Kommunalrecht Nordrhein-Westfalen

Zuständigkeit des Gemeinderates

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2. Zuständigkeit des Rates

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Der Rat ist neben dem Bürgermeister das zentrale Vertretungsorgan der Bürgerschaft. Er kann über solche Angelegenheiten beschließen, für die er nach den gesetzlichen Regelungen die entsprechende Entscheidungskompetenz hat („Organkompetenz“).

Hinweis

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Da der Rat als Beschlussorgan der Gemeinde fungiert, setzt seine Organkompetenz die Zuständigkeit der Gemeinde („Verbandskompetenz“) voraus. Die Verbandskompetenz ist daher immer vorzuprüfen. Ist schon die Gemeinde nicht zuständig, kann auch ihr Rat nicht zuständig sein.

 

Die Zuständigkeit des Rates kann nach folgendem Schema geprüft werden:

Prüfungsschema

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Wie prüft man: Zuständigkeit des Rates

I.

Gesetzliche Spezialzuständigkeit des Rates

 

 

1.

Katalog des § 41 Abs. 1 S. 2 GO

 

 

2.

Sonstige Spezialvorschriften (§§ 73 Abs. 1, 113 Abs. 4 GO)

 

 

3.

Kontrolle der Verwaltung (§ 55 GO)

 

II.

Keine gesetzliche Spezialzuständigkeit des Bürgermeisters (z.B. § 73 Abs. 2 GO)

 

III.

Bei Geschäften der laufenden Verwaltung
Grundsatz: Bürgermeister (§ 41 Abs. 3 Hs. 1 GO)

 

 

 

Rückholrecht des Rates (§ 41 Abs. 3 Hs. 2 GO)

Rn. 211

IV.

Keine (rein) bezirkliche Angelegenheit in kreisfreien Städten

 

 

 

Abgrenzung von Zuständigkeit der Bezirksvertretung (§ 37 GO)

Rn. 212

V.

Allzuständigkeit des Rates nach § 41 Abs. 1 S. 1 GO (Auffangzuständigkeit)

 

a) Gesetzliche Spezialzuständigkeit des Rates

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Expertentipp

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Die Zuständigkeit des Rates haben Sie bereits unter dem Stichwort „Organkompetenz“ im Rahmen der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Satzung kennen gelernt.

Zu Beginn der Zuständigkeitsprüfung muss geprüft werden, ob eine gesetzliche Bestimmung dem Rat die Entscheidungskompetenz zuweist. Die Zuständigkeit des Rates kann für einzelne Angelegenheiten gesetzlich ausdrücklich angeordnet sein. Insbesondere in § 41 Abs. 1 S. 2 GO ist ein ganzer – aber nicht abschließend geregelter – Katalog von ausschließlichen Entscheidungszuständigkeiten des Rates enthalten. Außerhalb dieses Kataloges finden sich auch in anderen Vorschriften der Gemeindeordnung angeordnete Entscheidungskompetenzen des Rates (z.B. §§ 73 Abs. 1, 113 Abs. 4 GO). In diesen Fällen spricht man von der Spezialzuständigkeit des Rates. Der Rat hat in diesen Fällen die ausschließliche Organkompetenz. Es handelt sich bei diesen dem Rat vorbehaltenen Entscheidungen um besonders bedeutsame (wesentliche) Angelegenheiten, bei denen nicht ein Einzelner, sondern das unmittelbar demokratisch legitimierte Kollegialorgan entscheiden soll. Wenn ein anderes Organ darüber entscheidet, ist die Entscheidung rechtswidrig.

Beispiel

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Der Rat ist für den Erlass, die Änderung und die Aufhebung von Satzungen ausschließlich zuständig (§ 41 Abs. 1 S. 2 Buchstabe f GO). Überträgt der Rat rechtswidrigerweise die Entscheidung über eine Satzungsänderung auf den Hauptausschuss und beschließt dieser entsprechend, ist die Änderungssatzung nichtig.

Die Wahl der Beigeordneten obliegt gemäß § 71 Abs. 1 S. 3 GO ausschließlich dem Rat. Diese Entscheidung kann der Rat weder dem Personalausschuss, noch dem Bürgermeister als Dienstvorgesetztem der gewählten Beigeordneten oder gar einer privaten Personalberatungsfirma übertragen.

b) Keine gesetzliche Spezialzuständigkeit des Bürgermeisters

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Sofern Vorschriften der Gemeindeordnung dem Bürgermeister bestimmte Zuständigkeiten zuweisen, so kann ausschließlich dieser und kein anderes Organ eine solche Entscheidung treffen. Im Verhinderungsfall ist der ehrenamtliche Vertreter des Bürgermeisters nach § 67 Abs. 1 S. 2 GO (nur bei der Leitung der Ratssitzung und bei der Repräsentation der Gemeinde) bzw. dessen Vertreter im Amt nach § 68 Abs. 1 S. 1 GO (im Übrigen) zur Entscheidung berufen.

Fälle gesetzlicher Spezialzuständigkeiten des Bürgermeisters finden sich sowohl hinsichtlich seiner Stellung als Ratsvorsitzender (z.B. bei der Festsetzung der Tagesordnung nach § 48 Abs. 1 S. 1 GO oder bei der Leitung der Ratssitzungen nach § 51 Abs. 1 GO) als auch aufgrund seiner Stellung als Chef der Verwaltung (z.B. als Dienstvorgesetzter des Gemeindepersonals nach § 73 Abs. 2 GO).

Beispiel

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Der Bürgermeister der Gemeinde G will innerhalb der Gemeindeverwaltung im Rahmen einer internen Umorganisation die Leitungen von zwei Dezernaten (Organisationsebene oberhalb der Ämter) an zwei bisherige Amtsleiter übertragen. Einer der Amtsleiter ist Beamter, der andere Bediensteter der Gemeinde, welcher sich bereits in der höchsten tariflichen Einstufung befindet. Außer der Übertragung der Dezernatsleitungen erfolgt keine Entscheidung zum personalrechtlichen Status der Amtsleiter, also insbesondere keine Beförderung (beim Beamten) bzw. keine Vereinbarung einer außertariflichen Vergütung (beim Bediensteten). Die Hauptsatzung der Gemeinde G enthält eine Regelung im Sinne des § 73 Abs. 3 S. 2 GO; bestimmt also, dass „für Bedienstete in Führungsfunktionen Entscheidungen, die das beamtenrechtliche Grundverhältnis oder das Arbeitsverhältnis eines Bediensteten zur Gemeinde verändern, durch den Rat im Einvernehmen mit dem Bürgermeister zu treffen sind.“ Der Rat wendet sich an das Verwaltungsgericht, weil der Bürgermeister ohne Herstellung des Einvernehmens eigenmächtig die Übertragung der Dezernatsleitungen verfügt habe. Es wird beantragt, dem Bürgermeister die eigenmächtige Besetzung der Dezernatsleitungen zu untersagen.

Die im Rahmen eines Kommunalverfassungsstreits erhobene Leistungsklage in der Ausprägung eines Unterlassungsantrages hat in der Sache keinen Erfolg, da der Bürgermeister gemäß § 62 Abs. 1 S. 3 GO die Geschäfte der Verwaltung leitet und verteilt. Nach § 73 Abs. 3 S. 1 GO trifft er zudem die dienstrechtlichen und arbeitsrechtlichen Entscheidungen. Eine Einschränkung seiner Personalbesetzungskompetenz ergibt sich nicht aus § 73 Abs. 3 S. 2 GO in Verbindung mit der Hauptsatzung, da bei beiden Amtsleitern eine Veränderung des beamtenrechtlichen Grundverhältnisses bzw. des Arbeitsverhältnisses zur Gemeinde nicht vorgelegen hat. Eine solch relevante „Veränderung“ des beamtenrechtlichen Grundverhältnisses bzw. des Arbeitsverhältnisses liegt bei einer Umsetzung innerhalb der Gemeindeverwaltung nur dann vor, wenn diese mit einer weiteren personalrechtlichen Maßnahme, wie etwa einer Beförderung bzw. Änderungskündigung oder Höhergruppierung verbunden würde. Zwar führt bei Bediensteten – anders als bei Beamten – die Übertragung einer höherwertigen Aufgabe zu tariflichen Höhergruppierungsansprüchen, allerdings hatte der bedienstete Amtsleiter bereits die Endstufe der tariflichen Vergütung erreicht, so dass sich für beide auch kein mit der Umsetzung verbundener Anspruch auf Beförderung bzw. Höhergruppierung ergab. Der Bürgermeister war mithin für diese Entscheidungen allein kraft Gesetzes zuständig.

c) Geschäfte der laufenden Verwaltung

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Liegt eine ausdrückliche gesetzliche Spezialzuweisung an den Rat nicht vor, so ist das zur Entscheidung anstehende Geschäft inhaltlich näher zu würdigen.

Geschäfte der laufenden Verwaltung sind gemäß § 41 Abs. 3 GO grundsätzlich vom Bürgermeister zu erledigen. Bei den „Geschäften der laufenden Verwaltung“ handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der vollen verwaltungsgerichtlichen Überprüfung unterliegt.

Definition

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Definition: Geschäften der laufenden Verwaltung

Unter Geschäften der laufenden Verwaltung versteht man die regelmäßig wiederkehrenden Geschäfte, die nach feststehenden Grundsätzen entschieden werden können.OVG NRW Urteil vom 4.4.2006 – 15 A 5081/05 –, NWVBl. 2006, 426.

Hierunter fallen die nach Regelmäßigkeit und Häufigkeit üblichen Geschäfte, deren Erledigung nach feststehenden Grundsätzen „auf eingefahrenen Gleisen“ erfolgt und die für die Gemeinde unter Berücksichtigung ihrer Größe und Finanzkraft weder wirtschaftlich noch grundsätzlich von wesentlicher Bedeutung sind.OVG NRW Urteil vom 28.5.2021 – 11 A 390/19 –, juris, Rn. 82 und Urteil vom 13.5.2019 – 11 A 2057/17 –, DVBl. 2019, 1217. Vgl. zu Einzelfragen: Bätge Vertragsschluss, Haftung und Schadenersatz bei kommunalen Verpflichtungserklärungen in Festschrift für U. Hübner, Verantwortlichkeit im Wirtschaftsrecht, 2002, 3 f.

Beispiel

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Die Erteilung von Sondernutzungserlaubnissen für die Aufstellung von Altkleidersammelcontainern gehört regelmäßig zu den Geschäften der laufenden Verwaltung, die nach § 41 Abs. 3 GO grundsätzlich vom Bürgermeister zu erledigen sind. Hingegen ist der Erlass einer allgemeinen Richtlinie, die eine Aufstellung von Altkleidercontainern auf öffentlichen Flächen generell verhindert, aufgrund ihres grundlegenden Charakters eine Entscheidung, die dem Rat nach § 41 Abs. 1 S. 1 GO vorbehalten ist. Eine solche Entscheidung erfolgt gerade nicht nach bereits feststehenden Grundsätzen „auf eingefahrenen Gleisen“.OVG NRW Urteil vom 28.5.2021 – 11 A 390/19 –, juris, Rn. 82.

Die Einzelzulassung zu einer gemeindlichen öffentlichen Einrichtung bzw. deren Ablehnung ist eine laufende, nämlich regelmäßig anfallende Angelegenheit, die für die Gemeinde keine grundsätzliche Bedeutung und keine erheblichen Verpflichtungen erwarten lässt.VG München Urteil vom 6.8.2014 – 7 K 13.2449 –, juris; Schoch NVwZ 2016, 257, 264 m.w.N. Hingegen kann die grundlegende Widmungsänderung einer bedeutenden öffentlichen Einrichtung nicht mehr als Geschäft der laufenden Verwaltung betrachtet werden und obliegt deshalb der Entscheidungskompetenz des Rates (vgl. auch § 41 Abs. 1 S. 2 Buchstabe m GO).Weiter differenzierend: Helbich JuS 2017, 507, 509.

Eine kleinere Gemeinde, die aufgrund ihrer Geschichte eine bedeutende historische Kunstsammlung besitzt, hat mit den damit verbundenen Verpflichtungsgeschäften (Kunstleihverträge, Ausstellungsversicherungen etc.) mehr Erfahrungen als eine größere Gemeinde, die derartiges auf ihrem Gebiet nicht hat.OLG Celle Urteil vom 18.10.1998 – 2 U 53/98 –, NJW 2001, 607.

211

Der Rat hat für einen bestimmten Kreis dieser Geschäfte oder für den Einzelfall aber ein Rückholrecht. Nach § 41 Abs. 3 GO kann der Rat sich oder einem Ausschuss die Entscheidung darüber vorbehalten.

Hinweis

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Dem Bürgermeister kraft anderer gesetzlicher Bestimmungen ausdrücklich zugewiesene Aufgaben, wie etwa die arbeits- und dienstrechtlichen Entscheidungen nach § 73 Abs. 3 S. 1 GO, unterliegen nicht dem Rückholrecht des Rates. Entsprechende Entscheidungen des Rates wären mangels Organkompetenz rechtswidrig.

Das Rückholrecht des Rates für die Geschäfte der laufenden Verwaltung ist als Ausnahmerecht konzipiert, da die verbindliche Subsumtion von Einzelsachverhalten unter Rechtsbegriffen grundsätzlich nicht Sache des Rates, sondern des Bürgermeisters ist.Vgl. hierzu OVG NRW Beschluss vom 26.7.2018 – 4 B 1064/18 –, juris, Rn. 19. Daher und aufgrund des Grundsatzes der Organtreue (vgl. Rn. 204) darf das Rückholrecht vom Rat nicht rechtsmissbräuchlich dazu verwandt werden, dem Bürgermeister seine Regelkompetenz für die Geschäfte der laufenden Verwaltung zu entziehen.Erlenkämper in Articus/Schneider, GO NRW, § 41 Rn. 4.5; vgl. auch VG Aachen Urteil vom 28.6.2001 – 4 K 1787/00 –, NVwZ-RR 2002, 214.

Beispiel

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In der Gemeinde G gibt es erhebliche politische Dissonanzen zwischen der Ratsmehrheit und dem parteilosen Bürgermeister B. Der Rat beschließt gegen die Stimme des Bürgermeisters ohne einen sachlichen Anlass, dass er anstelle des Bürgermeisters künftig für alle Vergabeentscheidungen ohne Wertgrenzen zuständig sein soll. Da der Bürgermeister als Verwaltungschef aufgrund dessen selbst über die Anschaffung von geringfügigen Verwaltungsbedarfen (z.B. Bleistifte) nicht mehr eigenständig entscheiden könnte, wäre dies als Verstoß gegen den Grundsatz der Organtreue ein rechtsmissbräuchlicher Eingriff in dessen Regelkompetenz nach § 41 Abs. 3 S. 1 GO. Unproblematisch wäre es hingegen, wenn sich der Rat ein Entscheidungsvorbehalt für die Anschaffung von Sachgütern ab erheblichen Wertgrenzen vorbehält.

Die Ausübung des Rückholrechts durch den Rat ist eine Frage des Innenverhältnisses zwischen Rat und Bürgermeister; im Außenverhältnis bleibt grundsätzlich der Bürgermeister das zur Außenvertretung zuständige Gemeindeorgan (vgl. §§ 63, 64 GO). Sofern der Rat bestimmte Einzelfallentscheidungen sich oder einem Ausschuss vorbehält, unterliegt die Gemeinde im Außenverhältnis denselben Erfordernissen an einer nachvollziehbaren und transparenten Begründung wie bei einer Entscheidung des Bürgermeisters.

Beispiel

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In der Stadt D hat der Rat nach § 41 Abs. 3 GO die Entscheidung über die konkrete Auswahl von Schaustellern für die Annakirmes vom Bürgermeister auf einen Ausschuss des Rates („Steuerausschuss“) verlagert. Im Steuerausschuss wird ausweislich der Sitzungsniederschrift eine Rangfolge der ausgewählten Bewerber beschlossen, aber zur Begründung nur pauschal auf allgemeine Kriterien der Zulassungsrichtlinien Bezug genommen. In Umsetzung dieses Ausschussbeschlusses übersendet der Bürgermeister dem Inhaber des Süßwarengeschäfts „Nußkönig“ ein Ablehnungsschreiben, in dem ebenfalls nur pauschal auf den Ausschussbeschluss und die Zulassungsrichtlinien verwiesen wird. Die Auswahlentscheidung ist schon deshalb ermessensfehlerhaft erfolgt, weil die Auswahlkriterien für den konkreten Einzelfall weder ausreichend transparent noch nachvollziehbar begründet worden sind.OVG NRW Beschluss vom 26.7.2018 – 4 B 1064/18 –, juris, Rn. 16 ff.

d) Keine bezirkliche Angelegenheit in kreisfreien Städten

212

In kreisfreien Städten ist die Zuständigkeit des Rates abzugrenzen von der der Bezirksvertretungen. Gemäß § 37 Abs. 1 S. 1 GO dürfen die Bezirksvertretungen nur solche Angelegenheiten entscheiden, deren Bedeutung nicht wesentlich über den Stadtbezirk hinausgeht („bezirkliche Angelegenheiten“).

Beispiel

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Das VG DüsseldorfVG Düsseldorf Urteil vom 14.2.1997 – 1 K 833/96 –, NWVBl. 1997, 402. hat einen Fall zu entscheiden, bei dem in einem Stadtbezirk einer kreisfreien Stadt eine Galopprennbahn liegt. Das Grundstück stand im Eigentum der Stadt. Betriebsführer der Galopprennbahn war ein privatrechtlicher (Reiter-)Verein. Obwohl die Betriebsführung der Galopprennbahn Verluste erwirtschaftete, war die Stadt aus sportlichen Gründen an dem Betrieb als Galopprennbahn und der Betriebsführung durch den Verein interessiert. Die Stadt verpflichtete sich gegenüber dem Verein sogar dazu, am Ende des Jahres die Verluste der Betriebsführung aus dem gesamtstädtischen Haushalt zu übernehmen. Um die Verluste zu reduzieren, vereinbarten Stadt und Verein auf dem Gelände der Rennbahn eine kommerzielle Messe zu veranstalten. Die Bezirksvertretung war dagegen, da sie auf eine ausschließliche Nutzung als Rennbahn bestand. Wer ist für die Frage der Nutzung der Galopprennbahn zuständig?

Das Gericht verneinte zu recht eine rein bezirkliche Angelegenheit im Sinne des § 37 Abs. 1 S. 1 GO, da infolge der (gesamt-)städtischen Verlustabdeckungspflicht eine überbezirkliche Bedeutung vorlag. Der Rat konnte die Veranstaltung einer solchen Messe beschließen.    

213

Auch wenn im Einzelfall eine rein bezirkliche Bedeutung vorliegen mag, ist zu beachten, dass für Fälle, die dem Rat gesetzlich zur ausschließlichen Zuständigkeit überwiesen sind, die Bezirksvertretung keine Entscheidungskompetenz haben kann.

Beispiel

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Der Rat entscheidet ausschließlich über den Erlass der Haushaltssatzung gemäß § 41 Abs. 1 S. 2 Buchstabe h GO. In der Haushaltssatzung wird gemäß § 78 GO auch der Haushaltsplan festgesetzt. Zu den dazu gehörigen Aufwendungen des Haushaltsjahres gehören auch die bezirksbezogenen Haushaltsmittel nach § 37 Abs. 3 GO. Obwohl diese ausschließlich einem bestimmten Bezirk zugeordnet sind, darf die allgemeine Bereitstellung durch die Haushaltssatzung nur durch den Rat erfolgen. Der von der Mittelbereitstellung zu unterscheidende Verwendungszweck der Mittel kann allerdings teilweise den Bezirksvertretungen zur Entscheidung übertragen werden (§ 37 Abs. 3 S. 1 GO).

Hinweis

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In der Praxis der kreisfreien Städte wird die nähere Abgrenzung der Entscheidungskompetenzen von Rat, Bezirksvertretungen und Oberbürgermeister in satzungsrechtlichen Bestimmungen konkretisiert. Sofern keine gesetzliche Bestimmung dem Rat oder Oberbürgermeister ausdrücklich die Zuständigkeit zuweist, werden in diesen Satzungen die bezirklichen Angelegenheiten im Rahmen des § 37 Abs. 1 GO näher ausgestaltet und regelmäßig auch Wertgrenzen für Entscheidungskompetenzen gebildet (z.B. Entscheidungskompetenz für Sanierungsmaßnamen in Grundschulen: bis 12 500 Euro als Geschäft der laufenden Verwaltung beim Oberbürgermeister, darüber hinaus bis 25 000 Euro bei der Bezirksvertretung und darüber hinaus wegen der dann überbezirklichen Bedeutung beim Rat). Zu beachten ist immer, dass derartige satzungsrechtliche Bestimmungen mit der höherrangigen Gesetzesvorschrift des § 37 Abs. 1 GO in Einklang stehen müssen.

e) Allzuständigkeit des Rates

214

Erst sofern sich nach der bisherigen Prüfung für einen bestimmten Entscheidungsgegenstand kein zuständiges Gemeindeorgan findet, greift die Auffangkompetenz des Rates nach § 41 Abs. 1 S. 1 GO.

f) Delegationsmöglichkeit auf einen Ausschuss

215

Sofern der Rat nicht nach § 41 Abs. 1 S. 2 GO oder aufgrund sonstiger gesetzlicher Regelung ausschließlich zuständig ist, kann er die Entscheidung über bestimmte Angelegenheiten auf Ausschüsse oder den Bürgermeister übertragen.

Beispiel

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Der Rat regelt in einer Zuständigkeitsordnung (§ 57 Abs. 4 S. 1 GO), dass der Hauptausschuss über die Erteilung von Aufträgen ab 50 000 bis 100 000 Euro selbst entscheidet. Der Hauptausschuss ist dann innerhalb dieser Wertgrenzen mit einer Entscheidungsbefugnis für die Auftragserteilung ausgestattet, so dass der Bürgermeister nach Beschlussfassung des Hauptausschusses den Beschluss durchzuführen hat (vgl. §§ 62 Abs. 2 S. 2, 57 Abs. 4 S. 2 GO).

Hingegen wäre eine Übertragung der Entscheidungsbefugnis über Änderungen der Friedhofssatzung vom Rat auf den Umweltausschuss rechtswidrig. Nur der Rat darf nach § 41 Abs. 1 S. 2 Buchst. f) GO über die Änderung von Satzungen entscheiden.

g) Dringliche Entscheidungen, § 60 GO

216

Es gibt in der kommunalen Praxis Situationen, in denen der Rat für die Entscheidung einer Angelegenheit zuständig ist, aber das Abwarten auf eine Ratssitzung nicht möglich ist, weil die Entscheidung über eine Angelegenheit besonders eilbedürftig ist und ansonsten erhebliche Nachteile oder Gefahren entstehen können. In solchen Fällen kommt eine Dringlichkeitsentscheidung bestimmter anderer Entscheidungsträger anstelle des nicht mehr rechtzeitig einberufbaren Rates unter den gestuften Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 GO in Betracht.

Falls die Einberufung des Rates nicht rechtzeitig möglich ist, um den erheblichen Nachteil für die Gemeinde zu verhindern, entscheidet der Hauptausschuss nach S. 1.

Ist auch die Einberufung des Hauptausschusses nicht rechtzeitig möglich und kann die Entscheidung nicht aufgeschoben werden, kann der Bürgermeister mit einem Ratsmitglied nach S. 2 entscheiden.

Die Entscheidung auf der zweiten Stufe (Bürgermeister mit einem Ratsmitglied) ist nur dann zulässig, wenn eine Entscheidung auf der ersten Stufe (Hauptausschuss) nicht möglich war. Bereits die Entscheidung auf der ersten Stufe setzt dabei voraus, dass eine Einberufung des Rates nicht rechtzeitig möglich ist.

Definition

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Definition: Einberufung des Rates ist nicht rechtzeitig möglich

Eine Einberufung des Rates ist nicht rechtzeitig möglich, wenn die in der Geschäftsordnung vorgeschriebenen Ladungsfristen für die Einberaumung einer Sitzung nicht mehr eingehalten werden können oder wenn sicher feststeht, dass innerhalb des gebotenen Zeitraums nicht die für die Beschlussfähigkeit erforderliche Zahl von Ratsmitgliedern erreichbar ist.Stibi in Kleerbaum/Palmen, GO NRW, § 60 Erl. II. 4 m.w.N.; Faber in Held/Winkel, GO NRW, § 60 Erl. 3.

Hierbei ist zu beachten, dass auch eine Sondersitzung des Rates mit den in der Geschäftsordnung vorgesehenen Ladungsfristen in Betracht gezogen werden muss, bevor der Hauptausschuss oder der Bürgermeister mit einem Ratsmitglied im Rahmen einer Dringlichkeitsentscheidung ersatzweise tätig wird.OVG NRW Urteil vom 31.5.1988 – 2 A 1739/86 –, NWVBl. 1988, 336; VG Münster Beschluss vom 5.4.2018 – 9 L 365/18 –, juris.

Beispiel

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Mit notariellem Grundstückskaufvertrag wird zwischen zwei Privatpersonen ein Grundstück verkauft. Das Grundstück liegt in einem Bereich, für den die Gemeinde eine Vorkaufsrechtssatzung erlassen hat. Die Vorkaufsrechtssatzung soll sicherstellen, dass die für den Bereich eines künftigen Bebauungsplanes verfolgten städtebaulichen Ziele der Gemeinde verwirklicht werden können. Am 20. Mai erhielt die Gemeinde die Ausfertigung des Grundstückskaufvertrages. Die gesetzliche Frist zur Ausübung des Vorkaufsrechts beträgt zwei Monate nach Mitteilung des Kaufvertrages (§ 28 Abs. 2 S. 1 BauGB). Für die Ausübung des Vorkaufsrechts ist aufgrund der besonderen städtebaulichen Bedeutung des Grundstücks der Rat zuständig (§ 41 Abs. 1 S. 1 GO). Da nach dem Sitzungskalender die letzte Ratssitzung aber gerade am 19. Mai stattgefunden hat und der Rat erst nach seiner „Sommerpause“ Ende August wieder tagen soll, fragt sich der Bürgermeister, was er veranlassen muss, damit innerhalb der zweimonatigen Frist eine wirksame Ausübung des Vorkaufsrechts erfolgen kann.Es kommen drei Lösungsansätze in Betracht, die in einem gesetzlichen Rangverhältnis stehen, welches strikt einzuhalten ist:

  1. Zuerst hat der Bürgermeister an die Einberufung einer Sondersitzung des Rates außerhalb des (nur ratsintern geltenden) Sitzungskalenders zu denken. Eine solche Sondersitzung kann von ihm nach § 47 Abs. 1 S. 1 GO gegebenenfalls unter Einhaltung einer in der Geschäftsordnung normierten verkürzten Ladungsfrist (meist drei Tage) bei besonderer Eilbedürftigkeit einberufen werden. Eine Sondersitzung des zuständigen Organs ist damit in relativ kurzer Zeit realisierbar, ohne dass ein Nachteil für die Gemeinde zu erwarten ist. Der Ablauf der Frist für die Ausübung des Vorkaufsrechts wäre durch die Einberufung einer Sondersitzung in keiner Weise gefährdet. Die damit verbundenen Sitzungskosten sind als notwendige „Demokratiekosten“ für den Nachteilsbegriff ohne Relevanz.
  2. Nur wenn die Einberufung der Sondersitzung selbst mit verkürzter Ladungsfrist wegen des drohenden Fristablaufes nicht mehr möglich wäre, könnte der Bürgermeister den Hauptausschuss nach § 60 Abs. 1 S. 1 GO einberufen. Der drohende Fristablauf darf hierbei nicht „sehenden Auges“ von der Gemeinde selbst verschuldet sein, indem die mögliche Sondersitzung einfach nicht terminiert wird und es deshalb Ende August zeitlich pressiert.
  3. Ist auch die Einberufung des Hauptausschusses nicht rechtzeitig möglich und kann die Entscheidung nicht aufgeschoben werden, weil sonst erhebliche Nachteile oder Gefahren entstehen können, kann der Bürgermeister mit einem Ratsmitglied entscheiden (§ 60 Abs. 1 S. 2 GO).

Da im Beispielsfall bereits die Einberufung der Sondersitzung des Rates zur Vermeidung von Nachteilen für die Gemeinde infolge des drohenden Fristablaufes objektiv realisierbar ist, scheidet ein Vorgehen über die Dringlichkeitsentscheidungen nach § 60 Abs. 1 GO aus.

Die Voraussetzungen für eine Dringlichkeitsentscheidung nach § 60 Abs. 1 S. 2 GO sind grundsätzlich eng auszulegen, da die an sich zur Entscheidung legitimierte kommunale Vertretung (Rat) nur ausnahmsweise und aus gewichtigen Sachgründen von ihrem Entscheidungsrecht zugunsten zweier Einzelpersonen (Bürgermeister und Ratsmitglied) verdrängt werden kann.

Definition

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Definition: drohenden Nachteilen und Gefahren

Bei den nach § 60 Abs. 1 S. 2 GO erforderlichen drohenden Nachteilen und Gefahren muss es sich daher um objektive Sachgründe von einigem Gewicht handeln. Hierzu gehören Katastrophen, öffentliche Notstände, finanziell gewichtige Nachteile oder der drohende Verlust eines gerichtlichen Verfahrens wegen Fristablaufs.Stibi in Kleerbaum/Palmen, GO NRW, § 60 Erl. II. 4 m.w.N. Keinesfalls rechtfertigen allein politische Gründe eine Dringlichkeitsentscheidung.  

Beispiel

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Der Bürgermeister und ein Ratsmitglied erlassen nach § 60 Abs. 1 S. 2 GO im Wege der Dringlichkeitsentscheidung eine ordnungsbehördliche Verordnung über die Zulässigkeit einer sonntäglichen Ladenöffnung, um dies bereits für den nächsten Sonntag „zur Stärkung des Einzelhandels“ zu ermöglichen. Hier liegt kein objektiv erheblicher Nachteil vor, der eine unaufschiebbare Dringlichkeitsentscheidung rechtfertigen würde. Vielmehr handelt es sich allenfalls um einen strukturpolitischen Sachgrund. Die in Rede stehende Verordnung dient zudem nicht dazu, erhebliche Schäden oder Nachteile zu vermeiden, sondern würde den Unternehmen allenfalls die Möglichkeit geben, neue finanzielle Vorteile zu generieren.

Dringlichkeitsentscheidungen sind dem Rat in der nächsten Sitzung zur Genehmigung vorzulegen (§ 60 Abs. 1 S. 3 GO). Er kann die Dringlichkeitsentscheidung aufheben, soweit nicht schon Rechte anderer durch die Ausführung des Beschlusses entstanden sind (§ 60 Abs. 1 S. 4 GO). Liegt die vom Gesetz geforderte Dringlichkeit nicht vor – etwa, wenn anstelle einer Dringlichkeitsentscheidung nach § 60 Abs. 1 GO der Rat noch im Wege einer Sondersitzung hätte entscheiden können – so kann dieser Mangel durch die Genehmigung des Rates in einer den Anforderungen des § 60 Abs. 1 S. 3 GO genügenden Form geheilt werden.OVG NRW Urteile vom 23.4.1996 – 10 A 620/91 –, NVwZ 1997, S. 598 und vom 15.8.1985 – 2 A 2613/84 –, Der Gemeindehaushalt 1986, S. 261, vgl. auch Urteil vom 31.5.1988 – 2 A 1739/86 –, a.a.O.; VG Aachen Urteil vom 22.5.2012 – 3 K 347/11 –, juris; VG Gelsenkirchen Beschluss vom 11.2.2010 – 6 L 1231/09 –, juris; so auch OVG Schleswig-Holstein Urteil vom 15.3.2001 – 1 L 107/97 –, NordÖR 2002, S. 155 zu der entsprechenden Landesnorm in der schleswig-holsteinischen Gemeindeordnung. Denn bei § 60 Abs. 1 S. 3 GO handelt es sich um eine Vorschrift, die die ausnahmsweise im Dringlichkeitsfall gestattete Zuständigkeitsabweichung nachträglich legitimiert, indem dem allzuständigen Rat das Entscheidungsrecht über den Bestand der Dringlichkeitsentscheidung übertragen ist. Die Abweichung von der grundsätzlichen Zuständigkeitsverteilung ist also wieder aufgehoben; die Rechtslage ist so, als wenn der Rat den ursprünglichen (Dringlichkeits-)Beschluss selbst gefasst hätte.OVG NRW Beschluss vom 3.9.2021 – 4 B 1446/21 –, juris, Rn. 7, 8; vgl. die Klausurbesprechung von Bätge „Dringliche Ladenöffnung“ in JuS 2021, 351.  

Nur für den Sonderfall einer vom Landtag festgestellten epidemischen Lage von landesweiter Tragweite darf der Rat unter Einhaltung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 GO seine Entscheidungen in pauschaler Form auf den Hauptausschuss delegieren. Es kommt während einer solchen Lage ausnahmsweise nicht darauf an, ob der Rat hätte rechtzeitig einberufen werden können.

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