Familien- und Erbrecht

Familienrecht - Elterliche Sorge

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I. Elterliche Sorge

 

I. Eheliche Kinder

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Die Eltern haben nach § 1626 Abs. 1 S. 1 die Pflicht und das Recht, für das minderjährige Kind zu sorgen (elterliche Sorge). Die elterliche Sorge umfasst die Sorge für die Person des Kindes (Personensorge) und das Vermögen des Kindes (Vermögenssorge), 1626 Abs. 1 S. 2. Die Eltern haben gemäß § 1627 S. 1 die elterliche Sorge in eigener Verantwortung und in gegenseitigem Einvernehmen zum Wohl des Kindes auszuüben. Bei Meinungsverschiedenheiten müssen sie versuchen, sich zu einigen, § 1627 S. 2. Können sie sich nicht einigen, kann das Familiengericht nach § 1628 S. 1 einem Elternteil, die Entscheidung übertragen.

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Die elterliche Sorge eines Elternteils ruht gemäß § 1673 Abs. 1, wenn er geschäftsunfähig ist. Das Gleiche gilt, wenn er in der Geschäftsfähigkeit beschränkt ist, § 1673 Abs. 2 S. 1. Die elterliche Sorge eines Elternteils ruht gemäß § 1674 Abs. 1 auch dann, wenn das Familiengericht feststellt, dass er auf längere Zeit die elterliche Sorge tatsächlich nicht ausüben kann. Die elterliche Sorge eines Elternteils endet nach § 1677, wenn er für tot erklärt oder seine Todeszeit nach den Vorschriften des Verschollenheitsgesetzes festgestellt wird. In diesem Fall steht dem anderen Elternteil die elterliche Sorge nach §§ 1680, 1681 allein zu. Das Familiengericht kann den Eltern nach §§ 1666, 1666a das Sorgerecht entziehen. Das Recht der elterlichen Sorge ist ein absolutes Recht im Sinne von § 823 Abs. 1,

BGH Urt. v. 24.4.1990 (Az. VI ZR 110/89) = BGHZ 111, 168. das nicht vererblich ist.Palandt-Götz § 1626 Rn. 3. Die gemeinsame elterliche Sorge besteht grundsätzlich auch bei einer Trennung oder eine Scheidung der Ehegatten fort, soweit das Sorgerecht nicht nach § 1671 Abs. 1 einem Elternteil übertragen wird. Bei einem gemeinsamen Sorgerecht der Eltern hat nach § 1687 Abs. 1 S. 2 der Elternteil, bei dem das Kind lebt, das Recht, Angelegenheiten des täglichen Lebens eigenständig zu entscheiden. Nur bei Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung ist nach § 1687 Abs. 1 S. 1 das Einvernehmen beider Elternteile erforderlich.

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Eine Schutzimpfung eines Kindes ist auch dann eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung für das Kind, wenn es sich um eine sogenannte Standard- oder Routineimpfung handelt. Bei Uneinigkeit der Eltern über die Durchführung einer solchen Impfung kann die Entscheidungsbefugnis dem Elternteil, der die Impfung des Kindes entsprechend den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission beim Robert-Koch-Institut befürwortet, jedenfalls dann übertragen werden, wenn bei dem Kind keine besonderen Impfrisiken vorliegen.

BGH Beschl. v. 3.5.2017 (Az. XII ZB 157/16) = NJW 2017, 2826. 

1. Personensorge

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Die Personensorge umfasst nach § 1631 Abs. 1 die Pflicht und das Recht der Eltern, das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen. Dabei haben sie nach § 1631 Abs. 2 S. 1 das Recht der Kinder auf eine gewaltfreie Erziehung zu beachten. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind gemäß § 1631 Abs. 2 S. 1 unzulässig. In Angelegenheiten der Ausbildung und des Berufes sollen die Eltern gemäß § 1631a S. 1 auf die Eignung und die Neigung des Kindes Rücksicht nehmen. Den Eltern obliegt nach § 1 RelKErzG auch die religiöse Erziehung der Kinder. Nach der Vollendung des 14. Lebensjahres kann das Kind sein religiöses Bekenntnis selbst bestimmen, § 5 RelKErzG.

279

Die Personensorge umfasst nach § 1632 Abs. 1 daher auch das Recht, die Herausgabe des Kindes von jedem zu verlangen, der es den Eltern oder einem Elternteil widerrechtlich vorenthält.

280

Durch die § 1631 Abs. 1 geregelte Aufsichtspflicht der Eltern soll das Kind vor Gefahren und Schäden geschützt und bewahrt werden, denen es durch sein eigenes oder das Handeln Dritter ausgesetzt ist. Die Aufsichtspflicht hat nicht den Zweck Dritte vor einer Gefährdung oder Schädigung durch das Kind zu bewahren. Diesem Zweck dient allein § 832, der den Eltern eine deliktische, aber keine familienrechtliche Aufsichtspflicht auferlegt. Verletzen die Eltern ihre Aufsichtspflicht gegenüber dem Kind, machen sie sich in den Grenzen des § 1664, d.h. bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit schadensersatzpflichtig. Die Vorschrift des § 1664 hat nach h.M. eine Doppelfunktion. Sie beinhaltet eine Haftungserleichterung für die Eltern wegen einer Schädigung des Kindes bei Ausübung der elterlichen Sorge und stellt darüber hinaus eine eigene Anspruchsgrundlage des Kindes auf Schadensersatz gegenüber seinen Eltern dar.

BGH Urt. v. 10.2.1988 (Az. IVb ZR 111/86) = BGHR BGB § 1664. Anspruchsgrundlage 1. Das Haftungsprivileg des § 1664 Abs. 1 ist auf Personen, denen die Aufsicht über das Kind von den Eltern übertragen worden ist, nicht analog anwendbar. Die Eltern haften nach § 278 für die Personen, denen sie die Ausübung der elterlichen Sorge überlassen haben. Soweit die Eltern dagegen Handlungen von Dritten notwendigerweise zu veranlassen haben (z.B. Einschaltung eines Arztes oder Rechtsanwalts) haften sie nach § 1664 Abs. 1 nur für die ordnungsgemäße Auswahl und Überwachung dieser Personen.Palandt-Götz § 1664 Rn. 2, 4.

2. Vermögenssorge

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Die Vermögenssorge schließt alle Maßnahmen ein, die dazu dienen, das Vermögen des Kindes zu erhalten, zu verwerten und zu vermehren.

Palandt-Götz § 1626 Rn. 20. Die Eltern sind berechtigt, das Vermögen des Kindes in Besitz zu nehmen. Als unmittelbare Besitzer vermitteln sie aufgrund des Sorgerechtsverhältnisses dem Kind mittelbaren Besitz.BGH Urt. v. 8.6.1989 (Az. IX ZR 234/87) = FamRZ 1989, 945. Die Vermögenssorge erstreckt sich auf das gesamte Vermögen. Ihr unterliegt nach § 1638 Abs. 1 indes nicht das Vermögen, das ein Dritter von Todes wegen oder unentgeltlich durch Rechtsgeschäft unter Lebenden dem Kind mit der Bestimmung zugewendet hat, dass die Eltern es nicht verwalten sollen. In diesen Fällen wird ein Pfleger i.S.v. § 1909 Abs. 1 bestellt, der das Vermögen verwaltet (§ 1630 Abs. 1).

Der durch Verfügung von Todes wegen angeordnete Ausschluss der elterlichen Vermögensverwaltung für das vom Kind ererbte Vermögen umfasst auch die Befugnis zur Ausschlagung der Erbschaft. Die in einem solchen Fall von einem ausgeschlossenen Elternteil im Namen des Kindes erklärte Ausschlagung ist mangels Vertretungsmacht unwirksam.

BGH Beschl. v. 29.6.2016 (Az. XII ZB 300/15) = NJW 2016, 3032. 

3. Vertretung des Kindes

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Die elterliche Sorge umfasst nach § 1629 Abs. 1 S. 1 die Vertretung des Kindes.

Siehe zur Stellvertretung durch die Eltern und die Zustimmungsbedürftigkeit von Rechtsgeschäften ausführlich im Skript „BGB AT II“ unter Rn. 342 ff. Die Eltern vertreten das Kind grundsätzlich gemeinschaftlich, § 1629 Abs. 1 S. 2 Hs. 1. Ist eine Willenserklärung gegenüber dem Kind abzugeben, genügt die Abgabe gegenüber einem Elternteil, § 1629 Abs. 1 S. 2 Hs. 2. Die gemeinschaftliche Vertretung der Eltern besteht nach § 1629 Abs. 1 S. 3 nicht, soweit ein Elternteil die elterliche Sorge allein ausübt oder ihm die Entscheidung nach § 1628 übertragen ist. In diesem Fall vertritt der Elternteil das Kind allein. Bei Gefahr im Verzug ist jeder Elternteil berechtigt, alle Rechtshandlungen vorzunehmen, die zum Wohl des Kindes notwendig sind; der andere Elternteil ist unverzüglich zu unterrichten, §§ 1629 Abs. 1 S. 4. Hängt die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts davon ab, dass die Eltern des minderjährigen Kindes das Rechtsgeschäft genehmigen, tritt die Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts bereits dann ein, wenn ein Elternteil die Genehmigung verweigert, wenn ein Gesamtvertretungsrecht der Eltern besteht.

283

Das Vertretungsrecht der Eltern erstreckt sich nach § 1641 S. 1 nicht auf die Vornahme von Schenkungen. Ausgenommen sind Schenkungen, durch die einer sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprochen wird (§ 1641 S. 2). Soweit Vermögen nach § 1638 der Vermögenssorge der Eltern entzogen ist, steht den Eltern kein Vertretungsrecht i.S.v. § 1629 zu.

BGH Beschl. v. 30.11.1988 (Az. IVa ZB 12/88) = FamRZ 1989, 269.

284

Die elterliche Sorge erstreckt sich nach § 1630 Abs. 1 auch nicht auf Angelegenheiten des Kindes, für die ein Pfleger bestellt ist. Die Eltern bedürfen gemäß § 1643 Abs. 1 der Zustimmung des Familiengerichts zu Rechtsgeschäften, in denen nach § 1821 und nach § 1822 Nr. 1, 3, 5, 8 bis 11 ein Vormund der Genehmigung bedarf. Die Eltern können das Kind nach § 1629 Abs. 2 S. 1 nicht vertreten, soweit nach § 1795 ein Vormund von der Vertretung des Kindes ausgeschlossen ist.

Hinweis

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Der Vormund kann den Mündel nach § 1795 Abs. 1 nicht vertreten

1.

bei einem Rechtsgeschäft zwischen seinem Ehegatten, seinem Lebenspartner oder einem seiner Verwandten in gerader Linie einerseits und dem Mündel andererseits, es sei denn, dass das Rechtsgeschäft ausschließlich in der Erfüllung einer Verbindlichkeit besteht,

2.

bei einem Rechtsgeschäft, das die Übertragung oder Belastung einer durch Pfandrecht, Hypothek, Schiffshypothek oder Bürgschaft gesicherten Forderung des Mündels gegen den Vormund oder die Aufhebung oder Minderung dieser Sicherheit zum Gegenstand hat oder die Verpflichtung des Mündels zu einer solchen Übertragung, Belastung, Aufhebung oder Minderung begründet,

3.

bei einem Rechtsstreit zwischen den in Nummer 1 bezeichneten Personen sowie bei einem Rechtsstreit über eine Angelegenheit der in Nummer 2 bezeichneten Art.

285

Das Vertretungsrecht der Eltern erstreckt sich auch nicht auf die Ausschlagung einer Erbschaft oder eines Vermächtnisses sowie für den Verzicht auf einen Pflichtteil, § 1643 Abs. 2 S. 1. Gegenstände, die nur mit Zustimmung des Familiengerichts veräußert werden dürfen, dürfen dem Kind zur Erfüllung eines von dem Kind geschlossenen Vertrags nicht zur freien Verfügung überlassen werden, § 1644. Verträge ohne vorherige Genehmigung (Zustimmung) des Familiengerichts sind schwebend unwirksam. Sie werden mit der Mitteilung der familiengerichtlichen Genehmigung nach §§ 1643 Abs. 3, 1825, 1829 bis 1831 wirksam. Nach § 1643 Abs. 3 i.V.m. § 1831 sind einseitige Rechtsgeschäfte, die ohne vorherige Genehmigung des Familiengerichts vorgenommen worden sind, nichtig. Das Familiengericht kann gemäß §§ 1629 Abs. 2 S. 3, § 1796 den Eltern die Vertretung für einzelne Angelegenheiten oder für einen bestimmten Kreis von Angelegenheiten entziehen.

II. Elterliche Sorge von unverheirateten Eltern

286

Durch die im Jahr 1998 eingeführte Kindschaftsrechtsreform sollte die Stellung des unverheirateten Vaters gestärkt werden und ihm die Möglichkeit zur Ausübung der gemeinsamen Sorge über das Kind gegeben werden. Nachdem der EGMR mit Urteil vom 3.12.2009

EGMR 5. Sektion Urt. v. 3.12.2009 (Az. 22028/04). in der deutschen Gesetzeslage (§ 1626a BGB a.F.) einen Verstoß gegen das Völkerrecht festgestellt hatte, hat das BVerfG in seinem Beschluss vom 21.7.2010BVerfG Beschl. v. 21.7.2010 (Az. 1 BvR 420/09) = BVerfGE 127, 132. anders als noch im Jahr 2003BVerfG Urt. v. 29.1.2003 (Az. BvL 20/99, 1 BvR 933/01) = FamRZ 2003, 285. das bis dahin geltende Regelungskonzept zum Sorgerecht für die Kinder nicht miteinander verheirateter Eltern als verfassungswidrig erachtet. Auch gegen den Willen der Mutter muss dem Vater daher die Möglichkeit des Zugangs zur gemeinsamen elterlichen Sorge eröffnet werden. Auch muss er ohne Zustimmung der Mutter überprüfen lassen können, ob ihm (teilweise) die alleinige elterliche Sorge zu übertragen ist. Die vom BVerfGBVerfG Beschl. v. 21.7.2010 (Az. 1 BvR 420/09) = BVerfGE 127, 132. erdachte Übergangsregelung, welche die Möglichkeit der (teilweisen) Übertragung einer gemeinsamen elterlichen Sorge bzw. Alleinsorge des Vaters auch gegen den Willen der Mutter eröffnet hat, ist nach dem Inkrafttreten der gesetzlichen NeuregelungGesetz zur Reform des Sorgerechts betreffend die Kinder nicht miteinander verheirateter Eltern (BGBl. 2013 I, 795). nunmehr obsolet.

Das neue Recht findet seit dem 19.5.2013 unmittelbar Anwendung. Es gilt für die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens bereits geborenen Kinder. Hat ein Elternteil vor diesem Datum einen Antrag auf Ersetzung der Sorgeerklärung des anderen Elternteils gestellt, gilt dieser Antrag nach der Überleitungsregelung in Art. 229 § 30 EGBGB als ein Antrag auf Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge nach § 1626a Abs. 2. Auch die Anträge auf Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge nach § 1672 in der Fassung der Übergangsregelung des BVerfG und sonstige Verfahren des Familiengerichts aus dem Bereich des Sorgerechts nicht miteinander verheirateter Eltern sind nach dem neuen Recht zu entscheiden, wenn diese am 19.5.2013 noch nicht abgeschlossen waren.

Heilmann Die Reform des Sorgerechts nicht miteinander verheirateter Eltern – Das Ende eines Irrwegs?, NJW 2013, 1473.

287

Geben die (rechtlichen) Eltern keine Erklärung ab, dass sie die Sorge gemeinsam übernehmen wollen (Sorgeerklärung) oder heiraten sie einander nicht, so hat die Mutter nach § 1626a Abs. 3 die alleinige elterliche Sorge, wenn dem nicht eine andere gesetzliche Regel (etwa § 1673 Abs. 2 bei Minderjährigkeit der Mutter) entgegensteht oder sich aus einer familiengerichtlichen Entscheidung etwas anderes ergibt. Neben der Heirat kommt die gemeinsame elterliche Sorge durch Abgabe von beiderseitigen Sorgeerklärungen oder durch eine Übertragung auf Grund familiengerichtlicher Entscheidung zu Stande. Die gesetzliche Regelung zum Zustandekommen der gemeinsamen elterlichen Sorge bei Abgabe der Erklärungen, dass sie die Sorge gemeinsam übernehmen wollen, bleibt unverändert (§ 1626a Abs. 1 Nr. 1). Nach wie vor bleibt es den Eltern verwehrt, durch übereinstimmende Sorgeerklärungen ein gemeinsames Sorgerecht nur für Teilbereiche der elterlichen Sorge zu begründen; einer entsprechenden Anregung des Bundesrats stimmte die Bundesregierung nicht zu.

BT-Drs. 17/11048, S. 40, 45. Krit. hierzu Coester FamRZ 2012, S. 1337.

Es reicht nach § 155a Abs. 5 S. 1 FamFG aus, dass die Sorgeerklärung bzw. eine etwa nach § 1626c S. 2 erforderliche Zustimmung des gesetzlichen Vertreters in einem gerichtlichen Erörterungstermin (vgl. § 155 Abs. 2 FamFG) abgegeben wird. Die Abgabe der Erklärung zur Niederschrift des Gerichts ersetzt die nach § 1626d Abs. 1 erforderliche öffentliche Beurkundung. Eine Kindeswohlprüfung des Familiengerichts findet unterhalb der Gefährdungsschwelle (§ 1666) nicht statt. Ist der Kindesmutter die elterliche Sorge jedoch ganz oder teilweise entzogen, ist sie an der Abgabe einer wirksamen Sorgeerklärung gehindert und der Vater kann die elterliche Sorge weder durch Sorgeerklärungen noch durch Heirat, sondern nur durch eine familiengerichtliche Entscheidung erlangen.

BGH Beschl. v. 25.5.2005 (Az. XII ZB 28/05) = FamRZ 2005, 1469.

288

§ 1626a Abs. 2 enthält die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine vollständige oder teilweise Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge durch das Familiengericht. Die hierzu korrespondierende verfahrensrechtliche Regelung findet sich in § 155a FamFG. Damit hat das Familiengericht unter Berücksichtigung der gesetzlichen Maßgabe zu entscheiden, welchen Verfahrensweg es einschlägt: den des (bewährten) regulären Verfahrens in Kindschaftssachen oder den des (neuen) vereinfachten Verfahrens.

Die gemeinsame elterliche Sorge ist vom Familiengericht (teilweise) zu übertragen, wenn die Übertragung dem Kindeswohl nicht widerspricht (§ 1626a Abs. 2 S. 1). Der Gesetzgeber hat sich damit für einen Maßstab entschieden, der dem Rechtsanwender geläufig ist. Er findet sich im geltenden Recht bereits in § 1680 Abs. 2 S. 1 als Voraussetzung für die Übertragung der elterlichen Sorge auf den anderen Elternteil bei Tod eines Elternteils sowie als Maßstab für die familiengerichtliche Billigung einer einvernehmlichen Regelung der Beteiligten zur Herausgabe des Kindes oder zum Umgang (§ 156 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 FamFG und künftig auch in §§ 1671 Abs. 3 S. 2, 1678 Abs. 2 BGB. Erforderlich ist damit eine negative Kindeswohlprüfung und nicht (mehr) die vom BVerfG in seiner Übergangsregelung geforderte Feststellung, dass die gemeinsame elterlicher Sorge dem Kindeswohl entspricht.

BT-Drs. 17/11048, S. 1; Heilmann Die Reform des Sorgerechts nicht miteinander verheirateter Eltern – Das Ende eines Irrwegs?, NJW 2013, 1473.

Liegen keine Gründe vor, die gegen die gemeinsame elterliche Sorge sprechen, soll sie grundsätzlich von beiden Elternteilen gemeinsam ausgeübt werden.

BT-Drs. 17/11048, S. 22. Allein die Ablehnung einer gemeinsamen elterlichen Sorge durch die Kindesmutter soll nach Ansicht des Gesetzgebers nicht die Annahme begründen, dass diese dem Kindeswohl widerspricht.BT-Drs. 17/11048, S. 23. Vielmehr sind beide Elternteile aufgerufen, Paar- und Elternebene zu trennen und zum Wohle des Kindes sachlich miteinander umzugehen. Auch sind sie gehalten, sich – insbesondere durch das Jugendamt – beraten zu lassen. Kommt es gleichwohl nicht zu einer Einigung, kann dies jedoch auf einen Konflikt zwischen den Eltern hinweisen, der sich folgenschwer auf das Kind auswirken kann.Heilmann Die Reform des Sorgerechts nicht miteinander verheirateter Eltern – Das Ende eines Irrwegs?, NJW 2013, 1473.

289

Trägt ein Elternteil im Rahmen des familiengerichtlichen Verfahrens keine Gründe vor, die der Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge entgegenstehen können, und sind solche Gründe auch sonst nicht ersichtlich, wird gem. § 1626a Abs. 2 S. 2 gesetzlich vermutet, dass die gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl nicht widerspricht. Dies ist dann der Fall, wenn der andere Elternteil zum Antrag auf Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge nach § 1626a Abs. 1 Nr. 3 keine Stellungnahme abgibt. Der Gesetzgeber geht insoweit davon aus, dass ein Elternteil, der tatsächlich gewichtige kindeswohlgetragene Gründe gegen die gemeinsame elterliche Sorge hat, diese auch vorbringt, während bei Schweigen – bei typisierender Betrachtung – regelmäßig angenommen werden könne, dass derartige Gründe nicht bestehen.

BT-Drs. 17/11048, S. 24. Die gesetzliche Vermutung greift auch dann ein, wenn die Stellungnahme keine Gründe erkennbar werden lässt, die der Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge entgegenstehen, weil die vorgetragenen Tatsachen und Argumente entweder ohne jegliche Relevanz für das Kindeswohl sind oder nicht sichtbar wird, dass die beantragte Übertragung dem Kindeswohl widerspricht.BT-Drs. 17/11048, S. 24.

Die gesetzliche Vermutung greift nicht ein, wenn Gründe, die der gemeinsamen elterlichen Sorge entgegenstehen können, auf andere Weise als durch die Stellungnahme des anderen Elternteils erkennbar werden oder bereits bekannt sind. Das gilt insbesondere dann, wenn die Beteiligten dem Familiengericht aus einem oder mehreren vorangegangenen gerichtlichen Verfahren bereits bekannt sind und sich hieraus ergibt, dass eine Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge dem Wohl des Kindes widerspricht.

290

Notwendig ist die umfassende Abwägung aller für und gegen die gemeinsame Sorge sprechenden Umstände. Dafür gelten die zur Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge nach § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 entwickelten Grundsätze. Erst wenn sich nach erschöpfender Sachaufklärung nicht feststellen lässt, dass die gemeinsame Sorge dem Kindeswohl widerspricht, ergibt sich aus der negativen Formulierung der Kindeswohlprüfung die (objektive) Feststellungslast dahin, dass im Zweifelsfall die Übertragung der elterlichen Sorge auf die Eltern gemeinsam auszusprechen ist.

Gründe, die der gemeinsamen elterlichen Sorge im Sinne von § 1626a Abs. 2 Satz 2 entgegenstehen können, sind bereits dann gegeben, wenn sich aus den dem Gericht dargelegten oder sonst ersichtlichen konkreten tatsächlichen Anhaltspunkten die Möglichkeit ergibt, dass die gemeinsame elterliche Sorge nicht mit dem Kindeswohl vereinbar ist. Unbeachtlich sind dagegen Umstände, die keinen Bezug zum konkreten Fall oder dem Wohl des Kindes aufweisen.

BGH Beschl. v. 15.6.2016 (Az. XII ZB 419/15) = BGHZ 211, 22.

291

Das familiengerichtliche Verfahren zur Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge ist in § 155a FamFG geregelt. Das Verfahren ist Kindschaftssache i.S. von § 151 Nr. 1 FamFG und damit Familiensache i.S. von § 111 FamFG. Für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit gelten die gesetzlichen Regelungen der §§ 152–154 FamFG. Das Vorrang- und Beschleunigungsgebot des § 155 Abs. 1 FamFG ist anzuwenden.

III. Änderungen der elterlichen Sorge und Umgangsrecht

292

Ruht die mütterliche Alleinsorge (teilweise) wegen Vorliegens eines rechtlichen Hindernisses (beschränkter Geschäftsfähigkeit oder Geschäftsunfähigkeit) oder weil das Familiengericht feststellt, dass die Mutter die elterliche Sorge auf längere Zeit tatsächlich nicht ausüben kann (§§ 1673, 1674), so bedarf es für die Übertragung des Sorgerechts auf den Vater nicht mehr, dass dies dem Kindeswohl dienlich ist. Vielmehr reicht es nunmehr nach § 1678 Abs. 2 aus, dass die Übertragung der Alleinsorge auf ihn nicht dem Kindeswohl widerspricht. Bei dem Zugang zur Alleinsorge sollen für den Vater künftig keine unnötig hohen Hürden mehr aufgestellt werden, denn es besteht kein Anlass, ihm die elterliche Sorge nicht zu übertragen, wenn er bereit ist, Verantwortung zu übernehmen und einer solchen Verantwortungsübernahme kindeswohlorientierte Gesichtspunkte nicht widersprechen.

BT-Drs. 17/11048, S. 29; Heilmann Die Reform des Sorgerechts nicht miteinander verheirateter Eltern – Das Ende eines Irrwegs?, NJW 2013, 1473.

293

Auch bei Versterben der bislang nach § 1626a Abs. 3 allein sorgeberechtigten Mutter oder einer Entziehung ihres Sorgerechts durch das Familiengericht im Rahmen der §§ 1666, 1666a erhält der Vater nunmehr erleichterten Zugang zur Alleinsorge. Die bislang gesetzlich vorgesehene positive Kindeswohlprüfung, die danach verlangt hat, dass die Übertragung der elterlichen Sorge auf den Vater dem Wohl des Kindes dient, wird durch eine negative Kindeswohlprüfung ersetzt, so dass es ausreichend ist, dass die Übertragung dem Kindeswohl nicht widerspricht § 1680 Abs. 2, Abs. 3. Dies setzt regelmäßig jedenfalls voraus, dass der Vater die elterliche Verantwortung übernehmen will.

BT-Drs. 17/11048, S. 30; Heilmann Die Reform des Sorgerechts nicht miteinander verheirateter Eltern – Das Ende eines Irrwegs?, NJW 2013, 1473.

Die Vorschrift des § 1696 Abs. 1 S. 2 regelt, dass eine Entscheidung des Familiengerichts nach § 1626a Abs. 2, mit der beiden Elternteilen die gemeinsame elterlichen Sorge übertragen worden ist, nicht dem hohen Abänderungsmaßstab des § 1696 unterliegt. Vielmehr sollen solche Entscheidungen bereits unter den Voraussetzungen des § 1671 Abs. 1 geändert werden können, insbesondere also dann, wenn dies dem Wohl des Kindes am besten entspricht. Wird der Antrag i.S.v. § 1626a Abs. 2 auf Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge zurückgewiesen, so kann der Vater die Alleinsorge nach den Maßstäben des § 1671 Abs. 2 Nr. 2 erhalten. Die strengen Maßstäbe des § 1696 sind nicht anwendbar, da die elterliche Sorge insoweit nicht auf gerichtlicher Entscheidung, sondern auf Gesetz beruht.

Hingegen findet § 1696 grundsätzlich Anwendung, soweit eine nach § 1671 Abs. 2 ergangene familiengerichtliche Entscheidung, mit welcher die alleinige elterliche Sorge auf den Vater übertragen worden ist, abgeändert werden soll.

294

Das BVerfG

BVerfG Beschl. v. 7.12.2017 (Az. 1 BvR 1914/17) = FamRZ 2018, 266. hat einer Verfassungsbeschwerde einer Mutter eines personenstandrechtlich als Junge registriertem Kind stattgegeben, bei dem die gemeinsame elterliche Sorge von dem Familiengericht aufgehoben und auf den Vater übertragen worden ist, der - anders als die Mutter - weniger Verständnis für den Kindeswillen, dem anderen Geschlecht anzugehören (Geschlechtsindentitätsstörung), zeigte.

IV. Übungsfälle

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