eine wichtige Sonderregelung einzugehen, nämlich die Einbeziehung von Existenzgründerdarlehen in den Schutz des Verbraucherkreditrechts in § 513. Diese Norm wird von der h.M. als Begründung herangezogen, warum grundsätzlich ein Existenzgründer gerade nicht als Verbraucher i.S.v. § 13 anzusehen ist, da es ansonsten der Regelung des § 513 nicht bedürfte. In der Klausur gilt es vor allem, § 513 nicht zu übersehen, weshalb Sie sich (im Rahmen des Zulässigen) Ihr Gesetz entsprechend kommentieren sollten.

Hinweis

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Beachten Sie weiterhin, dass die Parteirollen vom Gesetz hier vorgegeben sind; der Verbraucher muss Darlehensnehmer, der Unternehmer Darlehensgeber sein.

b) Verbraucherdarlehensvertrag

298

Vorausgesetzt wird zunächst, dass es sich um einen entgeltlichen Darlehensvertrag gem. § 488 handelt, wobei das Entgelt auch nur geringfügig sein kann.

Darüber hinaus stellt § 492 eine Reihe von strengen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen auf. Neben dem Erfordernis der Schriftform (§ 492 Abs. 1) ist der umfangreiche Katalog an Angaben zu beachten, die der Vertrag nach § 492 Abs. 2 i.V.m. Art. 247 §§ 6–13 EGBGB enthalten muss.

Hinweis

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Beachten Sie in diesem Zusammenhang insbesondere auch den neu eingefügten § 492 Abs. 4, der in Durchbrechung der allgemeinen Regelung des § 167 Abs. 2 die Formbedürftigkeit einer Vollmacht zum Abschluss eines Verbraucherkreditvertrags erfordert.

Rechtsfolge eines Verstoßes gegen die formalen und inhaltlichen Erfordernisse ist die Nichtigkeit des Darlehensvertrags nach § 494 Abs. 1. Eines Widerrufs bedarf es dann nicht mehr. Allerdings kann nach § 494 Abs. 2 eine Heilung mit Auszahlung der Darlehensvaluta eintreten.

c) Kein Ausschluss des Widerrufsrechts

299

Die Ausschlussgründe des § 495 Abs. 2 sind in der Klausur regelmäßig unproblematisch und daher nur kurz anzusprechen, wenn dazu nach dem Sachverhalt Anlass besteht.

d) Wichtige Klausurprobleme

300

Zunehmend in der Diskussion und somit auch von gesteigerter Examensrelevanz ist die Frage, ob Schuldbeitritt und Bürgschaftsvertrag als Verbraucherdarlehen i.S.d. §§ 491 ff. anzusehen sind.

aa) Schuldbeitritt als Verbraucherdarlehensvertrag

301

Der Schuldbeitritt ist ein einseitig verpflichtender Vertrag sui generis, der nach dem Prinzip der Vertragsfreiheit gem. § 311 Abs. 1 zulässig ist. Beim Schuldbeitritt tritt der Mitübernehmer zusätzlich neben dem Hauptschuldner in das Schuldverhältnis als Gesamtschuldner (§ 421) ein.

Palandt-Grüneberg Überblick vor § 414 Rn. 2.

Unstreitig ist, dass der Schuldbeitritt selbst kein Verbraucherdarlehensvertrag i.S.d. Gesetzes ist, da insoweit lediglich eine Mithaftung übernommen wird, ohne dass der Beitretende eigene Ansprüche geltend machen kann.

In Betracht kommt somit allenfalls eine analoge Anwendung der §§ 491 ff. Der BGH

BGH NJW 2000, 3496. neigt unter gewissen Voraussetzungen dazu, eine Analogie zu bejahen, da der Beitretende sogar noch schutzwürdiger ist als der Kreditnehmer, da er ja eine Verpflichtung eingeht, ohne dafür eine Gegenleistung oder einen eigenen Anspruch zu erhalten.

Nach Ansicht des BGH ist dafür erforderlich, dass der Kreditvertrag an sich dem Anwendungsbereich der Verbraucherdarlehensverträge unterfällt, ohne dass es erforderlich ist, dass der tatsächliche Kreditnehmer Verbraucher ist; allerdings muss der Beitretende Verbraucher sein (sog. Einzelbetrachtungsweise).

BGH NJW 2012, 166.

Beispiel

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A (kein Verbraucher!) schließt bei B einen Kreditvertrag ab. Später tritt C (Verbraucher!) der Schuld des A bei. Hier sind die §§ 491 ff. auf C analog anzuwenden. Hätte C den Vertrag unmittelbar mit B geschlossen, so wären die §§ 491 ff. nämlich direkt anwendbar.

bb) Bürgschaft als Verbraucherdarlehensvertrag

302

Ob die §§ 491 ff. auf Bürgschaften für Verbraucherdarlehen analog anwendbar sind, ist sehr umstritten.

Teilweise wurde die analoge Anwendung der §§ 491 ff. generell bejaht. Die Interessenlage sei mit der beim Schuldbeitritt in den wesentlichen Punkten vergleichbar.

LG Köln WM 1998, 172; LG Magdeburg NJW 1999, 3496; Bülow NJW 1996, 2889, 2892; Graf v. Westphalen DB 1998, 295, 297.

Überwiegend wird die Analogie generell abgelehnt.

OLG Hamm WM 1998, 171; AnwK-BGB-Reiff § 491 Rn. 5 m.w.N; Schäfer in: Haas/Medicus/Rolland/Schäfer/Wendtland S. 327 m.w.N. Der Bürge sei durch die Vorschriften des Bürgschaftsrechts hinreichend geschützt. So schreibe § 766 für die WE des Bürgen, vergleichbar mit § 492 Abs. 1 die Schriftform der WE des Bürgen vor. Auch könne der Bürge gem. §§ 767, 768 die gleichen Einreden und Einwendungen wie der Hauptschuldner geltend machen. Insoweit fehle es in wesentlichen Punkten an der Vergleichbarkeit mit dem Schuldbeitritt.

Der BGH hat sich in seinem Urteil vom 22.9.2020 - XI ZR 219/19 ebenfalls gegen die Widerrufsmöglichkeit entschieden. Die Einzelheiten können Sie im nachfolgenden Video erfahren.

Da die §§ 491 ff. auf einer Umsetzung der EG-RiL vom 22.6.1986 und vom 20.5.1997 beruhen, hatte sich der EuGH auf Vorlage des LG Potsdam mit der Frage zu befassen, ob eine Bürgschaft, die zur Absicherung eines Kredits übernommen wurde, in den Geltungsbereich der EG-Richtlinie fällt. Der EuGH hat hierzu entschieden, dass der Bürgschaftsvertrag selbst dann nicht in den Geltungsbereich der Richtlinie fällt, wenn sowohl der Bürge, als auch der Hauptschuldner Verbraucher sind.

EuGH ZIP 2000, 574.

Die h.M. geht daher davon aus, dass eine analoge Anwendung der §§ 491 ff. ausgeschlossen ist.

Ulmer JZ 2000, 781; Schäfer in: Haas/Medicus/Rolland/Schäfer/Wendtland S. 327 m.w.N.

Die besseren Gründe sprechen für die Ablehnung der Analogie, da der Bürge – vorbehaltlich eines weitergehenden Schutzes durch §§ 312b, 312g - durch die Vorschriften des Bürgschaftsrechts bereits umfassend geschützt ist.

Hinweis

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Beachten Sie daher: Eine Bürgschaft eines Verbrauchers allein begründet noch kein Widerrufsrecht. Ein Widerrufsrecht steht ihm aber dann zu, wenn der Bürgschaftsvertrag als „Außergeschäftsraumvertrag“ i.S.v. § 312b abgeschlossen wurde.

2. Widerrufsrecht beim entgeltlichen Zahlungsaufschub und sonstigen entgeltlichen Finanzierungshilfen nach §§ 506 ff.

303

Beachten Sie, dass § 506 Abs. 1 den Anwendungsbereich der dort genannten Verbraucherrechte auf sonstige entgeltliche Finanzierungshilfen erstreckt. Insbesondere verweist die Vorschrift auch auf das Widerrufsrecht nach § 495.

Wichtig ist hier zunächst, dass die Entgeltlichkeit sich auf die Gewährung der Finanzierungshilfe bezieht, nicht auf den zugrunde liegenden Vertrag.

Beispiel

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Wenn K bei V einen Gebrauchtwagen für 10 000 € kauft, und beide Ratenzahlung (10 Raten à 1000 €) vereinbaren, so liegt gerade keine entgeltliche Finanzierungshilfe vor, da die Summe der Raten dem Barzahlungspreis entspricht. Erst wenn die Summe der Teilzahlungsbeträge höher ist als der Barzahlungspreis, liegt eine entgeltliche Finanzierungshilfe vor.

Expertentipp

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Hier gilt es vor allem, durch sorgfältige Lektüre des Gesetzes die zugegebenermaßen unzugängliche Struktur des Gesetzes zu durchdringen. Dazu ist es sinnvoll, sich die folgenden Mechanismen eng am Gesetz zu verdeutlichen:

§ 506 Abs. 1 bildet quasi die Grundnorm, die auf entgeltlichen Zahlungsaufschub (Teilzahlungsgeschäfte) sowie sonstige entgeltliche Finanzierungshilfen (Finanzierungsleasing) verweist.

§ 506 Abs. 2 macht deutlich, worin der Sinn der §§ 506 ff. eigentlich liegt: Die Grundsätze zum Verbraucherkredit, wie sie oben dargestellt wurden, werden je nach Vertragstyp selektiv modifiziert, wie die unterschiedlichen Verweisungen in § 506 Abs. 2 S. 2 und § 506 Abs. 1 zeigen.

Dabei regelt § 506 Abs. 2 abschließend und ausschließlich die Besonderheiten beim Finanzierungsleasing, während die §§ 507, 508 abschließend und ausschließlich die Besonderheiten beim Teilzahlungsgeschäft behandeln.

Haben Sie diesen grundlegenden Mechanismus des Gesetzes erst einmal verstanden, finden Sie sich im Paragraphen- und Verweisungswirrwarr besser zurecht. Schwerpunkte in der Klausur liegen hier typischerweise im Systemverständnis und der präzisen Rechtsanwendung, und weniger bei Detailproblemen.

3. Widerrufsrecht bei Ratenlieferungsverträgen nach § 510

304

Der Vollständigkeit halber ist das Widerrufsrecht nach § 510 Abs. 1 S. 1 noch zu erwähnen. Achten Sie hier zunächst darauf, die drei Fallgruppen von Ratenlieferungsverträgen in § 510 Abs. 1 S. 1 Nr. 1-3 sauber zu differenzieren.

Beispiel

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§ 510 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 (Teilleistungen, Sukzessivlieferverträge): Mehrbändige Lexika, einzelne Teile eines Bausatzes, Module eines Sprachkurses, § 510 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 (gleichartige Sachen): jegliche Abonnements, Zeitschriften, Lebensmittel, § 510 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 (wiederkehrende Verpflichtungen): Rahmenverträge, wie bspw. Buchgemeinschaft, Bierlieferverträge.

Zu beachten ist weiterhin, dass nach § 510 Abs. 1 S. 2 die Ausschlussgründe des § 491 Abs. 2, 3 entsprechend gelten.

F. Ausschlusstatbestände

I. Die gesetzliche Systematik

305

In § 312 Abs. 2 und § 312g Abs. 2 überschneiden sich zwei Ausnahmekataloge. In § 312 Abs. 2 werden eine Reihe von Verträgen bis auf wenige Bestimmungen vollständig vom Anwendungsbereich der Kapitel 1 und 2 des Untertitels 2 ausgenommen. Bei diesen Verträgen besteht daher u.a. auch kein Widerrufsrecht. In § 312g Abs. 2 werden die dort genannten Verträge nur vom Widerrufsrecht ausgenommen. Für diese Verträge gelten also die besonderen Informationspflichten und formalen Anforderungen der §§ 312c ff.

II. Die wichtigsten Ausnahmen vom Widerrufsrecht

306

Hervorzuheben sind vor allem folgende Neuregelungen:

Vom Widerrufsrecht ausgenommen sind nach § 312g Abs. 2 Nr. 3 nunmehr Verträge über die Lieferung versiegelter Waren, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nicht zur Rückgabe geeignet sind, wenn ihre Versiegelung nach der Lieferung entfernt wurde.

Beispiel

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Verbraucher V bestellt beim Versandhändler H 1 kg Räucherlachsfilet, welches in Folie eingeschweißt geliefert wird.

Eine weitere Ausnahme enthält § 312g Abs. 2 Nr. 1 für Verträge über die Lieferung von Waren, die nicht vorgefertigt sind und für deren Herstellung eine individuelle Auswahl oder Bestimmung durch den Verbraucher maßgeblich ist oder die eindeutig auf die Bestimmungen des Verbrauchers zugeschnitten sind.

Offen ist, ob nach dieser Neuformulierung vom Ausschluss des Widerrufsrechts auch solche Sachen erfasst werden, welche aus vorgefertigten Standardbauteilen hergestellt werden und die ohne großen Aufwand und ohne Beeinträchtigung ihrer Substanz oder Funktionsfähigkeit wieder getrennt werden können.

Beispiel

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Kunde K lässt sich vom Händler H einen Computer im Baukastensystem nach seinen Wünschen zusammenstellen. Bei einer solchen Ausgangssituation hatte der BGH den früheren Ausnahmetatbestand des § 312d Abs. 4 Nr. 1 (Kauf nach Kundenspezifikation) nicht angewendet.

BGH NJW 2003, 1665.

G. Wirksame Ausübung des Widerrufsrechts

307

Prüfungsschema

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Wie prüft man: Die Ausübung des Widerrufsrechts

I.

Sachlicher Anwendungsbereich

II.

Wirksame Widerrufserklärung

III.

Einhaltung der Widerrufsfrist

 

1.

Dauer und Fristbeginn

 

2.

Höchstfristen

I. Sachlicher Anwendungsbereich

308

Der sachliche Anwendungsbereich setzt voraus, dass nach dem Gesetz einem Verbraucher ein Widerrufsrecht nach § 355 eingeräumt wurde. Dies wird typischerweise in der Klausur bereits vorher geprüft worden sein, so dass an dieser Stelle ein kurzer Hinweis genügt.

II. Wirksame Widerrufserklärung

309

Die Widerrufserklärung ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung. Der Widerruf bedarf keiner Begründung und ist als Gestaltungsrecht bedingungsfeindlich.

Inhaltlich schreibt § 355 Abs. 1 S. 3 vor, dass aus der Erklärung der Entschluss des Verbrauchers zum Widerruf des Vertrags eindeutig hervorgehen muss. Während § 355 Abs. 1 S. 2 a.F. noch „Textform“ für den Widerruf verlangte enthält § 355 Abs. 1 n.F. diese Voraussetzung nicht mehr.

III. Einhaltung der Widerrufsfrist

1. Dauer und Fristbeginn

310

Nach § 355 Abs. 2 S. 1 beträgt die Widerrufsfrist 14 Tage. Sie beginnt nach § 355 Abs. 2 S. 2 grundsätzlich mit Vertragsschluss, soweit nicht ein anderes bestimmt ist.

Die näheren Modifizierungen sind in §§ 356–356e, je nach Art des Vertrags, unterschiedlich geregelt. Alle Varianten setzen für den Beginn der Widerrufsfrist eine ordnungsgemäße Information des Verbrauchers nach Maßgabe der Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, 246b § 2 Abs. 1, 246 Abs. 3 EGBGB, insbesondere eine Belehrung über sein Widerrufsrecht, voraus.

a) Beginn der Widerrufsfrist bei Außergeschäftsraum- und Fernabsatzverträgen, § 356

311

Bei Außergeschäftsraumverträgen unterscheidet § 356 Abs. 2 zwischen Verbrauchsgüterkaufverträgen (§ 474 Abs. 1) und den in § 356 Abs. 2 Nr. 2 genannten Lieferungsverträgen.

aa) Regelmäßige Lieferung von Waren über einen festgelegten Zeitraum

312

Bei Verträgen, die die regelmäßige Lieferung von Waren über einen festgelegten Zeitraum zum Gegenstand haben, beginnt die Frist mit dem Erhalt der ersten Ware (§ 356 Abs. 2 Nr. 1d).

Beispiel

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Zeitungsabonnement über einen befristeten Zeitraum.

bb) Lieferung von Waren in mehreren Teilsendungen oder Stücken

313

Bei Verbrauchsgüterkaufverträgen über die Lieferung von Waren in mehreren Teilsendungen oder Stücken beginnt die Frist mit Erhalt der letzten Teilsendung oder des letzten Stückes (§ 356 Abs. 2 Nr. 1c).

Beispiel

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Lieferung einer 12-bändigen Lexikonreihe in Teilsendungen.

cc) Gesondert gelieferte Waren aufgrund einer einheitlichen Bestellung

314

Beim Erwerb mehrerer gesondert gelieferter Waren im Rahmen einer einheitlichen Bestellung beginnt die Widerrufsfrist erst mit dem Erhalt der letzten Ware (§ 356 Abs. 2 Nr. 1b).

Bei sonstigen Verbrauchsgüterkaufverträgen, die als Außergeschäftsraumverträge abgeschlossen werden, beginnt die Frist nach § 356 Abs. 2 Nr. 1a mit dem Erhalt der Ware.

dd) Lieferverträge i.S.v. § 356 Abs. 2 Nr. 2

315

Bei den Dauerlieferungsverträgen i.S.v. § 356 Abs. 2 Nr. 2 (Wasser, Gas, Strom etc.) beginnt die Widerrufsfrist mit dem Vertragsschluss.

b) Beginn der Widerrufsfrist bei Verbraucherdarlehensverträgen, § 356b

316

Bei Verbraucherdarlehensverträgen beginnt die Frist erst mit Aushändigung der Vertragsurkunde mit den Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2. Enthält die Urkunde die Pflichtangaben nicht, beginnt die Frist erst mit Nachholung dieser Angaben. Die Widerrufsfrist beträgt in diesem Fall einen Monat (§ 356b Abs. 2).

c) Beginn der Widerrufsfrist bei Ratenlieferungsverträgen, § 356c

317

Bei einem Ratenlieferungsvertrag, der weder im Fernabsatz noch außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen wird, beginnt die Widerrufsfrist nicht, bevor der Unternehmer den Verbraucher gem. Art. 246 Abs. 3 EGBGB über sein Widerrufsrecht unterrichtet hat.

2. Höchstfristen

a) bei Außergeschäftsraum- und Fernabsatzverträgen

318

In den Fällen, in denen die Widerrufsfrist nach den o.g. Grundsätzen nicht zu laufen begonnen hat ist, anders als nach bisheriger Rechtslage nunmehr eine Höchstfrist bestimmt.

Nach § 356 Abs. 3 S. 2 erlischt das Widerrufsrecht spätestens nach 12 Monaten und 14 Tagen ab Vertragsschluss.

Nach § 356 Abs. 4 erlischt das Widerrufsrecht bei Dienstleistungsverträgen in den Fällen des § 356 Abs. 4 Nr. 1 - 4. Nr. 1 beschäftigt sich mit Verträgen ohne Preisvereinbarung. Die Nummern 2 - 4 mit solchen bei denen eine Verpflichtung zur Zahlung eines Preises vereinbart wurde (lesen!). 

§ 356 Abs. 5 regelt das Erlöschen bei einem Vertrag über die Bereitstellung von nicht auf einem körperlichen Datenträger befindlichen digitalen Inhalten. Auch hier regelt Nr. 1 die Konstellation ohne Preisvereinbarung und die Nr. 2 a - d mit entsprechender Vereinbarung (lesen!).

b) bei Ratenlieferungsverträgen

319

Auch hier ist eine Höchstfrist von 12 Monaten und 14 Tagen ab Vertragsschluss vorgesehen.

c) bei Verbraucherdarlehensverträgen

320

Bei Verbraucherdarlehensverträgen, welche einen Unterfall der „Finanzdienstleistungsverträge“ bilden,

Palandt-Grüneberg § 312 n.F. Rn. 26. enthält § 356 Abs. 4 Nr. 4 nur für den Fall des Vertrags über die Erbringung von Finanzdienstleistungen einen besonderen Erlöschensgrund. Danach erlischt das Widerrufsrecht, wenn der Vertrag von beiden Seiten auf ausdrücklichen Wunsch des Verbrauchers vollständig erfüllt ist, bevor der Verbraucher sein Widerrufsrecht ausgeübt hat. Ansonsten kann das Widerrufsrecht bei Fehlen einer ordnungsgemäßen Belehrung allenfalls verwirkt werden.Palandt-Grüneberg § 356 Rn. 8.

H. Verbundene Verträge, §§ 358 ff.

321

Nach der Legaldefinition des § 358 Abs. 3 S. 1 ist ein Vertrag über die Lieferung einer Ware oder die Erbringung einer anderen Leistung (der sog. „Leistungsvertrag“) mit einem Verbraucherdarlehensvertrag verbunden, wenn das Darlehen ganz oder teilweise der Finanzierung des Leistungsvertrags dient und beide Verträge eine „wirtschaftliche Einheit“ bilden.

322

Eine wirtschaftliche Einheit liegt nach § 358 Abs. 3 S. 2 insbesondere vor, wenn der Unternehmer entweder selbst die Leistung finanziert oder, im Falle der Finanzierung durch einen Dritten, wenn sich der Darlehensgeber bei der Vorbereitung oder dem Abschluss des Verbraucherdarlehensvertrags der Mitwirkung des Unternehmers bedient.

Beispiel

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K kauft bei Händler V einen neuen Pkw zum Preis von 30 000 €. Er zahlt 10 000 € an und der Rest soll über die Hausbank B des V finanziert werden, mit der V in solchen Fällen zusammenarbeitet. Demgemäß unterschreibt K im Geschäft des V zwei Verträge; einen Kaufvertrag mit V und einen Darlehensvertrag mit B. Eine Woche später hat sich K die Sache anders überlegt und möchte von beiden Verträgen wieder loskommen.

Die Besonderheit der hier zu behandelnden Problematik ist, dass beim finanzierten Kauf der Kaufvertrag und der Darlehensvertrag rechtlich zwar selbstständige Schuldverhältnisse darstellen, wirtschaftlich aber eine Einheit bilden. Das Gesetz bezeichnet eine solche Vertragskombination als „verbundene Verträge“.

Hinweis

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An dieser Stelle ist der „Kauf auf Kredit“ vom „Kauf bei Kredit“ abzugrenzen. Ein Kauf bei Kredit liegt vor, wenn sich der Verbraucher das Darlehen selbst verschafft. In diesem Fall liegen keine verbundenen Verträge vor, weil es an der wirtschaftlichen Einheit fehlt. Solche Verträge bleiben – vorbehaltlich der Ausnahme in § 360 auch rechtlich getrennt.

323

Die §§ 358, 359 befassen sich nur mit dem Fall, dass der Leistungsvertrag und der Verbraucherdarlehensvertrag miteinander verbundene Verträge sind (Kauf auf Kredit).

Bei dieser Konstellation stellen sich insbesondere fünf Fragen:

Gegenüber welchem Vertragspartner muss der Verbraucher den Widerruf erklären?

Wie wirkt sich der Widerruf des einen Vertrags auf den damit verbundenen Vertrag aus (Widerrufsdurchgriff)?

Zwischen welchen Beteiligten erfolgt im Fall des Widerrufs die Rückabwicklung?

Wie wirken sich Einreden und Einwendungen, die der Verbraucher aus dem Leistungs- vertrag hat, gegenüber dem verbundenen Verbraucherdarlehensvertrag aus (Einwendungsdurchgriff)?

Kann der Verbraucher vom Darlehensgeber die geleisteten Raten zurückverlangen oder muss er sich an den Partner des Leistungsvertrages halten (Rückforderungsdurchgriff)?

I. Der Widerrufsdurchgriff

1. Der Widerrufsadressat

324

Wer Widerrufsrechtsadressat ist, hängt zunächst davon ab, gegenüber welchem Vertragspartner ein Widerrufsrecht besteht.

a) Fall 1: Das Widerrufsrecht besteht nur für den Darlehensvertrag

325

Der Verbraucherdarlehensvertrag unterliegt nach § 495 einem eigenen Widerrufsrecht. Dies trifft auf den verbundenen Kauf- oder Leistungsvertrag (im Folgenden der Einfachheit halber als „Leistungsvertrag“ bezeichnet) nur in Ausnahmefällen zu, z.B. wenn dieser als Außergeschäftsraum- oder Fernabsatzvertrag abgeschlossen wurde.

Besteht danach, wie im Regelfall, das Widerrufsrecht nur für den Verbraucherdarlehensvertrag, so ist der Widerruf an den Darlehensgeber zu richten.

b) Fall 2: Das Widerrufsrecht besteht ausnahmsweise auch gegenüber dem verbundenen Leistungsvertrag

326

Besteht das Widerrufsrecht ausnahmsweise auch gegenüber dem Leistungsvertrag, so kann nach Wegfall des früheren § 358 Abs. 2 S. 2 der Widerruf gegenüber beiden Vertragspartnern erfolgen.

Beispiel

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K hat mit V einen von der B-Bank finanzierten Abzahlungskauf in einer Haustürsituation abgeschlossen. Bei dieser Konstellation kann K den Darlehensvertrag und den Kaufvertrag widerrufen.

2. Auswirkung des Widerrufs auf den verbundenen Vertrag

a) Fall 1: Das Widerrufsrecht besteht nur für den Darlehensvertrag

327

§ 358 Abs. 2 regelt den Normalfall des Widerrufs des verbundenen Verbraucherdarlehensvertrages und erstreckt die Rechtsfolge des Widerrufs auf den verbundenen Leistungsvertrag.

b) Fall 2: Das Widerrufsrecht besteht ausnahmsweise auch gegenüber dem verbundenen Leistungsvertrag

328

§ 358 Abs. 1 regelt den Ausnahmefall des Widerrufs des Leistungsvertrags und erstreckt die Rechtsfolge des Widerrufs auf den verbundenen Darlehensvertrag. Diese Regelung kommt nur dann in Betracht, wenn für den Kaufvertrag ausnahmsweise ein eigenes Widerrufsrecht besteht.

3. Die Beteiligten des Rückabwicklungsschuldverhältnisses

329

Gleich wem gegenüber der Widerruf zu erklären ist, jedenfalls ist der Verbraucher in beiden Fällen an beide Verträge nicht mehr gebunden. Für die Frage, zwischen welchen Beteiligten das Rückabwicklungsschuldverhältnis nach §§ 355 Abs. 3, 357–357b entsteht, unterscheidet das Gesetz danach, ob dem Unternehmer als Partner des Leistungsvertrages der Darlehensbetrag bereits zugeflossen ist oder nicht.

Ist das Darlehen dem Unternehmer noch nicht zugeflossen, entsteht zwischen dem Verbraucher und dem Verkäufer als Unternehmer ein Rückgewährschuldverhältnis, welches die Parteien verpflichtet, einander die empfangenen Leistungen zurück zu gewähren.

Ist das Darlehen dem Unternehmer bereits zugeflossen, tritt nach § 358 Abs. 4 S. 5 der Darlehensgeber in die Rechte und Pflichten aus dem Rückabwicklungsschuldverhältnis ein. Die Rückabwicklung erfolgt dann ausschließlich zwischen dem Darlehensgeber und dem Verbraucher.

Der Sinn dieser Regelung ist, es dem Verbraucher zu ersparen, sich bei der Rückabwicklung mit zwei Parteien auseinandersetzen zu müssen.

II. Der Einwendungsdurchgriff

330

Beim Einwendungsdurchgriff geht es um die Frage, welche Auswirkungen Mängel des Leistungsvertrages (Nichtigkeit, Ausübung von Gestaltungsrechten durch den Verbraucher, mit Ausnahme des Widerrufs) auf den verbundenen Darlehensvertrag haben. Diese Frage ist in § 359 Abs. 1 S. 1 geregelt.

Beispiel

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Händler V verkauft dem K einen PKW. Der Vertrag wird durch die Bank des V finanziert (verbundenes Geschäft). Nach Ablauf der Widerrufsfrist tritt K wegen eines Mangels vom Kaufvertrag zurück. Hat dies Auswirkungen auf den verbundenen Darlehensvertrag?

Nach § 359 Abs. 1 S. 1 kann der Verbraucher die Rückzahlung des Darlehens verweigern, soweit Einwendungen aus dem verbundenen Vertrag ihn gegenüber dem Unternehmer zur Leistungsverweigerung berechtigen würden. Im Ausgangsbeispiel kann K also gegenüber der Bank die Zahlung der weiteren Darlehensraten verweigern.

Hinweis

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Hinweis: Im Verhältnis zwischen dem Verkäufer und dem Verbraucher ist der Rücktritt des Käufers eine rechtsvernichtende Einwendung. Gegenüber der Bank wird diese Einwendung zur „Einrede“ („kann verweigern“).

Sinn der Regelung ist es, den Verbraucher vor den Risiken zu bewahren, die sich aus der Aufspaltung eines wirtschaftlich einheitlichen Vorgangs in zwei Verträge ergeben könnten.

III. Der Rückforderungsdurchgriff

331

Fraglich ist, ob K im obigen Ausgangsbeispiel von der Bank die bereits gezahlten Raten zurück verlangen kann oder ob er sich insoweit an den Verkäufer halten muss.

Die Frage ist in § 359 nicht geregelt.

Als Anspruchsgrundlage kommt § 813 in Betracht. Danach kann das zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit Geleistete zurückgefordert werden, wenn dem Anspruch eine Einrede entgegenstand, durch welche die Geltendmachung des Anspruchs dauernd ausgeschlossen wurde. Die h.M.

Vgl. Palandt-Grüneberg § 359 Rn. 7 m.w.N. unterscheidet dabei wie folgt:

1. Rechtslage bei Nichtigkeit oder Anfechtung des Kaufvertrags

332

Ist der verbundene Kaufvertrag nichtig oder angefochten, so gilt Folgendes:

Da der Verbraucher eine dem Unternehmer eventuell geleistete Anzahlung ohne Rechtsgrund erbracht hat, steht ihm gegen diesen ein Anspruch auf Rückzahlung zu. Von der finanzierenden Bank kann er nach § 813 Rückerstattung der Darlehensraten verlangen, da ihm infolge der Nichtigkeit des Kaufvertrages die Einrede aus § 359 von Anfang an zustand. Der Anspruch besteht aber nur Zug um Zug gegen Abtretung seines Anspruchs gegen den Verkäufer aus § 812 auf Erstattung der Darlehensvaluta an die Bank.

Palandt-Grüneberg § 359 Rn. 7 m.w.N.

2. Rechtslage bei Mangelhaftigkeit der Kaufsache

333

Da Rücktritt, Minderung und Schadensersatz statt der Leistung nur zur Umgestaltung des Kaufvertrages ex nunc führen, § 813 aber das Bestehen der Einrede im Zeitpunkt der Zahlung der Darlehensraten voraussetzt, scheidet nach h.M. die Anwendung des § 813 für die bis zur Erklärung des Rücktritts (etc.) gezahlten Raten aus. Der Verbraucher muss sich daher an den Verkäufer halten.

Nach einer Mindermeinung soll dagegen ein Rückforderungsdurchgriff nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313) oder analog der Regelung über den Einwendungsdurchgriff (§ 358 Abs. 4 S. 5) möglich sein.

Vgl. MüKo-Habersack § 359 Rn. 68.

Offen, und vom BGH bisher noch nicht entschieden, ist die Frage, ob ein beschränkter Rückforderungsdurchgriff nach § 813 auf Rückzahlung der nach Ausübung des Gestaltungsrechts geleisteten Darlehensraten möglich ist. Dies wird vom OLG Sachsen-Anhalt mit Entscheidung vom 10.2.2013 mit überzeugenden Gründen bejaht.

OLG Sachsen-Anhalt NJW 2013, 3455-3458.

Es bleibt abzuwarten, wie der BGH dieses Problem entscheiden wird.

I. Zusammenhängende Verträge, § 360

334

§ 360 enthält eine Regelung für „zusammenhängende“ Verträge, bei denen die Voraussetzungen für verbundene Verträge nicht vorliegen. Hier kommt es nach § 360 Abs. 1 S. 1 ebenfalls zu einem Widerrufsdurchgriff auf den zusammenhängenden Vertrag. Nach § 360 Abs. 2 S. 1 liegt ein zusammenhängender Vertrag vor, wenn er einen Bezug zum widerrufenen Vertrag aufweist und eine Leistung betrifft, die von dem Unternehmer des widerrufenen Vertrags oder einem Dritten auf der Grundlage einer Vereinbarung zwischen dem Dritten und dem Unternehmer des widerrufenen Vertrags erbracht wird.

Zum Verständnis der komplizierten gesetzlichen Formulierung wollen wir uns deren Bestandteile einmal im Einzelnen ansehen.

Erforderlich ist zunächst, dass der Verbraucher zwei getrennte Verträge abschließt. Vertragspartner beider Verträge kann derselbe Unternehmer sein oder es können auch zwei Unternehmer sein. Es darf sich nicht um verbundene Verträge i.S.v. § 358 Abs. 3 handeln, da sich ansonsten der Widerrufsdurchgriff bereits aus § 358 Abs. 1 ergibt. Für mindestens einen der Verträge muss ein Widerrufsrecht des Verbrauchers bestehen. Begrifflich sind der widerrufene Vertrag und der damit zusammenhängende Vertrag zu unterscheiden. Der zusammenhängende Vertrag muss einen Bezug zum widerrufenen Vertrag haben.

Beispiel

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Verbraucher K erwirbt beim Autohändler H einen neuen PKW zum Preis von 40 000 €. Im Kaufvertrag ist die Klausel aufgenommen, dass der Käufer den Kaufpreis über seine Bank, die B-Bank finanziert. K schließt zu diesem Zweck mit der B-Bank einen Verbraucherdarlehensvertrag, den er später fristgerecht widerruft. Hier handelt es sich nicht um verbundene Verträge, i.S.v. § 358 Abs. 3, da Verkäufer und B-Bank nicht geschäftlich verbunden sind. K hat den Verbraucherdarlehensvertrag wirksam widerrufen. Der Kaufvertrag zwischen K und H ist ein mit dem Darlehensvertrag verbundener Vertrag, da er wegen der Finanzierungsklausel einen Bezug zum Darlehensvertrag hat und eine Leistung betrifft, die von der Darlehensgeberin, die B-Bank erbracht werden sollte. Gem. § 360 Abs. 1 S. 1 ist K nach Widerruf des Darlehensvertrages auch nicht mehr an den Kaufvertrag gebunden.

Nach § 360 Abs. 2 S. 2 kann umgekehrt auch ein Verbraucherdarlehensvertrag der zusammenhängende Vertrag und der andere Vertrag der widerrufene Vertrag sein. Dies ist dann der Fall, wenn das Darlehen ausschließlich der Finanzierung des widerrufenen Vertrags dient und die Leistung des Unternehmers aus dem widerrufenen Vertrag in dem Verbraucherdarlehensvertrag genau angegeben ist. Diese Variante ist v.a. von Bedeutung, wenn die Widerrufsfrist für den Verbraucherdarlehensvertrag bereits abgelaufen ist.

Beispiel

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Verbraucher K hat im Internet sein Traumfahrrad Bulls Green Mover E 45 entdeckt, welches vom Online Händler H zum Preis von 3999 € angeboten wird. Er schließt mit seiner Bank B einen Kreditvertrag über ein Darlehen in dieser Höhe ab. Im Darlehensvertrag ist u.a. Folgendes geregelt:

„… Das Darlehen dient der Finanzierung des Erwerbs des E-Bike Bulls Green Mover durch K von der Fa. H. Das Fahrrad wird zur Absicherung des Darlehens von K an B sicherungsübereignet …“

Der Vertrag ist mit einer ordnungsgemäßen Widerrufsrechtsbelehrung versehen.

Anschließend zahlt B das Darlehen an K aus. Das Fahrrad wird erst nach Ablauf der Widerrufsfrist an K ausgeliefert. K stellt fest, dass ihm das Fahrrad doch nicht gefällt und widerruft den Kaufvertrag mit H (Fernabsatzgeschäft) fristgemäß. Die Folge ist, dass K, obwohl sein Widerrufsrecht für den Darlehensvertrag bereits abgelaufen ist, gem. § 360 Abs. 1 S. 1 auch an den Darlehensvertrag nicht mehr gebunden ist.

J. Schaltflächen / Kündigungsbutton

334a

Am 1.7.2022 sind u.a die im Zusammenhang mit dem Kündigungsbutton stehenden Vorschriften in Kraft getreten. § 312k soll die Kündigung eines Vertrags im elektronischen Rechtsverkehr bei Verbraucherverträgen erleichtern.

Definition

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Definition: Elektronischer Rechtsverkehr

Elektronischer Rechtsverkehr liegt vor, wenn sich ein Unternehmer zum Zwecke des Abschlusses eines Vertrags über die Lieferung von Waren oder über die Erbringung von Dienstleistungen der Telemedien bedient, vgl. § 312i Abs. 1 S. 1.

Wird Verbrauchern über eine Webseite ermöglicht einen Vertrag im elektronischen Geschäftsverkehr zu schließen, der auf die Begründung eines Dauerschuldverhältnisses gerichtet ist, das einen Unternehmer zu einer entgeltlichen Leistung verpflichtet, ist vorbehaltlich der Regelung in S. 2, insb. gem. § 312k Abs. 2 S. 1 sicherzustellen, dass der Verbraucher auf der Webseite eine Erklärung zur ordentlichen oder außerordentlichen Kündigung eines auf der Webseite abschließbaren Vertrags nach Absatz 1 Satz 1 über eine Kündigungsschaltfläche abgeben kann. 

Hinweis

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Anbieter werben im elektronischen Rechtsverkehr häufig damit, dass Verträge in ganz einfacher Form und mit wenig Aufwand abgeschlossen werden können. Der Gesetzgeber nahm dies zum Anlass zu verlangen, dass auch die Kündigung eines solchen Vertrags nicht mit größeren Hürden verbunden werden darf (Gedanke der Waffengleichheit).

Gemäß § 312k Abs. 2 Satz 2 muss die Kündigungsschaltfläche gut lesbar und mit nichts anderem als den Wörtern "Verträge hier kündigen" oder mit einer entsprechenden eindeutigen Formulierung beschriftet sein.

Der Gesetzgeber gibt damit allerdings nicht vor wo die entsprechende Schaltfläche platziert sein muss. § 312k Abs. 2 S. 4 stellt jedoch klar, dass die jeweiligen Schaltflächen und die Bestätigungsseite stets verfügbar, unmittelbar und leicht zugänglich sein müssen. Daraus ergibt sich zumindest, dass die Schaltfläche nicht auf der Seite „versteckt“ werden darf. Dies insb. auch mit Blick auf den Sinn und Zweck der Vorschrift.

Diese Schaltfläche muss den Verbraucher sodann unmittelbar zu einer Bestätigungsseite führen, in der er die notwendigen Angaben nach § 312k Abs. 2 S. 3 a - e eingeben kann. Gem. Nr. 2 muss das Formular eine Bestätigungsschaltfläche enthalten, über deren Bestätigung der Verbraucher die Kündigungserklärung abgeben kann. Auch diese muss gut lesbar mit nichts anderem als den Wörtern „jetzt kündigen“ oder mit einer entsprechend eindeutigen Formulierung beschriftet sein. Das ist der eigentliche Kündigungsbutton, welcher bei Betätigung zur Kündigung des Vertrags führt.

§ 312k Abs. 2 S. 1 erfasst nur die ordentliche und außerordentliche Kündigung. Andere Rechte sich vom Vertrag zu lösen sind von der Vorschrift in direkter Anwendung nicht erfasst. Dies ist insoweit problematisch, als dass Verbraucher ihre jeweiligen Rechte nicht präzise differenzieren können (z.B. § 327i, § 327m, 327r). Im Einzelfall muss ausgelegt werden, ob sich die über den Kündigungsbutton abgegebene Erklärung anderweitig auslegen lässt oder eine analoge Anwendung der Vorschrift diskutiert werden.

§ 312k Abs. 2 S. 1 spricht nur von der bloßen Möglichkeit Verträge im elektronischen Geschäftsverkehr abzuschließen. Der Wortlaut setzt daher nicht voraus, dass der Vertrag tatsächlich im elektronischen Geschäftsverkehr abgeschlossen wurde. Demnach lässt sich vertreten, dass auch analog geschlossene Verträge von der Regelung erfasst sind, insoweit diese hätten im elektronischen Geschäftsverkehr abgeschlossen werden können.

Entsprechend Abs. 3 muss der Verbraucher seine durch das Betätigen der Bestätigungsschaltfläche abgegebene Kündigungserklärung mit dem Datum und der Uhrzeit der Abgabe auf einem dauerhaften Datenträger so speichern können, dass erkennbar ist, dass die Kündigungserklärung durch das Betätigen der Bestätigungsschaltfläche abgegeben wurde. Daher ist der Unternehmer gemäß § 312k Abs. 4 S. 1 verpflichtet die notwendigen Daten sofort auf elektronischem Wege in Textform zu bestätigen.

Gemäß Abs. 4 Satz 2 ist zu vermuten, dass die Kündigungserklärung den Unternehmer unmittelbar nach ihrer Abgabe zugegangen ist.

Abs. 5 der Vorschrift stellt klar, dass ohne Angabe eines Kündigungszeitpunkts, die Kündigung im Zweifel zum frühestmöglichen Zeitpunkt gelten soll.

Eine wichtige Regelung enthält noch Abs. 6. Werden die Schaltflächen und die Bestätigungsseite nicht entsprechend den Absätzen 1 und 2 zur Verfügung gestellt, kann ein Verbraucher einen Vertrag, für dessen Kündigung die Schaltflächen und die Bestätigungsseite zur Verfügung zu stellen sind, jederzeit und ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen. Die Möglichkeit zur außerordentlichen Kündigung bleibt hiervon unberührt.

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