Juristische Methodenlehre - Grundsätzliche Zulässigkeit der Rechtsfortbildung

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Juristische Methodenlehre

Grundsätzliche Zulässigkeit der Rechtsfortbildung

A. Grundsätzliche Zulässigkeit der Rechtsfortbildung

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Die Funktion der Rechtsetzung ist nach dem Gewaltenteilungsprinzip des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG den hierfür eigens geschaffenen, demokratisch legitimierten (Art. 20 Abs. 1 GG) „Organe[n] der Gesetzgebung“ (auf Bundesebene: Bundestag und Bundesrat) zugewiesen, die ihre Entscheidungen grundsätzlich öffentlich (siehe z.B. Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG) und auf breiter Informationsbasis treffen. Demgegenüber ist der Richter nach Art. 97 Abs. 1 GG „dem Gesetze unterworfen“. Zudem beeinträchtigt die richterliche Gesetzesergänzung das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) folgende Postulat nach Rechtssicherheit, vermag der Bürger doch nicht vorherzusehen, ob und ggf. wie sich das Richterrecht entwickelt.

Zum Ganzen vgl. BVerfGE 82, 6 (11 f.); Beaucamp/Treder, Methoden, Rn. 254 f.; Muthorst, Grundlagen, § 7 Rn. 4; Wank, Auslegung, S. 84; Zippelius, Methodenlehre, S. 42, 53 f., 67.

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Hinweis

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Im sog. „Kodifikationszeitalter“ (18./19. Jahrhundert) waren die Gerichte regelmäßig verpflichtet, bei Zweifeln hinsichtlich der Auslegung des Gesetzes, v.a. aber bei Gesetzeslücken, eine entsprechende Anfrage an den Gesetzgeber zu richten. „Nur der Gesetzgeber sollte das Recht haben, Recht zu setzen.“ Hintergrund war ein tiefes Misstrauen des absolutistischen Monarchen gegenüber der Justiz, der durch „sein“ jeweiliges Gesetzeswerk selbst alles regeln wollte.

Zum Ganzen siehe Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 822, 840 m.w.N. Soweit ihm dies durch die Verfassung gestattet ist (Bestimmtheitsgrundsatz),Siehe v.a. Art. 103 Abs. 2 GG bzw. § 1 StGB im Gegensatz zu § 2 RStGB 1935: „(1) Bestraft wird, wer eine Tat begeht, die das Gesetz für strafbar erklärt oder die nach dem Grundgedanken eines Strafgesetzes und nach gesundem Volksempfinden Bestrafung verdient. (2) Findet auf die Tat kein bestimmtes Strafgesetz unmittelbar Anwendung, so wird die Tat nach dem Gesetz bestraft, dessen Grundgedanke auf sie am besten zutrifft“. Siehe auch Rn. 122, 240 ff. ist der moderne Gesetzgeber hingegen regelmäßig darum bemüht, Löchern in den Mauern des von ihm errichteten Rechtsgebäudes durch die Verwendung elastischer Elemente wie v.a. Generalklauseln (z.B. § 626 Abs. 1 BGB: Kündigung eines Dienstverhältnisses „aus wichtigem Grund“) und unbestimmte Rechtsbegriffe (z.B. § 56 Abs. 1 S. 2 VwVfG: „angemessen“) vorzubeugen (Rn. 122, 196). Im Ergebnis bewirken diese freilich nur, dass die Fassade des Gesetzes nicht altert und nach außen hin als lückenlos erscheint;Zum Ganzen vgl. Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 185, 836; Vogel, Methodik, S. 98. es redet zwar, aber in der Sache bleibt es nichtssagend.Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Auflage 2008, S. 633. Derartiger, aus rechtsstaatlicher Sicht mit Nachteilen verbundenen „Leerformeln“ bedient sich der Gesetzgeber häufig absichtlich, damit der Rechtsanwender über genügend Flexibilität verfügt, um auf die „unendliche Vielzahl der regelungsbedürftigen Lebensvorgänge“ reagieren zu können. Ob es sich bei der Ausfüllung von Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen noch um Gesetzesauslegung oder schon um Rechtsfortbildung handelt (delegierte richterliche Normsetzung zur Schließung bewusster verdeckter Lücken), ist str.Zum Ganzen siehe Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 185, 836 ff. m.w.N. zum Streitstand. Zu diesem siehe auch Muthorst, Grundlagen, § 8 Rn. 7; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Auflage 2008, S. 633; Wank, Auslegung, S. 82 f.; Zippelius, Methodenlehre, S. 39.

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Sprechen die vorgenannten staatsorganisationsrechtlichen Bestimmungen mithin dagegen, die für den Fall A gesetzlich vorgesehene Regelung auf den zwar ähnlichen, im Gesetz jedoch nicht geregelten Fall B zu erstrecken, so könnte dies allerdings geradewegs gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen, wonach wesentlich Gleiches gleich zu behandeln ist.

Vgl. BVerfGE 9, 338 (349); Sauer, in: Krüper, Grundlagen des Rechts, § 9 Rn. 40 und siehe Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 193; Wienbracke, Einführung in die Grundrechte, 2013, Rn. 533 m.w.N. Dort (Rn. 544 ff.) auch zur Geltung von Art. 3 Abs. 1 GG nicht nur für die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung, sondern ebenfalls für den Gesetzgeber. Um die erstrebte materielle Gerechtigkeit im Einzelfall zu gewährleisten, wäre der RichterEntsprechendes gilt für Verwaltungsbeamte (Beaucamp/Treder, Methoden, Rn. 250 m.w.N.). Zu Rechtsanwälten siehe Schmalz, Methodenlehre, Rn. 376. hiernach also sogar dazu verpflichtet, Lücken im Gesetz selbst zu schließen – und dürfte gerade keine „formale Gesetzestreue“ i.d.S. üben, dass er eine Regelung durch den Gesetzgeber erst noch abwartet.Vgl. BVerfGE 34, 269 (291 f.); 84, 212 (227); Schwacke, Methodik, S. 122; Zippelius, Methodenlehre, S. 53. Siehe auch Rn. 209.

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Hinweis

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Trotz der gemeinhin zunehmend beklagten „Normenflut“ besteht für die Rechtsfortbildung ein erhebliches praktisches Bedürfnis.

Sauer, in: Krüper, Grundlagen des Rechts, § 9 Rn. 35; Schmalz, Methodenlehre, Rn. 139, 374. Denn „niemand, auch der Gesetzgeber nicht, ist in der Lage, jede sich stellende Rechtsfrage gedanklich vorwegzunehmen und zu beantworten.“ Zudem wirft eine Gesellschaft, die sich mit großer Geschwindigkeit ändert, permanent neue Rechtsfragen auf.Zum Ganzen siehe Muthorst, Grundlagen, § 8 Rn. 6. Vgl. auch Hassemer, ZRP 2007, S. 213 (214 a.E.): „Ein vollständiges […] Gesetz ist nicht mehr als ein Traum“. Siehe auch Rn. 195 f.

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Zur Auflösung dieses Spannungsverhältnisses hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Soraya-Entscheidung auf Art. 20 Abs. 3 GG rekurriert, wonach die Rechtsprechung „an ‚Gesetz und Recht‘ gebunden“ ist. „Damit wird nach allgemeiner Meinung ein enger Gesetzespositivismus abgelehnt. Die Formel hält das Bewußtsein aufrecht, daß sich Gesetz und Recht zwar faktisch im Allgemeinen, aber nicht notwendig und immer decken. Das Recht ist nicht mit der Gesamtheit der geschriebenen Gesetze identisch. Gegenüber den positiven Satzungen der Staatsgewalt kann unter Umständen ein Mehr an Recht bestehen, das seine Quelle in der verfassungsmäßigen Rechtsordnung als einem Sinnganzen besitzt und dem geschriebenen Gesetz gegenüber als Korrektiv zu wirken vermag; es zu finden und in Entscheidungen zu verwirklichen, ist Aufgabe der Rechtsprechung. Der Richter ist nach dem Grundgesetz nicht darauf verwiesen, gesetzgeberische Weisungen in den Grenzen des möglichen Wortsinns auf den Einzelfall anzuwenden. Eine solche Auffassung würde die grundsätzliche Lückenlosigkeit der positiven staatlichen Rechtsordnung voraussetzen, ein Zustand, der als prinzipielles Postulat der Rechtssicherheit vertretbar, aber praktisch unerreichbar ist. Richterliche Tätigkeit besteht nicht nur im Erkennen und Aussprechen von Entscheidungen des Gesetzgebers. Die Aufgabe der Rechtsprechung kann es insbesondere erfordern, Wertvorstellungen, die der verfassungsmäßigen Rechtsordnung immanent, aber in den Texten der geschriebenen Gesetze nicht oder nur unvollkommen zum Ausdruck gelangt sind, in einem Akt des bewertenden Erkennens, dem auch willenhafte Elemente nicht fehlen, ans Licht zu bringen und in Entscheidungen zu realisieren.“

BVerfGE 34, 269 (286 f.) m.w.N. Siehe auch Rn. 10. Muthorst, Grundlagen, § 8 Rn. 15 m.w.N. bemüht zur Legitimation der richterlichen Rechtsfortbildung im Verhältnis zum Gesetzgeber Art. 92 GG. „Die Ermächtigung zur Ausübung rechtsprechender Gewalt umfasst die Ermächtigung zur Rechtsfortbildung“.

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Sind „Aufgabe und Befugnis“ des Richters „zu ,schöpferischer Rechtsfindung‘“ als solche damit unstreitig anerkannt und im modernen Staat geradezu unentbehrlich (siehe denn auch § 132 Abs. 4 GVG etc.

§ 45 Abs. 4 ArbGG, §§ 61 Abs. 3 S. 1 Nr. 1, 70 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, 74 Abs. 7 FamFG, §§ 11 Abs. 4, 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO, § 41 Abs. 4 SGG, § 11 Abs. 4 VwGO, §§ 511 Abs. 4 S. 1 Nr. 1, 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, 566 Abs. 4 S. 1 Nr. 2, 574 Abs. 2 Nr. 2, 577 Abs. 6 S. 3 ZPO., wonach die „Fortbildung des Rechts“ den obersten Gerichten zugewiesen ist),BVerfGE 34, 269 (287); 65, 182 (190) m.w.N.; Schwacke, Methodik, S. 122 a.E. Siehe auch BVerfGE 66, 116 (138): „Das, was das Gesetz offenläßt, ist durch Richterrecht auszufüllen“ und Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 822 a.E.: „Die Setzung von Rechtsnormen ist also in Deutschland nicht auf die Gesetzgebung konzentriert“. so dürfen hierbei allerdings die nachfolgend aufgezeigten Grenzen nicht überschritten werden, anhand derer sich zwischen zulässiger und unzulässiger Rechtsfortbildung unterscheiden lässt.Beaucamp/Treder, Methoden, Rn. 258; Schwacke, Methodik, S. 124. Nachweise zu Fällen, in denen eine Rechtsfortbildung abgelehnt wurde, finden sich bei Schmalz, Methodenlehre, Rn. 433. Diese beziehen sich

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zum einen auf das „,Ob‘ der Lückenfüllung“:

Muthorst, Grundlagen, § 8 Rn. 20. Eine richterliche Lückenausfüllung kommt von vornherein insoweit nicht in Betracht, als ein ausdrückliches Verbot der Rechtsfortbildung besteht (z.B. nach § 3 OWiG, § 1 StGB bzw. Art. 103 Abs. 2 GG).Schwacke, Methodik, S. 124. Art. 103 Abs. 2 GG gilt nicht nur für das Strafrecht i.e.S., sondern auch für die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten und Disziplinarstrafen, siehe BVerfGE 87, 399 (411); 116, 69 (82 f.), jeweils m.w.N. Umgekehrt ist die Rechtsfortbildung bei Vorliegen einer bewussten Lücke (Rn. 260) erkennbar erlaubt. Im Fall einer unbewussten Lücke (Rn. 260) hat sich der Gesetzgeber dagegen „weder zur Erlaubnis noch zum Verbot der Rechtsfortbildung Gedanken gemacht“. Zum Ganzen siehe Wank, Auslegung, S. 82 f. Namentlich aufgrund dieser z.T. bestehenden Verbote der Rechtsfortbildung ist deren Abgrenzung zur (noch erlaubten) Gesetzesauslegung erforderlich, siehe Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Auflage 2008, S. 636 a.E. und vgl. Rn. 233. Zudem „dürfen durch Richterrecht keine Eingriffstatbestände geschaffen werden, soweit nach der Verfassung ein strenger GesetzesvorbehaltHierzu siehe im Skript „Allgemeines Verwaltungsrecht“, Rn. 14 f.; Wienbracke, Einführung in die Grundrechte, Rn. 150 ff., jeweils m.w.N. für solche Eingriffe besteht“ (z.B. nach Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG, der als Grundlage für Freiheitsentziehungen ein förmliches Gesetz [Rn. 12] verlangt).Zippelius, Methodenlehre, S. 54 a.E. Vgl. auch BVerfGE 116, 69 (83) m.w.N. Näher zu dem aus Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG folgenden Analogieverbot siehe BVerfGE 83, 24 (31 f.). Speziell zum Steuerrecht siehe BVerfGE 69, 188 (203 ff.); Englisch, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 21. Auflage 2013, § 5 Rn. 81 ff. m.w.N.; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Auflage 2008, S. 637 sowie zum gesamten Öffentlichen Recht Beaucamp/Treder, Methoden, Rn. 272; Vogel, Methodik, S. 135.

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Beispiel

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Gem. § 242 Abs. 1 StGB wird bestraft, wer eine „fremde bewegliche Sache“ einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen. Dabei sind unter dem Begriff „Sache“ alle körperlichen Gegenstände zu verstehen, vgl. § 90 BGB. An der nach dieser Auslegung mithin notwendigen Körperlichkeit fehlt es in Bezug auf elektrischen Strom, weshalb das Reichsgericht den Elektrizitätsdiebstahl nicht als gem. § 242 Abs. 1 StGB strafbares Verhalten ansah. Auch eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift war dem Gericht durch § 2 Abs. 1 RStGB 1871 (heute: § 1 StGB, Art. 103 Abs. 2 GG) verwehrt. Vor diesem Hintergrund hat der Gesetzgeber nachfolgend eigens den Straftatbestand der „Entziehung elektrischer Energie“ (§ 248c Abs. 1 StGB) normiert.

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Generell gilt, dass eine Rechtsfortbildung zu Lasten des Bürgers strengeren Voraussetzungen unterliegt als eine solche, die zu dessen Gunsten erfolgt.

Beaucamp/Treder, Methoden, Rn. 258 m.w.N. Namentlich das Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG „soll einerseits sicherstellen, dass der Normadressat vorhersehen kann, welches Verhalten mit Strafe oder Buße bedroht ist, und andererseits gewährleisten, dass der Gesetzgeber und nicht erst die Gerichte über die Strafbarkeit oder Ahndbarkeit entscheiden. Daher schließt Art. 103 Abs. 2 GG jede Rechtsanwendung aus, die über den Inhalt einer gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgeht,“BVerfGE 87, 399 (411) m.w.N. Zur Auslegungsbedürftigkeit von Vorschriften, die ein Analogieverbot statuieren, siehe Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Auflage 2008, S. 637. nicht dagegen auch eine Rechtsfortbildung zugunsten des Täters (z.B. analoge Anwendung der Rücktrittsvorschrift des § 31 StGB auf vergleichbare Fälle wie etwa § 234a Abs. 3 StGB, für die eine entsprechende Regelung nicht existiert);Eser/Hecker, in: Schönke/Schröder, StGB, 28. Auflage 2010, § 1 Rn. 30 f. unter Hinweis u.a. auf BGHSt 6, 85. Zu § 31 SGB I („Rechte und Pflichten in den Sozialleistungsbereichen dieses Gesetzbuchs dürfen nur begründet, festgestellt, geändert oder aufgehoben werden, soweit ein Gesetz es vorschreibt oder zulässt“) siehe Beaucamp/Treder, Methoden, Rn. 270 und im Skript „Allgemeines Verwaltungsrecht“, Rn. 13, 19.

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zum anderen auf das „,Wie‘ der Lückenfüllung“:

Muthorst, Grundlagen, § 8 Rn. 20. Eine richterliche Rechtsfortbildung darf keinesfalls „unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers“ eingreifen.BVerfGE 122, 248 (283) m.w.N. abw. Meinung Voßkuhle, Osterloh, Di Fabio. Hat dieser nämlich erkennbar „eine eindeutige Entscheidung getroffen, so darf der Richter diese nicht aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern und durch eine judikative Lösung ersetzen, die so im Parlament nicht erreichbar gewesen wäre.“BVerfGE 82, 6 (12) m.w.N. Dies gilt auch schon auf Ebene der Gesetzesauslegung, siehe Rn. 134.

Hinweis

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„Während der mögliche Wortsinn Grenze jeder Auslegung ist, ist […] der Wille des Gesetzgebers Grenze jeder Rechtsfortbildung.“

Sauer, in: Krüper, Grundlagen des Rechts, § 9 Rn. 38 (Hervorhebungen d.d. Verf.). Siehe auch Rn. 247.

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Vielmehr zeichnet sich eine den verfassungsrechtlichen Anforderungen gemäße Rechtsfortbildung dadurch aus, dass sie zwar – über die Auslegung hinaus – „den Anwendungsbereich einer Norm auf einen Fall erstreckt, der von ihrem Wortlaut nicht erfaßt wird.“ Doch entnimmt sie allein „aus den Wertungen des Gesetzes […], ob eine Lücke besteht und in welcher Weise sie geschlossen werden soll.“ Unter dieser Prämisse stellt sich die Rechtsfortbildung nicht als „Äußerung unzulässiger richterlicher Eigenmacht dar, durch die der erkennbare Wille des Gesetzgebers beiseite geschoben und durch eine autark getroffene richterliche Abwägung der Interessen ersetzt wird“

BVerfGE 82, 6 (12 f.)., sondern als „denkender Gehorsam“Vgl. Heck, AcP 112 (1914), S. 1 (20). RechtsfortbildungGrenzen derRechtsfortbildungGrenzen derSiehe auch Rn. 131., mittels dessen das unvollständige Gesetz „weiter- und zu Ende gedacht“ wird („Rechtsgewinnung außerhalb des vom Gesetz(geber) Gesagten, aber innerhalb des vom Gesetz(geber) Gewollten“Schwacke, Methodik, S. 144 (im Original mit Hervorhebungen)., sog. „gesetzesimmanente RechtsfortbildungLarenz/Canaris, Methodenlehre, S. 187 (im Original mit Hervorhebung). Zur gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung siehe Rn. 245.). Sofern innerhalb dieser Grenzen mehrere Möglichkeiten der richterlichen Lückenfüllung in Betracht kommen, ist diejenige zu wählen, die sich am besten in das legislative Regelungskonzept einfügt.Zum Ganzen siehe Muthorst, Grundlagen, § 8 Rn. 20.

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Hinweis

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Von der hier allein behandelten gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung (praeter legem

Lat. = „am Gesetz vorbei”.)Vgl. BVerfGE 88, 145 (167). Die Terminologie ist uneinheitlich, siehe nur einerseits – wie hier – schon Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 252 und andererseits Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 828, die in Bezug auf die gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung („Rechtsneubildung“; s.u.) von „Rechtsfortbildung praeter legem“ sprechen. Wiederum anders Vogel, Methodik, S. 87, 96 („,Gesetzesübersteigende‘ (contra legem erfolgende) Rechtsfortbildung“ bzw. „Gesetzesberichtigung“) und Muthorst, Grundlagen, § 8 Rn. 3: „wenn Gerichte […] die gesetzliche Regelung korrigieren (sog. „gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung)“. ist die – im Rahmen der Klausurbearbeitung wohl kaum einmal relevanteSo die Einschätzung von Wank, Auslegung, S. 84. – sog. „gesetzesübersteigende RechtsfortbildungBGHZ 170, 187 (193) m.w.N. zu unterscheiden. Während Erstere dazu dient, einzelne Lücken innerhalb einer Regelung oder eines Gesetzes durch Fortschreibung der vorhandenen Strukturen zu schließen, bewegt sich Letztere zwar ebenfalls noch innerhalb des Rahmens der Gesamtrechtsordnung (intra ius), d.h. des juristisch Regelbaren (im Gegensatz zum „rechtsfreien Raum“ der „innerseelischen Vorgänge“ wie Gedanken, Empfindungen etc.), jedoch außerhalb des vom Gesetz(geber) Geregelten, d.h. im „gesetzesfreien Raum“ (extra legem).Vgl. Beaucamp/Treder, Methoden, Rn. 248; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 187, 192, 232, 245; Schwacke, Methodik, S. 122, 126, 144, jeweils m.w.N. aus der Rechtsprechung. Da im Bereich dieser auch sog. „Rechts-Engisch, Einführung in das juristische Denken, 11. Auflage 2010, S. 237. bzw. „Gebietslücken“Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 855. (z.B. ArbeitskampfrechtVogel, Methodik, S. 87, 136. Weiteres Beispiel: Sicherungsübereignung, siehe etwa Muthorst, Grundlagen, § 8 Rn. 13.) eine gesetzliche Wertung vollständig fehlt, unterliegt die gegenüber der Gesetzesauslegung und der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung nachrangige gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung als „Rechtsneubildung“Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 828., „Rechtserfindung“Schmalz, Methodenlehre, Rn. 420. bzw. „gesetzesvertretende[s] Richterrecht“Vogel, Methodik, S. 136. mit Blick auf die in Rn. 234 genannten staatsorganisationsrechtlichen Vorgaben besonders strikten Voraussetzungen. Namentlich ist sie nur dann zulässig, wenn sie mit Rücksicht auf die Bedürfnisse des Rechtsverkehrs (z.B. Anwartschaftsrecht), die „Natur der Sache“ (z.B. Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für die Raumordnung des Bundesgebiets) oder ein rechtsethisches Prinzip (z.B. Anerkennung des „allgemeinen Persönlichkeitsrechts“ als „sonstiges Recht“ i.S.v. § 823 Abs. 1 BGB) geboten ist.Zum Ganzen siehe Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 232 ff., 245 ff.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 857 f.; Schwacke, Methodik, S. 144 f. Weitere Beispiele bei Beaucamp/Treder, Methoden, Rn. 315 ff. m.w.N.

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Expertentipp

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„Genau die Zweckargumente, die im Rahmen der teleologischen Auslegung nicht zur Subsumierbarkeit des Sachverhalts unter die Norm führen, weil sonst die Grenze des möglichen Wortsinns der einschlägigen Norm überschritten würde, kommen hier zum Zug.“

Schwacke, Methodik, S. 139 (Hervorhebung d.d. Verf.), allerdings in Bezug auf die teleologische Extension (Fn. 148 zu Rn. 274). Siehe auch Rn. 150, 215 f., 243 a.E.

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