Europarecht

Die Reform der Europäischen Gemeinschaft durch den Vertrag von Lissabon

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VII. Die Reform der Europäischen Gemeinschaft durch den Vertrag von Lissabon

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Der Europäische Rat beschloss am 21./22.6.2007 nach dem Scheitern der Europäischen Verfassung die Gründungsverträge der Europäischen Gemeinschaften nur zu verändern und sie nicht durch eine Verfassung zu ergänzen.

Bereits am 13.12.2007 unterzeichneten die Staatschefs aller Mitgliedstaaten den Vertrag von Lissabon. Durch ihn wird der EUV

Vertrag über die Europäische Union, geändert durch den Vertrag von Lissabon am 13.12.2007, ABl. Nr. C 306/1 vom 17.12.2007. a.F. geändert und der EGV durch den neuen Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, zuletzt geändert am 13.12.2007, ABl. Nr. C 306/1 vom 17.12.2007. ersetzt. Beide Verträge sollten am 1.1.2009 in Kraft treten. Dem musste gem. Art. 48 Abs. 3 EUV a.F.Heute Art. 48 EUV. wie schon beim Verfassungsvertrag eine Ratifizierung in allen Mitgliedstaaten gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften vorausgehen. Nur in Irland war hierfür die Durchführung eines Referendums notwendig. Selbst in Frankreich und den Niederlanden war ein Referendum durch eine notwendige parlamentarische Zustimmung ersetzt worden.

 

1. Die Zustimmung in den Mitgliedstaaten

a) Das irische Referendum

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Am 12.6.2008 wurde in dem irischen Referendum mit 53 % bei einer Wahlbeteiligung von 40 % der Entwurf des Vertrages von Lissabon abgelehnt. Vor einem zweiten irischen Referendum im Herbst 2009 versuchte Irland, den übrigen Mitgliedstaaten weitreichende Zugeständnisse abzuringen. So wurde u.a. der Entwurf des Lissabon-Vertrags dahingehend geändert, dass weiterhin ein Kommissar pro Mitgliedstaat in der Kommission vertreten sein wird. Weitere Zugeständnisse

Der Lissabon-Vertrag soll keine Auswirkungen auf das irische Abtreibungsverbot, das irische Steuerrecht und die militärische Neutralität Irlands haben. wurden auf dem Gipfel der Regierungschefs am 19.6.2009 beschlossen, um die Zustimmung im zweiten irischen Referendum zu erreichen. Alle Zugeständnisse wurden in den „Erläuterungen“ zum Vertragstext untergebracht, sodass der Vertrag selbst nicht geändert werden musste. Eine Änderung des Vertragstextes hätte der erneuten Ratifizierung in allen Mitgliedstaaten bedurft. Irland forderte dennoch die Umwandlung der „Erläuterungen“ in ein Protokoll zum Vertrag, wodurch die Zugeständnisse rechtlicher Bestandteil des Lissabon-Vertrags geworden wären. Auch hierfür wäre die Ratifizierung in allen Mitgliedstaaten erforderlich gewesen. Irland zeigte sich dann aber damit einverstanden, dass das Protokoll an den nächsten von allen Mitgliedstaaten zu ratifizierenden BeitrittsvertragDabei handelt es sich um den Beitrittsvertrag mit Kroatien. angehängt wird. Im zweiten irischen Referendum am 2.10.2009 hatten bei einer Wahlbeteiligung von 53,1 % der irischen Bevölkerung 67,1% mit Ja und 32,9 % mit Nein gestimmt.

b) Die deutsche Zustimmung

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Nach der Zustimmung zum Lissabon-Vertrag durch Bundestag und Bundesrat wurden u.a. von dem CSU-Bundestagsabgeordneten Dr. Peter Gauweiler und der Partei „Die Linke“ Verfassungsbeschwerden beim BVerfG aufgrund einer behaupteten Aushöhlung des Rechte des Bundestages durch eine Übertragung von weiteren Kompetenzen auf die nicht ausreichend demokratisch legitimierte EU eingereicht. Bundespräsident Horst Köhler lehnte im Juni 2008 die Unterzeichnung der Ratifizierungsurkunde bis zur BVerfG-Entscheidung ab.

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Das BVerfG hat am 30.6.2009

BVerfGE 123, 267; Arndt/Fischer/Fetzer Europarecht, S. 94 f. die Verfassungsbeschwerde gegen das deutsche Zustimmungsgesetz zum Lissabon-Vertrag abgewiesen. In Bezug auf das deutsche Begleitgesetz hat es allerdings festgestellt, dass das deutsche Gesetz über die Ausweitung und Stärkung der Rechte des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der EUBundestagsdrucksache 16/8489. insoweit gegen Art. 38 Abs. 1 i.V.m. Art. 23 Abs. 1 GG verstoße, als in ihm Beteiligungsrechte des deutschen Bundestages und des Bundesrates nicht im ausreichenden Umfang ausgestattet worden seien. Die Ratifikationsurkunde der Bundesrepublik Deutschland zum Lissabon-Vertrag dürfe solange nicht in Rom hinterlegt werden, wie die von Verfassungs wegen erforderliche Ausgestaltung der parlamentarischen Beteiligungsrechte nicht in Kraft getreten sei. Das BVerfG erklärte, dass künftig jedes Mal, wenn nationale Hoheitsrechte nicht aufgrund der begrenzten Einzelermächtigung, sondern aufgrund der dynamischen Kompetenzklausel gem. Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 3 AEUV ohne Ratifizierungsverfahren in den Mitgliedstaaten auf die EU übertragen werden sollten, der Bundestag zuvor gefragt werden müsse. Je nach Bedeutung des Falles könne der Bundestag dann ein entsprechendes Gesetz erlassen oder den deutschen Vertretern in Brüssel Weisungen erteilen. Durch dieses Urteil unterstrich das BVerfG den supranationalen Charakter der EU. Dem Grundsatz der begrenzten Einzelermäßigung wird zentrale Bedeutung beigemessen, da die EU tatsächlich nur tätig werden könne, wenn die Mitgliedstaaten ihr auf jeweils nationaler Ebene in einem demokratisch legitimierten Verfahren entsprechende Befugnisse übertragen habenZu den Gesetzesänderungen in der Bundesrepublik zum Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages siehe auch Arndt/Fischer/Fetzer Europarecht Rn. 36–42..

c) Die Unterzeichnung in Polen und Tschechien

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In Polen und Tschechien hatten die Parlamente dem Lissabon-Vertrag bereits frühzeitig zugestimmt. Die Staatspräsidenten verweigerten jedoch eine Unterzeichnung bis zu einem erfolgreichen irischem Referendum. Die Ratifizierung erfolgte in Polen am 9.10.2009 kurz nach dem irischen Referendum. Der tschechische Staatspräsident Vaclav Klaus verlangte zunächst, dass die Garantien für Irland vor Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages von allen Mitgliedstaaten ratifiziert werden müssten. Da die übrigen Mitglieder des Europäischen Rates nicht bereit waren, auf diese Forderung einzugehen, verlangte er – ebenfalls erfolglos – eine Klarstellung, dass durch den Lissabon-Vertrag keine Entschädigungsansprüche vertriebener Sudetendeutscher und Ungarn gegen die tschechische Republik begründet würden. Schließlich unterzeichnete er am 3.11.2009 den Lissabon-Vertrag, der nach Ratifizierung in allen Mitgliedstaaten zum 1.12.2009 in Kraft treten konnte.

2. Die Neuerungen im Vertragstext von Lissabon

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Hinweis

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Die in den folgenden Teilen gewählte Darstellung basiert auf den Änderungen des am 1.12.2009 in Kraft getretenen Lissabon-Vertrages. Es wird daher hier von einer Zusammenfassung der Änderungen abgesehen.

Eine Kurzfassung der Neuerungen finden Sie in Arndt/Fischer/Fetzer Europarecht Rn. 35.

3. Maßnahmen zur Koordinierung und Überwachung der Haushaltsdisziplin in den EURO-Staaten

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Aufgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit von Griechenland Ende 2009, Anfang 2010 war die Stabilität des Euros in Gefahr. Im Mai 2010 wurde gem. Art. 122 AEUV ein 750 Mrd. € umfassender Finanzstabilisierungsmechanismus von den Ratsmitgliedern beschlossen,

VO 407/2010 des Rates vom 11.5.2010 zur Einführung eines europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus, ABl 2010 L 118/1.die den EURO als Zahlungsmittel eingeführt haben. Sofern ein Mitgliedstaat der EURO-Zone nicht mehr in der Lage sein sollte, zu vertretbaren Konditionen am Finanzmarkt Kredite zu erhalten, soll dieser einen Kredit nach den Bedingungen des Finanzstabilisierungsmechanismus beantragen können. In Deutschland wurde der Europäische Finanzstabilisierungsmechanismus durch das Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus vom 22.5.2010 umgesetzt. Danach können bis zu 123 Mrd. € vom Bundesfinanzministerium für den Rettungsschirm zur Verfügung gestellt werden. Der Finanzstabilisierungsmechanismus wird auch EURO-Rettungsschirm genannt. Der Rettungsschirm setzt sich aus von der Kommission gewährten Krediten der EU, einer Kreditlinie des Internationalen Währungsfonds und Krediten der MitgliedstaatenAußer der Slowakei. zusammen. Die EURO-Staaten haben am 7.6.2010 die sog. European Financial Stability FacilityDie EFSF ist eine Zweckgesellschaft nach luxemburgischen Recht. (EFSF) in der Form einer Luxemburgischen AG gegründet. Gesellschafter wurden alle EURO-Staaten. Die EFSF sollte als Provisorium bis zum 30.6.2013 in Kraft bleiben. Jeglicher Hilfe musste ein einstimmiger Beschluss des Direktoriums, also aller Mitgliedstaaten der Euro-Staaten, vorausgehen. Die Kreditbedingungen, zu denen die EFSF die Kredite an die betroffenen Mitgliedstaaten weitergab, wurden von der Europäischen Kommission ausgearbeitet.

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Gegen das Stabilisierungsmechanismusgesetz, durch das die Beteiligung an der EFSF in Deutschland beschlossen worden war, wurden in Deutschland mehrere Klagen vor dem BVerfG erhoben. Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerden u.a. von dem CSU-Politiker Peter Gauweiler gegen die Umsetzung des Europäischen Rettungsschirms durch das Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus am 7.9.2011 zurückgewiesen.

BVerfG Urteil vom 7.9.2011. Das BVerfG begründete dies damit, dass es die Einschätzung des Gesetzgebers bezüglich der Tragfähigkeit des Bundeshaushalts und des wirtschaftlichen Leistungsvermögens der Bundesrepublik Deutschlands zu respektieren habe. Die Haushaltsautonomie des Deutschen Bundestages liefe nicht völlig leer. Künftige Rettungspakete bedürften jedoch der Zustimmung des Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestags.

Der EFSF folgte ab dem 1.7.2013 der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM).

Gründung am 27.9.2012 nach Ratifizierung des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zwischen dem Königreich Belgien, der Bundesrepublik Deutschland, der Republik Estland, Irland, der Hellenischen Republik, dem Königreich Spanien, der Französischen Republik, der Italienischen Republik, der Republik Zypern, dem Großherzogtum Luxemburg, Malta, dem Königreich der Niederlande, der Republik Österreich, der Portugiesischen Republik, der Republik Slowenien, der Slowakischen Republik und der Republik Finnland. Der ESM ist auf Dauer angelegt. Er ist primärrechtlich in einem neuen Absatz 3 des Art. 136 AEUV verankert.Beschluss des Europäischen Rates vom 22.3.2011 (2011/199/EU). Folgender (3) ergänzt Art. 136 AEUV: „Die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, können einen Stabilitätsmechanismus einrichten, der aktiviert wird, wenn dies unabdingbar ist, um die Stabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt zu wahren. Die Gewährung aller erforderlichen Finanzhilfen im Rahmen des Mechanismus wird strengen Auflagen unterliegen.“

Art. 122 (2) AEUV sieht die Möglichkeit von finanziellen Hilfen der Union für einzelne Mitgliedstaaten nur vor, wenn diese aufgrund von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Ereignissen, die sich ihrer Kontrolle entziehen, von Schwierigkeiten betroffen oder von gravierenden Schwierigkeiten ernstlich bedroht sind.

Gem. Art. 123 AEUV ist es der EZB und nationalen Zentralbanken der Mitgliedstaaten verboten, den Mitgliedstaaten Kreditfazilitäten zu gewähren oder gar direkt Schuldtitel von diesen zu erwerben. Eine weit verbreitete Ansicht legt diese Regelung dahingehend aus, dass der Erwerb von Schuldtiteln über den Ankauf am Markt zulässig sei.

Streinz Europarecht Rn. 1139.

Gem. Art. 125 (1) AEUV

Sog. „no bailout-Klausel“. haften weder die EU noch die Mitgliedstaaten für die Verbindlichkeiten eines Mitgliedstaates. Teilweise wird zur Rechtfertigung des EFSF sowie des ESM dazu argumentiert, dass Art. 125 (1) AEUV die freiwillige Übernahme von Verbindlichkeiten nicht ausschließen wolle. Außerdem werde die Unterstützung nicht unmittelbar, sondern über die EFSF bzw. später die ESM geleistet.Streinz Europarecht Rn. 1139 f. Der EuGH hat in der Entscheidung vom 27.11.2012, Rs. C-370/12 (Pringle) entschieden, dass Abschluss und Ratifikation des ESM nicht gegen das Unionsrecht verstoßen, insbesondere nicht gegen die Nichtbeistandsklausel gem. Art. 125 AEUV („No-Bailout-Klausel“).

 

4. Bankenaufsicht

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Aufgrund der Finanz- und Staatsschuldenkrise in den Jahren 2007 und 2008 wurde vom Europäischen Rat ein einheitlicher Aufsichtsmechanismus für Banken (Single Supervisory Mechanism – SSM) geschaffen. Als Rechtsgrundlage dafür wurde Art. 127 (6) AEUV herangezogen. Danach ist durch einstimmigen Beschluss des Rates nach Anhörung des Europäischen Parlaments die Übertragung „besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute und sonstige Finanzinstitute mit Ausnahme von Versicherungsunternehmen“ an die EZB zulässig. Die Übertragung dieser Aufsichtskompetenz erfolgt auf die EZB durch die VO 1024/2013

ABl. 2013 L 287/63.. Der EZB-Aufsicht sind alle Banken in den Mitgliedstaaten unterstellt, die eine Bilanzsumme von über 30 Mrd. Euro haben und alle „systemrelevanten“ Banken.

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