Sachenrecht 1

Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 S. 2

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III. Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 S. 2

1. Anspruch aus direkter Anwendung des § 906 Abs. 2 S. 2

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Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 S. 2 (unmittelbar) gewährt dem Eigentümer eines Grundstücks einen verschuldensunabhängigen Ersatzanspruch gegen den Eigentümer oder Besitzer des anderen Grundstücks unter folgenden Voraussetzungen:

Prüfungsschema

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Wie prüft man: Anspruch auf Entschädigung aus § 906 Abs. 2 S. 2 (unmittelbar)

I.

Anspruchsentstehung

 

1.

Immission von Nachbargrundstück

 

2.

Wesentliche Beeinträchtigung des Grundstücks des Anspruchstellers durch Immission

 

3.

Störereigenschaft des Eigentümers oder Besitzers des anderen Grundstücks i.S.d. § 1004 Abs. 1

 

4.

Duldungspflicht des Anspruchstellers nach § 906 Abs. 2 S. 1.

 

5.

Beeinträchtigung des Grundstücks des Anspruchstellers über das zumutbare Maß hinaus.

 

6.

Anspruchsumfang

II.

Keine rechtsvernichtenden Einwendungen

III.

Durchsetzbarkeit

 

a) Anspruchsentstehung

aa) Von einem anderen Grundstück ausgehende Immission

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Der Anspruch setzt zunächst eine Immission i.S.v. § 906 Abs. 2 S. 1 voraus, die vom Nachbargrundstück ausgeht. § 906 Abs. 2 S. 1 erfasst solche Immissionen, die das Nachbargrundstück – im Unterschied zu den Fällen des § 906 Abs. 1 – wesentlich beeinträchtigen und auf eine ortsübliche Benutzung des anderen Grundstücks zurückgehen.

Beispiel

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Rangiergeräusche, die in einer Wohnung in unmittelbarer Bahnhofsnähe als erheblich störend empfunden werden. Diese Geräusche sind ortsüblich und können nicht mit wirtschaftlich zumutbaren Maßnahmen abgesenkt werden.

bb) Wesentliche Beeinträchtigung des Grundstücks des Anspruchstellers durch Emission

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Im eben genannten Beispiel wird das betroffene Grundstück wesentlich beeinträchtigt, insbesondere dadurch, dass es nur sehr schwer, und auch nur für eine erheblich herabgesetzte Miete vermietet werden kann.

cc) Störereigenschaft des Eigentümers oder Besitzers des anderen Grundstücks

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Hinsichtlich der Störereigenschaft gelten die gleichen Grundsätze, die wir bereits bei § 1004 ausgeführt haben (siehe oben unter Rn. 49–57).

dd) Duldungspflicht des Anspruchstellers nach § 906 Abs. 2 S. 1

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Der Anspruchsteller hat wesentliche, aber ortsübliche Beeinträchtigungen zu dulden, wenn sie vom Benutzer des anderen Grundstücks nicht mit wirtschaftlich zumutbaren Maßnahmen verhindert werden können.

Expertentipp

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Hier kommt es in der Klausur also insbesondere auf die Angaben im Sachverhalt an, welchen finanziellen Aufwand es erfordern würde, um die Beeinträchtigungen zu verhindern.

ee) Beeinträchtigung des Grundstücks des Anspruchstellers über das zumutbare Maß hinaus

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Wann eine solche Beeinträchtigung vorliegt, kann nicht abstrakt generell entschieden werden, sondern richtet sich immer nach den Umständen des Einzelfalles.

Z.B. BGHZ 49, 148, 153. Dabei ist maßgeblich das Gepräge der Umwelt des belasteten Grundstücks, die Zeitdauer, Art und Auswirkung der Beeinträchtigung zu berücksichtigen. Außerdem spielt es eine Rolle, ob sich das belastete Grundstück bei Erwerb durch den Anspruchsteller bereits in einer umweltbelasteten Umgebung befand.BGH a.a.O. Im obigen Beispiel wäre es danach durchaus erheblich, ob sich das Grundstück des Anspruchstellers im Zeitpunkt des Erwerbs bereits in der Nachbarschaft des Rangierbahnhofs befunden hat oder ob dieser erst später gebaut wurde.

ff) Anspruchsumfang

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Auszugleichen sind die Einwirkungen auf das Grundstück und die dort befindlichen beweglichen Sachen, die das über nach § 906 Abs. 1 entschädigungslos zu Duldende hinausgehen.

Palandt-Herrler § 906 Rn. 38.

b) Rechtsvernichtende Einwendungen

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Hier gelten die allgemeinen Grundsätze über das Erlöschen des Anspruchs, insbesondere Erfüllung oder Aufrechnung.

c) Durchsetzbarkeit

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Der Anspruch wird gem. § 271 Abs. 1 sofort fällig und verjährt nach §§ 195, 199 mit der dreijährigen Verjährungsfrist.

2. Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 S. 2 analog

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Ein Anspruch analog § 906 Abs. 2 S. 2 besteht, wenn der Eigentümer oder Besitzer des beeinträchtigten Grundstücks die Störung aus tatsächlichen Gründen nicht mit Hilfe der §§ 862, 1004 abwehren kann, etwa die Beeinträchtigung durch einen Brand. In diesem Fall wird § 906 Abs. 2 S. 2 in analoger Anwendung außerdem auch auf sog. Grobimmissionen wie Wasser oder herabstürzende Bäume ausgedehnt, die aus tatsächlichen Gründen nicht abgewehrt werden konnten. Es gelten im Übrigen die gleichen Prüfungsschritte wie bei direkter Anwendung der Vorschrift:

Beispiel

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G betreibt in gemieteten Räumen ein Lederwarengeschäft. Das Nachbarhaus gehört dem B. Am 11.1. fing in der Wohnung des B ein defektes Küchengerät Feuer und führte zu einem das ganze Haus erfassenden Brand, der von der Feuerwehr gelöscht wurde. Durch Rauch, Ruß und Löschwasser wurde auch das Geschäft des G geschädigt. Ihm entstand ein Schäden in Höhe von 100 000 €. G verlangt Erstattung dieses Betrages von B. Den B trifft kein Verschulden an dem Brand.

Da den B kein Verschulden trifft, kommt nur ein verschuldensunabhängiger nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 S. 2 in Betracht

Hier ging die Störung des Geschäftsbetriebs des G vom Grundstück des B aus. Rauch und Ruß werden in § 906 Abs. 1 S. 1 ausdrücklich als Immissionen aufgeführt. Löschwasser ist – ebenso wie anderes Wasser – eine sog. Grobimmission, die zwar nicht direkt unter § 906 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2 fällt, aber eine analoge Anwendung rechtfertigt.

Urteil des BGH vom 1.2.2008 (AZ: V ZR 47/07) = NJW 2008, 992 ff.

Die genannten Einwirkungen haben eine wesentliche Schädigung der Betriebseinrichtung und der Warenbestände des G verursacht. Der Beeinträchtigung eines Grundstücks steht nicht entgegen, dass G lediglich Mieter war, weil § 906 sowohl das Eigentum als auch den Besitz an einem Grundstück schützt.

BGH NJW 2008, a.a.O. Hier ist der Besitz des Grundstücks durch die Brandfolgen wesentlich beeinträchtigt worden.

B ist auch Störer. Zwar reicht hierfür seine Eigentümerstellung allein nicht aus, vielmehr muss die Beeinträchtigung wenigstens mittelbar auf den Willen des Eigentümers zurückgehen. Hier stellte der Brand aber kein allgemeines Risiko dar, sondern beruhte auf Umständen, auf die nur B hätte Einfluss nehmen können. Bricht aus einem solchen Anlass ein Brand aus, so war es Sache des B, eine Ausweitung des Brandes zu verhindern.

BGH in BGHZ 142, 66.

Die Einwirkung muss schließlich nach dem Wortlaut des § 906 Abs. 2 S. 2 vom Betroffenen zu dulden sein. Der Entschädigungsanspruch ist der Ausgleich dafür, dass das Gesetz dem geschädigten Grundstückseigentümer oder -besitzer den an sich gegebenen Abwehranspruch aus § 1004 BGB aus den in Satz 1 des § 906 Abs. 2 genannten Gründen (Duldensfall) genommen hat.

Die Duldungspflicht nach § 906 Abs. 2 S. 1 setzt voraus, dass eine Beeinträchtigung zwar wesentlich, aber ortsüblich ist und durch zumutbare Maßnahmen nicht verhindert werden kann. Das trifft vor allem auf Gewerbebetriebe zu, die Lärm verursachen, aber in einem Gewerbegebiet liegen, in dem ein solcher Lärm üblich ist und in der Regel aus technischen Gründen nicht verhindert werden kann. Dann können die Beeinträchtigungen benachbarter Wohnnutzungen durch Entschädigungszahlungen ausgeglichen werden.

Im vorliegenden Beispiel ist der Brand weder Folge einer ortsüblichen Nutzung noch ist er ein Vorgang, der von G aus Rechtsgründen nicht verhindert werden konnte. Vielmehr brauchte G die Brandschäden nicht zu dulden. Eine unmittelbare Anwendung des § 906 Abs. 2 S. 2 scheidet daher aus.

Es kommt daher nur eine analoge Anwendung des § 906 Abs. 2 S. 2 in Betracht, die vom BGH im vorliegenden Fall bejaht wurde.

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§ 906 Abs. 2 S. 2 wird analog angewandt auf den Fall, dass der beeinträchtigte Grundstückseigentümer oder -besitzer die Störung aus tatsächlichen Gründen nicht abwehren konnte.

Nach Rspr. des BGH ist ein Anspruch gegeben, wenn von einem Grundstück im Rahmen privatwirtschaftlicher Benutzung rechtswidrige Einwirkungen auf ein anderes Grundstück ausgehen, die [weil rechtswidrig] der Eigentümer oder Besitzer des betroffenen Grundstücks nicht dulden muss, aus besonderen Gründen jedoch nicht gemäß §§ 1004 Abs. 1, 862 Abs. 1 unterbinden kann.

Hinweis

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Es handelt sich bei der analogen Anwendung des § 906 Abs. 2 S. 2 also um einen Ausgleich aus Billigkeitsgründen, der gewährt wird, weil ein an sich (ursprünglich) gegebener Anspruch aus § 1004 Abs. 1 aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht geltend gemacht werden konnte. Hauptfälle sind dabei die fehlende Kenntnis von der drohenden Beeinträchtigung (beispielsweise der Wasserschaden, den man erst mit dem schädigenden Wasser sieht).

Diese Voraussetzung ist im Beispiel erfüllt, da der Nachbar die Gefahr in aller Regel nicht erkennen und die Einwirkungen auf sein Grundstück daher nicht rechtzeitig abwehren kann.

Die Einwirkung auf das Grundstück des G geht im Beispiel schließlich auch „über das zumutbare Maß“ hinaus

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Die Rechtsfolge des § 906 Abs. 2 S. 2 analog ist nach Ansicht des BGH nach den Grundsätzen der Enteignungsentschädigung bestimmen.

Die Entschädigung erfasst auch die Nachteile, die der Geschädigte infolge der Beeinträchtigung seiner Warenvorräte durch Rauch, Ruß und Löschwasser erlitten hat.

Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch analog § 906 Abs. 2 S. 2 dient als Kompensation für den Ausschluss primärer Abwehransprüche nach §§ 1004 Abs. 1, 862 Abs. 1, schützt also wie diese das Eigentum und den Besitz an einem Nachbargrundstück. Die Ausgleichsleistung knüpft an diese Rechtspositionen an; bei einer Besitzstörung richtet sie sich nach dem Vermögenswert, der auf dem Recht beruht, den Besitz innezuhaben. Folgt das Besitzrecht, wie im Beispiel, aus einem Mietvertrag über Gewerberäume, bietet dies vor allem die Möglichkeit, den Besitz zur Unterhaltung eines Gewerbebetriebes zu nutzen. Daher sind die vermögenswerten Betriebsnachteile auszugleichen, die ihre Ursache in der Besitzstörung haben.

BGH in BGHZ 147, 45, 52 f. Zu diesen Nachteilen zählen die für eine ungestörte Fortführung des Gewerbebetriebs erforderlichen Aufwendungen. Das umfasst Aufwendungen für den Ersatz von Inventar, von Warenvorräten und ähnlichen Betriebsmitteln, die durch die Besitzstörung beschädigt worden sind.

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