Handels- und Gesellschaftsrecht

Die offene Handelsgesellschaft - Rechte und Pflichten der Gesellschafter

f) Rechte und Pflichten der Gesellschafter

aa) Recht zur Beschlussfassung/Beschlussmängelregime

321

Dass alle Gesellschafter zur Stimmabgabe berechtigt und verpflichtet sind, scheint selbstverständlich. Das MoPeG schafft hinsichtlich der Beschlussfassung in § 109 HGB eine Neuregelung und kodifiziert in §§ 110 ff. HGB ein umfassendes Beschlussmängelrecht, wie es das bisher geltende Recht nur aus dem Aktienrecht kennt.

Das Gesetz betont, dass Gesellschafterbeschlüsse grundsätzlich der Zustimmung aller stimmberechtigten Gesellschafter bedürfen (§ 109 Abs. 3 HGB), wenn im Gesellschaftsvertrag nicht Mehrheitsbeschlüsse vorgesehen sind (§ 109 Abs. 4 HGB). Nach § 105 Abs. 3 HGB i.V.m. § 709 Abs. 3 S. 1 BGB richtet sich die Stimmkraft vorrangig nach den Beteiligungsverhältnissen. Bei der oHG richten sich die Beteiligungsverhältnisse grundsätzlich nach Kapitalanteilen; Mehrheit bedeutet Mehrheit der stimmberechtigten Gesellschafter.Hopt-Roth § 109 Rz. 56.

Derjenige Gesellschafter darf jedoch nicht mitstimmen, der einem Interessenkonflikt zwischen seinem persönlichen und dem Interesse der Gesellschaft unterliegt. Dieses Stimmverbot gilt nicht für grundlegende Beschlüsse über die innere Ordnung der Gesellschaft.

Stimmverbote wegen Interessenkonflikts bestehen außer in den allgemeinen Fällen in den spezialgesetzlich angeordneten Fällen einer Beschlussfassung über:

die Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis und Vertretungsmacht des Gesellschafters (§§ 116 Abs. 5, 124 Abs. 5 HGB HGB);

den Ausschluss des Gesellschafters (§ 134 HGB);

die Geltendmachung von Ansprüchen aus unzulässigem Wettbewerb gegen den Gesellschafter (§ 118 Abs. 2 HGB);

den Beschluss über die Geltendmachung eines Gesellschaftsanspruchs gegen den Gesellschafter.

Der Gesetzgeber hat das Beschlussmängelrecht für Personenhandelsgesellschaften an das aktienrechtliche Anfechtungsmodell angelehnt, vgl. §§ 110 ff. HGB. Insoweit wird zwischen der Anfechtbarkeit und der Nichtigkeit eines Beschlusses unterschieden.Ausführlich hierzu Heidel/Hirte Neues PersGesR-Adenauer/Becker, § 6 Rn. 56 ff. Den Gesellschaftern von Personenhandelsgesellschaften bleibt es gleichwohl unbenommen, für das „Feststellungsmodell“ – also die gerichtliche Geltendmachung der Fehlerhaftigkeit von Gesellschafterbeschlüssen im Wege der allgemeinen Feststellungsklage nach § 256 ZPO - zu optieren.Degistirici/Ionnidis, BB 2023, 2698, 2700.

Ein Beschluss der Gesellschafter kann nach § 110 Abs. 1 HGB wegen Verletzung von Rechtsvorschriften angefochten werden (Anfechtungsklage). Anfechtungsbefugt ist gemäß § 111 Abs. 1 HGB jeder Gesellschafter, der oder dessen Rechtsvorgänger im Zeitpunkt der Be-schlussfassung der Gesellschaft angehört hat. Die Anfechtungsklage ist binnen drei Monaten seit Bekanntgabe zu erheben, § 112 Abs. 1 u. 2 HGB.

Was die Anfechtbarkeit eines Beschlusses begründet, kann nur negativ von der Nichtigkeit abgegrenzt werden.BT-Drs. 19/27635, 228. Um den personalistischen Strukturen der Personenhandelsgesellschaften Rechnung zu tragen, werden – abweichend vom aktienrechtlichen Modell – Beschlüsse nichtig sein, die gegen Rechtsvorschriften verstoßen, auf deren Einhaltung die Gesellschafter nicht verzichten können (§ 110 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 HGB). Eine derart offene Formulierung hat der Gesetzgeber bewusst gewählt, um Rechtsprechung und Schrifttum den nötigen Spielraum zur Konkretisierung zu geben.BT-Drs. 19/27635, 111. Ob ein Gesellschafterbeschluss eine solche Rechtsvorschrift berührt, ergibt sich entweder ausdrücklich aus der verletzten Rechtsvorschrift oder aus ihrem Normzweck. Eine Vorschrift ist jedenfalls dann zwingend, wenn sie den unverzichtbaren Kernbereich der Mitgliedschaft jedes Gesellschafters berührt (sog. absolut unentziehbares Recht).BT-Drs. 19/27635, 229. Ein absolut unentziehbares Recht von Gesellschaftern ist beispielsweise das Teilnahmerecht an Gesellschafterversammlungen samt Rede- und Antragsrecht. Verstöße gegen andere gesetzliche oder gesellschaftsvertragliche Vorgaben werden lediglich zur Anfechtbarkeit von Beschlüssen führen. Konsequenterweise wurde angesichts dieser Unterscheidung neben der Anfechtungs- auch eine Nichtigkeitsklage in das HGB eingeführt, vgl. § 110 Abs. 2 HGB. 

bb) Die Gewinn- und Verlustbeteiligung und die Entnahmerechte

322

Die Gesellschafter sind am Gewinn und Verlust der oHG beteiligt, der sich nach einem am Ende eines jeden Geschäftsjahres zu erstellenden Jahresabschluss anhand der Kapitalanteile der Gesellschafter errechnet. Die Kapitalanteile stellen eine Rechnungsziffer dar, die das Verhältnis der Beteiligungen der Gesellschafter wiedergibt. Voraussetzung ist immer ein positiver Kapitalanteil, ein negativer bleibt unberührt, wird also nicht etwa entsprechend belastet.

Die Regelungen zu Gewinnermittlung und Gewinnverteilung in den §§ 120 ff. HGB wurden durch das MoPeG grundlegend neu gefasst. So sind gemäß § 120 Abs. 1 S. 1 HGB die Geschäftsführer zur Aufstellung des Jahresabschlusses (§ 242 Abs. 3 HGB) verpflichtet und haben dabei für jeden Gesellschafter nach Maßgabe des § 709 Abs. 3 BGB den Anteil am Gewinn oder Verlust zu ermitteln, § 120 Abs. 1 S. 2 HGB, also eine Bestimmung nach Beteiligungsverhältnissen. Über die Feststellung des Jahresabschlusses entscheiden die Gesellschafter durch Beschluss, § 121 HGB. Aufgrund dieses festgestellten Jahresabschlusses hat nach § 122 Satz 1 HGB jeder Gesellschafter Anspruch auf Auszahlung seines ermittelten Gewinnanteils.

cc) Aufwendungsersatzanspruch

323

Der Gesellschafter, der in Angelegenheiten der Gesellschaft Aufwendungen tätigt, die er den Umständen nach für erforderlich halten darf, hat Anspruch auf Ersatz gegen die Gesellschaft (§ 105 Abs. 3 HGB i.V.m § 716 Abs. 1 BGB). Der Anspruch ist, wenn und soweit die Gesellschaft die geschuldeten Aufwendungen für sich verwendet, verzinslich, im Zweifel nach dem Handelszinssatz von fünf Prozent (§§ 119 Abs. 1, 352 Abs. 2 HGB).

dd) Treuepflicht

324

Tritt ein Gesellschafter der oHG als Geschäftspartner wie ein fremder Dritter gegenüber und erwirbt er daraus eine Forderung gegen die oHG, kann er wie jeder Drittgläubiger seine Mitgesellschafter nach §§ 105 Abs. 2, 126 HGB in Anspruch nehmen. Aus Gründen der Treuepflicht muss er sich jedoch gegenüber den Mitgesellschaftern zuerst an die Gesellschaft halten. Macht er eine eigene Geldforderung gegen die Mitgesellschafter geltend, so kann er konsequenterweise nicht den vollen Betrag verlangen, sondern muss den Anteil seiner eigenen Verlustbeteiligung in Abzug bringen.

Das oHG-Recht hat das Wettbewerbsverbot als besondere Ausprägung der Treuepflicht normiert: Alle persönlich haftenden Gesellschafter, ob geschäftsführend oder nicht, dürfen ohne Einwilligung der anderen Gesellschafter weder in dem Handelszweig der Gesellschaft Geschäfte machen noch an einer anderen gleichartigen Handelsgesellschaft als persönlich haftende Gesellschafter teilnehmen (§ 117 Abs. 1 HGB). Der verletzende Gesellschafter ist der Gesellschaft schadensersatzpflichtig, alternativ kann sie die Ergebnisse des gegen das Wettbewerbsverbot verstoßenden Geschäfts an sich ziehen (§ 118 Abs. 1 HGB). Bei einer aus nur zwei Personen bestehenden Gesellschaft entscheidet über eine Geltendmachung allein der andere Gesellschafter (§ 118 Abs. 2 HGB).

ee) Einsichts- und Auskunftsrecht

325

Über § 105 Abs. 3 HGB gelangen die für die GbR in § 717 BGB niedergelegten Informations- und Einsichtsrechte auch zugunsten der Gesellschafter von Personenhandelsgesellschaften zur Anwendung, so dass die Gesellschafter sich jederzeit über die Angelegenheiten der Gesellschaft unterrichten und die Handelsbücher und Papiere der Gesellschaft einsehen und aus ihnen Auszüge anfertigen können. Das Informations- und Einsichtsrecht kann auch bei Einschränkung oder Verzicht immer dann ausgeübt werden, wenn Grund zur Annahme unredlicher Geschäftsführung besteht (§ 717 Abs. 1 S. 3 BGB).

Mit diesen Online-Kursen bereiten wir Dich erfolgreich auf Deine Prüfungen vor

Einzelkurse

€19,90

    Einzelthemen für Semesterklausuren & die Zwischenprüfung

  • Lernvideos & Webinar-Mitschnitte
  • Lerntexte & Foliensätze
  • Übungstrainer des jeweiligen Kurses inklusive
  • Trainiert Definitionen, Schemata & das Wissen einzelner Rechtsgebiete
  • Inhalte auch als PDF
  • Erfahrene Dozenten
  • 19,90 € (einmalig)
Jetzt entdecken!

Kurspakete

ab €17,90mtl.

    Gesamter Examensstoff in SR, ZR, Ör für das 1. & 2. Staatsexamen

  • Lernvideos & Webinar-Mitschnitte
  • Lerntexte & Foliensätze
  • Übungstrainer aller Einzelkurse mit über 3.000 Interaktive Übungen & Schemata & Übungsfällen
  • Integrierter Lernplan
  • Inhalte auch als PDF
  • Erfahrene Dozenten
  • ab 17,90 € (monatlich kündbar)
Jetzt entdecken!

Klausurenkurse

ab €29,90mtl.

    Klausurtraining für das 1. Staatsexamen in SR, ZR & ÖR mit Korrektur

  • Video-Besprechungen & Wiederholungsfragen
  • Musterlösungen
  • Perfekter Mix aus leichteren & schweren Klausuren
  • Klausurlösung & -Korrektur online einreichen und abrufen
  • Inhalte auch als PDF
  • Erfahrene Korrektoren
  • ab 29,90 € (monatlich kündbar)
Jetzt entdecken!

Übungstrainer

€9,90mtl.

    Übungsaufgaben & Schemata für die Wiederholung

  • In den Einzelkursen & Kurspaketen inklusive
  • Perfekt für unterwegs
  • Trainiert Definitionen, Schemata & das Wissen aller Rechtsgebiete
  • Über 3.000 Interaktive Übungen zur Wiederholung des materiellen Rechts im Schnelldurchlauf
  • 9,90 € (monatlich kündbar)
Jetzt entdecken!