Insolvenzrecht

Besonderheiten im Eröffnungsverfahren - Verfahrensvarianten

I. Abweisung mangels Masse

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1. Voraussetzungen

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Nach § 26 Abs. 1 InsO muss das Insolvenzgericht den Eröffnungsantrag mangels Masse abweisen, wenn das Vermögen des Schuldners voraussichtlich nicht ausreichen wird, um die für die Durchführung des Insolvenzverfahrens entstehenden Kosten (§ 54 InsO) zu decken. Zu den Kosten gehören die Gerichtskosten, die Vergütung und Auslagen des vorläufigen und endgültigen Insolvenzverwalters sowie die Vergütung des Gläubigerausschusses. Ob ausreichend Masse vorhanden ist, muss das Gericht von Amts wegen ermitteln (§ 5 InsO). Dabei kann es auf das Gutachten des Sachverständigen oder des vorläufigen Insolvenzverwalters (vgl. § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 InsO) zurückgreifen. Das Gericht darf das Gutachten aber nicht blind übernehmen, sondern muss es auf Nachvollziehbarkeit und Widerspruchsfreiheit überprüfen. BGH NZI 2009, 233, 234; Braun/Herzig InsO § 26 Rn. 20. Kann die Masse durch die Geltendmachung von Ansprüchen gegen Gesellschafter, Leitungsorgane oder andere Beteiligte oder durch Anfechtung nach §§ 129 ff. InsO aufgefüllt werden, ist das Verfahren zu eröffnen. Bei Unwägbarkeiten steht dem Gericht ein Prognosespielraum zu. LG Hamburg NZI 2016, 772; BeckOK InsR/Farian InsO § 26 Rn. 8.

2. Folgen für den Schuldner

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Das Gericht muss seinen Beschluss, den Eröffnungsantrag mangels Masse abzuweisen, unverzüglich öffentlich bekannt machen (§ 26 Abs. 1 S. 3 InsO) und dem Registergericht mitteilen (§ 31 S. 1 Nr. 2 InsO). Ist der Schuldner eine juristische Person führt die Abweisung mangels Masse unumkehrbar zur Auflösung des Rechtsträgers (z.B. § 60 Abs. 1 Nr. 5 GmbHG). BGH NZI 2022, 532 Rn. 6 ff. Das Registergericht muss von Amts wegen die Auflösung in das Register eintragen. Der Rechtsträger muss dies mit i.L. (in Liquidation) kenntlich machen (z.B. § 68 Abs. 2 GmbHG). Nun folgt die Abwicklung des Rechtsträgers. Zuständig sind die Liquidatoren, d.h. im Normalfall die früheren Geschäftsführer (z.B. § 66 GmbHG). Im Gegensatz zum Insolvenzverfahren gilt der Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung im gesellschaftsrechtlichen Liquidationsverfahren nicht. Die Liquidatoren können frei bestimmen, wer aus den Aktiva der Gesellschaft befriedigt wird. Vgl. Foerste Insolvenzrecht Rn. 140. Bei Vermögensverschiebungen müssen die Gläubiger ihre Ansprüche gegen die Gesellschaft oder gegen die Geschäftsführer selbst geltend machen. Ansprüche der Gesellschaft können sie pfänden und sich zur Einziehung (§§ 829, 835 f. ZPO) überweisen lassen. Auch Anfechtungen müssen sie selbst durchführen (§§ 6, 6a AnfG). Informationen erhalten die Gläubiger über die Insolvenzakte. Ihnen steht ein Einsichtsrecht zu (§ 4 InsO mit § 299 Abs. 2 ZPO; Rn. 68). Am Ende des Liquidationsverfahrens (Vollbeendigung wegen Vermögenslosigkeit) wird der Rechtsträger aus dem Handelsregister gelöscht (§ 394 FamFG).

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Natürliche Personen bekommen bei der Abweisung mangels Masse auf Anordnung des Insolvenzgerichts einen Eintrag im Schuldnerverzeichnis (§§ 26 Abs. 2 InsO, 882b Abs. 1 Nr. 3 ZPO). Dieses Verzeichnis wird von den 16 Bundesländern bei dem zuständigen Vollstreckungsgericht geführt (§ 882h ZPO). Das Vollstreckungsgericht wird elektronisch über die Anordnung informiert (§ 26 Abs. 2 S. 1 InsO).

3. Gegenmaßnahmen

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Da es bei der Abweisung mangels Masse zu keinem geordneten Insolvenzverfahren kommt, worauf „Firmenbestatter“ durchaus spekulieren, kann ein Gläubiger selbst einen zur Deckung der Kosten ausreichenden Geldbetrag vorschießen (§ 26 Abs. 1 S. 2 InsO). Der Vorschusszahlende wiederum kann von den Leitungsorganen der Gesellschaft Rückerstattung des Vorschusses verlangen, sofern das Organ Insolvenzverschleppung (§ 15a InsO) begangen hat (§ 26 Abs. 3 InsO). Zur fehlenden praktischen Bedeutung Pape in: Kübler/Prütting/Bork InsO § 26 Rn. 21, 23. Hierzu muss der Gläubiger Klage vor den ordentlichen Gerichten erheben. Alternativ sieht § 26 Abs. 4 S. 1 InsO vor, dass das Leitungsorgan unmittelbar auf Vorschusszahlung verklagt werden kann. Klagebefugt sind Gläubiger und Insolvenzverwalter (§ 26 Abs. 4 S. 3). AG Nürnberg NZI 2017, 638, 639; AG Hannover NZI 2020, 111 Rn 13 ff. Die Norm wird zu Recht als wenig praxistauglich kritisiert. Kritik übt Reischl Insolvenzrecht Rn. 168; a.A. AG Hannover NZI 2020, 111 Rn. 22. Prozessual muss die Durchsetzung des Vorschusses vor den ordentlichen Gerichten erfolgen; § 26 Abs. 4 InsO ist keine Ermächtigungsgrundlage für eine Anordnung des Insolvenzgerichts. Braun/Herzig InsO § 26 Rn. 29. Eine einstweilige Verfügung (Leistungsverfügung) ist nicht zulässig. Auch die Beweislastumkehr des § 26 Abs. 4 S. 2 InsO wird im Regelfall keine Entlastung bringen, da ein Gegenbeweis möglich bleibt.

4. Verfahrenskostenstundung bei natürlichen Personen

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Die Abweisung mangels Masse führt bei natürliche Personen dazu, dass es keine Restschuldbefreiung gibt, da hierfür ein Insolvenzverfahren durchgeführt werden muss (§ 286 InsO). Um auch mittellosen Schuldnern den Zugang zum Insolvenzverfahren und damit zur Restschuldbefreiung zu ebnen, kann der Schuldner Verfahrenskostenstundung nach § 4a InsO beantragen. Die Abweisung mangels Masse unterbleibt (§ 26 Abs. 1 S. 2 InsO), wenn dem Antragsteller die Kosten (Gerichtskosten, Kosten für Insolvenzverwalter und Mitglieder des Gläubigerausschusses) gestundet werden. Bei Verbraucherinsolvenzverfahren fallen Verfahrenskosten zwischen 1800 bis 2000 EUR an. Frind NZI 2020, 497, 499.

a) Voraussetzungen

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Ist der Schuldner eine natürliche Person, sind gem. § 4a Abs. 1 S. 1 InsO die Verfahrenskosten auf seinen Antrag hin zu stunden, sofern er einen Eigenantrag (§ 13 InsO) sowie einen Antrag auf Restschuldbefreiung gestellt hat (§ 287 Abs. 1 InsO) und sein Vermögen nicht ausreicht, die Verfahrenskosten zu decken. Der Schuldner muss seine wirtschaftlichen Verhältnisse umfassend offenlegen. Wenzel in: Kübler/Prütting/Bork InsO § 4a Rn. 31 ff. Zudem muss er nach § 4a Abs. 1 S. 3 InsO eine Erklärung beifügen, ob ein Versagungsgrund nach § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO vorliegt. Über den Stundungsantrag entscheidet das Gericht durch Beschluss.

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Hat der Schuldner in den letzten fünf Jahren eine Insolvenzstraftat nach §§ 283 bis 283c StGB begangen und ist er mindestens zu 90 Tagessätzen Geldstrafe rechtskräftig verurteilt worden, ist die Stundung zu versagen (§ 4a Abs. 1 S. 3, 4 InsO). Die in § 4a Abs. 1 S. 3 InsO aufgezählten Gründe sind nicht abschließend. BGH NZI 2020, 476; AG Marburg NZI 2018, 277; a.A. BeckOK InsR/Madaus InsO § 4a Rn. 20. Liegt der Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO vor, etwa weil der Schuldner im Eröffnungsantrag in erheblichem Maß unrichtige Angaben zu seinem Vermögen gemacht hat, ist die Stundung ebenfalls zu versagen. AG Marburg NZI 2018, 277. Nach der Rechtsprechung des BGH ist die Stundung außerdem zu versagen, wenn das Ziel der Restschuldbefreiung nicht erreicht werden kann, weil die wesentlichen am Verfahren teilnehmenden Forderungen gem. § 302 Nr. 1 InsO nicht von der Restschuldbefreiung erfasst sind (z.B. Forderungen aus unerlaubter Handlung). BGH NZI 2020, 476 Rn. 11.

Beispiel

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Steuerberater Stefan (S) sitzt wegen Steuerhinterziehung in Haft. Er hat einen Eröffnungsantrag, einen Restschuldbefreiungsantrag und einen Stundungsantrag gestellt. Er hat 33 Gläubiger mit einem Forderungsvolumen mit 4,5 Mio. EUR. Eine Forderung besteht gegenüber dem Finanzamt in Höhe von 1,8 Mio. EUR; sie beruht auf vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung. Der Stundungsantrag ist nach Ansicht des BGH zu versagen, weil ein wesentlicher Teil der Forderungen gar nicht an der Restschuldbefreiung teilnimmt (§ 302 Nr. 1 InsO). Das Ziel der Restschuldbefreiung („Fresh Start“) kann nicht erreicht werden.

Fall bei Becker Insolvenzrecht § 11 Rn. 97.

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Der Stundungsbeschluss ist jederzeit abänderbar, sollten sich die wirtschaftlichen Verhältnisse erheblich ändern (§ 4b Abs. 2 InsO). Änderungen muss der Schuldner von sich aus anzeigen. Das Gericht kann die Stundung aufheben, wenn der Schuldner ein in § 4c InsO sanktioniertes Fehlverhalten begeht, insbesondere seine Pflicht zur Erwerbstätigkeit nicht erfüllt (§ 4c Nr. 4 InsO).

b) Rückzahlung

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Während des Insolvenzverfahrens sind die Verfahrenskosten als Masseschulden (§ 53 InsO) vorrangig zu berichtigen. Auch während der Abtretungsfrist soll der Treuhänder die Verfahrenskosten vorrangig begleichen (§ 292 Abs. 1 S. 2a.E. InsO). Wenzel in: Kübler/Prütting/Bork InsO § 4a Rn. 9. Nach Erteilung der Restschuldbefreiung besteht eine vierjährige Nachhaftung. Das Verfahren ist kompliziert gestaltet. Die Rückzahlungsverpflichtung hängt von der Leistungsfähigkeit des Schuldners ab. Das Gericht kann die Stundung verlängern und die zu zahlende Monatsraten festsetzen (§ 4b Abs. 1 InsO). Sind seit der Restschuldbefreiung mehr als vier Jahre vergangen, gilt die Verpflichtung zur Rückzahlung als erlassen (§ 4b Abs. 2 S. 4 InsO).

5. Rechtsbehelf gegen den Abweisungsbeschluss

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Wird der Eröffnungsantrag mangels Masse abgewiesen (§ 26 Abs. 1 S. 1 InsO), steht dem Schuldner die sofortige Beschwerde zu (§ 34 Abs. 1 i.V.m. § 6 InsO). Dies gilt auch, wenn ein Gläubiger den Eröffnungsantrag gestellt hat.  Graf-Schlicker/Lienau InsO § 26 Rn. 31.

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