Grundrechte

Objektiv- und verfahrensrechtliche Funktion des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG

V. Objektiv- und verfahrensrechtliche Funktion des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG

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Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG hat – neben der subjektiv-rechtlichen Funktion als Abwehrrecht – auch eine objektiv-rechtliche und eine verfahrensrechtliche Funktion.

1. Objektiv-rechtliche Funktion des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG

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Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verpflichtet die öffentliche Gewalt, sich schützend und fördernd vor die Rechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit zu stellen. Insbesondere müssen diese Rechte vor rechtswidrigen Eingriffen von dritter Seite bewahrt werden. Die staatliche Schutzpflicht erstreckt sich aber nicht auf jede denkbare oder entfernt mögliche Grundrechtsgefährdung, solange hierzu keine gefestigten wissenschaftlichen Erkenntnisse vorliegen.

Vgl. BVerfGK 17, 57 – CERN, Schwarze Löcher.

Beispiel

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Der Industriekonzern Y beantragt bei der zuständigen Behörde die Erteilung einer Betriebsgenehmigung für ein modernes Werk in Norddeutschland. Unweit des Werkes liegt eine Wohnsiedlung. – Die zuständige Behörde ist hier verpflichtet, das Leben und die körperliche Unversehrtheit u.a. der Bewohner der nahe gelegenen Wohnsiedlung gegen Beeinträchtigungen durch Y zu schützen. In der Praxis wird die Betriebsgenehmigung ggf. nur unter Auflagen erteilt werden können. So kann Y z.B. verpflichtet werden, bestimmte Maßnahme zum Immissionsschutz zu erfüllen.

Vgl. in diesem Zusammenhang auch BVerfGK 16, 370 – Schacht Konrad.

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Bei der Erfüllung ihrer Schutzpflichten hat die öffentliche Gewalt einen erheblichen Spielraum.

Vgl. BVerfGE 77, 381. Nur ausnahmsweise kann der Staat verpflichtet sein, zur Erfüllung seiner Schutzpflichten Strafnormen zu erlassen. Jedenfalls stellt diese Maßnahme eine ultima ratio dar.Vgl. BVerfGE 39, 1 – Abtreibungsurteil.

2. Verfahrensrechtliche Funktion des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG

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Grundrechtsschutz kann auch durch die Gestaltung von Verfahren bewirkt werden. Die Grundrechte beeinflussen daher auch das Verfahrensrecht, soweit dies für einen effektiven Grundrechtsschutz relevant ist.

Vgl. BVerfG (K) NVwZ 2009, 1489.

Beispiel

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Das Haus der U ist zwangsversteigert worden. Gegen den Zuschlagsbeschluss des zuständigen Vollstreckungsgerichts wehrt sich U mit der Begründung, im Falle der Aufrechterhaltung des Zuschlagsbeschlusses bestehe bei ihr eine akute Suizidgefahr. Diese belegt sie mit fachärztlichen Attesten. – Das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG verpflichtet hier die Vollstreckungsgerichte, bei der Auslegung und der Anwendung der vollstreckungsrechtlichen Verfahrensvorschriften der Wertentscheidung des Grundgesetzes Rechnung zu tragen und die dem Schuldner in der Zwangsvollstreckung gewährleisteten Grundrechte zu berücksichtigen. In besonders gelagerten Einzelfällen kann dies dazu führen, dass die Vollstreckung aus einem vollstreckbaren Titel für einen gewissen, u.U. auch längeren Zeitraum einzustellen ist. Das gilt jedenfalls dann, wenn ein schwerwiegender Eingriff in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG konkret zu besorgen ist und eine am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierte Abwägung zwischen den widerstreitenden, grundrechtlich geschützten Interessen der an der Vollstreckung Beteiligten zu einem Vorrang der Belange des Vollstreckungsschuldners führt. Die Vollstreckungsgerichte haben in ihrer Verfahrensgestaltung die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, damit Verfassungsverletzungen durch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen möglichst ausgeschlossen werden und dadurch der sich aus dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit ergebenden Schutzpflicht staatlicher Organe Genüge getan wird.

Vgl. zum Ganzen BVerfG (K) NJW 2007, 2910; s. in diesem Zusammenhang auch BVerfG (K) NJW-RR 2012, 393. Bei seiner Beschwerdeentscheidung muss das Vollstreckungsgericht daher das Vorbringen der U zu ihrer akuten Suizidgefahr entsprechend berücksichtigen.

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