Inhaltsverzeichnis
II. Unterschiedliche Verfahrensarten
1. Regelverfahren oder Verbraucherinsolvenzverfahren
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Die InsO stellt für insolvente Schuldner verschiedene Verfahrensarten zur Verfügung. Das Regelverfahren wird als „Normalverfahren“ eingesetzt, während das Verbraucherinsolvenzverfahren (§§ 304 ff. InsO) ein spezielles Verfahren für besondere Schuldner („Verbraucher“) ist. Das Regelverfahren trägt das Aktenzeichen IN, das Verbraucherinsolvenzverfahren das Aktenzeichen IK. Die Abgrenzung der beiden Verfahrensarten ist nicht kompliziert.
a) Unterschiede im Adressatenkreis
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Expertentipp
Die Unterscheidung zwischen Regelverfahren und Verbraucherinsolvenzverfahren ist nicht schwer. Der jeweilige Personenkreis lässt sich gut aus § 304 InsO herauslesen.
Die Frage, ob ein Regel- oder Verbraucherverfahren zu durchlaufen ist, wird ausschließlich für natürliche Personen relevant. Nach § 304 InsO steht das Verbraucherinsolvenzverfahren nur natürlichen Personen offen. Daher müssen die juristischen Personen (AG, GmbH, SE, eG, UG, KGaA etc.) und die Personengesellschaften (OHG, KG, GmbH & Co. KG, GbR, PartG, PartmbB etc.) stets das Regelverfahren durchlaufen. Allein aufgrund der Rechtsform sind sie vom Verbraucherinsolvenzverfahren ausgeschlossen. Welche natürlichen Personen das Verbraucherinsolvenzverfahren durchlaufen müssen, ist in § 304 InsO näher geregelt. Erfasst werden ausschließlich natürliche Personen, die nie selbstständig waren (Arbeitnehmer, Schüler, Studierende, Rentner). Es wendet sich aber auch an Personen, die früher einmal selbstständig waren. Deren Vermögensverhältnisse müssen aber überschaubar sein (19 Gläubiger oder weniger) und es dürfen keine Forderungen aus Arbeitsverhältnissen bestehen. Damit lässt sich im Umkehrschluss der Adressatenkreis des Regelverfahrens bestimmen. Dazu gehören alle natürlichen Personen, die zum Zeitpunkt des Eröffnungsantrags (aktuell) wirtschaftlich selbstständig tätig sind (z.B. Ärzte, Zahnärzte, Rechtsanwälte, Steuerberater, Architekten, Apotheker, Glasermeister, Gemüsehändler, Bäcker etc.). Auch Ex-Selbstständige müssen das Regelverfahren durchlaufen, wenn ihre Vermögensverhältnisse unüberschaubar (20 Gläubiger oder mehr) sind oder gegen sie Forderungen aus Arbeitsverhältnissen bestehen. Umstritten ist, ob das Regelverfahren auch für GmbH-Geschäftsführer oder für Gesellschafter von Kapitalgesellschaften anwendbar ist. Der BGH bejaht dies zumindest bei einem geschäftsführenden Alleingesellschafter.
BGH v. 22.9.2005 – IX ZB 55/04 = NJW 2006, 917, 918.b) Ablauf eines Regelverfahrens
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Das Regelverfahren beginnt mit einem Antrag des Schuldners oder eines Gläubigers, dem sog. Eröffnungsantrag (§ 13 InsO). Ist der Schuldner eine Kapitalgesellschaft, muss (!) bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung ein Eröffnungsantrag gestellt werden; andernfalls machen sich die Leitungsorgane strafbar (§ 15a Abs. 4 InsO). Der Eröffnungsantrag leitet das etwa drei Monate dauernde Eröffnungsverfahren ein. Hier prüft das Insolvenzgericht, ob die Voraussetzungen für ein Insolvenzverfahren vorliegen und der Schuldner tatsächlich insolvent (zahlungsunfähig, überschuldet) ist (§§ 17, 18, 19 InsO). Damit in dieser Phase nicht wertvolle Firmengegenstände verschwinden, kann das Gericht Sicherungsmaßnahmen anordnen (§§ 21, 22, 22a InsO). Bei Unternehmensinsolvenzen wird in der Regel sofort ein vorläufiger Insolvenzverwalter „als Aufpasser“ bestellt. Nach Ablauf der drei Monate folgt die Insolvenzeröffnung per Eröffnungsbeschluss (§ 27 InsO) oder die Abweisung mangels Masse (§ 26 InsO). Im Eröffnungsbeschluss ernennt das Gericht einen Insolvenzverwalter, der neuer Chef des Unternehmens wird (§ 80 InsO). Dann setzt es eine Frist für die Forderungsanmeldung (§ 28 InsO), bestimmt den Berichtstermin (§ 156 InsO) sowie den Prüfungstermin (§ 176 InsO). Der Insolvenzverwalter sichtet und sammelt währenddessen das Vermögen (= die Insolvenzmasse) des Schuldners (§§ 148 ff. InsO). Zudem holt er „verschwundenes“ Vermögen durch Insolvenzanfechtung wieder zurück (§§ 129 ff. InsO). Was aus dem Unternehmen wird, entscheidet die Gläubigerversammlung im Berichtstermin (§§ 156, 157 InsO). In Betracht kommen Liquidation, Ausproduktion, Verkauf des Unternehmens (= übertragende Sanierung) oder ein Insolvenzplan. Steht die Insolvenzmasse am Ende fest (Teilungsmasse), kommt es zur Verteilung an die Gläubiger (§§ 196 ff. InsO). Zuvor muss in einem Feststellungverfahren ermittelt werden, welche Gläubiger berechtigt sind, an der Verteilung teilzunehmen (§§ 174 ff. InsO). Nach der Schlussverteilung wird das Insolvenzverfahren aufgehoben. Der insolvente Rechtsträger, der mit Eröffnung aufgelöst wird (z.B. §§ 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG, 262 Abs. 1 Nr. 3 AktG, 42 BGB etc.), wird nun am Ende wegen Vermögenslosigkeit aus dem Register gelöscht (§ 394 FamFG). Für natürliche Personen ist die Aufhebung des Insolvenzverfahrens kein Lottogewinn. Denn ab sofort können die Gläubiger wieder in das (neue) Vermögen des Schuldners vollstrecken (§ 201 InsO). Daher folgt das Verfahren der Restschuldbefreiung, das den Schuldenberg nach einer bestimmten Zeit (Wohlverhaltensperiode) auf null stellt (§§ 300, 301 InsO).
c) Ablauf eines Verbraucherinsolvenzverfahren
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Ist der Schuldner eine natürliche Person, die keine selbstständige Tätigkeit ausübt oder nur in geringem Umfang ausgeübt hat, wird das Verbraucherinsolvenzverfahren durchgeführt. Es unterscheidet sich vom Regelverfahren darin, dass es aus insgesamt vier Stufen besteht. Der Verbraucher darf einen Eröffnungsantrag erst stellen, wenn er zuvor ein außergerichtliches Schuldenbereinigungsverfahren durchgeführt hat (= erste Stufe). Der Schuldner muss gegenüber dem Gericht den Nachweis führen, dass er versucht hat, sich mit seinen Gläubigern außergerichtlich zu einigen. Erst wenn dieser Versuch gescheitert ist, folgt nach dem Eröffnungsantrag das gerichtliche Schuldenbereinigungsverfahren (= zweite Stufe). Hier versucht das Gericht auf Basis des vom Verbraucher vorgelegten Plans eine Einigung mit den Gläubigern herbeizuführen.
Foerste Insolvenzrecht Rn. 21. Boykottiert eine Minderheit den Plan, kann das Gericht die fehlenden Zustimmungen ersetzen (§ 309 InsO). In dieser Zeit ruht das Eröffnungsverfahren. Misslingt die gerichtliche Einigung, schließt sich nun das eigentliche Regelverfahren (= dritte Stufe) an. Ganz am Ende steht auch hier die Restschuldbefreiung (= vierte Stufe).2. Klassisches Regelverfahren oder strategisches Insolvenzplanverfahren
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Im (klassischen) Regelverfahren wird die Verwertung des Schuldnervermögens vom Insolvenzverwalter vorgenommen. Er erhält als „Vollstrecker“ die Verfügungsbefugnis über das gesamte Schuldnervermögen (§ 80 Abs. 1 InsO). Für die Verwertung des Vermögens stehen prinzipiell drei Wege zur Verfügung: die Zerschlagung, die Ausproduktion oder die übertragende Sanierung. Die Suche nach einem Investor (übertragende Sanierung) wird die höchste Priorität haben, da sie im Regelfall am meisten Geld in die Kasse spült.
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Alternativ zum Regelverfahren kann die Befriedigung der Gläubiger aber auch auf Grundlage eines Insolvenzplans erfolgen (§§ 217 ff. InsO). Diesem Instrument liegt die Idee zugrunde, dass das Unternehmen einen Plan hat, die Krise zu überwinden, um am Ende saniert dazustehen. Der (alte) Rechtsträger bleibt bestehen. Die Gläubiger verzichten im Regelfall auf Teile ihrer Forderungen (z.B. auf 50 %) oder werden aus den Erlösen aus der Betriebsfortführung befriedigt. Das Insolvenzplanverfahren wird (weil geplant) auch als strategische Insolvenz bezeichnet. Kumulativ zum Insolvenzplanverfahren kann die Eigenverwaltung (§§ 270 ff. InsO) beantragt werden, so dass das Insolvenzverfahren „in Eigenregie“ durchgeführt wird. Statt eines Insolvenzverwalters wird lediglich ein sog. Sachwalter bestellt. Die (alten) Leitungsorgane behalten die Verfügungsbefugnis (kein § 80 Abs. 1 InsO). Der Sachwalter hat lediglich Kontrollfunktion. Da man im Planverfahren (anders als im Regelverfahren) den alten Rechtsträger (den Schuldner) erhalten kann, bedeutet die Insolvenz für ein Unternehmen nicht zwangsläufig das Ende. Mittlerweile dürfen auch Verbraucher vom Insolvenzplanverfahren Gebrauch machen.
Hinweis
Auch wenn das Insolvenzplanverfahren mit der Möglichkeit der Eigenverwaltung nicht Schwerpunkt in der universitären Ausbildung ist, müssen Sie dieses Verfahren unbedingt kennen. Es ist die Chance für Unternehmen, eine Krise „unter staatlichem Schutz“ zu meistern.