Polizei- und Ordnungsrecht NRW

Gewahrsam (§ 35 PolG NRW)

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c) Gewahrsam (§ 35 PolG NRW)

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Expertentipp

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Lesen Sie § 35 PolG NRW!

Nach § 35 Abs. 1 PolG NRW kann die Polizei in den in den Nummern 1.–6. abschließend genannten Fällen eine Person in Gewahrsam nehmen. Besondere Fälle der Ingewahrsamnahme sind in den Absätzen 2 und 3 des § 35 PolG NRW geregelt.

Hinweis

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Die Ingewahrsamnahme kann – mit Ausnahme des § 35 Abs. 1 Nr. 4 PolG NRW – auch von der Ordnungsverwaltung verfügt werden (vgl. § 24 Abs. 1 Nr. 12 OBG).

 

aa) Begriff des Gewahrsams

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Definition

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Ingewahrsamnahme

Ingewahrsamnahme meint die Aufhebung der körperlichen Bewegungsfreiheit gegen den Willen der betroffenen Person in jede Richtung.

Die Ingewahrsamnahme greift in das Grundrecht des Betroffenen in sein Grundrecht auf Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG (s. dazu Skript „Grundrechte“ Rn. 251 ff.) ein und unterliegt als Freiheitsentziehung i.S.d. Art. 104 Abs. 2 GG besonderen verfahrensrechtlichen Vorgaben.

Vgl. Dietlein in: Dietlein/Hellermann, Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen § 3 Rn. 171. Eine Freiheitsentziehung liegt ohne Weiteres vor, wenn einer Person gegen ihren Willen oder im Zustand der Willenlosigkeit insbesondere in einer abgeschlossenen Einrichtung, wie einem Gewahrsamsraum oder einem abgeschlossenen Teil eines Krankenhauses, die Freiheit entzogen wird). Eine Freiheitsentziehung liegt aber z.B. auch bei einer Einkesselung von Demonstranten (grundsätzlich auch bei einem sog. Wanderkessel)Vgl. Schenke Polizei- und Ordnungsrecht Rn. 157 mit Rn. 372. vor.

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Sofern sich eine Person freiwillig dem Schutz der Polizei unterstellt, liegt demgegenüber keine Ingewahrsamnahme, sondern ein sog. unechter Gewahrsam vor.

Vgl. Dietlein in: Dietlein/Hellermann, Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen § 3 Rn. 172.

Beispiel

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Aus Angst vor möglichen Einbrechern in ihrer Wohnung ist K in die nächstgelegene Polizeiwache geflüchtet. – K hat sich hier freiwillig in die Obhut der Polizei begeben, so dass nur ein unechter Gewahrsam vorliegt.

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Die Ingewahrsamnahme hat eine Doppelnatur: Sie sind ein Realakt und zugleich eine konkludente Duldungsverfügung und damit ein Verwaltungsakt i.S.d. § 35 VwVfG NRW, indem der Betroffene verpflichtet wird, den tatsächlichen Vorgang, d.h. die Ingewahrsamnahme, zu dulden.

bb) Zulässigkeit der Ingewahrsamnahme

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Eine Ingewahrsamnahme ist in den folgenden Fällen zulässig:

(1) Schutzgewahrsam (§ 35 Abs. 1 Nr. 1 PolG NRW)

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Eine Ingewahrsamnahme kann nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 PolG NRW zum Schutz der betroffenen Person gegen eine Gefahr für Leib oder Leben erforderlich sein, insbesondere weil die Person sich erkennbar in einem die freie Willensbildung ausschließenden Zustand oder sonst in hilfloser Lage befindet. Die Polizei handelt in diesem Falle im Interesse des Betroffenen.

Beispiel

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G liegt volltrunken auf einer Parkbank. Die Polizei bringt ihn in die Ausnüchterungszelle, wo er seinen Rausch ausschlafen kann.

(2) Präventivgewahrsam (§ 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW)

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Nach § 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW kommt ein Präventivgewahrsam in Betracht, wenn er unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern. Durch den Präventivgewahrsam soll die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung geschützt werden.

Vgl. Kingreen/Poscher Polizei- und Ordnungsrecht § 16 Rn. 17; hierzu auch BGH Beschl. v. 8.2.2022 – 3 ZB 4/21.

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Das Tatbestandsmerkmal der „unmittelbar bevorstehenden Begehung“ setzt das Vorliegen einer gegenwärtigen Gefahr voraus (zum Begriff s.u. Rn. 266).

Vgl. OVG Bremen NVwZ 2001, 221. Ob die Begehung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit bevorsteht oder bereits vorliegt, muss anhand der einschlägigen Normen ermittelt werden.

Beispiel

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In Anlehnung an VG Frankfurt/Main NVwZ 1994, 720.R veranstaltet ohne behördliche Genehmigung regelmäßig das verbotene sog. „Hütchenspiel“. Als R wieder einmal eine Runde veranstalten will, nimmt die Polizei ihn in Gewahrsam. – Die Veranstaltung eines Glückspiels ohne behördliche Genehmigung ist nach § 284 StGB strafbar. Im Zeitpunkt der Ingewahrsamnahme stand die Begehung der Straftat nach § 284 StGB bevor.

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Das Merkmal „Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit“ liegt vor, wenn ein bedeutsames Schutzgut wie etwa der Umweltschutz betroffen ist.

Vgl. Tegtmeyer/Vahle Polizeigesetz Nordrhein-Westfalen § 35 Rn. 8.

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Auf der Rechtsfolgenseite des § 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW verdeutlicht das Merkmal der „Unerlässlichkeit“, dass der Präventivgewahrsam nur zulässig ist, wenn und soweit er erforderlich ist.

Vgl. Kingreen/Poscher Polizei- und Ordnungsrecht § 16 Rn. 25. Ob die Unerlässlichkeit auf der Tatbestands- oder der Rechtsfolgenseite zu prüfen ist, scheint nach dem Wortlaut der Norm nicht eindeutig. Unzulässig ist der Präventivgewahrsam daher vor allem etwa dann, wenn es ein milderes Mittel zur Verhinderung der unmittelbar bevorstehenden Begehung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit gibt.

Hinweis

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In der jüngsten Vergangenheit werden die grundrechtlichen Grenzen des Präventivgewahrsams verstärkt in den Blick genommen. Hierzu beigetragen haben Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.

Vgl. EGMR NVwZ 2012, 1089; NVwZ 2014, 43.

(3) Durchsetzungsgewahrsam (§ 35 Abs. 1 Nrn. 3,  4 und 6 PolG NRW)

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Eine Ingewahrsamnahme kommt nach § 35 Abs. 1 Nrn. 3, 4 und 6 PolG NRW zur Durchsetzung einer Platzverweisung nach § 34 PolG NRW (Nr. 3), einer Wohnungsverweisung oder eines Rückkehrverbotes nach § 34a PolG NRW (Nr. 4) sowie einer Aufenthaltsanordnung oder eines Kontaktverbotes nach § 34b PolG NRW oder einer Anordnung einer elektronischen Aufenthaltsüberwachung nach § 34c PolG NRW (Nr. 6) in Betracht, wenn die Ingewahrsamnahme hierfür jeweils „unerlässlich“ (vgl. dazu oben Rn. 189) ist.

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Umstritten ist, ob der sog. Verbringungs- oder Rückführungsgewahrsam als Mittel zur Durchsetzung einer Platzverweisung unter die Befugnisnorm des § 35 Abs. 1 Nr. 3 PolG NRW fällt. Beim Verbringungsgewahrsam wird die betroffene Person von der Polizei aufgegriffen, in einem Dienstfahrzeug der Polizei an einen anderen Ort, an dem sie nicht mehr stören kann, verbracht und dort freigesetzt.

Vgl. Kingreen/Poscher Polizei- und Ordnungsrecht § 16 Rn. 5. Beim Rückführungsgewahrsam, einem Sonderfall des Verbringungsgewahrsams, wird die betroffene Person in ihre Heimatstadt zurückgebracht.Vgl. Kingreen/Poscher Polizei- und Ordnungsrecht § 16 Rn. 5.

Beispiel

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Nach einem Fußballderby spricht die Polizei gegenüber einem Hooligan einen Platzverweis aus. Dieser schert sich nicht um die polizeiliche Anordnung und bleibt, wo er ist. Daraufhin greift die Polizei den Hooligan auf, fährt ihn an das andere Ende der Stadt und setzt ihn dort frei (sog. Verbringungsgewahrsam) bzw. fährt ihn in seine Heimatstadt und setzt ihn dort frei (sog. Rückführungsgewahrsam).

Nach einer Ansicht erfüllen der Verbringungs- und Rückführungsgewahrsam alle Voraussetzungen einer Freiheitsentziehung und sind daher als Durchsetzungsgewahrsam i.S.d. § 35 Abs. 1 Nr. 3 PolG NRW zu qualifizieren.

Vgl. etwa Kingreen/Poscher Polizei- und Ordnungsrecht § 16 Rn. 5. Nach dieser Ansicht wären die Maßnahmen in unserem Beispiel auf § 35 Abs. 1 Nr. 3 PolG NRW zu stützen.

Eine andere Ansicht nimmt demgegenüber an, dass der Verbringungs- und Rückführungsgewahrsam nicht mehr von § 35 Abs. 1 Nr. 3 PolG NRW gedeckt seien. Die Maßnahmen beinhalteten eine neben die zwangsweise Durchsetzung der Platzverweisung tretende zusätzliche „Umsetzung“, die nur auf die polizeirechtliche Generalklausel gestützt werden könne. Der Verbringungs- und Rückführungsgewahrsam seien zulässig, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass die zwangsweise Durchsetzung des Platzverweises allein noch nicht zur Unterbindung einer Gefahr genüge, weil zu erwarten sei, dass der Betroffene alsbald wieder zu dem Ort zurückkehren werde, von dem er verwiesen wurde.Vgl. zum Ganzen Schenke Polizei- und Ordnungsrecht Rn. 147 in Bezug auf den Verbringungsgewahrsam. Nach dieser Ansicht könnten die polizeilichen Maßnahmen nur auf die polizeirechtliche Generalklausel gestützt werden.

Expertentipp

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In der Fallbearbeitung sind alle Ansichten vertretbar. Wichtig ist, dass Sie die verschiedenen Ansichten fallbezogen erörtern und sich mit eigenen Argumenten für eine Ansicht entscheiden.

(4) Gewahrsam zum Schutz privater Rechte (§ 35 Abs. 1 Nr. 5 PolG NRW)

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Gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 5 PolG NRW kommt eine Ingewahrsamnahme in Betracht, wenn sie unerlässlich ist, um private Rechte zu schützen, und eine Festnahme und Vorführung der Person nach den §§ 229, 230 Abs. 3 BGB zulässig ist. In Abweichung vom Subsidiaritätsgrundsatz des § 1 Abs. 2 PolG NRW kann die Polizei hiernach eine Person zum Schutz privater Rechte einer anderen Person in Gewahrsam nehmen, wenn die Voraussetzungen der zivilrechtlichen Selbsthilfevorschriften erfüllt sind.

Vgl. hierzu Tegtmeyer/Vahle Polizeigesetz Nordrhein-Westfalen § 35 Rn. 11 ff.

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Wird eine Person nach den Bestimmungen über die zivilrechtliche Selbsthilfe festgenommen, muss der persönliche Arrest beim zuständigen Amtsgericht beantragt werden (vgl. § 230 BGB). Beabsichtigt der in seinen privaten Rechten Betroffene nicht, diesen Antrag zu stellen, ist die Ingewahrsamnahme nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 PolG NRW unzulässig.

Vgl. Dietlein in: Dietlein/Hellermann, Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen § 3 Rn. 178.

194

Unverhältnismäßig ist die Ingewahrsamnahme, wenn der Betroffene bereit ist, eine Sicherheit zu leisten.

Beispiel

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A und B haben einen Kaufvertrag über einen gebrauchten PC geschlossen. A hat dem B den PC vereinbarungsgemäß übergeben und übereignet; B zahlt den Kaufpreis nicht. Als A seinen Vertragspartner zufällig auf der Straße trifft, fordert er von B die Zahlung des Kaufpreises. Zum Schutz seines Rechts auf Kaufpreiszahlung bittet er einen gerade vorbeigehenden Streifenpolizisten, den B in Gewahrsam zu nehmen. B bietet daraufhin an, den Kaufpreis umgehend zu besorgen und bis dahin 100 €, die er bei sich hat, als Sicherheit zu geben. – Eine Ingewahrsamnahme des B wäre unter den gegebenen Umständen unverhältnismäßig.

(5) Gewahrsam zum Schutz des Sorgerechts (§ 35 Abs. 2 PolG NRW) und zur Sicherung des Strafvollzugs (§ 35 Abs. 3 PolG NRW)

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Nach § 35 Abs. 2 PolG NRW kann die Polizei Minderjährige, die sich der Obhut der Sorgeberechtigten entzogen haben, in Gewahrsam nehmen, um sie den Sorgeberechtigten oder dem Jugendamt zuzuführen.

Beispiel

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Die zwölfjährige K ist von zu Hause weggelaufen, weil sie immer wieder Ärger mit ihren Eltern hat. Die Polizei greift sie am Hauptbahnhof von E auf und bringt sie wieder nach Hause. – Da sich die minderjährige K der Obhut ihrer sorgeberechtigten Eltern entzogen hat, konnte die Polizei K in Gewahrsam nehmen, um sie zu ihren Eltern zurückzubringen.

196

Nach § 35 Abs. 3 PolG NRW kann die Polizei eine Person, die aus dem Vollzug von Untersuchungshaft, Freiheitsstrafen oder freiheitsentziehenden Maßnahmen der Besserung und Sicherung entwichen ist oder sich sonst ohne Erlaubnis außerhalb der Justizvollzugsanstalt aufhält, in Gewahrsam nehmen und in die Anstalt zurückbringen.

Vgl. Schenke Polizei- und Ordnungsrecht Rn. 158, der keine Bedenken mit Blick auf die Bestimmungen der § 457 Abs. 2 S. 2 StPO und § 87 StVollzG hat.Ist eine Person aus anderen Gründen untergebracht und entwichen, greift die Standardermächtigung des § 35 Abs. 3 PolG NRW jedoch nicht.

Beispiel

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Der psychisch kranke W ist nach Maßgabe des PsychKG

Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychisch Kranken. im Landeskrankenhaus untergebracht und dort entwichen. Die Polizei findet W einen Tag später in der Innenstadt von B und will ihn zurück ins Landeskrankenhaus bringen. – Da W nicht aus einem der in § 35 Abs. 3 PolG NRW genannten Gründe untergebracht ist, kommt diese Ermächtigungsgrundlage für die Rückführung des W ins Landeskrankenhaus nicht in Betracht. Die Rückführung kann aber auf eine andere Ermächtigung (z.B. § 35 Abs. 1 Nr. 1 PolG NRW) gestützt werden.

cc) Verhältnismäßigkeit der Ingewahrsamnahme

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Auf der Rechtsfolgenseite muss die Verhältnismäßigkeit einer Ingewahrsamnahme besonders sorgfältig geprüft werden, weil mit ihr eine Freiheitsentziehung verbunden ist. In einigen Fällen (§ 35 Abs. 1 Nrn. 2–6 PolG NRW) muss die Ingewahrsamnahme als solche verhältnismäßig sein (vgl. Wortlaut dieser Regelungen „unerlässlich“ [s.o. Rn. 189]); die Ingewahrsamnahme kommt in diesen Fällen nur als letztes Mittel in Betracht. Im Übrigen wird die Dauer einer Ingewahrsamnahme durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bestimmt.

Expertentipp

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Lesen Sie § 38 PolG NRW!

Zeitliche Vorgaben für eine Ingewahrsamnahme enthält § 38 PolG NRW. Nach § 38 Abs. 1 PolG NRW ist eine festgehaltene Person zu entlassen, sobald der Grund für die Maßnahme der Polizei weggefallen ist (Nr. 1), wenn die Fortdauer der Freiheitsentziehung durch eine richterliche Entscheidung für unzulässig erklärt wird (Nr. 2) oder in jedem Falle spätestens bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen, wenn nicht vorher die Fortdauer der Freiheitsentziehung aufgrund dieses oder eines anderen Gesetzes durch richterliche Entscheidung angeordnet ist (Nr. 3). „Andere Gesetze“, die eine Fortdauer der Freiheitsentziehung durch richterliche Anordnung vorsehen können, sind insoweit z.B. die Strafprozessordnung (Untersuchungshaft) oder das Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychisch Kranken (Unterbringung). In Übereinstimmung mit Art. 104 Abs. 2 S. 3 GG darf eine Person gemäß § 38 Abs. 1 Nr. 3 PolG NRW daher grundsätzlich niemals länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen festgehalten werden. Abweichungen von diesem Grundsatz sind abschließend in § 38 Abs. 2 PolG NRW normiert (vgl. Wortlaut „in folgenden Fällen“). Nach dem Vollzug der in § 38 Abs. 1 Nr. 3 PolG NRW getroffenen richterlichen Entscheidung ist der in Gewahrsam genommenen Person ein anwaltlicher Beistand zu gewähren (vgl. § 38 Abs. 3 PolG NRW).

dd) Verfahrensrechtliche Anforderungen (§§ 36, 37 PolG NRW)

198

Expertentipp

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Lesen Sie §§ 36, 37 PolG NRW!

Hinweis

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Gemäß § 24 Abs. 1 Nr. 12 OBG gelten §§ 36 und 37 mit Ausnahme des Abs. 4 und 5 PolG NRW entsprechend für die Ordnungsverwaltung.

Als Freiheitsentziehung unterliegt die Ingewahrsamnahme besonderen verfahrensrechtlichen Vorgaben, die im Einzelnen in §§ 36 und 37 PolG NRW geregelt sind. So steht die Ingewahrsamnahme gemäß § 36 PolG NRW unter Richtervorbehalt, d.h. die Polizei hat grundsätzlich eine richterliche Entscheidung beim zuständigen Amtsgericht über die Zulässigkeit und die Fortdauer der Freiheitsentziehung herbeizuführen. Zuständig ist das Amtsgericht, in dessen Bezirk die Freiheitsentziehung herbeigeführt wurde (vgl. § 36 Abs. 2 S. 1 PolG NRW). Das Verfahren richtet sich nach §§ 415 ff. FamFGGesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit.. Im Zuständigkeitsbereich des Amtsgerichts schließt die Entscheidungsbefugnis des Amtsgerichts die Zuständigkeit eines Verwaltungsgerichts aus.

Expertentipp

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Eine Verletzung des Richtervorbehalts stellt einen Verfahrensfehler dar, der nicht über § 45 Abs. 1 Nr. 5 VwVfG NRW geheilt werden kann, weil der Richter keine „andere Behörde“ ist.

Vgl. Kingreen/Poscher Polizei- und Ordnungsrecht § 16 Rn. 11.

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Weitere verfahrensrechtliche Vorgaben finden sich in § 37 PolG NRW, der Regelungen über die Behandlung festgehaltener Personen enthält. So ist der festgehaltenen Person unverzüglich der Grund der Ingewahrsamnahme bekanntzugeben, wenn sie nach dem Polizeigesetz NRW (§ 10 Abs. 3, § 12 Abs. 2 S. 3 oder § 35 PolG NRW) festgehalten wird (vgl. § 37 Abs. 1 PolG NRW). Der festgehaltenen Person ist grundsätzlich unverzüglich Gelegenheit zu geben, einen Angehörigen oder eine Person ihres Vertrauens zu benachrichtigen (vgl. § 37 Abs. 2 S. 1 PolG NRW); § 37 Abs. 2 Sätze 2 bis 5 PolG NRW regeln weitere Details der Benachrichtigung. Die festgehaltene Person ist nach Maßgabe des § 37 Abs. 3 PolG NRW unterzubringen. § 37 Abs. 4 PolG NRW sieht vor, dass Aufgaben im Polizeigewahrsam zur Unterstützung der Polizeivollzugsbeamten auch durch Bedienstete der Polizei, die nicht Polizeivollzugsbeamte sind, wahrgenommen werden können (vgl. § 37 Abs. 4 S. 1 PolG NRW) und das für Inneres zuständige Ministerium ermächtigt wird, durch Rechtsverordnung den Umfang der diesen Bediensteten zustehenden polizeilichen Befugnisse zu bestimmen sowie weitere Regelungen für den Vollzug der Freiheitsentziehung im Polizeigewahrsam zu treffen (vgl. § 37 Abs. 4 S. 2 PolG NRW), wovon das Ministerium des Inneren durch Erlass der Gewahrsamsvollzugsverordnung vom 19.3.2021GV.NRW S. 329. Gebrauch gemacht hat. Gemäß § 37 Abs. 4 S. 1 PolG NRW findet ein Vollzug der Freiheitsentziehung in Einrichtungen des Justizvollzugs nicht statt. Die Vorschriften über die Amtshilfe nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen bleiben unberührt (vgl. § 37 Abs. 4 S. 2 PolG NRW). § 37 Abs. 4 und 5 PolG NRW wurden durch Art. 1 Nr. 12 des Gesetzes zur Stärkung der Rechte von im Polizeigewahrsam festgehaltenen Personen vom 19.12.2019GV.NRW. S. 991. neu in das PolG NRW eingefügt.Vgl. hierzu LT-Drs. 17/7549 S. 29 ff.

ee) Fixierung festgehaltener Personen (§ 37a PolG NRW)

200

Hinweis

Hier klicken zum AusklappenGemäß § 24 Abs. 1 Nr. 12 OBG gilt § 37a PolG NRW nicht für die Ordnungsverwaltung.

Durch Art. 1 Nr. 13 des oben (Rn. 199) genannten Gesetzes wurde auch § 37a neu in das PolG NRW eingefügt.Vgl. hierzu Tomerius NVwZ 2021, 289. Gemäß § 37a S. 1 PolG NRW gelten für die Fesselung (§ 62 PolG NRW) sämtlicher Gliedmaßen an die in polizeilichen Gewahrsamseinrichtungen dafür vorgesehenen Fixierungsstellen (Fixierung), die absehbar von nicht nur kurzfristiger Dauer ist, § 69 Abs. 7 und § 70 Abs. 4 StVollzG NRWStrafvollzugsgesetz NRW. entsprechend. Eine Fixierung nach § 37a S.1 PolG NRW bedarf der vorherigen ärztlichen Stellungnahme und richterlichen Anordnung (vgl. § 37a S. 2 PolG NRW). Bei Gefahr im Verzug darf der in der Gewahrsamseinrichtung Aufsicht führende Polizeivollzugsbeamte die Anordnung vorläufig treffen (vgl. § 37a S. 3 PolG NRW). Die richterliche Entscheidung und ärztliche Stellungnahme sind unverzüglich nachzuholen; im Übrigen gilt § 70 Abs. 5 S. 4 und 5 StVollzG NRW entsprechend (vgl. § 37a S. 4 PolG NRW). Für die Anordnung ist gemäß § 37a S. 5 PolG NRW das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk sich die Gewahrsamseinrichtung befindet. Das Verfahren richtet sich nach den Vorschriften des 7. Buches (Verfahren in Freiheitsentziehungssachen) des FamFG (vgl. § 37a S. 6 PolG NRW)Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit.. Bei Fixierungen nach § 37a S. 1 PolG NRW ist stets eine durchgängige persönliche Beobachtung zu gewährleisten (vgl. § 37a S. 7 PolG NRW).

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