Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern

Kostenerhebung beim polizeilichen Abschleppen von Kraftfahrzeugen

III. Kostenerhebung beim polizeilichen Abschleppen von Kraftfahrzeugen

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Im Falle des durch die Polizei erfolgten Abschleppens eines Fahrzeuges wendet sich der Betroffene regelmäßig gegen den Kostenbescheid der Polizei, mit welchem diese die infolge des Abschleppvorgangs entstandenen Kosten ersetzt haben möchte. Insofern muss der Betroffene mit der Anfechtungsklage vorgehen, da der Kostenbescheid selbst bei Bezahlung durch den Bürger nicht erledigt ist, weil er weiterhin den Rechtsgrund für das Behaltendürfen des Geldes darstellt.

Auf der Ebene der Begründetheit kann bei der Rechtsgrundlage für den Kostenbescheid die genaue Qualifikation noch offen gelassen werden. Es reicht die Klarstellung, dass sich diese aus einer der Normen des Art. 1, 3 Abs. 1 Nr. 10 KG i.V.m. Art. 93 S. 1 PAG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 S. 1, 28 Abs. 5 S. 1, 72 Abs. 1 S. 2 PAG ergibt.

Die genaue Abgrenzung wird dann erst bei der inzidenten Prüfung der Rechtmäßigkeit der Amtshandlung der Polizei (Rechtsgedanke Art. 16 Abs. 5 KG, vgl. oben) durchgeführt (vgl. auch zu den sonstigen Prüfungspunkten das obige Prüfungsschema zur Rechtmäßigkeit eines Kostenbescheids).

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Diese Amtshandlung besteht in dem von der Polizei durchgeführten Abschleppvorgang und soll im Folgenden noch einmal in der Übersicht ebenso wie weitere typische Problemfelder, die bislang noch nicht behandelt wurden, dargestellt werden.

1. Varianten in der Abschleppfall-Klausur

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In Bezug auf die Amtshandlung der Polizei sind zwei verschiedene Varianten zu unterscheiden.

Hinweis

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Die folgende Vorgehensweise und die dargestellten Probleme müssen Sie zwingend beherrschen. Arbeiten Sie die folgenden Ausführungen also noch einmal durch, wenn Sie das Gefühl haben sollten, nicht alles verstanden zu haben. Der Abschleppfall ist ein absoluter Klassiker und kann Ihnen immer begegnen, da er sich für jede Klausur eignet.

a) Fahrer oder Halter sind anwesend

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In diesem Fall würde die Polizei als atypische Maßnahme nach Art. 11 Abs. 1 Hs. 1, Abs. 2 PAG eine Primärmaßnahme gegen den Verantwortlichen in Form der Wegfahrverfügung erlassen. Sollte der Verantwortliche dieser Aufforderung nicht nachkommen, erfolgt die Vollstreckung nach Art. 70 Abs. 1 PAG im Wege der Ersatzvornahme nach Art. 71 Abs. 1 Nr. 1, 72 PAG. Aufgrund der durch den Vollzug der Maßnahmen eingetreten Erledigung ist in prozessualer Hinsicht der Anwendungsbereich der Fortsetzungsfeststellungsklage eröffnet.

b) Fahrer oder Halter sind abwesend

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Bei der Qualifikation der polizeilichen Maßnahme stellt sich dabei das Problem der Abgrenzung zwischen unmittelbarer Ausführung der Primärmaßnahme nach Art. 9 PAG und des Sofortvollzugs einer Sekundärmaßnahme nach Art. 70 Abs. 2 PAG.

Zunächst ist entsprechend obigen Grundsätzen zwischen unmittelbarer Ausführung und Sofortvollzug zu unterscheiden (vgl. Rn. 217 ff.).

Aufgrund der Rechtsprechung des BayVGH, wonach sich der Bürger im Zweifel rechtstreu verhält, kommen Sie zur Qualifikation als unmittelbare Ausführung (nur bei bekanntem entgegenstehenden Willen wäre ein Sofortvollzug denkbar; allein der Verstoß gegen die verkehrsrechtlichen Vorschriften begründet dabei aber keinen solchen bekannten entgegenstehenden Willen).

In einem zweiten Schritt muss nun aber geklärt werden, welche Art einer hypothetischen Primärmaßnahme unmittelbar ausgeführt wurde, da nach der Rechtsprechung des BayVGH die unmittelbare Ausführung bei allen Standardmaßnahmen möglich ist und nicht nur bei den atypischen Maßnahmen (vgl. Rn. 218).

In Betracht kommen dabei die unmittelbare Ausführung einer atypischen Maßnahme nach Art. 11 Abs. 1, 9 PAG oder einer Sicherstellung nach Art. 25 Abs. 1, 9 PAG.

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Teilweise wird insoweit in der Literatur von einem engen Verständnis der Sicherstellung ausgegangen, wonach es der Polizei gerade darauf ankommen muss, die Sache in Verwahrung zu nehmen und auch dauerhaft in Verwahrung zu haben. Nicht ausreichend ist danach, dass die Sache im Anschluss an die polizeiliche Maßnahme (bloß) tatsächlich verwahrt wird. Nach dieser Ansicht läge im Falle der Verwahrung des Fahrzeuges auf einem polizeilichen oder amtlichen Verwahrparkplatz nur dann eine Sicherstellung vor, wenn die Polizei das Fahrzeug zum Zwecke des Eigentumsschutzes (also z.B. ein nicht abgesperrtes Fahrzeug zum Schutz vor Sachbeschädigungen oder Diebstahl nach Art. 25 Abs. 1 Nr. 2 PAG) sicherstellt. Keine Sicherstellung, sondern eine atypische Maßnahme, läge demnach in den Fällen des Abschleppens wegen verkehrsordnungswidrigen Parkens (z.B. vor einer Feuerwehrzufahrt) vor, da die hier anschließende Verwahrung lediglich tatsächliche Folge des Abschleppvorganges ist, die Polizei mit ihrer Maßnahme aber allein das Ziel verfolgt, das verkehrsordnungswidrige Parken zu unterbinden und kein Besitzwille begründet werden soll.

Der BayVGHVgl. z.B. BayVGH NVwZ 1990, 180 f. und ihm folgend der überwiegende Teil der Literatur grenzen dagegen in überzeugender Weise wie folgt ab:

Geht es der Polizei um die Begründung (!) dauerhaften Gewahrsams an dem Fahrzeug, liegt eine Sicherstellung nach Art. 25 Abs. 1 PAG vor (dieser Wille der Polizei wird dabei insbesondere durch das Verbringen auf eine Verwahrstelle oder einen Verwahrparkplatz ausgedrückt).

Ordnet die Polizei dagegen ein bloßes „Versetzen“ des Fahrzeuges auf einen in der Nähe gelegenen freien Parkplatz i.S.d. StVO (also im öffentlichen Straßenverkehr zum Parken freigegebener Platz) an, liegt dagegen eine atypische Maßnahme vor.

Anders als die Gegenstimmen aus der Literatur stellt der BayVGH darauf ab, dass für eine Sicherstellung die Begründung (!) amtlichen Gewahrsams entscheidend sei und eine anschließende Verwahrung als rein tatsächliche Folge der Maßnahme ausreichend ist. Dieser Ansatz steht im Einklang mit der Definition der Sicherstellung als Begründung (!) eines öffentlich-rechtlichen Verwahrungsverhältnisses durch Sicherstellungsanordnung und deren Vollzug durch Realakt und ist daher vorzugswürdig. Zudem spricht für den Ansatz des BayVGH dessen klare und einfache Handhabbarkeit und damit seine hohe Praktikabilität.Zu allem auch Wehr Rn. 289 ff.


Expertentipp

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In der Klausur sollten Sie in jedem Fall der Ansicht des BayVGH und der überwiegenden Literatur folgen. Den Verfassern ist keine einzige Examensklausur bekannt, in der nicht entsprechend den Regeln des BayVGH abgegrenzt wurde.

Letztlich prüfen Sie die Rechtmäßigkeit der unmittelbaren Ausführung nach den im Kapitel Sekundärmaßnahmen dargestellten Grundsätzen mit den jeweiligen hypothetischen Primärmaßnahmen nach Art. 11 oder Art. 25 Abs. 1 PAG entsprechend ihrem Abgrenzungsergebnis.

2. Weitere Schwerpunkte bei den Abschleppfällen

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Bei der Frage nach der sachlichen Zuständigkeit und dem Handeln der Polizei im eingeschränkt institutionellen Sinne nach Art. 1 PAG sind folgende Besonderheiten denkbar:

Dass die Abschleppmaßnahme letztlich durch einen privaten Abschleppunternehmer ausgeführt wird, ist irrelevant: Maßgeblich ist insoweit die Anordnung der Polizei, das Fahrzeug abzuschleppen, womit die Polizei i.S.d. Art. 1 PAG gehandelt hat.

Zulässigkeit des Münchener Modells: Ausreichend für das Handeln der Polizei nach Art. 1 PAG ist das sogenannte Münchner Modell, wonach letztlich auf Veranlassung eines kommunalen Parküberwachers als gemeindlichem Mitarbeiter abgeschleppt wird: Dabei melden die kommunalen Parküberwacher der Polizei über Funk Verstöße gegen straßenverkehrsrechtliche Vorschriften und schildern den Standort den Fahrzeugs und gegebenenfalls die näheren Umstände. Die Anordnung zum Abschleppen trifft dann der Polizeibeamte, der Parküberwacher verständigt in Folge dessen den Abschleppdienst: Der BayVGH hat diese Vorgehensweise gebilligt, weil der Polizeibeamte durch seine eigene Ortskenntnis, Lagepläne und durch die übermittelten Informationen durch die Parküberwacher alle für die Entscheidung wesentlichen Umstände kennt und diesem auch die Letztentscheidungsbefugnis verbleibt.

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Einige Probleme tauchen auch bei der Verhältnismäßigkeit nach Art. 4 PAG der polizeilichen Abschleppmaßnahme auf (diese Frage ist zu unterscheiden von einer etwaigen Unbilligkeit der Kostenerhebung nach Art. 93 S. 5 PAG; vorliegend geht es um die Frage, ob die inzidenter zu prüfende polizeiliche Amtshandlung unverhältnismäßig sein kann):

Unerheblich ist, ob das Fahrzeug eine konkrete Behinderung des Straßenverkehrs verursacht hat: Zum einen entfaltet das Falschparken eine negative Vorbildfunktion,So auch Schenke Rn. 721. zum anderen besteht letztlich kein anderes Mittel zur Beseitigung des rechtswidrigen Zustands, letztlich sind gerade Parkplätze im Bereich der Innenstädte für einen regelmäßigen Wechsel konzipiert. 

Behindertenparkplätze müssen immer allein aufgrund der Möglichkeit des Eintreffens eines behinderten Fahrers freigehalten werden; in diesem Fall soll auch in keinem Fall irgendein Aufwand zur Ermittlung des Fahrers erforderlich sein.

Sehr strittig ist die Frage, welchen Aufwand die Polizei in sonstigen Fällen zur Ermittlung der verantwortlichen Personen betreiben muss, bevor sie das Fahrzeug abschleppen lässt:

Ein vorheriger Versuch der computergestützen Halterermittlung ist wegen der häufigen Divergenz von Fahrer und Halter wenig erfolgversprechend und daher grundsätzlich nicht durchzuführen.

Dasselbe gilt im Grundsatz für hinterlassene Nachrichten und Handynummern: Allein ein Anwohnerparkausweis oder vorgefertigte Zettel oder Aufkleber, die für eine Vielzahl von Fällen verwendet werden, sind nicht ausreichend, um Ermittlungen der Polizei erforderlich zu machen.

Anders kann dies lediglich sein, wenn aus dem Hinweis eindeutig hervorgeht, dass die Störung zeitnah beseitigt werden kann und hierzu auch die entsprechende Bereitschaft besteht (was wirklich der absolute Ausnahmefall sein dürfte).Vgl. Schenke Rn. 720.

Anders kann es zudem sein, wenn aus den gegebenen tatsächlichen Umständen ersichtlich ist, dass die Störung sehr zeitnah und insbesondere schneller als durch den Abschleppdienst; (Effektivität der Gefahrenabwehr!) beseitigt werden kann: Dabei handelt es sich ebenfalls um einen absoluten Ausnahmefall.

Beispiel

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Der Lieferwagen mit der Aufschrift des Restaurants parkt in der Innenstadt verkehrswidrig direkt vor dem Restaurant. Hier ist der Polizei eine kurze Nachfrage im Restaurant durchaus zumutbar. Ohne besondere Anhaltspunkte bleibt es aber dabei, dass grundsätzlich keine Ermittlungen aufgenommen werden müssen.

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Expertentipp

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