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Eine Anfechtungserklärung ist jede Willenserklärung, die – aus der Sicht eines redlichen Empfängers (§§ 133, 157) – erkennen lässt, dass ein bestimmtes Rechtsgeschäft rückwirkend beseitigt werden soll.
BGHZ 91, 324 ff. unter Ziff. II 1; Palandt-Ellenberger § 143 Rn. 3. Es bedarf dabei nicht des ausdrücklichen Gebrauchs des Wortes „anfechten“. In jedem Fall ist aber erforderlich, dass sich aus der Äußerung für den Empfänger der Wille des Erklärenden ergibt, ein bestimmtes Geschäft gerade wegen eines Willensmangels nicht bestehen lassen zu wollen.BGHZ 91, 324 ff. unter Ziff. II 1.Beispiel
A will auf der Internetplattform von eBay den Kauf seiner Waschmaschine per „Sofortkauf“ für 300 € anbieten. Bei der Eingabe vertippt sich der A aber, so dass sein Angebot mit einem Preis von 200 € erscheint. B nimmt das Angebot von A an. Als B von A die Übereignung und Übergabe der Waschmaschine verlangt, teilt A dem B mit:
„Ihre Auffassung, wonach zwischen uns ein Kaufvertrag über die Waschmaschine zu einem Preis von 200 € zustandegekommen sein soll, trifft nicht zu. Ich bin zu einer Lieferung für 200 € nicht bereit, sondern nur für 300 €.“
Diese Formulierung bringt auch bei redlichem Verständnis noch keinen Anfechtungswillen zum Ausdruck und genügt daher nicht.
BGHZ 91, 324 ff. unter Ziff. II 1 im berühmten „Sparkassenfall“ zu einer ähnlichen Formulierung.Anders wäre es schon, wenn A formuliert hätte:
„Ich hatte mich bei Eingabe des Preises leider vertippt und war von Anfang an nur zu einer Lieferung für 300 € bereit. Ich lehne einen Verkauf für 200 € deshalb ab.“
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Die Anfechtungserlärung muss nicht nur den Anfechtungswillen erkennen lassen, sondern auch, welches Rechtsgeschäft angefochten werden soll. Bei der Anfechtung von Verträgen stellt sich im Hinblick auf das Trennungsprinzip
Siehe dazu im Skript „BGB AT I“ unter Rn. 80 ff. die Frage, ob nur der schuldrechtliche Vertrag, nur der dingliche Vertrag oder beide Verträge angefochten werden sollen. Dem Anfechtenden wird häufig gar nicht bewusst sein, dass im deutschen Recht eine derartige Unterscheidung existiert. Für die Auslegung vom Empfängerhorizont gem. §§ 133, 157 ist hier entscheidend, welchen Anfechtungsgrund die Erklärung erkennen lässt (siehe dazu sogleich unter Rn. 336) und ob dieser Anfechtungsgrund nur beim schuldrechtliche oder nur beim dinglichen Geschäft oder bei beiden Rechtsgeschäften eine Rolle gespielt haben kann. Ob sich der Anfechtungsgrund auch tatsächlich auf das jeweilige schuldrechtliche oder dingliche Rechtsgeschäft ausgewirkt hat, ist eine Frage der Kausalität und (erst) bei der Anfechtungsberechtigung zu prüfen.Expertentipp
Im Zweifel ist die Anfechtungserklärung weit auszulegen und eine Anfechtungserklärung sowohl in Bezug auf das schuldrechtliche als auch auf das dingliche Rechtsgeschäft anzunehmen. Auf der Ebene der Kausalitätsprüfung im Rahmen der Anspruchsberechtigung ist dann zu prüfen, ob sich der Anfechtungsgrund überhaupt auf das jeweilige Rechtsgeschäft ausgewirkt hat. Diese Frage sollten Sie möglichst noch nicht bei der Anfechtungserklärung erörtern.
Beispiel
V verkauft dem K ein Handy und tippt dabei wegen eines „Zahlendrehers“ versehentlich einen zu niedrigen Preis in die Kasse. Der Kaufvertrag wird mit dem „falschen“ Preis geschlossen. Der Fehler klärt sich erst nach beiderseitiger Erfüllung des Kaufvertrages auf. V erklärt gegenüber K die Anfechtung „unseres Geschäfts“, weil er sich bei der Preisangabe geirrt hätte. Hier ergibt die Auslegung, dass V mit „Geschäft“ im Zweifel den gesamten Veräußerungsvorgang, also sowohl das schuldrechtliche als auch das dingliche Rechtsgeschäft gemeint hat und seine Anfechtung auf beide Rechtsgeschäfte beziehen will. Denn es ist nicht davon auszugehen, dass ihm die Trennung des Veräußerungsvorganges in schuldrechtliches und dingliches Geschäft überhaupt geläufig ist.
Der geltend gemachte Anfechtungsgrund (Erklärungsirrtum i.S.d. § 119 Abs. 1 Var. 2, vgl. Rn. 354 ff.) kann sich aber nur auf das schuldrechtliche Rechtsgeschäft, den Kaufvertrag, ausgewirkt haben. Bei der Übereignung des Handys nach § 929 S.1 spielte der Preis keine Rolle, weil sich dieses Rechtsgeschäft in der Verschaffung des Eigentums an dem Handy erschöpft. Der Preis gehörte dort nicht zum Erklärungstatbestand. Eine Anfechtungsbefugnis scheidet damit in Bezug auf das dingliche Rechtsgeschäft aus.