Kommunalrecht Nordrhein-Westfalen

Rechte und Pflichten der Gemeinderatsmitglieder

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4. Rechte der Ratsmitglieder

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Der Rat besteht aus dem Bürgermeister (als Vorsitzendem und Mitglied kraft Gesetzes) sowie den gewählten Ratsmitgliedern (§ 40 Abs. 2 S. 2 GO).

Expertentipp

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Die Kenntnis der Rechte und Pflichten der Ratsmitglieder ist in Leistungsnachweisen von einiger Bedeutung. Es gibt Fallkonstellationen vor allem in drei Richtungen:

Zum einen kann die Verletzung einer Pflicht die formelle Rechtmäßigkeit eines Ratsbeschlusses gefährden (z.B. bei entscheidungserheblicher Mitwirkung eines Ratsmitglieds trotz Befangenheit).

Zweitens kann die Verletzung von Rechten oder Pflichten (gerichtliche) Auseinandersetzungen mit anderen Ratsmitgliedern bzw. anderen Gemeindeorganen zur Folge haben.

Schließlich kann eine mögliche Verletzung mitgliedschaftlicher Rechte zur Prüfung eines kommunalaufsichtlichen Einschreitens führen.

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Die Rechte der Ratsmitglieder ergeben sich aus den §§ 43 bis 46 GO.

a) Freies Mandat und Recht auf effektive Mandatsausübung (§ 43 Abs. 1 GO)

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Die Ratsmitglieder werden von den Bürgern gewählt und vertreten die Bürgerschaft zusammen mit dem Bürgermeister. Da sie Vertreter der gesamten Bürgerschaft und nicht nur einer Partei oder ihrer Wähler sind, können sie an Aufträge nicht gebunden sein. Die Ratsmitglieder sind vielmehr berechtigt und auch verpflichtet, in ihrer Tätigkeit ausschließlich nach dem Gesetz und ihrer freien, nur durch Rücksicht auf das öffentliche Wohl bestimmten Überzeugung zu handeln (§ 43 Abs. 1 GO).

Von der statusrechtlichen Schutzgewährleistung in der öffentlich-rechtlichen Funktion als Ratsmitglied nach § 43 Abs. 1 GO ist die Frage des grundrechtlichen Schutzes der hinter der Funktion stehenden Privatperson rechtlich zu unterscheiden.Vgl. hierzu OVG NRW Urteil vom 15.9.2015 – 15 A 1961/13 –, juris m.w.N.und Urteil vom 14.9.2017 – 15 A 2785/15 –, KommJur 2017, 465. Das öffentlich-rechtliche Amt („Ratsmitglied der Gemeinde G“) wird zwar faktisch von einer natürlichen Person („Herr Roland Knappe, der zum Ratsmitglied gewählt worden ist“) wahrgenommen. aber innerhalb der öffentlich-rechtlichen Aufgabenwahrnehmung (als Ratsmitglied) nimmt die natürliche Person nicht eigene private Grundrechte wahr, sondern öffentlich-rechtliche Statusrechte des Amtes (als Ratsmitglied, §§ 43 ff. GO).OVG NRW Urteil vom 14.9.2017 – 15 A 2785/15 –, KommJur 2017, 465 Es geht in solchen Fällen nicht um private Rechte der hinter dem Amt stehenden Privatperson, sondern um Mitgliedschaftsrechte als Ratsmitglied. Mithin ist die amtliche Tätigkeit als Ratsmitglied von der privaten Tätigkeit als natürliche Person abzugrenzen.

Beispiel

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Zum freien Mandat eines Ratsmitglieds gehört im Zusammenhang mit der Ratstätigkeit insbesondere auch das Recht zu einer gegenüber der Gemeinde und ihrer Politik kritischen freien Meinungsäußerung. Es handelt sich also um eine statusrechtlich durch § 43 Abs. 1 GO geschützte Rechtsposition eines Ratsmitglieds.Vgl. aber zu den Grenzen durch die Treupflicht eines Ratsmitgliedes zur Gemeinde OVG NRW Urteil vom 15.9.2015 – 15 A 1961/13 –, juris. Die Funktion eines „Ratsmitglieds in der Gemeinde G“ wird derzeit u.a. von Herrn Roland Knappe ausgeübt. Wenn Herr Roland Knappe wegen eines gemeindekritischen Redebeitrages in einer Ratssitzung vom Bürgermeister zur Ordnung gerufen wird, kann er sich auf sein ihm als Ratsmitglied zustehendes Statusrecht aus § 43 Abs. 1 GO berufen. Hingegen kommt das ihm als Privatperson zustehende Grundrecht auf freie Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG hierbei nicht zu Anwendung.OVG NRW Urteil vom 14.9.2017 –15 A 2785/15 –, KommJur 2017, 465. Herr Roland Knappe handelt in der Ratssitzung nicht als Privatperson, sondern hat durch seinen Redebeitrag öffentlich-rechtliche Aufgaben als Ratsmitglied wahrgenommen. Ein öffentlich-rechtlicher Amtsträger kann sich jedoch in Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben nicht auf Grundrechte berufen. Roland Knappe steht hingegen bei privaten Meinungsäußerungen außerhalb der Tätigkeit als Ratsmitglied, z.B. bei Wahlkampfveranstaltungen, sehr wohl die grundrechtliche Gewährleistung der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG zu.   

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Eine wichtige Folge aus der Gewährleistung des freien Mandates sind die klausurträchtigen konkreten Mitwirkungs-, Informations-, Gleichbehandlungs- und Störungsbeseitigungsansprüche, die Rechtsprechung und Literatur mangels ausdrücklicher gesetzlicher Erwähnung aus § 43 Abs. 1 GO entwickelt haben. Allgemein fasst man diese Ausprägung des freien Mandats unter dem Begriff „freies Mandatsausübungsrecht“ zusammen, da es hierbei um die rechtliche Gewährleistung einer effektiven Ausübung des Mandates geht.Vgl. etwa OVG NRW Beschluss vom 17.3.1988 – 15 B 695/88 –, NWVBl. 1989, 21; Smith in Kleerbaum/Palmen, § 43 Erl. IV.

Hierzu gehören insbesondere

  • das Teilnahme-, Rede- und Fragerecht der Ratsmitglieder (vgl. zu Letzterem auch § 47 Abs. 2 S. 2 GO),
  • das Informationsrecht,
  • der Störungsbeseitigungsanspruch gegenüber dem Ratsvorsitzenden
  • und das Recht auf Gleichbehandlung (§ 43 Abs. 1 GO i.V.m. dem rechtsstaatlichen Gleichbehandlungssatz), aus dem sich ein Willkürverbot ergibt bei der Behandlung einzelner Ratsmitglieder durch andere Gemeindeorgane.

Expertentipp

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Teilweise haben Bearbeiter in Klausuren das Problem, den richtigen normativen Ansatz des „§ 43 Abs. 1 GO“ zu finden, da sich diese Rechtspositionen nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der Norm ergeben. Deshalb finden Sie nachfolgend einige konkretisierende Beispiele.

Beispiel

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Bei der Wahl eines Beigeordneten wird ein privates Personalberatungsunternehmen eingeschaltet. Dieses nimmt zusammen mit einer „Findungskommission“ des Rates eine Vorauswahl geeigneter Kandidaten aus dem Bewerberkreis vor. Ein Ratsmitglied, welches nicht der Findungskommission angehört, möchte sich über den vor ausgewählten Kandidatenkreis hinaus einen Eindruck auch über die anderen Bewerber machen.

Das OVG NRWOVG NRW Urteil vom 5.2.2002 – 15 A 2604/99 –, NVwZ-RR 2003, 225 ff. hat entschieden, dass den zur Wahl eines Beigeordneten berufenen Ratsmitgliedern das aus § 43 Abs. 1 GO abzuleitende organschaftliche Recht zustehe (freies Mandatsausübungsrecht), sich über den Kreis aller Bewerber um das Amt im Vorfeld der Wahl zu informieren. Dieses Recht schließe die Geheimhaltung von Bewerbern gegenüber dem Rat aus. Eine unter Verletzung dieses Informationsanspruches der Ratsmitglieder erfolgte Wahl sei rechtswidrig.

Wenn der Rat gemäß § 48 Abs. 2 S. 3 GO zu Unrecht den Ausschluss der Öffentlichkeit beschließt, so können Ratsmitglieder und Fraktionen sich auf eine Verletzung ihres subjektiven Organrechts auf Wahrung des Grundsatzes der Sitzungsöffentlichkeit berufen, welches bei Ratsmitgliedern aus der freien Mandatsausübung abgeleitet wird (§ 43 Abs. 1 GO)OVG NRW Urteile vom 25.3.2014 – 15 A 1651/12 –, DÖV 2014, 716 und vom 24.4.2001 – 15 A 3021/97 –, DVBl. 2001, 1281, 1282. und bei Fraktionen aus ihrem Recht auf Außendarstellung (§ 56 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 GO)OVG NRW Urteil vom 7.10.2020 - 15 A 2750/18 –, juris, Rn. 48..

In einer Ratssitzung, in der es um den Verkauf von Anteilen der stadteigenen Stadtwerke-GmbH geht, stören die zur Sitzung erschienenen Beschäftigten der Stadtwerke-GmbH in erheblicher Weise, indem sie große Plakate und Banner hochhalten sowie durch Trillerpfeifen und Rätschen lautstark zum Ausdruck bringen, dass sie gegen den Verkauf der Anteile sind. Einige Ratsmitglieder fühlen sich in ihrer Ratstätigkeit beeinträchtigt. Der Bürgermeister schreitet aber gegen die Störer nicht ein.

Das VG ArnsbergVG Arnsberg Urteil vom 24.8.2007 – 12 K 127/07 –, NWVBl. 2008, 113; Klausurfall von Ennuschat/Siegel NWVBl. 2008, 119 f. hat entschieden, dass den Ratsmitgliedern bei Störungen ihrer Mandatsausübung im Rahmen einer Ratssitzung ein klagbarer Anspruch gegen den Bürgermeister zustehe. Anspruchsgrundlage ist auch hier das Mitwirkungsrecht der Ratsmitglieder aus § 43 Abs. 1 GO, das im Zusammenspiel mit § 51 Abs. 1 GO einen Störungsbeseitigungsanspruch umfasse.

Das OVG NRWBeschluss vom 20.11.2014 – 15 B 1356/14 –, NWVBl 2015, 232. meint ebenso, dass die Anwesenheit von Nichtmandatsträgern vor allem im unmittelbaren Sitzungssaalbereich des Rates mit der freien Mandatsausübung (§ 43 Abs. 1 GO) in einem regelungsbedürftigen Spannungsverhältnis stünde. Aufgrund der Öffentlichkeit von Ratssitzungen (§ 48 Abs. 2 S. 1 GO) sind nichtstörende Zuschauer zwar erlaubt, aber im unmittelbaren Sitzungsbereich dürften sich neben den Ratsmitgliedern grundsätzlich nur die Mitglieder des Verwaltungsvorstandes (§ 70 GO i.V.m. § 69 Abs. 1 S. 1 GO) aufhalten. Meines Erachtens müssen hierzu noch andere berechtigte Personen hinzugezählt werden, denen für die Ratsarbeit nach der Gemeindeordnung entsprechende Aufgaben oder Mitwirkungsrechte zustehen wie z.B. der Schriftführer des Rates nach § 52 Abs. 1 S. 1 GO, die Gleichstellungsbeauftrage nach § 5 Abs. 4 GO und der Vorsitzende des Integrationsrates nach § 27 Abs. 8 S. 4 GO.

Auch provokative Äußerungen von Ratsmitgliedern im Rat unterfallen grundsätzlich dem durch § 43 Abs. 1 GO statusrechtlich geschützten Rederecht. Das Recht der freien Rede ist ein wesentlicher Teil der mitgliedschaftlichen Mitwirkungsrechte (vgl. zum Spannungsverhältnis mit der Sitzungsgewalt des Vorsitzenden Rn. 218). Die Grenze zur Verletzung der Ordnung im Rat ist erst dann erreicht, wenn es sich nicht mehr um eine inhaltliche Auseinandersetzung handelt, sondern eine bloße Provokation im Vordergrund steht oder es um die schiere Herabwürdigung anderer oder die Verletzung von Rechtsgütern Dritter geht.[6]OVG NRW Beschluss vom 16.5.2013 – 15 A 785/12 –, juris und Urteil vom 14.9.2017 – 15 A 2785/15 –, KommJur 2017, 465.

Aus dem rechtsstaatlichen Willkürverbot (Art. 20 Abs. 3, 28 GG) i.V.m. dem Recht auf effektive Mandatsausübung (§ 43 Abs. 1 GO) folgt, dass eine differenzierte Behandlung von Ratsmitgliedern durch andere Gemeindeorgane (insbesondere Rat und Bürgermeister) nur aus sachlichen Gründen zulässig ist.Vgl. hierzu VG Düsseldorf Urteil vom 31.3.2017 – 1 K 15544/16 –, juris; Heusch/Dickten NVwZ 2018, 1353, 1356. Als unsachgemäße Differenzierung wird von der RechtsprechungBayVGH Beschluss vom 23.11.2017 – 4 ZB 17.1586 –, NVwZ 2018, 599. etwa die Verfahrensweise eines Bürgermeisters beurteilt, nur Ratsmitgliedern, die dem Finanzausschuss (§ 57 Abs. 2 GO) angehören, den Haushaltsplan dauerhaft zugänglich zu machen. Die Differenzierung nach Mitgliedschaft im Finanzausschuss sei nicht sachgerecht, weil dieser hinsichtlich des Haushalts keine eigenen Entscheidungsbefugnisse besitze. Entscheidungsbefugt ist diesbezüglich nach § 41 Abs. 1 S. 2 Buchst. h GO allein der Rat. Die im Finanzausschuss vertretenen Ratsmitglieder verfügten damit in den maßgeblichen Ratssitzungen über deutlich genauere Informationen als die anderen Ratsmitglieder, ohne dass für diese mandatsbezogene Begünstigung eine sachliche Rechtfertigung gegeben sei.

Während einer Pandemie kann aus infektionsschutzrechtlichen Gründen eine Teilnahme an den Rats- und Ausschusssitzungen für Ratsmitglieder durch Rechtsverordnung oder kraft der Ordnungsgewalt des Vorsitzenden (§ 51 Abs. 1 S. 1 GO) davon abhängig gemacht werden, dass der zumutbare Nachweis einer Immunisierung oder Testung vorgelegt wird. Im Hinblick auf die Bedeutung des Teilnahmerechts von Ratsmitgliedern – welches aus dem Recht auf effektive Mandatsausübung (§ 43 Abs. 1 GO) folgt – müssen allerdings die mit der Testung verbundenen Kosten von der Gemeinde getragen werden.OVG NRW Beschluss vom 30.9.2021 – 15 B 1529/21 –, juris.

b) Behinderungs- und Benachteiligungsverbot, Recht auf Freistellung und finanzielle Entschädigung

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Die Ratsmitglieder sollen durch ihr kommunalpolitisches Engagement keine beruflichen und finanziellen Nachteile erleiden. Der Gesetzgeber hat ihnen deshalb verschiedene Schutz- und Entschädigungspositionen eingeräumt, die an die Wahrnehmung dieses öffentlichen Amtes gebunden sind.Vgl. im Einzelnen: Bätge DVP 2018, 393. Diese gesetzlichen Ansprüche sichern sowohl das passive Wahlrecht als auch das freie Mandatsausübungsrecht in tatsächlicher Hinsicht ab. Kein Bürger soll aus beruflichen oder finanziellen Gründen auf die Übernahme des Mandates verzichten und aus der Mandatswahrnehmung finanzielle Einbußen erleiden. Umgekehrt sollen dadurch aber auch keine finanziellen Vorteile geschöpft werden sollen. Das Bundesverfassungsgericht hat die Ausübung des Mandats als „Erfüllung einer allgemeinen Bürgerpflicht, nicht Tätigkeit zur Sicherstellung der materiellen Lebensgrundlage“ bezeichnet, weshalb es grundsätzlich als kommunalpolitisches Ehrenamt ausgestaltet ist.BVerfG Beschluss vom 4.4.1978 – 2 C 11/93 –, juris, Rn. 70.

Die Behinderungs- und Benachteiligungsverbote des § 44 Abs. 1 GO sollen Behinderungen bei der Bewerbung, der Annahme und der Ausübung des Mandates sowie Benachteiligungen am Arbeitsplatz verhindern. Das Recht auf Freistellung von der Arbeit gemäß § 44 Abs. 2 GO ist beschränkt auf den für die Mandatsausübung erforderlichen Umfang. Bei Mandatsträgern, die innerhalb eines vorgegebenen Arbeitszeitrahmens über Lage und Dauer der individuellen Arbeitszeit selbst entscheiden können (Gleitzeitbeschäftigte), ist die Zeit der Ausübung des Mandats innerhalb dieses Arbeitszeitrahmens zur Hälfte auf ihre Arbeitszeit anzurechnen. Zur Teilnahme an kommunalpolitischen Bildungsveranstaltungen besteht ein begrenzter Anspruch auf Urlaubsgewährung nach § 44 Abs. 3 GO.    

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Die Mitglieder des Rates und auch die Mitglieder der Bezirksvertretungen und Ausschüsse sollen durch ihr kommunalpolitisches Engagement keine finanziellen Nachteile erleiden. Ihnen sind deshalb verschiedene gesetzliche Entschädigungspositionen eingeräumt. Es handelt sich hierbei anders als bei den Entschädigungsleistungen für Bundestags- und Landtagsabgeordnete nicht um Alimentationen, die der Sicherung des Lebensunterhaltes dienen. Bei den Entschädigungsansprüchen für Ratsmitglieder geht es vielmehr um die Vermeidung mandatsbezogener finanzieller Nachteile.BVerfG Beschluss vom 4.4.1978 – 2 C 11/93 –, juris, Rn. 70.

Bei der Bestimmung und Bemessung der einzelnen Entschädigungspositionen ist ein Dreiklang von miteinander verbundenen Rechtsquellen zu beachten. Die parlamentsgesetzlichen Bestimmungen der Gemeindeordnung (§§ 44–46) legen die grundsätzlichen Aspekte der Entschädigung kommunaler Mandatsträger fest und überlassen die näheren Einzelheiten der exekutiven Ausgestaltung entweder in der Entschädigungsverordnung NRW dem für Kommunales zuständigen Ministerium oder dem Rat durch Regelung in der Hauptsatzung.

Ratsmitglieder haben einen gesetzlichen Anspruch auf angemessene Aufwandsentschädigung (§ 45 Abs. 5 Nr. 1 GO i.V.m. § 1 EntschVO NRW). Diese wird nach § 1 Abs. 1 EntschVO NRW entweder ausschließlich als monatliche Pauschale gewährt (gesetzlicher Regelfall) oder teilweise pauschal und teilweise als Sitzungsgeld für Sitzungen des Rates, der Ausschüsse und Fraktionen. Der Rat entscheidet sich nach pflichtgemäßem Ermessen in der Hauptsatzung für eine der beiden Möglichkeiten. Anders als bei der Verdienstausfallentschädigung soll ohne Vorlage eines Nachweises im Einzelfall der gesamte finanzielle Aufwand abgegolten werden, der mit der Tätigkeit als Ratsmitglied verbunden ist. Allerdings ist ein Anspruch ausgeschlossen, wenn das betreffende Ratsmitglied aus eigenem Entschluss keine Mandatstätigkeit mehr ausübt.OVG NRW Beschluss vom 27.3.2019 – 15 E 46/19 –, juris; Frenzen in Dietlein/Heusch, § 45, Erl. 27; Bätge DVP 2018, 393, 395.    

Beispiel

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Ein Ratsmitglied nahm demonstrativ mehrere Monate bis zum Ende der Wahlperiode nicht mehr an Rats- und Ausschusssitzungen teil. Zudem leerte es sein Postfach im Rathaus nicht und stellte keine Anträge mehr. Der Rat beschloss daraufhin, dem Ratsmitglied keine Aufwandsentschädigung mehr zu zahlen. Das Ratsmitglied erhob Klage beim Verwaltungsgericht mit dem Antrag, die Stadt zu verpflichten, ihm die nicht ausgezahlten Aufwandsentschädigungen zu bewilligen. Ist die Klage begründet?

Gemäß § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO ist dies dann der Fall, wenn das Ratsmitglied einen Anspruch auf die Gewährung von Aufwandsentschädigung hat und durch die Ablehnung in seinen Rechten verletzt worden ist. Anspruchsgrundlage könnte § 45 Abs. 5 Nr. 1 GO sein. Danach haben Ratsmitglieder einen Anspruch auf eine angemessene Aufwandsentschädigung. Anders als bei der Verdienstausfallentschädigung soll ohne Vorlage eines Nachweises im Einzelfall der gesamte finanzielle Aufwand abgegolten werden, der mit der Tätigkeit als Ratsmitglied verbunden ist. Der Anspruch auf den monatlich zu zahlenden Pauschalbetrag besteht grundsätzlich auch dann, wenn das Ratsmitglied aus tatsächlichen Gründen gehindert ist, sein Mandat auszuüben (beispielsweise infolge Erkrankung oder beruflich bedingter Ortsabwesenheit).

Allerdings ist ein Anspruch ausgeschlossen, wenn das betreffende Ratsmitglied aus eigenem Entschluss keine Mandatstätigkeit mehr ausübt. Bereits nach der Wortlautauslegung setzt der Begriff „Aufwandsentschädigung“ dem Grunde nach einen entsprechenden Aufwand, d.h. mandatsbedingte Kosten, voraus. Dies wird bei der pauschalisiert gezahlten Aufwandsentschädigung zunächst einmal vermutet. Allerdings kann die Vermutung dann erschüttert werden, wenn das Ratsmitglied aus eigenem Entschluss das Mandat nicht mehr ausübt. Im vorliegenden Fall lassen die Umstände (keine Teilnahme an den Ratssitzungen, fehlende Leerung des Postfaches, keine Stellung von Anträgen) darauf schließen, dass das Ratsmitglied sein Mandat nicht nur in minderwertiger Weise, sondern aus eigenem Entschluss gar nicht ausübt. Die Klage ist mithin unbegründet.

Ratsmitglieder haben des Weiteren einen gesetzlichen Anspruch auf Entschädigung des erlittenen Verdienstausfalls unter den Voraussetzungen, dass dieser

durch die Mandatsausübung entstanden ist und

die Mandatsausübung während der Arbeitszeit erforderlich war.

Anspruchsinhaber sind unter diesen Voraussetzungen sowohl abhängig Beschäftigte als auch selbständige Ratsmitglieder. Der Verdienstausfall ist durch die Mandatsausübung entstanden, wenn eine Tätigkeit vorliegt, „die mit dem Mandat in unmittelbaren Zusammenhang steht oder auf Veranlassung des Rates, der Bezirksvertretung oder des Ausschusses erfolgt“ (Legaldefinition des § 44 Abs. 2 S. 2 GO). Hierunter fallen die jeweiligen Gremiensitzungen inklusive der Fraktionssitzungen sowie alle wahrgenommenen Termine, die auf Veranlassung der Kollegialorgane Rat, Bezirksvertretung oder Ausschuss entstanden sind. Neben der erforderlichen Kausalität des entstandenen Verdienstausfalls mit der Mandatsausübung muss als weitere Voraussetzung die Mandatsausübung während der Arbeitszeit erforderlich gewesen sein. Als Arbeitszeit gelten die Zeiten, an denen nach den Arbeitsverhältnissen des jeweiligen Mandatsträgers tatsächlich Arbeit geleistet wird.OVG NRW Urteile vom 6.11.2018 – 15 A 132/18 und 15 A 144/18 –, jeweils juris; Smith in Kleerbaum/Palmen, GO NRW, § 45 Erl. II.3.a); Bätge DVP 2018, 393, 396. Entgangener Gewinn aus Nebentätigkeiten und Verdienst, der außerhalb der Arbeitszeit hätte erzielt werden können, bleiben außer Betracht.

Schüler und Studenten erhalten ebenso wie Arbeitslose keine Verdienstausfallentschädigung, da ihnen für ihre Haupttätigkeit – der Ausbildung an der Schule bzw. Hochschule – kein Verdienst zusteht. Sofern sie sich neben der Schule oder ihrem Studium gelegentlich oder auch regelmäßig etwas hinzuverdienen, wird in aller Regel eine Nebentätigkeit vorliegen, die bei der Erstattung nach § 45 Abs. 1 S. 2 GO außer Betracht bleibt.

Der Verdienstausfall ist bei solchen Personen ausgeschlossen, die ersichtlich keine finanziellen Nachteile erleiden. Hiervon ist insbesondere bei Beamten und Soldaten auszugehen, da sie Anspruch auf bezahlten Sonderurlaub haben. Auch Bundestags- und Landtagsabgeordnete, die gleichzeitig ein kommunales Mandat wahrnehmen sind nicht anspruchsberechtigt, da diese voll alimentiert werden.BVerfG Urteil vom 5.11.1975 – 2 BvR 193/74 –, BVerfGE 40, 296. In aller Regel erhalten auch Pensionäre und Rentner keine Verdienstausfallentschädigung, da sie durch Pension bzw. Rente voll alimentiert sind und Gelegenheitsjobs sich im Verhältnis dazu nur als nicht erstattungsfähige Nebentätigkeiten darstellen dürften.OVG NRW Urteile vom 6.11.2018 – 15 A 132/18 und 15 A 144/18 –, jeweils juris; Bätge DVP 2018, 393, 396.  

Beispiel

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Ein Ratsmitglied ist pensionierter Beamter und im Ruhestand gleichzeitig als selbständiger Wohnungsverwalter tätig. Er beantragte Verdienstausfall für verschiedene nachmittägliche Gremiensitzungen und gab an, dass er als Wohnungsverwalter 20 € pro Stunde und eine Arbeitszeit von 15:00 bis 19:00 Uhr habe. Nach Ablehnung durch den Bürgermeister erhob er eine Verpflichtungsklage auf Bewilligung der beantragten Verdienstausfallentschädigung. Die Verpflichtungsklage hat in der Sache keinen Erfolg, da ein Anspruch auf Verdienstausfall aus mehreren Gründen nicht besteht: Zum einen besteht hinsichtlich der Pension kein finanzieller Nachteil durch die Tätigkeit als Ratsmitglied, da eine volle Alimentation durch ungekürzte Versorgungsbezüge erfolgt. Der entgangene Verdienst aus der Nebentätigkeit muss hingegen außer Betracht bleiben, § 45 Abs. 1 S. 2 GO.VG Köln Urteil vom 20.6.2012 – 4 K 7073/10 –, juris, Rn. 20 ff.

Als weitere Entschädigungsansprüche sind dem Grunde nach anerkannt die Fahrtkostenerstattung und Reisekostenvergütung, eine Zulage für die Wahrnehmung bestimmter Funktionen (wie z.B. ehrenamtlicher Bürgermeister, Fraktionsvorsitzender oder Ausschussvorsitzender), die Haushaltsführungsentschädigung und der Ersatz entgeltlicher Kinderbetreuung.Vgl. hierzu im Einzelnen: Bätge DVP 2018, 393.

Hinweis

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Von den individuellen, personenbezogenen finanziellen Entschädigungsansprüchen ist die Gestellung von Sachmitteln und Kommunikationsmitteln zum Zwecke der Vorbereitung auf die Ratssitzung zu unterscheiden, die die Gemeinde gemäß § 56 Abs. 3 Sätze 5 und 6 GO in angemessenem Umfang neben den Fraktionen und Gruppen auch solchen Ratsmitgliedern gewährt, die keiner Fraktion oder Gruppe angehören.Vgl. zum Verteilungsmaßstab des Art. 3 Abs. 1 GG bei Fraktionsgeschäftsführungszuwendungen: BVerwG Urteil vom 5.7.2012 – 8 C 22/11 –, NVwZ 2013, 442.

c) Kontrollrechte (Auskunfts- und Akteneinsicht)

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Neben den Frage- und Informationsrechten, die aus der Mandatsausübungsfreiheit des § 43 Abs. 1 GO abgeleitet werden, bestehen weitergehende Kontrollrechte auch einzelner Ratsmitglieder aus § 55 Abs. 1 S. 2 und Abs. 5 S. 1 GO.

aa) Auskunftsrecht nach § 55 Abs. 1 S. 2 GO

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Nach § 55 Abs. 1 S. 2 GO ist der Bürgermeister verpflichtet, einem Ratsmitglied auf Verlangen Auskunft zu erteilen oder zu einem Tagesordnungspunkt Stellung zu nehmen. Das Auskunftsrecht unterliegt Grenzen. Es hat sich im Rahmen des Aufgabenbereichs des Rates zu halten. Demgemäß kann sich die Antwortpflicht des Bürgermeisters nur auf solche Bereiche erstrecken, für die er unmittelbar oder mittelbar verantwortlich ist und die den Zuständigkeitsbereich des Rates oder seiner Ausschüsse berühren. Die Frage des Ratsmitglieds muss sich ferner auf einen Gegenstand beziehen, über den der Bürgermeister im Rahmen seiner Zuständigkeit als Leiter der Gemeindeverwaltung oder, soweit die Gemeinde selbst betroffen ist, als deren gesetzlicher Vertreter Kenntnis erlangt hat oder erlangen kann.

Beispiel

Hier klicken zum AusklappenRatsmitglied R begehrt angesichts einer vom Rat zu beschließenden Fusion zweier Sparkassen vom Bürgermeister bestimmte sparkasseninterne Informationen, von denen der Bürgermeister infolge seiner gleichzeitigen Mitgliedschaft im Verwaltungsrat der Sparkasse Kenntnis hat. Ein Auskunftsanspruch des Ratsmitglieds nach § 55 Abs. 1 S. 2 GO scheidet jedoch aus. Informationen, die der Bürgermeister als Mitglied des Verwaltungsrats einer Sparkasse erlangt hat oder erlangen könnte, sind vom Auskunftsrecht von vornherein ausgeschlossen. Es ist nicht verpflichtet, Auskunft auf Fragen zu geben, die sich auf Wissen beziehen, das er als Mitglied des Verwaltungsrates der Sparkasse erworben hat oder (nur) als solches erwerben könnte, weil dies kein „amtlich gewonnenes Wissen" im Zuständigkeitsbereich des Rates oder der Gemeindeverwaltung ist. Aufgrund der rechtlichen Verselbständigung der Sparkassen ist das Amt des Bürgermeisters vielmehr von der Mitgliedschaft in Sparkassengremien zu trennen.OVG NRW Urteil vom 17.11.2020 - 15 A 3460/18 –, juris.

bb) Akteneinsichtsrecht nach § 55 Abs. 5 S. 1 GO

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Nach § 55 Abs. 5 S. 1 GO ist jedem Ratsmitglied vom Bürgermeister Akteneinsicht zu gewähren, sofern die Akten der Vorbereitung oder der Kontrolle von Beschlüssen des Rates oder des Ausschusses dienen, dem es angehört. Die Akteneinsicht darf dem Ratsmitglied nur verweigert werden, soweit ihr schutzwürdige Belange Betroffener oder Dritter entgegenstehen.

Diese einschränkenden Voraussetzungen gelten dem Wortlaut nach nicht, wenn eine Fraktion oder ein Fünftel der Ratsmitglieder oder gar der Rat als Ganzes nach § 55 Abs. 4 S. 1 GO Akteneinsicht begehrt.

Beispiel

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Ein fraktionsloses Ratsmitglied beantragt beim Bürgermeister nach § 55 Abs. 5 S. 1 GO die Einsicht in Dienstpostenbewertungen (abstrakte Bewertung ohne namentliche Zuordnung) der bei der Gemeinde vorhandenen Personalstellen. Auf der Tagesordnung der nächsten Ratssitzung ist eine Beschlussfassung über die Haushaltssatzung vorgesehen. Die Haushaltssatzung enthält auch die Festsetzung des Haushaltsplanes. Anlage des Haushaltsplanes ist der Stellenplan, der die tatsächlich besetzten Stellen der Gemeindeverwaltung ohne namentliche Zuordnung enthält. Der Bürgermeister möchte dem Ratsmitglied die Akteneinsicht nicht gewähren, weil es sich um „vertrauliche Personalangelegenheiten“ handele und zu befürchten sei, dass das Ratsmitglied diese „in der Gemeinde herausplaudere“.

Das Ratsmitglied hat einen Anspruch auf Einsicht in die Dienstpostenbewertung nach § 55 Abs. 5 S. 1 GO, wenn diese der Vorbereitung eines Ratsbeschlusses dient und ihr schutzwürdige Belange Betroffener oder Dritter nicht entgegenstehen. Die Einsichtnahme in die Dienstpostenbewertung dient der Vorbereitung über die Beschlussfassung des Haushaltsplanes inklusive des Stellenplans. Anhand der Dienstpostenbewertung kann sich das Ratsmitglied ein Bild davon machen, ob die tatsächliche Besoldung bzw. Vergütung auch anforderungsgerecht erfolgt. Es bleibt die Frage, ob schutzwürdige Belange der Stelleninhaber zu erkennen sind. Diese können sich aus Grundrechten, datenschutzrechtlichen Bestimmungen oder aus der Gemeindeordnung ergeben. Im vorliegenden Fall können zwar die stellenscharfen Dienstpostenbeschreibungen Rückschlüsse auf den Stelleninhaber zulassen. Allerdings bewegt sich der Eingriff mit Blick auf den Informationsgehalt dieser Daten auf niedrigster Stufe. Es geht hierbei zum einen nicht um Personaldaten aus dem inneren Bereich des Fürsorgeverhältnisses zwischen der Gemeinde und ihren Beamten (z.B. Beihilfe- oder Personalakten). Hinzu kommt, dass sich bei Beamten die aktuelle Besoldung bereits aus der Amtsbezeichnung des Betroffenen in Verbindung mit der gesetzlich geregelten Besoldungsordnung ergibt und damit weniger schutzbedürftig ist als in privatwirtschaftlichen Arbeitsverhältnissen. Schließlich ist auch das akteneinsichtsnehmende Ratsmitglied nach § 43 Abs. 2 i.V.m. § 30 Abs. 1 GO zur Verschwiegenheit verpflichtet. Dem Ratsmitglied ist deshalb die begehrte Akteneinsicht zu gewähren.OVG NRW Beschluss vom 22.5.2013 – 15 B 556/13 –, KommJur 2013, 416.

Dem Wortlaut nach knüpft § 55 Abs. 4 S. 1 GO die Gewährung von Akteneinsicht für Fraktionen an keine besonderen materiellen Voraussetzungen. Gleichwohl besteht dieses Akteneinsichtsrecht aufgrund der Einheit der Rechtsordnung nicht unbegrenzt. Es kann durch zumindest gleichrangige gesetzliche Regelungen über den Schutz von Daten beschränkt oder gar ausgeschlossen werden.OVG NRW Urteil vom 6.11.2018 – 15 A 2638/17 –, juris.


Beispiel

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OVG NRW Urteil vom 6.11.2018 – 15 A 2638/17 –, juris.Eine Fraktion im Rat der Gemeinde beantragt beim Bürgermeister, ihr über ein Fraktionsmitglied, Einsicht in die Gewerbesteuerakten der dreißig größten Gewerbesteuerzahler der Gemeinde zu gewähren. Durch eine nähere Kenntnis der Art der Betriebe könne eine Strategie entwickelt werden, mit deren Hilfe die Gemeinde zielgerichtet als Wirtschaftsstandort attraktiv gemacht werden könne. Der Bürgermeister lehnt das Akteneinsichtsrecht mit Hinweis auf das Steuergeheimnis aus § 30 Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 12 Abs. 1 Nr. 1c) aa) Kommunalabgabengesetz NRW (KAG NRW) ab.

Die von der Fraktion erhobene Klage ist als allgemeine Leistungsklage im Rahmen eines Kommunalverfassungsstreitverfahrens zulässig. Die Fraktion ist insbesondere im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO analog klagebefugt, da sie geltend machen kann, durch die Ablehnung ihres Akteneinsichtsbegehrens durch den Beklagten in ihrem (teil-)organschaftlichen Recht aus § 55 Abs. 4 S. 1 Var. 3 GO verletzt zu sein.

Die Klage ist aber unbegründet, da die Fraktion keinen Anspruch auf Einsicht in die Gewerbesteuerakten hat. Ihrem Akteneinsichtsbegehren steht vielmehr das Steuergeheimnis entgegen. Der Bürgermeister und die in seinem Steueramt Beschäftigten sind als Amtsträger im Sinne des § 30 AO zur Wahrung des Steuergeheimnisses verpflichtet. Zudem enthalten die beim Bürgermeister vorhandenen Gewerbesteuerakten auch durch das Steuergeheimnis geschützte Daten (Betriebstyp, Gewerbesteuermessbescheid des Finanzamtes, Stundungsfragen, Zahlungsverhalten etc.). Diese würde der Bürgermeister der Fraktion widerrechtlich offenbaren, wenn er ihr die beanspruchte Akteneinsicht gewährte. Offenbaren in diesem Sinne ist die Offenlegung eines noch bestehenden Geheimnisses, dass ein Dritter nicht, nicht in diesem Umfang oder nicht in dieser Form sicher kennt. Auch ein Ratsmitglied ist gegenüber dem Steuerakten führenden Amtsträger (Bürgermeister und Beschäftigte des Steueramtes) ein nicht berechtigter „Dritter“. Die Offenbarung geschähe auch unbefugt, da Ratsmitglieder insbesondere keine selbst durch das Steuergeheimnis verpflichteten Amtsträger sind. Sie sind nicht mit konkreten Verwaltungsaufgaben betraut, die über ihre Mandatstätigkeit hinausgehen.Vgl. zur fehlenden Amtsträgereigenschaft von Ratsmitgliedern: BGH Urteile vom 12.7.2006 – 2 StR 557/05 –, juris, Rn. 9 und vom 9.5.2006 – 5 StR 453/05 –, juris, Rn. 22 ff.

Die Vorschriften über das Akteneinsichtsrecht enthalten keine Regelungen darüber, ob die Anspruchsberechtigten anlässlich oder anstatt der Akteneinsicht von den Akten Ablichtungen fertigen (lassen) können. Hieraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass ein solches Recht vom Akteneinsichtsrecht nicht umfasst ist. Vielmehr ist es – ebenso wie im Anwendungsbereich des Akteneinsichtsrechts im allgemeinen Verwaltungsverfahren (§ 29 VwVfG NRW)Vgl. hierzu Sächsisches OVG Beschluss vom 31.5.2011 – 4 A 2/10 –, juris Rn. 4; Bonk/Kallerhoff in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29 Rn. 30. – trotz Fehlens einer ausdrücklichen Regelung anerkannt, dass der Bürgermeister nach pflichtgemäßen Ermessen die Fertigung von Ablichtungen zulassen kann. Hiermit korrespondiert ein entsprechender Anspruch auf fehlerfreie Ermessenausübung, der sich je nach den Umständen des Einzelfalls auch zugunsten des Betroffenen zu einem Anspruch verdichten kann. Hiervon ist insbesondere auszugehen, wenn es sich um sehr umfangreiche und komplexe oder auch in einer anderen Sprache abgefasste Verwaltungsvorgänge handelt.In Einzelfällen wurden die Voraussetzungen bejaht von VG Gelsenkirchen Urteil vom 18.12.2013 – 15 K 2741/11 – juris (rechtlich und tatsächlich komplexe sowie umfangreiche Vertragsakte in englicher Sprache), bwz. verneint von VG Aachen Beschluss vom 25.8.2014 – 4 L 492/14 –, juris (Aktenvermerk über eine Besprechung zum Thema der Änderung eines Flächennutzungsplanes).

d) Rechte als Mitglied eines bestimmten Quorums („Minderheitenrechte“)

231

Bestimmte Rechte stehen zwar nicht dem einzelnen Ratsmitglied, wohl aber einem bestimmten in der Gemeindeordnung festgelegten Quorum von Ratsmitgliedern zu. Da es hierbei auf die „Ratsmitglieder“ ankommt, zählt der Bürgermeister (der kein gewähltes Ratsmitglied ist) bei der Berechnung des Quorums nicht mit (vgl. auch § 40 Abs. 2 S. 6 GO).

Beispiel

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Auf Verlangen eines Fünftels der Ratsmitglieder muss einem einzelnen, von den Antragstellern jeweils zu benennenden Ratsmitglied gemäß § 55 Abs. 4 S. 1 GO Akteneinsicht gewährt werden.

Gemäß § 47 Abs. 1 S. 4 GO ist der Bürgermeister verpflichtet, den Rat einzuberufen, wenn ein Fünftel der Ratsmitglieder es verlangt.

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