Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern

Rechtsschutz gegen polizeiliche Primärmaßnahmen

VI. Rechtsschutz gegen polizeiliche Primärmaßnahmen

1. Rechtsschutzmöglichkeiten in der Polizeirechtsklausur

a) Denkbare Klagearten

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Der Rechtsschutz gegen polizeiliche Primärmaßnahmen ist hauptsächlich im Bereich der Anfechtungsklage und der Fortsetzungsfeststellungsklage direkt oder analog § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO angesiedelt, da sich der Bürger mit seinem Vorgehen gegen eine polizeiliche Primärmaßnahme gegen einen Verwaltungsakt i.S.d. Art. 35 S. 1 BayVwVfG wendet.

Aber auch eine Verpflichtungsklage ist in Bezug auf die oben dargestellten Grundsätze des eventuellen Anspruchs des Bürgers auf Einschreiten der Polizei denkbar, da die vom Bürger in diesen Fällen begehrte polizeiliche Primärmaßnahme einen Verwaltungsakt i.S.d. Art. 35 S. 1 BayVwVfG darstellt.Vgl. Schenke Rn. 526.

b) Vorläufiger Rechtsschutz

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Expertentipp

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Dieser Sofortvollzug kraft Gesetzes nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 VwGO gilt nur beim Erlass von polizeilichen Primärmaßnahmen!

Denkbar ist in jeder Polizeirechtsklausur auch immer die Einschlägigkeit des vorläufigen Rechtsschutzes.Vgl. dazu auch Schenke Rn. 519 ff. Nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 VwGO entfällt die aufschiebende Wirkung des Verwaltungsaktes bei unaufschiebbaren Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten. Alle polizeilichen Primärmaßnahmen sind daher also kraft Gesetzes sofort vollziehbar.Vgl. dazu auch im Skript „Verwaltungsprozessrecht“ Rn. 524.

Bei besonderer Eilbedürftigkeit kommt deshalb in der Klausur ein Antrag des Bürgers an die Behörde auf Aussetzung der Vollziehung nach § 80 Abs. 4 VwGO (eher selten) oder ein Antrag auf gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO in Betracht.Vgl. zu diesen Rechtsbehelfen ausführlich im Skript „Verwaltungsprozessrecht“ Rn. 551 ff

Expertentipp

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Dass in einer Klausur die Prüfung des einstweiligen Rechtsschutzes erwartet wird, werden Sie am Bearbeitervermerk oder an den Ausführungen im Sachverhalt sehr schnell bemerken: Typisch sind insoweit Formulierungen wie „es muss schnellstmöglich gehandelt werden“ oder es wird um die Einleitung „sofortiger Maßnahmen“ gebeten. Für Referendare wird insoweit oft die Hilfestellung geleistet, dass nach dem Bearbeitungsvermerk der Beschluss des Gerichts zu fertigen ist, welcher ja beim vorläufigen Rechtsschutz im Gegensatz zum Urteil beim „normalen“ Rechtsschutz erforderlich ist.

c) Rechtsschutz bei Erledigung des Verwaltungsakts

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Im Regelfall wird sich aber die Klausur nicht im Bereich des einstweiligen Rechtsschutzes abspielen; zudem hat sich in den meisten Fällen die polizeiliche Primärmaßnahme bereits erledigt.

Eine Erledigung liegt vor, wenn die tatsächliche und/oder rechtliche Beschwer, die mit dem Verwaltungsakt verbunden ist, weggefallen ist.Vgl. dazu auch im Skript „Verwaltungsprozessrecht“ Rn. 162. Mit anderen Worten muss die belastende Wirkung des Verwaltungsaktes entfallen sein, z.B. durch Zeitablauf oder Wegfall des Bezugsobjektes. Denkbar ist auch, dass die polizeiliche Gefahr aus anderen Gründen als der Befolgung der polizeilichen Maßnahme durch den Betroffenen beseitigt wurde.

Beispiel

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Die Polizei beobachtet von weiten, wie der Z hinter einer Scheune „zündelt“ und mit Streichhölzern ein kleines Feuer mit Papierresten verursacht, welches droht, auf die mit trockenem Heu gefüllte Scheune überzugreifen. Während sie auf den Z zulaufen, tragen sie diesem auf, das Feuer sofort auszutreten und damit zu löschen. Bevor der Z aber reagieren kann, fließt eine kleine Wasserlache aus der undichten Dachrinne der Scheune, die sich dort nach dem letzten Regen gesammelt hatte, auf das Feuer und löscht dieses. Hier hat sich durch das herabfließende Wasser die polizeiliche Anordnung, das Feuer auszutreten, erledigt.

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Wichtigster Fall der Erledigung in der polizeirechtlichen Klausur ist aber die Erledigung durch den polizeilichen Vollzug der Maßnahme.Vorsicht insoweit bei Schenke Rn. 511, der sich insoweit etwas irreführend ausdrückt.

Beispiel

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Im obigen Beispiel reagiert Z nicht auf die Anordnung der Polizei, das Feuer auszutreten. Deshalb tritt einer der Polizeibeamten das Feuer aus.

Hier hat sich mit dem Austreten des Feuers durch den Polizeibeamten die Anordnung an Z, er solle selbst das Feuer austreten, erledigt, weil diese nun mangels Feuers keine Regelungswirkung mehr entfalten kann.

Expertentipp

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Keine Erledigung liegt in den Klausuren vielfach in den Fällen der Sicherstellung und beim Vorgehen gegen einen polizeilichen Kostenbescheid vor, weshalb dann insoweit die allgemeine Anfechtungsklage statthaft ist (vgl. dazu die Ausführungen bei der Sicherstellung und beim polizeilichen Kostenbescheid Rn. 188, 235).

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Eine direkte Einschlägigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO ist nur in den Fällen gegeben, in denen sich der Verwaltungsakt nach der Erhebung der Klage, aber noch vor der richterlichen Entscheidung erledigt hat.Vgl. Wehr Rn. 507.

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Im Regelfall kommt es aber im Polizeirecht zu einer Erledigung des Verwaltungsaktes bereits vor dem Zeitpunkt einer Klageerhebung; der Verwaltungsakt erledigt sich also zunächst – insbesondere durch den Fall des oben dargestellten Vollzugs – und im Anschluss sucht der Bürger Rechtsschutz gegen die polizeiliche Primärmaßnahme. In diesen Fällen der Erledigung vor Klageerhebung findet nach allgemeiner Ansicht die Regelung des § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO analoge Anwendung, es ist also ebenfalls die Fortsetzungsfeststellungsklage einschlägig. Dies wird mit der Garantie effektiven Rechtsschutzes für den Bürger nach Art. 19 Abs. 4 GG begründet. Aus der Sicht des Bürgers könne es danach keinen Unterschied machen, ob sich der Verwaltungsakt in zeitlicher Hinsicht bereits vor Klageerhebung oder erst nach derselben erledigt; der Bürger stehe in beiden Varianten gleich, weshalb eine analoge Anwendung des § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO gerechtfertigt sei.Vgl. im Skript „Verwaltungsprozessrecht“ Rn. 171; Wehr Rn. 508.

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Soweit die polizeiliche Maßnahme im Zeitpunkt der Klageerhebung bereits erledigt war, ist also die Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO einschlägig. Dabei hat das Urteil des BVerwGBVerwG BayVBL. 2000, 439. die Diskussion ausgelöst, ob diese Fälle der Erledigung vor (!) Klageerhebung in den Anwendungsbereich der allgemeinen Feststellungsklage fallen. Gleichwohl entspricht es (zumindest in Bayern) nach wie vor der herrschenden Meinung, dass die Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO einschlägig ist.Vgl. dazu die gute Darstellung bei Berner/Köhler/Käß vor Art. 11 Rn. 5.

Expertentipp

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Ausführungen zu dieser Frage nach der Einschlägigkeit der allgemeinen Feststellungsklage spielen nach der Erfahrung der Verfasser keine besondere Rolle in den amtlichen Lösungshinweisen der Klausuren. Wiederum handelt es sich also um ein Problem, dass man nur dann ansprechen sollte, wenn man nicht Gefahr läuft, bei der Begründetheit in zeitliche Bedrängnis zu kommen.

Im Regelfall ist also die Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO einschlägig. Teilweise hat sich der Verwaltungsakt noch nicht erledigt, womit die Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1  VwGO gegeben ist.

2. Die Fortsetzungsfeststellungsklage

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Im Falle der Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO ergibt sich folgender Prüfungsaufbau:Vgl. zur Fortsetzungsfeststellungsklage auch im Skript „Verwaltungsprozessrecht“ Rn. 162 ff.

Prüfungsschema

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Wie prüft man: Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO

I.

Entscheidungskompetenz des Gerichts

 

 

1.

Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO i.V.m. Art. 12 Abs. 1 POG

 

 

 

a)

Abdrängende Sonderzuweisung nach § 23 EGGVG

 

 

 

b)

Abdrängende Sonderzuweisung nach Art. 18 Abs. 2 S. 2 PAG

 

 

 

 

 

Abgrenzung zur Freiheitsbeschränkung

Rn. 134

 

 

c)

Abdrängende Sonderzuweisung nach Art. 10 Abs. 7 S. 4 UnterbrG

Ziegler/Tremel 830.

 

 

2.

Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts nach §§ 45, 52 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 1 Abs. 2 AGVwGO

 

II.

Zulässigkeit der Klage

 

 

1.

Statthaftigkeit

 

 

2.

Klagebefugnis analog § 42 Abs. 2 VwGO

 

 

3.

Vorverfahren

 

 

4.

Klagefrist

 

 

5.

Beteiligten- und Prozessfähigkeit nach §§ 61 f. VwGO

 

 

6.

Fortsetzungsfeststellungsinteresse nach § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO

 

III.

Begründetheit der Klage

 

 

 

§ 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO analog i.V.m. Art. 1 Abs. 2 POG, § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO analog

 

  

Rechtmäßigkeit/Rechtswidrigkeit der polizeilichen Primärmaßnahme

 
  

Rechtsverletzung des Klägers

 

a) Entscheidungskompetenz des Gerichts

aa) Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO i.V.m. Art. 12 Abs. 1 POG

132

Der Verwaltungsrechtsweg ist nach der modifizierten Subjektstheorie eröffnet, wenn die streitentscheidenden Normen solche des öffentlichen Rechts im Sinne der Sonderrechtstheorie sind, also ausschließlich einen Träger hoheitlicher Gewalt berechtigten und verpflichten. Das ist bei den Normen des PAG ohne weiteres der Fall.

Im Bereich des Polizeirechts existieren vier klausurträchtige abdrängende Sonderzuweisungen i.S.d. § 40 Abs. 1 S. 2 VwGO:

bb) Abdrängende Sonderzuweisung nach § 23 Abs. 1 EGGVG

133

Im Bereich der Justizverwaltungsakte ist nach §§ 23 Abs. 1, 25 EGGVG der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben. Im Bereich der Justizverwaltungsakte wird die Polizei als Hilfsorgan von Justizbehörden tätig. Das betrifft Maßnahmen der Polizei zur Verfolgung von (begangenen) Straftaten und Ordnungswidrigkeiten.

Insofern wirkt sich die funktionale Doppelstellung der Polizei einerseits als Gefahrenabwehrbehörde im präventiven Bereich als auch andererseits als Ermittlungsbehörde im repressiven Bereich der Strafverfolgung aus.

Für die Entscheidung über die Qualifikation des polizeilichen Handelns ist das angerufene Gericht nach § 17 Abs. 2 GVG vollumfänglich berufen. Maßgeblich ist bei doppelfunktionalen Maßnahmen der Schwerpunkt der Maßnahme,Vgl. Schenke Rn. 423 f., 509 sowie Wehr Rn. 498; BayVGH BayVBl. 2010, 220; NdsOVG NVwZ-RR 2014, 327; VG Augsburg B. v. 5.11.2020 – Au 8 K 20.525 – juris Rn. 18. wobei nach dem BayVGH die Sicht eines objektiven, den Sachverhalt nachträglich betrachtenden Beobachters maßgeblich ist.Vgl. dazu insgesamt Berner/Köhler/Käß vor Art. 11 Rn. 17 ff. und zur Frage der Sichtweise Berner/Köhler/Käß vor Art. 11 Rn. 20 auch mit der Gegenansicht des BVerwG, dass auf die Sicht des von der Maßnahme Betroffenen abstellt. Grundsätzlich ist ein Sachverhalt dabei einheitlich zu beurteilen, es sei denn, einzelne Teile hiervon sind objektiv abtrennbar.BVerwGE 47, 255 ff. Hat die Polizei ihre Ermittlungen bereits an die Staatsanwaltschaft oder das Amtsgericht abgegeben, so ist ihr Einschreiten strafprozessual (repressiv) motiviert.BVerwGE 47, 255 ff.; NdsOVG, NVwZ-RR 2014, 327 ff. Das Vorliegen eines Anfangsverdachts für eine Straftat bedeutet nicht zwangsläufig ein repressives Handeln der Polizei. Bei bestehenden Zweifeln und einer möglichen Qualifikation einer präventiv motivierten Maßnahme ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.OVG NW BeckRS 2012, 45958; NdsOVG NVwZ-RR 2014, 327 ff. Bei so genannten Gemengelagen, in denen die Polizei sowohl präventiv wie repressiv handeln will, sind gefahrenabwehrende und strafverfolgende Maßnahmen gedanklich zu trennen und gesondert zu betrachten. Es kann in diesen Fällen zu einer Rechtswegsaufspaltung kommen.Schenke NJW 2011, 2838 ff.; Schmidbauer/Holzner, Rn. 268 f.

cc) Abdrängende Sonderzuweisung nach Art. 18 Abs. 2 S. 2 PAG

134

Bei Freiheitsentziehungen ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben. Hier ist im Einzelfall zwischen einer bloßen Freiheitsbeschränkung, die jeder polizeilichen Maßnahme immanent ist und einer echten Freiheitsentziehung abzugrenzen. Maßgeblich sind dabei Dauer und Intensität. Als grobe Faustformel kann man einen Zeitraum von 2 Stunden im Hinterkopf behalten; sofern man im Haftraum eingesperrt wird, liegt dagegen immer eine Freiheitsentziehung vor.Vgl. Berner/Köhler/Käß Art. 18 Rn. 1.

Von der abdrängenden Sonderzuweisung werden – soweit diese einschlägig ist – nicht nur die Kontrolle der Freiheitsentziehung selbst erfasst, sondern aufgrund des engen Sachzusammenhangs auch alle anderen mit der Freiheitsentziehung zusammenhängenden Maßnahmen, wie insbesondere das Verbringen zur Dienststelle und die Leibesvisitation vor dem Haftraum.Berner/Köhler/Käß Art. 18 Rn. 16 a.E.

dd) Abdrängende Sonderzuweisung nach Art. 10 Abs. 7 S. 2 und 4 UnterbrG

135

Im Falle einer vorläufigen Unterbringung nach Art. 10 Abs. 2 UnterbrG ist der Verwaltungsrechtsweg ausgeschlossen. Diese Verweisung ist indes nur bei einer Unterbringung i.S.d. Art. 1 f. UnterbrG, regelmäßig in einem psychiatrischen KrankenhausIn Bayern nach Art. 48 Abs. 3 Nr. 1 BezO die Bezirkskrankenhäuser. einschlägig, nicht bei einer lediglich vorübergehenden Ingewahrsamnahme nach Art. 17 Abs. 1 Nr. 1 PAG.    

ee) Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts nach §§ 45, 52 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 1 Abs. 2 AGVwGO

136

Die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts bestimmt sich nach §§ 45, 52 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 1 Abs. 2 AGVwGO.

b) Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage

aa) Statthaftigkeit

137

Statthaft ist die Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO in direkter Anwendung bei Erledigung nach Klageerhebung, in analoger Anwendung bei Erledigung vor Klageerhebung.

Ein Verwaltungsakt i.S.d. Art. 35 S. 1 BayVwVfG muss sich i.S.d. Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG erledigt haben. Das ist der Fall, wenn seine rechtliche und/oder tatsächliche Beschwer weggefallen ist, im Polizeirecht insbesondere durch den erfolgten Vollzug der Maßnahme.Berner/Köhler/Käß vor Art. 11 Rn. 5.

bb) Klagebefugnis analog § 42 Abs. 2 VwGO

138

Die Klagebefugnis beurteilt sich wie bei der Anfechtungsklage nach den Grundsätzen der Adressatentheorie. Maßgeblich ist also, ob der Kläger durch die polizeiliche Primärmaßnahme möglicherweise in seinen Rechten verletzt wurde. Dies ist bei einer belastenden Maßnahme stets der Fall, da dann zumindest eine Verletzung des Klägers in seinem Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG möglich ist.

cc) Vorverfahren

139

Die Durchführung eines Vorverfahrens entfällt in Bayern nach § 68 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 VwGO i.V.m. Art. 12 Abs. 1, 2, 3 AGVwGO.Berner/Köhler/Käß vor Art. 11 Rn. 3.

dd) Klagefrist

140

Die Klagefrist ist nach h.M. entbehrlich, wenn die Erledigung innerhalb offener Klagefrist nach § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO erfolgte. Eine analoge Anwendung des § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO ab dem Zeitpunkt der Erledigung wird abgelehnt (Sinn und Zweck der Klagefrist, dem Verwaltungsakt zur Bestandskraft zu verhelfen, ist bei einem erledigten Verwaltungsakt nicht mehr gegeben; Nähe der FFK zur allgemeinen Feststellungsklage, die ebenfalls keine Klagefrist fordert). Diese Frage kann man auch dahingestellt lassen; mangels erforderlicher schriftlicher Belehrung durch die Polizei liefe nach § 58 Abs. 2 VwGO die Jahresfrist, die regelmäßig eingehalten werden kann.

Sofern allerdings die Erledigung nach Klageerhebung erfolgte (sehr selten), ist in Bezug auf die ursprüngliche Anfechtungsklage die Wahrung der Klagefrist nach § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO erforderlich, da die Erledigung nicht zu einer Erweiterung des Rechtsschutzes führen darf.Vgl. zu allem Berner/Köhler/Käß vor Art. 11 Rn. 5 und Kopp/Schenke § 74 Rn. 2.

ee) Beteiligten- und Prozessfähigkeit nach §§ 61 f. VwGO

141

Die Beteiligten- und Prozessfähigkeit richtet sich nach den allgemeinen Regeln der §§ 61 ff. VwGO. Eine natürliche Person ist nach § 61 Nr. 1 Alt. 1 VwGO beteiligtenfähig und nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 VwGO i.V.m. §§ 2, 104 ff. BGB prozessfähig.

Der Freistaat Bayern als Rechtsträger der Polizei ist als Gebietskörperschaft des öffentlichen Rechts nach § 61 Nr. 1 Alt. 2 VwGO beteiligtenfähig. Er ist selbst nicht prozessfähig und wird deshalb im Prozess nach § 62 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 3 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 LABV durch die Ausgangsbehörde vertreten. Beachten Sie an dieser Stelle die Sonderregelung für die Polizei in Art. 3 Abs. 2 S. 6 LABV.

ff) Fortsetzungsfeststellungsinteresse nach § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO

142

Nach § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO kann das Gericht bei Erledigung des Verwaltungsakts durch Urteil aussprechen, dass dieser rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Man spricht vom sogenannten Fortsetzungsfeststellungsinteresse, bei dem sich mehrere allgemein anerkannte Fallgruppen herausgebildet haben.

Expertentipp

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Maßgeblich ist immer nur ein Interesse auf Klägerseite; die Interessen des Beklagten (häufige Klausurfalle) sind dabei unerheblich!

Konkrete Wiederholungsgefahr:Berner/Köhler/Käß vor Art. 11 Rn. 8; Kopp/Schenke § 113 Rn. 141. Maßgeblich ist dabei das Erfordernis der Konkretheit, also eines im Wesentlichen vergleichbaren Sachverhalts; die FFK darf nicht dazu dienen, abstrakte Rechtsfragen zu klären. 

Rehabilitationsinteresse bei diskriminierenden Maßnahmen:Berner/Köhler/Käß vor Art. 11 Rn. 13; Kopp/Schenke § 113 Rn. 142. Diese Fallgruppe ist nur bei personenbezogenen Maßnahmen einschlägig, bei denen ein Öffentlichkeitsbezug vorhanden war. Maßgeblich ist also, dass die Anordnung sich nicht ausschließlich auf eine Sache bezog (z.B. Entfernung eines Holzstapels) und von der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde. 

Tiefgreifender Grundrechtseingriff:Berner/Köhler/Käß vor Art. 11 Rn. 14; Kopp/Schenke § 113 Rn. 145f.: Achtung: Kopp/Schenke qualifiziert diese Rechtsprechung als Unterfall einer im Wesentlichen nur von ihm vertretenen eigenen Fallgruppe der typischerweise kurzfristigen Erledigung; von dieser Fundstelle ist daher dringend abzuraten; sie wurde hier nur aufgeführt, um dies darzulegen. Diese Fallgruppe wird insbesondere dann relevant, wenn mangels Öffentlichkeitsbezug keine diskriminierende Maßnahme angenommen werden kann. Wichtig ist dabei, dass sich die Terminologie des „Tiefgreifens“ nicht auf die Schwere des Eingriffs, sondern auf die Bedeutung des betroffenen Grundrechts bezieht.

Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses: Berner/Köhler/Käß vor Art. 11 Rn. 6; Kopp/Schenke § 113 Rn. 136. Letztlich kann die Feststellung der Rechtswidrigkeit zur Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses vor den Zivilgerichten nach § 40 Abs. 2 S. 1 VwGO i.V.m. Art. 34 S. 3 GG ein berechtigtes Interesse darstellen.

Aus Gründen der Prozessökonomie gilt diese Fallgruppe aber nur im Falle der Erledigung nach Klageerhebung. Bei Erledigung vor Klagerhebung ist der Bürger darauf verwiesen, direkt vor den Zivilgerichten zu klagen. Diese können die Frage der Rechtswidrigkeit im Rahmen ihrer Vorfragenkompetenz nach § 17 Abs. 2 GVG klären; aufgrund der Sachkunde der speziellen Staatshaftungskammer (§ 71 Abs. 2 Nr. 2 GVG) handelt es sich bei dem Verwaltungsgericht auch nur um das vermeintlich sachnähere Gericht.

Oft beruft sich der Betroffene darauf, dass ihm ein berechtigtes Interesse zustünde, weil ein Strafverfahren nach § 113 StGB gegen ihn laufe und vor dem Verwaltungsgericht nun die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Diensthandlung (i.S.d. objektiven Strafbarkeitsbedingung nach § 113 Abs. 3 StGB) festgestellt werden könne.

Dies vermittelt jedoch kein hinreichendes Feststellungsinteresse: Zum einen handelt es sich bei dem Rechtmäßigkeitsbegriff des § 113 Abs. 3 StGB um einen eigenständigen strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff,Fischer § 113 StGB Rn. 11. zum anderen besteht im Grundsatz keine Bindung des Strafgerichts an das Urteil des Verwaltungsgerichts.Meyer-Goßner § 262 StPO Rn. 5.

c) Begründetheit der Klage

143

Die Klage ist begründet, wenn sie gegen den richtigen Beklagten analog § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO i.V.m. Art. 1 Abs. 2 POG gerichtet ist, die polizeiliche Maßnahme nach § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO rechtswidrig war und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt wurde.

Expertentipp

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Achten Sie bitte in der Gutachtenklausur zwingend darauf, diesen Obersatz zum einen zu formulieren und zum anderen in grammatikalischer Hinsicht die richtige Zeitform zu verwenden. Der Korrektor wird diesen Obersatz suchen und die beiden Worte „war“ und „wurde“ als vergangenheitsbezogenes Element kontrollieren!

Expertentipp

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Im Rahmen der Begründetheit prüfen Sie also zunächst nach den oben dargestellten Grundsätzen, ob die erlassene polizeiliche Primärmaßnahme rechtswidrig war. Hier wird in der Klausur regelmäßig der Schwerpunkt der Prüfung liegen. Sollten Sie dabei zu dem Ergebnis kommen, dass die Maßnahme rechtswidrig war, stellen Sie fest, ob der Kläger dadurch auch in seinen Rechten verletzt wurde. Im Zwei-Personen-Verhältnis folgt dabei die Rechtsverletzung des Klägers aus der Rechtswidrigkeit der polizeilichen Maßnahme. Dies ist Ausfluss der Adressatentheorie (Art. 2 Abs. 1 GG).

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