Inhaltsverzeichnis
G. Aufhebung des Insolvenzverfahrens
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Das Insolvenzverfahren ist aufzuheben, wenn die Verwertung abgeschlossen ist und alle Insolvenzarbeiten (Prozesse führen etc.) erledigt sind. Dann endet das Verfahren regulär. Kommt es dagegen zum „countdown“ (das Geld geht aus), sieht die InsO zwei weitere Aufhebungstatbestände vor.
I. Vorzeitige Beendigung des Insolvenzverfahrens
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Aus Gläubigersicht ist es am besten, wenn das Insolvenzverfahren „normal“ beendet wird, weil der Insolvenzverwalter alles verwertet hat und die Massegläubiger ihr Geld bekommen haben. Dann findet die Schlussverteilung statt, die Insolvenzgläubiger bekommen ihre Quote und der Aufhebungsbeschluss (§ 200 InsO) markiert das Ende der Gesamtvollstreckung. Das Insolvenzverfahren kann allerdings auch vorzeitig (irregulär) durch Einstellungsbeschluss enden. Geht dem Verwalter mitten im Verfahren das Geld aus (Insolvenz in der Insolvenz), unterscheidet die InsO zwei Situationen. Im ersten Fall (Massearmut § 207 InsO) ist das Insolvenzprogramm sofort zu stoppen – im zweiten Fall (Masseunzulänglichkeit § 208) muss noch eine „Restabwicklung“ erfolgen. In jedem Fall muss der Verwalter Schadensersatzansprüche befürchten, da § 61 InsO seine persönliche Haftung für die Nichterfüllung von Masseverbindlichkeiten normiert.
1. Einstellung mangels Masse
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Stellt sich mitten im Insolvenzverfahren heraus, dass das eingenommene Geld nicht einmal reicht, um die Verfahrenskosten (§ 54 InsO)zu decken (sog. Massearmut), ist das Insolvenzverfahren unverzüglich nach Anhörung der Gläubigerversammlung sowie der Massegläubiger einzustellen (§ 207 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 InsO). Eine weitere Tätigkeit des Insolvenzverwalters unterbleibt (§ 207 Abs. 3 S. 2 InsO). Denn das Geld reicht nicht einmal mehr für seine eigene Vergütung. Das staatliche Beerdigungsprogramm wird gestoppt. Vorhandenes Bargeld (auch Bankguthaben) verteilt der Verwalter an sich (für seine Auslagen) und an das Gericht (für dessen Auslagen); den Rest kann er für seine Vergütung verwenden (§ 207 Abs. 3 S. 1 InsO).
Zimmermann Insolvenzrecht Rn. 187.2. Masseunzulänglichkeit
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Ist genug Masse für die Verfahrenskosten (§ 54 InsO) da, reicht das Geld aber nicht für alle Massegläubiger (sog. Masseunzulänglichkeit), richtet sich das weitere Programm nach § 208 InsO. Der Insolvenzverwalter muss dem Insolvenzgericht die Masseunzulänglichkeit anzeigen, sobald er diese erkannt hat (§ 208 Abs. 1 S. 1 InsO). Das Gericht muss die Anzeige veröffentlichen (§§ 208 Abs. 2 S. 1, 9 InsO) und diese den Massegläubigern gesondert zustellen (§ 208 Abs. 2 S. 2). Ab dem Tag der Anzeige kommt es zu einer Hackordnung der Massegläubiger. Das Insolvenzverfahren wird fortgesetzt (§ 208 Abs. 3 InsO), da ja noch genug Geld für den Insolvenzverwalter als „Vollstrecker“ da ist. Seinen Hauptzweck aber, die Insolvenzgläubiger quotal zu befriedigen, kann es nicht mehr erfüllen (die Quote beträgt 0 %).
Paulus Insolvenzrecht § 2 Rn. 266. Als „Insolvenzprogramm light“ wird es nur noch für die Bezahlung der Verfahrenskosten (Gebühren von Gericht und Insolvenzverwalter) und für die Massegläubiger weiter geführt. Für diese existiert eine feste Befriedigungsreihenfolge („Hackordnung“), die in § 209 InsO klar geregelt ist. Als erstes sind stets die Verfahrenskosten (vollständig) zu begleichen (§ 209 Abs. 1 Nr. 1 InsO).BGH v. 13.4.2006 – IX ZR 22/05 = NZI 2006, 392, 394. Sodann werden die privilegierten Massegläubiger bedient (§ 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Das sind Leute, mit denen der Insolvenzverwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit neue Geschäfte macht (z.B. Kauf von Kopierpapier). Dazu gehören auch Verbindlichkeiten aus gegenseitigen Verträgen sowie aus Dauerschuldverhältnissen (Mietzahlungen oder Lohnansprüche), sofern sie nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet wurden (§ 209 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 InsO). Zum Schluss (falls noch etwas da ist) werden die Altmassegläubiger berücksichtigt (§ 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO). Das sind die Personen, die zwischen Eröffnung des Insolvenzverfahrens und der Anzeige der Masseunzulänglichkeit Ansprüche gegen den Verwalter erworben haben. Ihnen ist eine Vollstreckung in die Masse verboten (§ 210 InsO). Ihre Forderungen können sie nur noch per Feststellungsklage verfolgen.BGH v. 29.1.2015 – IX ZR 279/13 = NJW 2015, 1109, 1110. Wenn alles verteilt ist, wird das Verfahren eingestellt (§ 211 InsO). Ein Insolvenzplanverfahren bleibt weiter zulässig (§ 210a InsO).Zum verunglückten Wortlaut Bork/Hölzle/Nissen Handbuch Insolvenzrecht Kap. 11 Rn. 48 ff.II. Aufhebung wegen Zweckerreichung
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Endet das Insolvenzverfahren nicht vorzeitig (wegen Geldmangels), kommt es zur Schlussverteilung. Danach wird das Insolvenzverfahren durch unanfechtbaren Beschluss des Insolvenzgerichts aufgehoben (§ 200 Abs. 1 InsO). Die Wirkungen des Beschlusses treten zwei Tage nach der Veröffentlichung ein (§§ 200 Abs. 2 S. 1, 9 Abs. 1 S. 3 InsO). Das Insolvenzverfahren ist beendet und damit auch der Insolvenzbeschlag. Schwebende Anfechtungsprozesse darf der Verwalter weiter führen. Er muss dem Schuldner bzw. den früheren Leitungsorganen die gesamten Unterlagen (Bücher, Geschäftspapiere, Urkunden etc.) zurückgeben.
Zu den praktischen Problemen FK-InsO/Kießner § 200 Rn. 15 ff.Beispiel
Die Schlussverteilung mit anschließender Aufhebung des Insolvenzverfahrens markiert das Ende der MyTV GmbH. Die Insolvenzgläubiger können sich über eine 15 % Quote freuen. Der Rechtsträger (die MyTV GmbH) ist ab der Aufhebung des Insolvenzverfahrens „Rechtsgeschichte“. Von außen sieht alles ganz passabel aus. Die Fernseher sind weiterhin am Markt erhältlich. Die Produktion liegt nun in der Hand eines chinesischen Investors. Auch ein großer Teil der Arbeitsplätze ist durch den Firmenkauf (übertragende Sanierung) erhalten geblieben. Tanja, Maria und Simon müssen sich allerdings nach einer neuen Einkommensquelle umsehen. Das gilt auch für die Mitarbeiter der MyTV GmbH, die in eine Transfergesellschaft gewechselt sind. Der Insolvenzverwalter hat seine Arbeit abgeschlossen und kann sich nun um neue Verfahren kümmern.
Nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens gilt das Vollstreckungsverbot des § 89 InsO nicht mehr. Ab sofort haben die Gläubiger die Möglichkeit der Einzelzwangsvollstreckung, falls sie im Insolvenzverfahren nicht zu 100 % befriedigt wurden. Die Eintragung der festgestellten Forderung in die Insolvenztabelle bildet einen Vollstreckungstitel (§ 201 Abs. 2 InsO), der vom Insolvenzgericht erteilt wird.
Reischl Insolvenzrecht Rn. 788. Der Titel gilt 30 Jahre (§ 197 Abs. 1 Nr. 5 BGB). Damit haben die Gläubiger viel Zeit, wegen ihrer restlichen Forderungen in das (neue) Schuldnervermögen zu vollstrecken. Bedeutung hat die Vorschrift des § 201 InsO ausschließlich für natürliche Personen (Rn. 370).Beispiel
Für die MyTV GmbH ist § 201 InsO irrelevant. Die GmbH wird mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgelöst (z.B. § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG). Ist das Vermögen vollständig versilbert, tritt Vollbeendigung ein. Nach der Schlussverteilung (Kontostand null) steht fest, dass die aufgelöste GmbH vermögenslos ist. Nun folgt die Löschung im Handelsregister (§ 394 Abs. 1 S. 2 FamFG). Es gibt jetzt keinen Vollstreckungsgegner mehr. Der Vollstreckungstitel ist ökonomisch wertlos.
Beispiel
Die Zahnärztin von Simon ist insolvent und muss ein Regelinsolvenzverfahren durchlaufen (sie hat über 40 Gläubiger). Nach Verwertung aller Vermögensgegenstände erhalten die Gläubiger in der Schlussverteilung eine Insolvenzquote von 20 %. Vermieter Volker hatte eine Forderung in Höhe von 10 000 € angemeldet, die festgestellt und in die Tabelle aufgenommen wurde. Er erhält 2000 € (20 % Quote). Nach Beendigung des Insolvenzverfahrens kann Volker wegen der Restforderung von 8000 € die Vollstreckung in das (neue) Vermögen der Zahnärztin betreiben. Der Auszug aus der Insolvenztabelle stellt einen Vollstreckungstitel dar (§ 201 Abs. 2 InsO). Volker kann sich mit der Vollstreckung 30 Jahre Zeit lassen (§ 197 Abs. 1 Nr. 5 BGB). Um dieser Situation zu entgehen, wird die Zahnärztin von Simon Restschuldbefreiung (§§ 286 ff. InsO) beantragen. Vollstreckungsmaßnahmen in ihr neues Vermögen sind dann in der Zeit zwischen Beendigung des Insolvenzverfahrens und dem Ende der Abtretungsfrist (= Wohlverhaltensperiode) verboten (§ 294 Abs. 1 InsO). Da die Zahnärztin aber während der Wohlverhaltensperiode arbeiten muss (§ 295 Abs. 1 Nr. 1 InsO), werden Volker und die anderen Gläubiger auf Basis des Schlussverzeichnisses immerhin bei den jährlichen Verteilungen der Einkünfte der Zahnärztin berücksichtigt (§ 292 Abs. 1 S. 2 InsO). Nach Erteilung der Restschuldbefreiung kann man als Gläubiger seinen Titel endgültig weglegen (§ 301 Abs. 1 InsO), es sei denn, der Titel weist Forderungen aus § 302 InsO auf (z.B. unerlaubte Handlung) oder die Restschuldbefreiung wird binnen Jahresfrist widerrufen (§ 303 InsO). Das Restschuldbefreiungsverfahren wird gleich im nächsten Abschnitt behandelt.
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Sollte sich nach der Schlussverteilung herausstellen, dass noch Geld übrig bzw. hereingekommen ist, findet eine sog. Nachtragsverteilung statt (§ 203 InsO). Diese erfolgt, wenn zurückbehaltene Beträge frei werden oder ausgezahlte Beträge zurückfließen oder nachträglich Masse ermittelt wird.
Foerste Insolvenzrecht Rn. 462. Die Verteilung erfolgt nach Maßgabe des Schlussverzeichnisses (§ 205 S. 1 InsO). Zuständig ist der Insolvenzverwalter, der sein Amt hierfür wieder aufnehmen muss (§ 205 InsO).