Grundrechte

Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde - Beschwerdebefugnis

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III. Beschwerdebefugnis

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Gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG ist beschwerdebefugt, wer behaupten kann, durch einen Akt öffentlicher Gewalt in einem seiner Grundrechte (Art. 1 bis 19 GG) oder in einem der in Nr. 4a abschließend genannten grundrechtsgleichen Rechte verletzt zu sein. In Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG ist als grundrechtsgleiches Recht u.a. Art. 38 GG aufgeführt. Dies bezieht sich grundsätzlich nur auf Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG. Auf Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG kann eine Verfassungsbeschwerde demgegenüber grundsätzlich nicht gestützt werden, weil sich aus diesen Bestimmungen keine subjektiv-öffentlichen, sondern organschaftliche Rechte eines Abgeordneten ergeben. Organschaftliche Rechte (z.B. das Rederecht eines Abgeordneten) muss der Abgeordnete im Organstreitverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG i.V.m. §§ 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG geltend machen. Eine Verfassungsbeschwerde ist daher an sich unzulässig. Etwas anderes gilt jedoch nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts dann, wenn ein Abgeordneter die Verletzung seiner Rechte aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG i.V.m. Art. 47 GG durch die Staatsanwaltschaft und die Strafgerichte rügt. Eine Verfassungsbeschwerde ist in diesem Falle zulässig, weil der Abgeordnete gegen diese Stellen kein Organstreitverfahren anstrengen kann.

Vgl. BVerfGE 108, 251 – Pofalla. Vgl. zu diesem Themenkomplex die Examensklausur bei Sachs/Schroeder NWVBl. 2006, 389; vgl. zu Art. 40 Abs. 2 S. 2 GG BVerfGE 108, 251; Schroeder Jura 2008, 95.

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Ob die Beschwerdebefugnis gegeben ist, prüfen Sie in zwei Schritten:

1. Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung

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Der Beschwerdeführer muss behaupten, in einem seiner Grundrechte oder seiner grundrechtsgleichen Rechte verletzt zu sein. Aus seinem Antrag muss sich die Möglichkeit einer entsprechenden Verletzung ergeben. Die Verletzung eines Grundrechts oder eines grundrechtsgleichen Rechts darf m.a.W. nicht von vornherein ausgeschlossen sein.

Vgl. BVerfGE 6, 445. Hätte in unserem Beispiel oben (Rn. 730) G nur das subjektive Empfinden, in seinem Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG verletzt zu sein, ohne dass er dieses Empfinden dahingehend substantiieren kann, dass eine Grundrechtsverletzung möglich erscheint, wäre G nicht beschwerdebefugt.

Hinweis

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Bei der Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO gilt ebenfalls die sog. Möglichkeitstheorie.

2. Betroffenheit

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Besteht die Möglichkeit, dass der Beschwerdeführer in einem seiner Grundrechte oder seiner grundrechtsgleichen Rechte verletzt ist, setzt die Beschwerdebefugnis weiter voraus, dass der Beschwerdeführer durch den Akt öffentlicher Gewalt selbst, gegenwärtig und unmittelbar in seinen Grundrechten oder seinen grundrechtsgleichen Rechten betroffen ist.

a) Selbst betroffen

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Der Beschwerdeführer ist durch den Akt öffentlicher Gewalt selbst betroffen, wenn er Adressat des Aktes öffentlicher Gewalt ist. In unserem Beispiel oben (Rn. 730) ist G als Prozesspartei Adressat der Gerichtsentscheidungen und als Person, an den die behördliche Abrissverfügung gerichtet ist, Adressat der behördlichen Abrissverfügung.

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Ist der Beschwerdeführer nicht Adressat, kann er auch als Nichtadressat ausnahmsweise selbst betroffen sein. Dies ist dann der Fall, wenn die an einen anderen gerichtete Entscheidung auch ihm gegenüber grundrechtsbeeinträchtigende Rechtswirkungen entfaltet.

Vgl. Sachs Verfassungsprozessrecht Rn. 564.

Beispiel

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L hat die Genehmigung erhalten, auf seinem Grundstück eine Doppelgarage zu errichten. Sein Nachbar D hält die Genehmigung für rechtswidrig, weil die Abstandsflächen zu seiner Grundstücksgrenze nach Ansicht des D nicht eingehalten werden. – D ist nicht Adressat der Baugenehmigung. Sie belastet ihn aber gleichwohl in seiner Eigentümerstellung. Nach Erschöpfung des Rechtswegs kann könnte D Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht erheben; zumindest die Selbstbetroffenheit des D läge dann vor.

b) Gegenwärtig betroffen

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Gegenwärtig betroffen ist der Beschwerdeführer durch den Akt öffentlicher Gewalt, wenn dieser Akt aktuelle grundrechtsbeeinträchtigende Rechtswirkungen, d.h. Rechtswirkungen gegenüber dem Beschwerdeführer entfaltet, die sich bereits realisiert haben und noch fortwirken oder sich mit Sicherheit in der Zukunft realisieren werden. Der Beschwerdeführer muss demnach schon oder noch betroffen sein. Keinesfalls darf der Akt nur „irgendwann einmal in Zukunft (‚virtuell)“ grundrechtsbeeinträchtigende Rechtswirkungen entfalten.

Vgl. BVerfGE 1, 97; vgl. zum Ganzen auch Hillgruber/Goos-Goos Verfassungsprozessrecht Rn. 198 ff.

Beispiel

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Per Gesetz wird der Deutschen Post AG befristet die Exklusivlizenz im Bereich der Beförderung von Briefen und adressierten Katalogen weitergewährt. Das Gesetz ist verkündet, aber noch nicht in Kraft getreten. – An sich entfaltet das Gesetz daher noch keine Rechtswirkungen. Sind zu diesem Zeitpunkt die künftigen Rechtswirkungen dieses Gesetzes aber schon klar abzusehen und für den Beschwerdeführer gewiss, ist er „schon“ und damit gegenwärtig betroffen.

Beispiel

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Der 60-jährige Notar Dr. K. wendet sich gegen ein Gesetz, das für Notare eine Altersgrenze von 70 Jahren vorsieht. Das Gesetz ist bereits in Kraft getreten. – An sich entfaltet das Gesetz noch keine aktuellen Rechtswirkungen gegenüber Dr. K, weil er die Altersgrenze von 70 Jahren noch nicht erreicht hat. Gleichwohl zwingt ihn das Gesetz schon jetzt zu Dispositionen hinsichtlich seiner Altersvorsorge, die nach einem Gesetzesvollzug nicht mehr rückgängig zu machen sind. Dr. K ist demnach „schon“ und damit gegenwärtig betroffen.

Beispiel

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Die Staatsanwaltschaft durchsucht das Haus des S, gegen den ein Ermittlungsverfahren wegen Betrugs läuft. Die von S wegen dieser Maßnahme angerufenen Fachgerichte halten die Durchsuchung für rechtmäßig und verneinen Grundrechtsverletzungen. S muss die Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht haben. Andernfalls könnten solche Maßnahmen, die sich typischerweise erledigen, bevor der Betroffene das Bundesverfassungsgericht anrufen kann, verfassungsgerichtlich nicht überprüft werden. S ist somit „noch“ betroffen, zumal von der an sich erledigten Maßnahme noch grundrechtsbeeinträchtigende Wirkungen ausgehen können

Vgl. allgemein BVerfGE 15, 226. bzw. eine WiederholungsgefahrVgl. allgemein BVerfGE 52, 42. besteht.

c) Unmittelbar betroffen

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Das Erfordernis der unmittelbaren Betroffenheit des Beschwerdeführers durch den Akt öffentlicher Gewalt ist an sich nur bei Rechtssatzverfassungsbeschwerden relevant. Der Beschwerdeführer ist durch ein Gesetz nur dann unmittelbar betroffen, wenn dieses Gesetz keines Vollzugsaktes bedarf, damit die grundrechtsbeeinträchtigenden Rechtswirkungen eintreten.

Vgl. BVerfGE 53, 366. Gesetze entfalten unmittelbare grundrechtsbeeinträchtigende Rechtswirkungen, wenn sie selbst Gebote oder Verbote aussprechen. Dies ist z.B. der Fall, wenn ein Gesetz das Recht von Krankenhausärzten, Privatrechnungen auszustellen, einschränkt.Vgl. BVerfGE 52, 303. Unmittelbare grundrechtsbeeinträchtigende Rechtswirkungen entfalten auch rechtsgestaltende Gesetze. Dies ist z.B. der Fall, wenn ein Bebauungsplan die Bebaubarkeit eines Grundstücks entfallen lässt.Vgl. BVerfGE 70, 35. – Bedarf das Gesetz dagegen von Rechts wegen zunächst eines Vollzugsaktes (vgl. z.B. die polizei- und ordnungsbehördlichen Generalklauseln wie etwa § 8 Abs. 1 PolG NW und § 14 Abs. 1 OBG NW; Haushaltsgesetz und der darin festgelegte HaushaltsplanVgl. BVerfG (K) Beschluss vom 6.6.2012 – 1 BvR 503/09 – juris.), muss dieser Vollzugsakt grundsätzlich erst abgewartet und sodann der fachgerichtliche Rechtsweg dagegen beschritten werden. Selbst wenn das Gesetz erst noch eines Vollzugsaktes bedarf, kann der Beschwerdeführer gleichwohl ausnahmsweise unmittelbar durch das Gesetz betroffen sein. Dies ist z.B. der Fall, wenn dem Betroffenen ein Abwarten des Vollzugsaktes und ein anschließendes Beschreiten des fachgerichtlichen Rechtsweges nicht zumutbar ist.

Beispiel

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Im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht ist es dem Betroffenen regelmäßig nicht zumutbar, zuerst gegen die Norm zu verstoßen, dann eine Verurteilung abzuwarten und dagegen den Rechtsweg zu beschreiten.

Vgl. BVerfGE 81, 70.

Beispiel

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Dies gilt auch für den finalen Rettungsabschuss gemäß § 14 Abs. 3 LuftSichG.

Vgl. BVerfGE 115, 118. Dieser ermächtigt zum Abschuss von Terrorflugzeugen. Dadurch ist kein Passagier unmittelbar betroffen. Es versteht sich aber von selbst, dass es keinem Passagier eines Terrorflugzeugs zugemutet werden kann, zunächst den in Vollziehung des § 14 Abs. 3 LuftSichG erfolgenden Abschuss des Flugzeugs abzuwarten, um dagegen nach Erschöpfung des fachgerichtlichen Rechtsweges das Bundesverfassungsgericht anzurufen.

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