Internationales Privatrecht

Nationales Kollisionsrecht: Art. 38–42

II. Nationales Kollisionsrecht: Art. 38–42

1. Verbleibender Anwendungsbereich

201

Von 1999 bis Anfang 2009 regierten die Art. 38–42 über die Anknüpfung von Ansprüchen aus außervertraglichen Schuldverhältnissen. Doch auch nach dem Inkrafttreten der vorrangigen Rom II-VO am 11.1.2009, verbleibt den Art. 38–42 ein (schmaler) Anwendungsbereich. Sie gelten insbesondere weiter für

Vgl. R. Wagner NJW 2018, 3421, 3427.:

Verletzungen von Persönlichkeitsrechten, die vom sachlichen Anwendungsbereich der Rom II-VO ausgeschlossen werden (Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom II-VO) und

sog. Altfälle, also für außervertragliche Schuldverhältnisse, die vor dem 11.1.2009 begründet wurden.

Da die Art. 38 ff. insoweit weiterhin relevant werden können, ist hier auf den wichtigsten Bereich einzugehen: Das Deliktsrecht.

Zu ungerechtfertigter Bereicherung und GoA Rauscher Rn. 1461 ff. bzw. 1503 ff.

2. Rechtswahl (Art. 42)

202

Wie Art. 14 Rom II-VO, erlaubt Art. 42 für die ungerechtfertigte Bereicherung (Art. 38), die GoA (Art. 39) und unerlaubte Handlungen (Art. 40) die Rechtswahl. Im Unterschied zu Art. Art. 14 Rom II-VO lässt Art. 42 nach seinem eindeutigen Wortlaut indes ausschließlich die nachträgliche Rechtswahl zu.

Ganz h.M., vgl. nur Looschelders Art. 42 Rn. 2 m.w.N.; anders jedoch contra legem Hoffmann/Thorn § 11 Rn. 45. Im Übrigen ist die Rechtswahl nach Art. 42 weitgehend frei: Es kann jederzeit, also auch noch in der Revisionsinstanz, jede staatliche Rechtsordnung im Ganzen oder auch nur zum Teil gewählt werden.Erman-Hohloch Art. 42 Rn. 8; Looschelders Art. 42 Rn. 10, 12. Die zulässige Rechtswahl beruft nach Art. 4 Abs. 2 das Sachrecht, sofern die Parteien nichts anderes vereinbaren.Vgl. Erman-Hohloch Art. 42 Rn. 4.

3. Deliktische Grundsatzanknüpfung (Tatortregel nach Art. 40 Abs. 1)

203

Wenn keine zulässige Rechtswahl getroffen wurde, unterstellt Art. 40 Abs. 1 die Haftung aus unerlaubten Handlungen dem Recht des Tatortes. Während Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO diesen Ort einseitig als Erfolgsort festlegt, lokalisiert Art. 40 Abs. 1 S. 1 und S. 2 den Tatort sowohl als Handlungs- als auch als Erfolgsort (sog. Ubiquitätsprinzip). Rechtssicher handhabbar wird dieses Prinzip, indem Art. 40 Abs. 1 S. 1 primär den Handlungsort für maßgeblich erklärt und auf das Erfolgsortrecht nur dann verweist, wenn der Geschädigte die Anwendung dieses Rechts gem. Art. 40 Abs. 1 S. 2 verlangt. Der Verletzte kann das von Art. 40 Abs. 1 S. 2 eingeräumte Bestimmungsrecht allerdings nur im ersten Rechtszug bis zum Ende des frühen ersten Termins (§ 275 ZPO) oder des schriftlichen Vorverfahrens (§ 276 ZPO) geltend machen, Art. 40 Abs. 1 S. 3.

Beispiel

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Der Terrorist T schickt Ende 2008 eine Briefbombe von Athen nach Berlin, wo A durch die Explosion schwer verletzt wird.

Die Rom II-VO ist zeitlich unanwendbar, sodass deutsche Gerichte Art. 40 heranziehen müssten. A könnte nach Art. 40 Abs. 1 S. 2 deutsches Recht als Erfolgsortsrecht wählen. Macht A von diesem Bestimmungsrecht keinen Gebrauch, verweist Art. 40 Abs. 1 S. 1 auf griechisches Recht.

Beispiel

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Den beleidigenden Brief, den E 2008 von Dortmund aus an ihren in Rotterdam lebenden Ex-Freund F schickt, hat sie im belgischen Brügge verfasst. Nachdem F vor dem AG Dortmund unterliegt, verlangt er in der Berufsinstanz die Anwendung niederländischen Deliktsrechts.

Sein Optionsrecht hat F nicht innerhalb der zeitlichen Grenzen des Art. 40 Abs. 1 S. 3 ausgeübt, daher bleibt es bei der Anwendung des Rechts am Handlungsort. Fraglich ist, ob der Handlungsort hier in Belgien oder Deutschland liegt. Da bloße Vorbereitungshandlungen mangels Außenwirkung für die Bestimmung des Handlungsortes allgemein unmaßgeblich sind, kommt es für den Handlungsort nicht auf die Abfassung des Briefes, sondern dessen Versendung an.

Vgl. Hoffmann/Thorn § 11 Rn. 27; Looschelders Art. 40 Rn. 104. Da der Versendungsort in Dortmund liegt, wird im Ergebnis auf deutsches Recht verwiesen.

Beide Verweisungen in Art. 40 Abs. 1 sind Gesamtverweisungen i.S.d. Art. 4 Abs. 1 S. 1.

Rauscher Rn. 1372.

204

Problematisch ist die Anwendung des Art. 40 Abs. 1 bei Streudelikten, insbesondere bei Persönlichkeitsverletzungen durch Presseerzeugnisse oder Inhalte des Internets. Die weltweite Verbreitung über Massenmedien führt hier häufig zu einer Vielzahl von Erfolgsorten. Stünde es dem Geschädigten frei, seinen gesamten Schaden nicht nur am Handlungsort (= Sitz des Verlages bzw. der Sendeanstalt

Siehe Lehr NJW 2012, 705, 708. ) sondern auch nach einem dieser zahlreichen Erfolgsorte geltend zu machen, auch wenn der jeweilige Verletzungserfolg dort noch so klein ist, so würde dies den Schädiger über Gebühr benachteiligen. In diesen Fällen bedarf das Bestimmungsrecht nach Art. 40 Abs. 1 S. 2 deshalb einer gewissen Einschränkung.

Ein Teil der Literatur will den Erfolgsort auf den Wohnsitz des Geschädigten bzw. mit Hilfe einer Schwerpunktbetrachtung auf den Haupterfolgsort verengen.

Hoffmann/Thorn § 11 Rn. 32 m.w.N.; Looschelders Art. 40 Rn. 31; weitere Nachweise bei Klöpfer JA 2013, 165, 170.

Die herrschende Mosaiktheorie

MüKo-Junker Art. 4 Rom II-VO Rn. 32. vollzieht die notwendige Einschränkung hingegen durch eine Aufspaltung des ersatzfähigen Schadens:Siehe bereits oben unter Rn. 189. Bei Pressedelikten soll danach jeder Ort, an dem das Druckwerk bestimmungsgemäß verbreitet wird (bei Internetdelikten jeder Aufrufort) als Erfolgsort i.S.d. Art. 40 Abs. 1 S. 2 anzusehen sein, doch kann nur der in dem jeweiligen Land eingetretene Schaden nach diesen Erfolgsortrechten geltend gemacht werden.Vertiefend Rauscher Rn. 1385 f.; Looschelders Art. 40 Rn. 105 f.; Klöpfer JA 2013, 165, 169 f. Der Gesamtschaden kann nach dieser Ansicht nur am Handlungsort (bei Internetdelikten am Ort des Einspeisens der Information) geltend gemacht werden.Siehe Lehr NJW 2012, 705, 708; Klöpfer JA 2013, 165, 170.

Letztere Ansicht harmoniert nach wie vor mit der Rechtsprechung des EuGH zur internationalen Zuständigkeit i.R.d. Art. 7 Nr. 2 EuGVO (= Art. 5 Nr. 3 EuGVO a. F.).

Dazu Rn. 249 f.; vgl. auch Kropholler § 53 V 4, S. 542.

4. Auflockerung und Verdrängung der Tatortregel (Art. 40 Abs. 2, 41)

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Genau wie Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO führt auch Art. 40 Abs. 2 S. 1 zur Verdrängung des Tatortrechts, wenn Schädiger und Geschädigter einen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt haben. Maßgeblicher Zeitpunkt für das Bestehen des gewöhnlichen Aufenthalts ist wiederum der Zeitpunkt des Haftungsereignisses.

Wie Art. 4 Abs. 3 S. 1 Rom II-VO sieht Art. 41 eine Ausweichklausel vor, die sich neben Art. 40 auch auf Art. 38 und 39 bezieht. Gem. Art. 41 Abs. 2 Nr. 1 kommt danach insbesondere eine akzessorische Anknüpfung an ein zwischen den Beteiligten bestehendes Schuldverhältnis in Betracht, was der Regelung in Art. 4 Abs. 3 S. 2 Rom II-VO im Wesentlichen entspricht (dazu Rn. 193). Eine Rück- oder Weiterverweisung ist in diesem Fall nach dem Sinn der Verweisung ausgeschlossen (Art. 4 Abs. 1 Hs. 2).

BGH NJW 2011, 3584 (lesenswert).

5. Beschränkung von Ansprüchen (Art. 40 Abs. 3)

206

Art. 40 Abs. 3 stellt eine besondere Ausprägung des ordre public dar. Die Vorschrift soll übermäßig hohe Schadensersatzansprüche nach ausländischem Recht beschränken, insbesondere für Fälle des mehrfachen Schadensersatzes (multiple damages) und des Strafschadensersatzes (punitive damages

Dazu ausführlich Behr ZJS 2010, 292; Schmitz JuS 1999, 941; Rosengarten NJW 1996, 1935.) nach US-amerikanischem Recht (vgl. Art. 40 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2).Hoffmann/Thorn § 11 Rn. 59; Looschelders Art. 40 Rn. 64 ff; Palandt-Thorn Art. 40 Rn. 14.

Beispiel

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A hat den 13-jährigen B sexuell missbraucht. Das zuständige deutsche Gericht gelangt zur Anwendung US-amerikanischen Rechts, wonach Heilbehandlungskosten, Schmerzensgeld und Strafschadensersatz zusammen 760.260 $ ergäben. Der Anspruch müsste jedoch nach Art. 40 Abs. 3 Nr. 2 um den Anteil des Strafschadensersatzes gekürzt werden, der sich mit den Grundvorstellungen der deutschen Rechtsordnung nicht verträgt.

Vgl. Staudinger-Mankowski Art. 40 Rn. 421; Looschelders Art. 40 Rn. 69.

Art. 40 Abs. 3 Nr. 2 ist v.a. bei Persönlichkeitsverletzungen von Bewandtnis.

Erman-Hohloch Art. 40 Rn. 25c. Gerade auf diesem Gebiet muss die Vorschrift jedoch besonders zurückhaltend angewendet werden, da das deutsche Haftungsrecht bei Persönlichkeitsverletzungen ebenfalls Abschreckungs- und Straffunktionen verfolgt.Vgl. BGH NJW 1996, 984, 985; näher Behr ZJS 2010, 292, 295 f; Hay in: FS Stoll 2001, 521, 529.

207

In der Rom II-VO findet sich zwar kein unmittelbares Pendant zu Art. 40 Abs. 3, in der Sache werden die gleichen Ergebnisse aber über Art. 26 Rom II-VO erzielt (vgl. Erwägungsgrund 32 der Rom II-VO).

MüKo-Junker Art. 26 Rom II-VO Rn. 25; näher Gebauer ZEuP 2009, 412, 416 ff.

Hinweis

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Prüfungsaufgaben zu Art. 40 ff. sind auch nach dem dem vollzogenen Übergang zur Rom II-VO keine völlige Seltenheit. Sie sind besonders geeignet, das Zusammenspiel von nationalem und europäischem Kollisionsrecht abzuprüfen; darüber hinaus sind Persönlichkeitsrechtsverletzungen traditionell beliebter Prüfungsstoff im IPR.

Prüfungsschema

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Wie prüft man: Internationales DeliktsrechtEin sehr ausführlich-detailliertes Prüfungsschema findet sich bei Lehmann/Duczek JuS 2012, 788, 794 f.

I.

Deliktisch zu qualifizierender Sachverhalt mit Auslandsbezug

 

II.

Rom II-VO oder Art. 40–42 EGBGB anwendbar?

 

 

1.

Sachlicher Anwendungsbereich der Rom II-VO (Rn. 176)

 

 

2.

Räumlicher Anwendungsbereich der Rom II-VO (Rn. 179)

 

 

3.

Zeitlicher Anwendungsbereich der Rom II-VO (Rn. 180)

 

III.

Wenn Rom II-VO anwendbar, dann weiter wie folgt:

 

 

1.

Vorrangig: subjektive Anknüpfung nach Art. 14 Abs. 1 Rom II-VO

 

 

2.

Sonst: objektive Anknüpfung

 

 

 

a)

vorrangig: Art. 5–9 Rom II-VO

 

 

 

b)

sonst: Art. 4 Rom II-VO

 

 

 

 

aa)

vorrangig Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO

 

 

 

 

bb)

sonst: Anknüpfung nach Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO (Erfolgsort)

 

 

 

 

cc)

Ausnahmsweise Korrektur von Abs. 1 oder Abs. 2 nach Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO, insbesondere bei bereits bestehendem Rechtsverhältnis

 

 

3.

Verweisungsart: Sachnormverweisung, Art. 24 Rom II-VO

 

 

4.

Korrekturen im Einzelfall, insbesondere Art. 26 Rom II-VO

 

IV.

Wenn Rom II-VO nicht anwendbar (Persönlichkeitsverletzungen, Altfälle), weiter nach Art. 40 ff.:

 

 

1.

Vorrangig: subjektive Anknüpfung nach Art. 42 (Sachnormverweisung, Art. 4 Abs. 2)

 

 

2.

Sonst: objektive Anknüpfung nach Art. 40:

 

 

 

a)

vorrangig: Art. 40 Abs. 2

 

 

 

b)

sonst: Art. 40 Abs. 1

 

 

 

 

aa)

Anwendung des Tatortrechts bei Platzdelikten

 

 

 

 

bb)

Bei Distanz- und Streudelikten Rückgriff auf:

 

 

 

 

 

(1)

Erfolgsortrecht nach Art. 40 Abs. 1 S. 2 bei Option des Verletzten innerhalb der zeitlichen Grenze des Art. 40 Abs. 1 S. 3

 

 

 

 

 

 

 

Erfolgsort bei Persönlichkeitsverletzungen

Rn. 204

 

 

 

 

(2)

sonst: Recht am Handlungsort nach Art. 40 Abs. 1 S. 1

 

 

 

c)

ausnahmsweise Korrektur nach Art. 41

 

 

 

d)

Verweisungsart: Gesamtverweisung, Art. 4 Abs. 1 S. 1

 

 

 

e)

Korrekturen im Einzelfall, insbesondere nach Art. 40 Abs. 3 und Art. 6

 

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