BGB Allgemeiner Teil 1

Wie schreibt man eine Jura-Klausur?

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B. Wie geht das?

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Überlegen wir uns vor diesem Hintergrund nun, wie Sie bei einer Klausur am besten vorgehen.

I. Erfassen des Sachverhalts

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Notwendige Grundlage für jede halbwegs sinnvolle Bearbeitung ist die genaue Erfassung des Sachverhalts. In der Klausur wird Ihnen ein „fertiger“ Tatbestand präsentiert. Er soll das Ergebnis des Parteienvortrags sein, so wie ihn der Richter bzw. Rechtsanwalt für seine endgültige Entscheidung verwenden müsste. Es besteht also keine Möglichkeit mehr, den Sachverhalt zu ergänzen. Wovon der Sachverhalt berichtet, ist geschehen; wovon der Sachverhalt schweigt, ist nicht geschehen oder nicht nachweisbar.

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Lesen Sie den Sachverhalt mehrmals durch. Erstellen Sie bei komplizierten Sachverhalten eine – übersichtliche! – Fallskizze, für deren Gestaltung Sie sich bestimmte Symbole ausdenken (zum Beispiel Linien zur Kennzeichnung einer Vertragsbeziehung, Pfeile zur Kennzeichnung von Ansprüchen, etc.) und die Sie immer gleichbleibend verwenden. Bei zeitlich gestreckten Abläufen empfiehlt sich auch die Erstellung einer chronologischen Zeittabelle.

II. Gliederung

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Ausgangspunkt der Falllösung ist immer die auf den Sachverhalt bezogene Fallfrage des Klausurstellers.

Lautet die Fallfrage ganz allgemein: „Wie ist die Rechtslage?“, dann ist nach den Ansprüchen aller Beteiligten untereinander gefragt. Der Sachverhalt ist daher zunächst in Zweipersonenverhältnisse zu gliedern, so dass er zu der konkreteren Fallfrage: „Welche Ansprüche hat die eine Partei gegen die andere?“ führt.

Medicus/Petersen Bürgerliches Recht Rn. 6.

Diese Fallfrage ist wiederum so zu untergliedern, dass sie einer ganz konkreten Fallfrage entspricht, nämlich: „Kann die eine Partei von der anderen eine bestimmte Leistung verlangen?“

Die maßgebliche Fragestellung für die Gliederung lautet: Wer will was von wem woraus?

Kommen verschiedene Ziele in Betracht, ist die Darstellung weiter nach den verschiedenen Anspruchszielen zu untergliedern (z.B. Herausgabe, Schadensersatz, etc.).

Medicus/Petersen Bürgerliches Recht Rn. 5.

III. Auffinden der Anspruchsgrundlage

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Die so konkretisierte Fallfrage ist nun zu beantworten, d.h. es ist zu prüfen, ob das Begehren des Anspruchstellers mit rechtlichen Mitteln durchsetzbar ist. Das setzt einen Anspruch voraus, dessen Rechtsfolge dem Begehren des Anspruchstellers inhaltlich entspricht. Außerdem muss dieser Anspruch auch (gerichtlich) durchsetzbar sein.

Um das herauszufinden, gehen Sie von der gewünschten Rechtsfolge aus und suchen nach passenden Anspruchsgrundlagen.

Zur Vorgehensweise bei Fallfragen, die nicht auf die Prüfung von Ansprüchen abzielen, vgl. Medicus/Petersen Bürgerliches Recht § 2 („Grenzen des Anspruchaufbaus“) Rn. 17 ff.

Beispiel

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Ist nach Ersatz einer bestimmten Schadensposition gefragt, suchen Sie nach Anspruchsgrundlagen, deren Rechtsfolge eine Verpflichtung zum Schadensersatz anordnen, z.B. §§ 122 Abs. 1, 179 Abs. 1 Var. 2, 280 Abs. 1, 678, 823 Abs. 1.

Expertentipp

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Am Anfang ist es hilfreich, sich die gesetzlichen Anspruchsgrundlagen in der eigenen Textausgabe mit einer bestimmten Farbe zu markieren.

Anspruchsgrundlagen können durch Rechtsgeschäft (vgl. § 311 Abs. 1), durch Gesetz oder durch Gewohnheitsrecht

Siehe dazu Palandt-Ellenberger Einl. v. § 1 Rn. 22. begründet werden. Gesetzliche Anspruchsnormen erkennt man beispielsweise an den folgenden Formulierungen:

„ … hat zu / ist zu (ersetzen o.Ä.) …“, vgl. z.B. § 122 Abs. 1;

„ … kann verlangen …“, vgl. z.B. § 280 Abs. 1 S. 1;

„ … ist verpflichtet …“, vgl. z.B. § 823 Abs. 1.

IV. Prüfungsreihenfolge der Anspruchsgrundlagen

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Damit Ihr Gutachten möglichst übersichtlich ist und für den Leser gut nachvollziehbar bleibt, sollten Sie umständliche Verschachtelungen im Prüfungsaufbau vermeiden. Diesem Ziel dient ein Grundraster zur Prüfung von Anspruchsgrundlagen.

 

1. Hauptgliederung

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Expertentipp

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Überlegen Sie mal – kennen Sie vielleicht schon den einen oder anderen Grund für diese Reihenfolge?

Zunächst unterteilen wir die Anspruchsgrundlagen auf verschiedene Ebenen, die in der folgenden Reihenfolge nacheinander geprüft werden.

Die Gründe für diese Reihenfolge beruhen auf einer Wechselbeziehung der verschiedenen Anspruchsgrundlagen zueinander, die sich gegenseitig ausschließen oder doch modifizieren können.

Eine prägnante Übersicht der Gründe für diese Reihenfolge finden Sie bei Medicus/Petersen Bürgerliches Recht Rn. 8 ff.

(1)

Primär- und Sekundäransprüche aufgrund vertraglichen Schuldverhältnisses

(2)

Ansprüche aufgrund vertragsnaher Beziehungen (c.i.c., §§ 122, 179)

(3)

Ansprüche aus Sondertatbeständen des Familien- und Erbrechts

(4)

Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag

(5)

Sachenrechtliche („dingliche“) Ansprüche

(6)

Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung

(7)

Ansprüche aus Delikt (einschl. Gefährdungshaftung)

Expertentipp

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Gedanklich sollten Sie stets alle Anspruchsgrundlagen der Reihe nach durchgehen.
Fehler bei der Klausurbearbeitung resultieren häufig daraus, dass diese simple Prüfungsreihenfolge nicht konsequent eingehalten wird. Wer hier ungeduldig zum vermeintlichen Problem springt und deshalb gedankliche Zwischenschritte auslässt, muss dafür regelmäßig büßen. Das ist aber ganz unnötig und ein leicht vermeidbarer Fehler.

2. Untergliederungen

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Innerhalb einer Anspruchsgrundlagenebene sind gedanklich weitere Untergliederungen vorzunehmen. Als Faustformel für die weitere Untergliederung gilt: Erst prüfen Sie die Ansprüche mit den geringsten oder doch am leichtesten zu begründenden Voraussetzungen. Das machen die „Profis“ (Richter und Rechtsanwälte) genauso – es ist der effizienteste Lösungsansatz.

 

a) Primäransprüche vor Sekundäransprüchen

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Bei Ansprüchen aus vertraglichen Schuldverhältnissen unterscheiden Sie zwischen Primär- und Sekundäransprüchen. Wie der Name schon sagt, prüfen Sie als erstes die Primäransprüche vor den Sekundäransprüchen, da Sekundäransprüche weitere Voraussetzungen erfordern (z.B. Vertretenmüssen des Schuldners) und sich deshalb schwerer begründen lassen.

Definition

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Primäransprüche

Primäransprüche sind diejenigen Ansprüche, die sich unmittelbar aus dem (wirksamen) Vertrag ergeben.

Palandt-Ellenberger § 241 Rn. 5.

Sekundäransprüche knüpfen an einen wirksamen Vertrag an, entstehen aber erst durch Hinzutreten weiterer Umstände, insbesondere durch Verletzung der Primärleistungspflicht.

Palandt-Ellenberger § 241 Rn. 5.

Beispiel

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Beim Kaufvertrag die Verpflichtung des Verkäufers, dem Käufer gem. § 433 Abs. 1 mangelfreies Eigentum an einer bestimmten Sache sofort oder unter einer Bedingung zu verschaffen und ihm die Sache zu übergeben; ebenso beim Kaufvertrag die Pflicht des Käufers, einen bestimmten Kaufpreis an den Verkäufer zu zahlen und die gekaufte Sache abzunehmen (vgl. § 433 Abs. 2).

Beispiel

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Die sich aus §§ 280 ff. ergebenden Ansprüche wegen Befreiung des Schuldners von der primär geschuldeten Leistung nach § 275, wegen Leistungsverzögerung, wegen nicht wie geschuldet erbrachter Primärleistung oder wegen Verletzung einer Rücksichtspflicht i.S.d. § 241 Abs. 2;

der Anspruch aus §§ 326 Abs. 4, 346 Abs. 1 wegen Leistungsbefreiung des Schuldners aus gegenseitigem Vertrag;

die Ansprüche aus §§ 346, 347 wegen Rücktritts vom Vertrag;

die Abwicklungspflichten aus §§ 546, 546a nach Beendigung eines Mietvertrages.

Hinweis

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Denken Sie bitte daran, dass die §§ 280 ff. grundsätzlich auf alle Schuldverhältnisse Anwendung finden, also auch auf gesetzliche Schuldverhältnisse.

Palandt-Ellenberger § 280 Rn. 9. Insofern sind also auch bei den gesetzlichen Schuldverhältnissen Ansprüche aus §§ 280 ff. wegen Leistungs- oder Rücksichtspflichtverletzung denkbar (wenn Sie so wollen: „Sekundäransprüche bei gesetzlichem Schuldverhältnis“). Ansprüche aus §§ 280 ff. kommen daher grundsätzlich auf jeder Anspruchsgrundlagenebene in Betracht. Achten Sie hier aber immer besonders auf mögliche Ausschlussgründe und verdrängende Sonderregeln (z.B. im Rahmen der §§ 985 ff., vgl. § 993 Abs. 1 Hs. 2 am Ende).

b) Unmittelbare Ansprüche vor abgeleiteten Ansprüchen

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Gläubiger eines Anspruchs ist nicht unbedingt derjenige, zu dessen Gunsten der Anspruch einmal entstanden ist. Der Gläubiger eines vertraglichen Anspruchs muss also nicht zwingend der Vertragspartner sein, der Gläubiger eines Schadensersatzanspruches nicht zwingend der Geschädigte.

Vielmehr besteht nach § 398 grundsätzlich die Möglichkeit, durch das Rechtsgeschäft der Abtretung einen Anspruch (Forderung) auf eine andere Person zu übertragen, die dann die Gläubigerstellung einnimmt. Diese Person („Zessionar“) hat dann diesen Anspruch aus „abgetretenem Recht“ des früheren Gläubigers („Zedenten“).

Die Übertragung kann auch kraft Gesetzes (sog. „cessio legis“) eintreten, z.B. nach §§ 426 Abs. 2 S. 1, 774 Abs. 1 S. 1.

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Außerdem kann es sein, dass eine Person kraft Gesetzes (z.B. nach § 1368 oder § 2039) oder durch Rechtsgeschäft (vgl. §§ 362 Abs. 2, 185 Abs. 1) ermächtigt ist, im eigenen Namen fremde Ansprüche wie ein Gläubiger geltend zu machen. Mit Blick auf eine gerichtliche Auseinandersetzung spricht man dann von einer sog. „Prozessstandschaft“.

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Schließlich kann es bei vertraglichen Ansprüchen sein, dass der Anspruchsteller eigene Primär- oder Sekundäransprüche aus fremden Rechtsgeschäften ableiten kann, nämlich beim (echten) Vertrag zugunsten Dritter (vgl. § 328) sowie beim Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter.

In allen Fällen sollten Sie erst Ansprüche aus eigenem Recht und dann die aus abgeleitetem Recht prüfen. Letztere bedürfen stets einer umfangreicheren Begründung. Der Anspruch aus abgeleitetem Recht erfordert neben den Voraussetzungen der jeweiligen Anspruchsgrundlage zusätzlich noch die Voraussetzungen der Tatbestände, aus denen sich die abgeleitete Berechtigung des Anspruchstellers ergeben soll (Abtretung, Voraussetzungen eines gesetzlichen Forderungsübergangs, etc).

c) Unmittelbare Haftung vor abgeleiteter Haftung

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Der vorhergehende Gliederungsaspekt ist in ähnlicher Weise auch umgekehrt relevant, nämlich von der Schuldnerperspektive aus betrachtet: Eine Person kann aus einem Schuldverhältnis unmittelbar selbst verpflichtet sein oder aber erst mittelbar, und zwar durch Rechtsnachfolge (vgl. § 1967 oder § 20 UmwG), durch die Rechtsgeschäfte Schuldübernahme und Schuldbeitritt oder aufgrund einer gesetzlich angeordneten akzessorischen Haftung, z.B. § 128 HGB. Bei einer gesetzlich angeordneten akzessorischen Haftung verpflichtet der Gesetzgeber in besonderen Fällen einen Dritten, einem Gläubiger als weiterer Schuldner für die Erfüllung eines bestimmten Anspruches einzustehen. Die „akzessorische“ Haftung des zusätzlichen Schuldners leitet sich hinsichtlich ihres Bestehens, Inhalts und Umfangs vom eigentlichen „Hauptanspruch“ des Gläubigers ab.

In sämtlichen Fällen prüfen Sie im Rahmen einer Anspruchsgrundlagenebene erst die Ansprüche, die eine unmittelbare persönliche Haftung des Schuldners begründen, und dann diejenigen Tatbestände, die ausnahmsweise eine abgeleitete Haftung auslösen.

d) Verschuldensunabhängigkeit vor Verschuldensabhängigkeit

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Da es sich generell empfiehlt, die Prüfung derjenigen Ansprüche vorzuziehen, die weniger bzw. tatbestandlich leichter zu begründende Voraussetzungen erfordern, sollten Sie verschuldensunabhängige Ansprüche vor den verschuldensabhängigen Ansprüchen prüfen. Bei den verschuldensabhängigen Ansprüchen prüfen Sie zuerst die Ansprüche, bei denen das Vertretenmüssen vermutet wird (z.B. §§ 280, 831, § 18 Abs. 1 StVG).

Beispiel

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Bei Mangelhaftigkeit des Kaufgegenstandes können sich Ersatzansprüche des Käufers wegen Aufwendungen auf den mangelhaften Kaufgegenstand aus § 347 Abs. 2 und/oder aus §§ 437 Nr. 3, 284 ergeben.

§ 347 Abs. 2 und § 284 bestehen nach dem Grundsatz des § 325 selbstständig nebeneinander: Urteil des BGH vom 20. Juli 2005 (Az: VIII ZR 275/04) unter Ziff. II 1 = NJW 2005, 2848 = BGHZ 163, 381 ff. und vom 15. April 2015 (Az: VIII ZR 80/14) unter Tz. 30 = NJW 2015, 1669; Palandt-Grüneberg § 325 Rn. 2 und § 347 Rn. 3. Sie beginnen hier mit § 347 Abs. 2, da dieser Anspruch kein Verschulden des Verkäufers erfordert. Im Anschluss ist dann auf §§ 437 Nr. 3, 284 einzugehen, der an den Schadensersatzanspruch statt der Leistung anknüpft und deshalb (§ 280 Abs. 1 S. 2) auch von der fehlenden Entlastungsmöglichkeit des Verkäufers abhängt.

Beispiel

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Angenommen, es geht um deliktische Schadensersatzansprüche gegen den Fahrer eines Pkw aus einem Verkehrsunfall. Hier prüfen Sie erst den verschuldensunabhängigen Anspruch aus § 7 Abs. 1 StVG, dann den (verschuldensabhängigen) Anspruch aus § 18 StVG (Verschuldensvermutung durch Formulierung in § 18 Abs. 1 S. 2 StVG) und schließlich den (verschuldensabhängigen) Anspruch aus § 823 Abs. 1.

e) Tatbestandliche Logik

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Innerhalb einer Anspruchsgrundlagenebene kann es nach der Fassung der jeweiligen Tatbestände eine logische Reihenfolge geben, die Sie dann für Ihre Gliederung übernehmen.

Beispiel

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Anspruch aus § 347 Abs. 2 S. 1 vor Anspruch aus § 347 Abs. 2 S. 2 („andere Aufwendungen“ = andere Aufwendungen als die im Sinne von S. 1);

Anspruch aus § 536a Abs. 2 Nr. 1, 2 vor Anspruch aus § 539 Abs. 1 („…, die der Vermieter ihm nicht nach § 536a Abs. 2 zu ersetzen hat,…“) i.V.m. §§ 683, 677, 670 bzw. §§ 684, 818 f.;

Zum Verhältnis von § 536a Abs. 2 zu § 539 und § 536a Abs. 1 beachten Sie das wichtige Urteil des BGH vom 16. Januar 2008 (Az: VIII ZR 222/06) = NJW 2008, 1216.

Leistungskondiktion aus § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1 vor Nichtleistungskondiktion aus § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 2 („in sonstiger Weise“).

V. Darstellung aller Anspruchsgrundlagen im Gutachten?

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Meistens können sich aus einem Sachverhalt mehrere Anspruchsgrundlagen ergeben, die inhaltlich auf dieselbe Rechtsfolge gerichtet sind.

Beispiel

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Mieter M beschädigt fahrlässig die Fensterscheibe in der von ihm gemieteten Wohnung seines Vermieters V. Hier bestehen Schadensersatzansprüche des V aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 einerseits und § 823 Abs. 1 andererseits. Schadensersatzansprüche aus §§ 989, 990 können hingegen nicht entstanden sein, da diese einen Herausgabeanspruch des V aus § 985 (sog. „Vindikationslage“) zum Zeitpunkt der Beschädigung voraussetzen. Wegen der aus dem Mietvertrag folgenden Besitzberechtigung des M bestand aber gem. § 986 Abs. 1 S. 1 zum Zeitpunkt der Beschädigung kein Herausgabeanspruch aus § 985.

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Ihr Gutachten ist grundsätzlich nur vollständig, wenn alle auf die geforderte Rechtsfolge gerichteten Ansprüche geprüft worden sind. Durch die Bejahung einer Anspruchsgrundlage ist „die Luft noch nicht raus“.

Häufig stellen sich im Hinblick auf weitere Anspruchsgrundlagen schwierige Konkurrenzfragen, die Sie in der Klausur beantworten sollen, nämlich: Bestehen die Anspruchsgrundlagen nebeneinander im Sinne einer Anspruchskonkurrenz oder verdrängt die eine Anspruchsgrundlage die andere? Besteht eine Konkurrenz, stellt sich die nächste Frage: Ist die Konkurrenz selbstständig oder beeinflusst die eine Grundlage die andere?

Insbesondere in Anwaltsklausuren kommt folgender Aspekt hinzu: Ein bestimmter Anspruch kann für den Mandanten vorteilhafter sein als andere konkurrierende Ansprüche, etwa weil er einer anderen Verjährungsfrist unterliegt oder weil damit ein für den Mandanten günstigerer Gerichtsstand

Vgl. dazu §§ 12 ff. ZPO. begründet werden kann.

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Dabei verlangt niemand von Ihnen, dass Sie alle Ansprüche in der gleichen Ausführlichkeit darstellen. Es kommt auf die richtige Gewichtung an. Häufig äußern die Parteien im Sachverhalt Rechtsauffassungen oder betonen bestimmte Fakten (versteckte Hinweise des Klausurstellers), so dass Sie gehalten sind, sich mit diesen Punkten in jedem Fall ausführlich auseinanderzusetzen. Ist die Zeit knapp, können Sie die Erörterung konkurrierender und für das Ergebnis inhaltlich nicht mehr erheblicher Ansprüche auf ein eben noch verständliches Mindestmaß zurückführen, indem Sie die konkurrierenden Ansprüche mit kurzer, urteilsartiger Begründung des Ergebnisses erwähnen, z.B. bei § 823 Abs. 2 nach Bejahung des § 823 Abs. 1, bei § 1007 nach § 985 oder bei der Haftung des fahrzeugführenden Halters aus § 18 StVG nach § 7 Abs. 1 StVG.

Medicus/Petersen Bürgerliches Recht Rn. 13; Petersen „Die Entstehung und Prüfung von Ansprüchen“, JURA 2008, 180, 181 unter Ziff. I 1. Sie zeigen dem Korrektor damit zum einen, dass Ihnen diese Ansprüche geläufig sind, und zum anderen, dass Sie Ihre Darstellung auf das Wesentliche konzentrieren.

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Wie bei jedem Grundsatz gibt es vom Gebot vollständiger Erörterung Ausnahmen:

Zum einen kann Ihnen nach dem Bearbeitervermerk die Prüfung bestimmter Ansprüche erlassen sein. Dann müssen Sie sich natürlich an die Vorgaben des Bearbeitervermerks halten. Zum anderen sind in der schriftlichen Ausarbeitung solche Ansprüche nicht mehr zu erwähnen, deren Voraussetzungen offensichtlich nicht vorliegen. Sätze wie:

„Vertragliche Ansprüche bestehen nicht, weil im vorliegenden Fall gar kein Vertrag geschlossen wurde.“

gehören also nicht ins Gutachten.

VI. Die Anspruchsprüfung

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Prüfungsschema

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Wie prüft man: Anspruchsprüfung

I.

Anspruchsentstehung

 

1.

Rechtsfähigkeit von Gläubiger und Schuldner (wenn nicht nur natürliche Personen. Wahlweise Prüfung inzident im Rahmen der eigentlichen Anspruchsvoraussetzungen)

 

2.

Anspruchsvoraussetzungen

 

3.

Rechtshindernde Einwendungen

II.

Rechtsvernichtende Einwendungen

 

z.B. Erfüllung (§ 362), Erfüllungssurrogate (§§ 364 Abs. 1, 372, 378, 389, 397)
nachträgliche Leistungsbefreiung nach § 275, Rücktritt (arg. ex. § 346 Abs. 1)

III.

Durchsetzbarkeit

 

1.

Fälligkeit

 

2.

Einreden

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Kommen wir nun zu den Kategorien der einzelnen Anspruchsprüfung. Die Anspruchsprüfung soll im Ergebnis die Frage nach der Durchsetzbarkeit eines bestimmten Anspruches beantworten.

Die Durchsetzbarkeit eines Anspruchs setzt voraus,

1.

dass der Anspruch entstanden ist (vgl. § 199 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 , Abs. 4),

2.

dass der Anspruch jetzt immer noch besteht, also zwischenzeitlich nicht erloschen ist (z.B. gem. §§ 362 Abs. 1, 364 Abs. 1, 389, 397 Abs. 1) und

3.

dass der gerichtlichen Durchsetzbarkeit des bestehenden Anspruchs sonst nichts im Wege steht.

Jede Anspruchsgrundlage ist vom Rechtsanwalt bzw. Richter – in der Klausur also von Ihnen – stets auf diese Art und Weise zu prüfen.

1. Anspruch entstanden?

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Die Einstiegsfrage lautet: Ist der Anspruch (z.B. des A gegen den B) überhaupt entstanden?

Um diese Frage zu beantworten, sind gedanklich folgende Punkte zu prüfen:

a) Rechtsfähigkeit der Beteiligten

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Damit eine Partei gegen eine andere Partei einen Anspruch, d.h. das Recht haben kann, ein bestimmtes Tun oder Unterlassen zu fordern (§ 194 Abs. 1), müssen diese Parteien rechtsfähig sein.

 

Definition

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Rechtsfähigkeit

Der Begriff der Rechtsfähigkeit meint die Fähigkeit, Träger eigener Rechte und Pflichten zu sein.

Medicus/Petersen Allgemeiner Teil des BGB Rn. 1039; Palandt-Ellenberger Überbl. v. § 1 Rn. 1.

Nur wer rechtsfähig ist, kann als Gläubiger einen Anspruch haben und nur wer rechtsfähig ist, kann als Schuldner zu einem Tun oder Unterlassen verpflichtet sein.

Expertentipp

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Bei Anspruchsbeziehungen zwischen Menschen („natürliche Personen“) müssen Sie in der Klausur zur „Rechtsfähigkeit“ keine Ausführungen machen. Sie ist selbstverständlich gegeben. Entgegen manchen Ausführungen in Übungsklausuren hat übrigens die Kaufmannseigenschaft eines Menschen nach §§ 1 ff. HGB mit seiner Rechtsfähigkeit nichts zu tun!

In allen anderen Fällen (juristische Personen, Personenverbände) können Sie das Thema „Rechtsfähigkeit“ entweder in einem ersten Prüfungspunkt gesondert darstellen oder aber inzident im Rahmen der Voraussetzungen der als erstes konkret zu prüfenden Anspruchsgrundlage erörtern (z.B. beim Zustandekommen eines Vertrages bei der Prüfung eines vertraglichen Primäranspruchs). Haben Sie die Rechtsfähigkeit einmal festgestellt, müssen Sie darauf bei der Prüfung konkurrierender Ansprüche nicht noch einmal gesondert eingehen. Dieser Punkt darf also keinesfalls stur wiederholt werden – eine Wiederholung ist überflüssig.

Geht es in der Klausur um die Begutachtung der Erfolgsaussichten einer Klage, müssen Sie die Rechtsfähigkeit der Parteien bereits im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung unter dem Gesichtspunkt der Parteifähigkeit (vgl. § 50 Abs. 1 ZPO) erörtern.

 

aa) Personen

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Der Begriff der „Person“ ist der vom Gesetzgeber im BGB gewählte Oberbegriff,

Vgl. Überschrift des 1. Abschnitts des 1. Buches des BGB. dem die „natürlichen Personen“Vgl. Überschrift des 1. Titels des 1. Abschnitts (§§ 1 ff.). (§§ 1 ff.) und „juristischen Personen“Vgl. Überschrift des 2. Titels des 1. Abschnitts (§§ 21 ff.). (§§ 21 ff.) untergeordnet werden. Eine Legaldefinition des Personenbegriffes existiert nicht. Aus dem Zusammenhang zwischen den vom Gesetzgeber verwendeten Begriffen und den Regelungen der §§ 1 ff. folgt aber, dass der Gesetzgeber unter dem Begriff „Person“ ein rechtsfähiges Subjekt versteht.Palandt-Ellenberger Überbl. v. § 1 Rn. 1.

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Da unsere Rechtsordnung von Menschen für Menschen gemacht wird, sind Menschen selbstverständlich rechtsfähig. Dies wird von unserer Rechtsordnung vorausgesetzt. Die allgemeine Vorschrift des § 1 regelt (nur) den Beginn der Rechtsfähigkeit des Menschen, nämlich ab „Vollendung der Geburt“. Vollständig geborene Menschen sind juristisch gesprochen also „natürliche Personen“.

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Daneben gibt es die „juristischen Personen“. Hierbei handelt es sich um die Zusammenfassung von Personen („Mitglieder“) und/oder Gegenständen zu einer Organisation, deren Rechtspersönlichkeit erst durch bestimmte, für jeden Typ besonders festgelegte Rechtsakte des öffentlichen Rechts oder Privatrechts erzeugt wird.

Palandt-Ellenberger Einf. v. § 21 Rn. 1, 3 ff. Aufgrund ihrer „juristisch erzeugten“ Persönlichkeit ist die juristische Person rechtsfähig.

Beispiel

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Zu den juristischen Personen gehören insbesondere der eingetragene Verein (§ 21), die Stiftung (§ 80), Körperschaften, Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechts (vgl. § 89), die GmbH (§ 13 Abs. 1 GmbHG), die Aktiengesellschaft (§ 1 Abs. 1 AktG), die Kommanditgesellschaft auf Aktien (§ 278 Abs. 1 AktG) und die eingetragene Genossenschaft (§ 17 Abs. 1 GenG).

bb) Rechtsfähige Personenverbände

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Neben den natürlichen und juristischen Personen kennt unsere Rechtsordnung (vgl. § 14 Abs. 2, § 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO, § 7 Nr. 3 MarkenG) schließlich noch rechtsfähige Personengesellschaften. Es handelt sich dabei um Zusammenschlüsse, die selbst keine „juristische Personen“ sind.

§ 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO spricht vom Vermögen einer Gesellschaft „ohne Rechtspersönlichkeit“. Personengesellschaften entstehen durch Rechtsgeschäft, nämlich den Gesellschaftsvertrag und werden unter bestimmten Voraussetzungen kraft Gesetzes (z.B. §§ 123, 124 HGB für die OHG) oder im Wege richterlicher Rechtsfortbildung (so früher zur Außen-GbRGrundsatzurteil des BGH vom 29. Januar 2001 (Az: II ZR 331/00) = BGHZ 146, 341 ff. = NJW 2001, 1056 ff.) weithin wie juristische Personen behandelt und sind als Kollektiv insoweit mit eigener Rechtsfähigkeit ausgestattet.

Beispiel

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Rechtsfähige Personengesellschaften sind insbesondere (vgl. § 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO): die offene Handelsgesellschaft (vgl. §§ 123, 124 HGB), die Kommanditgesellschaft (§§ 161 Abs. 2, 123, 124 HGB), die Partnerschaftsgesellschaft (§ 7 Abs. 2 PartGG i. V. m. § 124 HGB), die Vor-GmbHUrteil des BGH vom 31. März 2008 (Az: II ZR 308/06) unter Ziff. II 1a. die Vor-AGUrteil des BGH vom 23. Oktober 2006 (Az: II ZR 162/05) unter Ziff. A I 1 = BGHZ 169, 270 ff. = NJW 2007, 589 ff. und die nach außen als Einheit am Rechtsverkehr teilnehmende BGB-Gesellschaft, nun in § 705 II Alt. 1 als rechtsfähige Gesellschaft kodifiziert.

Hinzu kommen weitere rechtsfähige Personenverbände ohne eigene Rechtspersönlichkeit, nämlich die Wohnungseigentümergemeinschaft (§ 9a I WEG) und der Verein ohne Rechtspersönlichkeit (§ 54).Urteil des BGH vom 2. Juli 2007 (Az: II ZR 111/05) unter Ziff. C II 2a bb (zur aktiven und passiven Parteifähigkeit gem. § 50 Abs. 1 ZPO und damit auch zur Rechtsfähigkeit) = NJW 2008, 69 ff.

Expertentipp

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Eine Vertiefung der (schwierigen) Frage nach der juristischen Eigenpersönlichkeit der Personenverbände hilft in der Fallbearbeitung an diesem Prüfungspunkt nicht weiter.

Siehe dazu die „goldenen Worte“ von Karsten Schmidt NJW 2001, 993 ff., insbesondere unter Ziff. II 3b bb („Die Rechtsfähigkeit der Personengesellschaft ist dictum genug.“) und unter Ziff. IV 1. Entscheidend ist die Anerkennung der Rechtsfähigkeit für das konkret zu prüfende Schuldverhältnis durch den Gesetzgeber oder durch (richterliche) Rechtsfortbildung.

Die Rechtsfähigkeit einer juristischen Person oder eines (rechtsfähigen) Personenverbandes ist anhand der jeweiligen Norm zu begründen, die die Rechtsfähigkeit beschreibt (z.B. § 13 Abs. 1 GmbHG für die GmbH, §§ 123, 124 HGB für die OHG). Gibt der Sachverhalt dazu Anlass, ist in diesem Zusammenhang auch auf die wirksame Errichtung der juristischen Person bzw. des Personenverbandes einzugehen.

b) Die Anspruchsvoraussetzungen

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Die Entstehung eines konkreten Anspruchs ist an besondere tatsächliche Voraussetzungen gebunden, die sich aus der jeweiligen Anspruchsgrundlage ergeben. Es handelt sich um diejenigen Tatsachen, die die gewünschte Leistungspflicht nach Maßgabe der von Ihnen gerade geprüften Anspruchsgrundlage unmittelbar auslösen. Anspruchsgrundlagen können sich zum einen aus einem Rechtsgeschäft ergeben, das auf Begründung eines Anspruchs gerichtet ist. § 311 Abs. 1 verlangt dafür regelmäßig ein Rechtsgeschäft in Form eines Vertrages (z.B. Kaufvertrag, Mietvertrag, Werkvertrag).

Expertentipp

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Anspruchsvoraussetzung für einen vertraglichen Primäranspruch ist also eine vertragliche Vereinbarung, die auf Begründung des geprüften Anspruchs gerichtet ist. Die im Gesetz aufgeführten Normen zur Typisierung der verschiedenen Vertragsarten sind keine Anspruchsgrundlagen – es handelt sich ja eben gerade nicht um ein gesetzliches Schuldverhältnis. Dies kann nicht oft genug betont werden. Bei Primäransprüchen aus atypischen Verträgen (z.B. Lizenzvertrag oder Theateraufführungsvertrag) bringen seitenlange Ausführungen zur Bestimmung des Vertragstyps nichts: Es kommt allein auf die Verpflichtung aus der konkreten Vereinbarung an! Der Anspruch folgt „aus Vertrag“ und nicht „aus § X“.

Leenen BGB AT § 4 Rn. 27 f. m.w.N. Haben Sie einen Vertrag, der unproblematisch einem Vertragstyp des BGB entspricht, wäre es allerdings unklug, auf das entsprechende Normzitat zu verzichten und einen stichwortverliebten Korrektor damit zu irritieren. Deswegen empfiehlt sich regelmäßig folgende Formulierung (am Beispiel eines Kaufpreiszahlungsanspruches): Anspruch „aus Kaufvertrag gemäß § 433 Abs. 2“.So auch Petersen JURA 2008, 180, 182 unter Ziff. II 1b.

33

Es gibt nach der Formulierung des § 311 Abs. 1 aber auch Ansprüche aus anderen Rechtsgeschäften, die keine Verträge sind, sondern einseitige Rechtsgeschäfte.

Beispiel

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Ansprüche aus Auslobung gem. § 657 oder Vermächtnis gem. §§ 1939, 2147, 2174.

34

Ansprüche werden außerdem durch Gesetz oder Gewohnheitsrecht begründet.

Beispiel

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Gesetzliche Ansprüche aus §§ 122, 179, 280 ff., 546, 546a Abs. 1, 604, 681, 683, 684 S. 1, 812 ff., 823 ff., 861 f., 985 ff., 1004 Abs. 1, 2018 ff.;
Unterlassungsansprüche nach den Grundsätzen des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses als gewohnheitsrechtliche Ausprägung von § 242.

35

Jede dieser möglichen Anspruchsgrundlagen hat ihre eigenen Voraussetzungen, die Sie Schritt für Schritt durchgehen.

Bei der Prüfung der jeweils einschlägigen Anspruchsvoraussetzungen können Sie auf Tatbestandsmerkmale stoßen, die mittels sog. „Hilfsnormen“ ausgefüllt werden müssen.

Definition

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Hilfsnormen

Hilfsnormen sollen uns bei der Anwendung von Tatbeständen helfen, indem sie Tatbestandsmerkmale definieren oder beschreiben.

Medicus/Petersen Grundwissen zum Bürgerlichen Recht 10. Aufl. Rn. 16.

Beispiel

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Der Tatbestand des Anspruchs aus § 288 Abs. 1 S. 1 lautet: „Eine Geldschuld ist während des Verzugs zu verzinsen.“ Zum Tatbestand des gesetzlichen Zinsanspruchs aus § 288 Abs. 1 S. 1 gehört also auch das Merkmal des Verzugs. Wann Verzug eintritt, ergibt sich aus der Hilfsnorm des § 286.

Außerdem hat uns § 288 Abs. 1 S. 1 noch keine Auskunft darüber gegeben, wie hoch der Verzugszinssatz denn eigentlich ist. Hier hilft § 288 Abs. 1 S. 2: „Der Verzugszinssatz beträgt für das Jahr fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz.“ Es stellt sich eine weitere Frage: Was ist der „Basiszinssatz“? Hier hilft wiederum § 247.

 

c) Rechtshindernde Einwendungen

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Wenn Sie nun alle Prüfungspunkte abgearbeitet haben, liegen die Voraussetzungen der jeweiligen Anspruchsgrundlage im Ergebnis entweder vor oder nicht. Liegen die Voraussetzungen vor, ist der Anspruch möglicherweise dennoch nicht entstanden. Es gibt nämlich Tatbestände, die die Entstehung des Anspruchs ausnahmsweise verhindern können. Man nennt diese Tatbestände „rechtshindernde Einwendungen“ (des Schuldners/Beklagten).

Medicus/Petersen Allgemeiner Teil des BGB Rn. 94; Medicus/Petersen Bürgerliches Recht Rn. 732, 734. Um sich diesen Begriff besser merken zu können, müssen Sie sich Folgendes vor Augen führen:

Der Zivilrichter ermittelt im Prozess die relevanten Tatsachen nicht von Amts wegen. Vielmehr müssen die Prozessparteien dem Richter den Sachverhalt „liefern“. Für bestimmte Tatsachen ist der Kläger verantwortlich, für andere der Beklagte. Man nennt dies die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast.

Im Grundsatz gilt: Jede Partei muss diejenigen Tatsachen darlegen und im Streitfalle beweisen, die ihr günstig sind. Gelingt einer Partei der Beweis nicht, wird die ihr günstige Tatsache bei der Bewertung nicht berücksichtigt.

Die Anspruchsvoraussetzungen muss folglich der Kläger darlegen und ggfs. beweisen. Bei den rechtshindernden Tatsachen handelt es sich dagegen um Ausnahmen von der regelmäßigen Entstehung des Anspruchs. Also muss diese im Prozess welche Partei darlegen und beweisen? Richtig, der Beklagte – denn ihm sind diese anspruchsverhindernden Tatsachen günstig. Er wendet die rechtshindernden Tatsachen im Prozess gegen den anspruchsbegründenden Klägervortrag ein, indem er sie seinerseits dem Richter vorträgt. Wurden die Tatsachen unstreitig vorgetragen oder bewiesen werden die rechtshindernden Einwendungen von Amts wegen durch das Gericht geprüft.

Beispiel

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 Einwand der Formnichtigkeit (§ 125 S. 1), Einwand der Sittenwidrigkeit (§ 138), Einwand der Kenntnis vom fehlenden Rechtsgrund zur Leistung nach § 814, Einwand bestehender Besitzberechtigung nach § 986, Einwand bestehender Duldungspflicht nach § 1004 Abs. 2, Einwand einer vereinbarten Haftungsbeschränkung.

Expertentipp

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In der Klausur müssen Sie nicht zwingend erst alle Anspruchsvoraussetzungen prüfen, um überhaupt ein Wort zu rechtshindernden Einwendungen verlieren zu können. Sie können rechtshindernde Einwendungen auch vorziehen, um überflüssige Ausführungen zu vermeiden oder weil es aus Gründen der Verständlichkeit und der Systematik geboten ist.

Prüfen Sie beispielsweise einen Anspruch auf Schadensersatz neben der Leistung wegen Leistungsverzögerung im Rahmen eines Grundstückskaufvertrages aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286, gehört die Frage nach der Form(nichtigkeit) des Kaufvertrages nach § 125 S. 1 i.V.m. § 311b Abs. 1 S. 1 bereits zum ersten Prüfungspunkt „Schuldverhältnis“. Der Abschluss des Kaufvertrages begründet grundsätzlich ein Schuldverhältnis als erste Voraussetzung des § 280 Abs. 1. Der begründete Einwand einer Formnichtigkeit macht den Kaufvertrag aber unwirksam und verhindert so die Entstehung des geprüften Schadensersatzanspruches. Die weiteren Anspruchsvoraussetzungen müssten dann nicht mehr geprüft werden.

2. Anspruch erloschen?

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Als Zwischenergebnis Ihrer bisherigen Prüfung ist der Anspruch nun entweder entstanden oder nicht. Wenn er entstanden ist, stellt sich die weitere Frage, ob der Anspruch jetzt noch besteht. Er könnte ja in der Zwischenzeit wieder erloschen sein. Schuld daran wären entweder Rechtsgeschäfte (z.B. Aufrechnung gem. § 389, Erlassvertrag gem. § 397) oder gesetzliche Einwendungstatbestände, die sinngemäß die Rechtsfolge anordnen: Dieser Anspruch besteht jetzt nicht mehr – drastisch gesprochen: Der Anspruch wird „vernichtet“.

Welche Partei muss im Prozess solche rechtsvernichtenden Tatsachen darlegen und beweisen? Natürlich der beklagte Schuldner, denn ihm sind diese Tatsachen günstig. Man nennt sie deshalb rechtsvernichtende Einwendungen (des Schuldners/Beklagten).

Medicus/Petersen Bürgerliches Recht Rn. 731 f.

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Solche rechtsvernichtenden Tatbestände erkennen Sie zum einen an folgenden Formulierungen:

„Das Schuldverhältnis erlischt, wenn …“, vgl. z.B. §§ 362 Abs. 1, 364 Abs. 1, 389, 397;

„… der Schuldner wird befreit …“, vgl. z.B. § 378.

Andere rechtsvernichtende Wirknormen sind nach ihrem Wortlaut nicht so eindeutig zu erkennen. Die rechtsvernichtende Wirkung bestimmter Umstände zeigt sich häufig erst indirekt. Wir werden in dieser Skriptenreihe im jeweiligen Sachzusammenhang darauf zurückkommen.

Beispiel

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Ein wirksam ausgeübter Rücktritt vernichtet die bisherigen vertraglichen Primäransprüche. Wenn ein Verkäufer beispielsweise von einem Kaufvertrag zurücktritt, kann er den Kaufpreis nicht mehr gem. § 433 Abs. 2 verlangen. Diese Folge ergibt sich indirekt aus § 346 Abs. 1: Wenn der Kaufpreis bereits gezahlt worden wäre, müsste er wieder zurückerstattet werden (§ 346 Abs. 1). Daraus folgt für den Fall, dass der Preis noch nicht gezahlt wurde, erst recht: Der Verkäufer kann die Zahlung des Kaufpreises nach einem wirksamen Rücktritt nicht mehr verlangen. Der Gesetzgeber hielt dies für so selbstverständlich, dass er uns in der Begründung seiner Regelungen zur Schuldrechtsreform mitgeteilt hat, diese Wirkung müsse man nicht eigens in § 346 Abs. 1 aussprechen.

BT-Drs. 14/6040, 194 li. Sp: „Der Rücktritt hat zugleich die Wirkung, dass die durch den Vertrag begründeten primären Leistungspflichten, soweit sie nicht erfüllt sind, erlöschen. Es erscheint allerdings in Übereinstimmung mit dem geltenden Recht nicht erforderlich, diese Befreiungswirkung im Gesetzeswortlaut ausdrücklich auszusprechen.“

3. Anspruch durchsetzbar?

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Wenn Sie nun festgestellt haben, dass der einmal entstandene Anspruch immer noch besteht, ist bald alles geschafft. Der Anspruchssteller ist fast am Ziel, aber eben nur fast. Sein Anspruch nützt ihm nichts, wenn dieser sich nicht gerichtlich durchsetzen lässt.

 

a) Fälligkeit

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Der Richter darf den Beklagten grundsätzlich nur zu fälligen Leistungen verurteilen. Die Zivilprozessordnung (ZPO) erlaubt Ausnahmen nur in engen Grenzen (vgl. §§ 257–259 ZPO). Der Anspruch ist grundsätzlich also erst dann gerichtlich durchsetzbar, wenn er auch fällig ist.

Definition

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Fälligkeit

Der Begriff der Fälligkeit meint allgemein den Zeitpunkt, ab dem der Gläubiger (im Prozess: der Kläger) die aufgrund seines Anspruchs geschuldete Leistung verlangen kann.

Palandt-Ellenberger § 271 Rn. 1.

Im Zweifel kann der Gläubiger die Leistung sofort verlangen (§ 271 Abs. 1). Abweichende Fälligkeitstermine können vertraglich vereinbart, also durch Rechtsgeschäft geschaffen werden:

„Zahlung in 14 Tagen“, „Zahlung nach Rechnungserhalt“.

Fälligkeitstermine können sich auch aus dem Gesetz ergeben:

§§ 556b Abs. 1, 579, 587, 604, 614, 641, 1361 Abs. 4, 1585 Abs. 1, 1612 Abs. 3.

Schließlich können sich solche Ausnahmen mangels vertraglicher oder gesetzlicher Regeln auch aus „den Umständen“ entnehmen lassen (vgl. § 271 Abs. 1):

Beispiel

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Der Vermieter von Wohnräumen muss eine Kaution des Mieters im Zweifel noch nicht bei Beendigung des Mietverhältnisses zurückzahlen, sondern erst dann, wenn feststeht, ob ihm noch Ansprüche gegen den Mieter zustehen. Zur Feststellung seiner Ansprüche stehen dem Vermieter regelmäßig 3–6 Monate zur Verfügung.

Palandt-Weidenkaff Einf. v. § 535 Rn. 126.

b) Einreden

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Der Richter bzw. Rechtsanwalt – in der Klausur sind Sie das – hat bis hierher die Frage beantwortet, ob dem Gläubiger (im Prozess: Kläger) ein fälliger Anspruch zusteht und der Schuldner (im Prozess: Beklagter) – leider – leisten muss, d.h. etwas zahlen, unterlassen, herausgeben muss oder was sonst auch immer Inhalt des Anspruchs sein mag.

Das Gesetz gibt dem Schuldner aber noch eine „Notbremse“ an die Hand, die nur er betätigen darf: ein Leistungsverweigerungsrecht. Der Gesetzgeber begründet über entsprechende Tatbestände solche Leistungsverweigerungsrechte. Dem Schuldner steht es frei, sich auf dieses Recht zu berufen. Der Richter kann ihm diese Entscheidung nicht abnehmen. Man nennt diese Leistungsverweigerungsrechte auch Einreden.

Medicus/Petersen Allgemeiner Teil des BGB Rn. 92 ff.; Medicus/Petersen Bürgerliches Recht Rn. 732 f.

Hinweis

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Bei den „Einreden“ muss der Schuldner „reden“, er muss sich auf diese Einrederechte berufen. Hat der Schuldner nicht „geredet“, hat er von seinem Leistungsverweigerungsrecht also keinen Gebrauch gemacht, bleibt dem Richter nichts anderes übrig, als ihn zur Leistung zu verurteilen.

Hat der Schuldner nach dem Ihnen vorliegenden Sachverhalt die Einrede nicht erhoben, prüfen Sie den Einredetatbestand trotzdem durch und weisen ggfs. darauf hin, dass die Einrede noch geltend gemacht werden könnte.

Petersen „Einwendungen und Einreden“, JURA 2008, 422 unter Ziff. I. Dies kann nämlich auch noch im späteren Prozess geschehen.

Expertentipp

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Überlegen Sie einmal selbst, wer die Darlegungs- und Beweislast für die wirksame Erhebung einer Einrede trägt: Kläger oder Beklagter?

Die Darlegungs- und Beweislast für Einredetatbestände und für die Tatsache, dass der Schuldner sie erhoben hat (!) trägt – wer? Grds. derjenige, der sich auf die (für ihn günstige) Wirkung der Einrede beruft. 

Je nach Wirkungsweise der Einreden unterscheiden wir zwischen zwei Einredearten.

aa) Peremptorische Einreden

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Einredetatbestände können dem Schuldner ein dauerhaftes Leistungsverweigerungsrecht geben (sog. „peremptorische Einreden“, vgl. auch § 813 Abs. 1 S. 1).

Medicus/Petersen Allgemeiner Teil des BGB Rn. 93; Medicus/Petersen Bürgerliches Recht Rn. 733. Macht der Schuldner von einer solchen Einrede Gebrauch, geht für den Gläubiger nichts mehr. Er hat zwar einen Anspruch, kann ihn aber nicht mehr durchsetzen. Der Anspruch besteht rechtlich zwar noch, ist faktisch aber verloren.Allerdings kann ein verjährter Anspruch noch unter den Voraussetzungen des § 215 für eine Aufrechnung oder die Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts verwendet werden. Sie erkennen diese Einredetatbestände an der Formulierung

„… kann/ist berechtigt zu verweigern …“

Beispiel

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Verjährung (Einredetatbestand: § 214

Beachten Sie hier den Kondiktionsausschluss nach §§ 813 Abs. 1 S. 2, 214 Abs. 2 S. 1 und die wichtige Bestimmung des § 215.), Einrede der ungerechtfertigten Bereicherung (Einredetatbestand: § 821), Arglisteinrede (Einredetatbestand: § 853), Einrede der beschränkten Minderjährigen- bzw. Erbenhaftung (Einredetatbestände: §§ 1629a, 1973, 1975, 1990), Anfechtbarkeitseinrede (Einredetatbestand: § 2083).

bb) Dilatorische Einreden

43

Andere Einredetatbestände geben dem Schuldner nur ein vorübergehendes Leistungsverweigerungsrecht (sog. „dilatorische Einreden“).

Medicus/Petersen Allgemeiner Teil des BGB Rn. 93; Medicus/Petersen Bürgerliches Recht Rn. 733. In den entsprechenden gesetzlichen Einredetatbeständen wird diese Einschränkung an bestimmte Voraussetzungen geknüpft. Die Formulierungen lauten dann:

„… kann/ist berechtigt zu verweigern, bis/solange …“

Beispiel

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Zurückbehaltungsrechte aus §§ 273, 320, 348, Einreden des Bürgen aus §§ 770, 771.

Hinweis

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Bei den Zurückbehaltungsrechten sieht das Gesetz einen besonderen prozessualen Ausgang vor. Der Richter darf die Klage bei Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts nicht abweisen, sondern muss den beklagten Schuldner gleichwohl verurteilen – aber nicht uneingeschränkt. Die Verurteilung erfolgt nur zu einer Leistung Zug-um-Zug gegen Erbringung der Gegenleistung durch den klagenden Gläubiger (vgl. §§ 274 Abs. 1, 322 Abs. 1). Im Ergebnis also nur ein halber Triumph für den Kläger.

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