BGB Allgemeiner Teil 1

Vertragsschluss - Zustandekommen von Verträgen

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4. Teil Das Zustandekommen von Verträgen

238

Prüfungsschema

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Wie prüft man: Zustandekommen eines Vertrages (= Vertragsschluss)

I.

Antrag (Angebot) einer Partei

 

 

1.

Abgabe und Zugang beim anderen Teil nach allgemeinen Regeln

 

 

2.

Inhaltsbestimmung durch Auslegung

 

 

 

 

Abgrenzung zur invitatio und zum Gefälligkeitsverhältnis

Rn. 249, 250

 

 

 

Bestimmbarkeit der essentialia negotii

Rn. 259

 

3.

(Etwaige) Nichtigkeitsgründe (z.B. §§ 105, 116 ff.)

 

II.

Übereinstimmende Annahme

 

 

1.

Annahme nach § 151

 

 

 

 

Auslegung eines Verhaltens als Annahme

Rn. 262

 

 

 

Sonderfall des § 241a

Rn. 266

 

2.

Annahme durch zugangsbedürftige Annahmeerklärung (Prüfung wie Antrag)

 

 

3.

Annahme durch Schweigen

 

III.

Bindung des Anbietenden bei Annahme

 

 

1.

Kein Ablauf der Annahmefrist

 

 

2.

Kein Erlöschen des Angebots aus anderen Gründen

 

IV.

Kein Dissens

 

Wie wir bereits wissen, erfordert das Zustandekommen eines Vertrages (= Vertragsschluss) als mehrseitiges Rechtsgeschäft in der Regel mindestens zwei wirksame Willenserklärungen, nämlich Antrag (Angebot) und Annahme, §§ 145 ff.

Vom Zustandekommen eines Vertrages, also dem Vertragsschluss durch Angebot und Annahme, ist die nachfolgende Frage der Wirksamkeit eines geschlossenen Vertrages streng zu unterscheiden (siehe oben unter Rn. 89 ff.). Dies erkennen Sie zum Beispiel an den Formulierungen in §§ 108 Abs. 1, 177 Abs. 1, 1366 Abs. 1. Ist ein Vertrag geschlossen worden, heißt das noch nicht, dass er wirksam ist. Ist der Vertrag unwirksam, ist er sozusagen nur „äußerlich zustande gekommen“, er löst also die von den Vertragsschließenden gewollten Wirkungen nicht aus. Ist ein Vertrag umgekehrt mangels Einigung nicht zustande gekommen, liegt gar kein Rechtsgeschäft („Nicht-Rechtsgeschäft“) vor.

Leenen BGB AT vor § 8 Rn. 1 ff. und § 9 Rn. 1 ff. Die Frage der Nichtigkeit kann sich nicht stellen, weil es gar kein Rechtsgeschäft gibt, das nichtig sein könnte.

Bevor wir uns jetzt mit dem Zustandekommen eines Vertrages beschäftigen, will ich Ihnen noch einmal kurz die Bedeutung von Verträgen in der Anspruchsprüfung vor Augen führen.

A. Überblick

239

Verträge tauchen in der Anspruchsprüfung je nach den im Einzelfall verfolgten Wirkungen an unterschiedlicher Stelle auf.

I. Vertrag als Anspruchsgrundlage

240

Expertentipp

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Erinnern Sie sich, durch welche einseitigen Rechtsgeschäfte Schuldverhältnisse begründet werden können?

Nach § 311 Abs. 1 kann ein Schuldverhältnis – und damit ein Anspruch – „durch Rechtsgeschäft“ begründet werden. Außerdem heißt es in § 311 Abs. 1, dass dazu ein Vertrag erforderlich ist, „soweit nicht das Gesetz ein anderes vorschreibt“. Gleiches gilt auch für die „Änderung des Inhalts eines Schuldverhältnisses“, soweit die Änderung nicht bereits durch ein einseitiges Gestaltungsrecht herbeigeführt werden kann.

Dazu sogleich unter Rn. 243.

Beispiel

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Durch Abschluss eines Kaufvertrages lassen die Parteien ein Schuldverhältnis mit Leistungspflichten gem. §§ 433 ff. entstehen. Soll der Kaufpreis nachträglich geändert werden, ist dazu grundsätzlich wieder der Abschluss eines entsprechenden (Änderungs-)Vertrages erforderlich.

Die Regel, dass rechtsgeschäftliche Schuldverhältnisse nur durch Vertrag begründet werden können, ist nur eine andere Beschreibung der Privatautonomie. Denn jeder Person steht es ja grundsätzlich frei zu entscheiden, ob und wem gegenüber sie sich verpflichten will (sog. „Abschlussfreiheit“). Keine andere Person kann ihr eine Verpflichtung einseitig aufbürden. Daher sind für eine wirksame rechtsgeschäftliche Verpflichtung regelmäßig zwei übereinstimmende Willenserklärungen (Angebot und Annahme) erforderlich: Wenn jede Person selbst entscheiden darf, ob und mit wem sie sich rechtlich bindet, kann eine solche Bindung nur dadurch zustande kommen, dass beide Seiten eines beabsichtigten Schuldverhältnisses einen dementsprechenden Willen übereinstimmend bekunden.

241

Eine Beschränkung findet diese (Abschluss-) Freiheit durch das Rechtsinstitut des Kontrahierungszwangs. Hier besteht ausnahmsweise die Pflicht, mit einem anderen einen Vertrag abzuschließen.

Z.B. § 22 PBefG. Stellt die Ablehnung eines Vertragsschlusses eine unerlaubte Handlung dar, ergibt sich eine mittelbare Abschlusspflicht über die schadensrechtliche Pflicht zur Naturalrestitution aus § 249 Abs. 1.Z.B. aus §§ 826, 249 Abs. 1 oder aus §§ 19, 20, 33 Abs. 1, 3 GWB.

Hinweis

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Bei Gesellschaftsverträgen, mit denen juristische Personen oder rechtsfähige Personengesellschaften errichtet werden sollen (vgl. bspw. für die GmbH: § 2 GmbHG, für die AG: § 2 AktG, für die Außen-GbR: § 705, für die OHG: § 105 Abs. 3 HGB i.V.m. § 705, für die Partnerschaftsgesellschaft: § 3 PartGG), erschöpft sich die Wirkung nicht in der Schaffung eines Schuldverhältnisses zwischen den Gesellschaftern. Vielmehr wird gleichzeitig die Organisation und Struktur der Gesellschaft festgelegt („Satzungscharakter“ des Gesellschaftsvertrages).

Auf die Besonderheiten des Gesellschaftsvertrages gehen wir in diesem Skript nicht näher ein.

Siehe dazu im Skript „Handels- und Gesellschaftsrecht“. Dies ist der Darstellung des Gesellschaftsrechts vorbehalten. Entsprechendes gilt für die Besonderheiten der familien- und erbrechtlichen Verträge.Diese sind Gegenstand der Darstellung im Skript „Familien- und Erbrecht“.

II. Verträge als Instrument der Verfügung über Rechte

242

Verträge dienen nicht nur der freiwilligen Begründung eines Schuldverhältnisses. Auch bei der Herbeiführung einer unmittelbaren Rechtsänderung, also bei den sog. Verfügungsgeschäften, die auf die unmittelbare Übertragung, Belastung, Aufhebung oder inhaltliche Änderung eines Rechts gerichtet sind, bedarf es aus den Gründen der wechselseitig zu respektierenden Privatautonomie grundsätzlich eines Vertragsschlusses zwischen Veräußerer und Erwerber.

Beispiel

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Erlassvertrag (§ 397), Abtretungsvereinbarung (§ 398), Einigung i.S.d. §§ 873, 925 oder §§ 929 ff., Einigung über Verpfändung einer beweglichen Sache (§ 1205 Abs. 1).

243

Eine Änderung der Rechtslage ist nur dann durch einseitiges Rechtsgeschäft möglich, wenn einer Partei in Form eines sog. „Gestaltungsrechts“ die Befugnis zugewiesen wurde, auf den Rechtsbestand durch einseitige Verfügung einzuwirken.

Beispiel

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Anfechtung, Kündigung, Rücktritt, Widerruf oder Aufrechnung.

III. Definition

244

Unter Berücksichtigung beider Wirkungsmöglichkeiten von Verträgen, Verpflichtungsgeschäfte einerseits und Verfügungsgeschäfte andererseits, lässt sich der Vertrag wie folgt allgemein definieren:

Definition

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Vertrag

Ein Vertrag ist die von zwei oder mehreren Personen erzielte Willensübereinstimmung über die Herbeiführung eines rechtlichen Erfolges.

Palandt-Ellenberger Einf. v. § 145 Rn. 1.

 

Sehen wir uns nun den Vertragsschluss mit seinen einzelnen Prüfungsstationen an.

B. Der Antrag (§ 145)

245

Verträge kommen durch wirksamen Antrag (= Angebot oder Offerte) und rechtzeitige sowie inhaltlich übereinstimmende wirksame Annahme desselben zustande. Die zeitliche Reihenfolge ist dabei unerheblich. Die Annahme kann deshalb auch vorweg erklärt werden.

Urteil des BGH vom 7. November 2001 (Az: VIII ZR 13/01) unter Ziff. II 3a = BGHZ 149, 129 ff. = NJW 2002, 363.

Außerdem kommt es sehr häufig vor, dass beide Erklärungen zeitgleich abgegeben werden, zum Beispiel bei schriftlichen oder notariell beurkundeten Verträgen. Die nachfolgenden Ausführungen zum notwendigen Inhalt des Angebots gelten dann für beide Erklärungen entsprechend.

Expertentipp

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Heißt es im Sachverhalt, „A kauft bei B“ oder „A und B vereinbarten, dass …“ ist eine Differenzierung zwischen Angebot und Annahme nicht möglich. Müssen Sie – z.B. wegen einer Anfechtung oder wegen einer Stellvertretung – in solchen Fällen auf eine der beiden Willenserklärungen näher eingehen, sprechen Sie einfach von der „auf Abschluss des Vertrages gerichteten Willenserklärung“ (des A bzw. des B).

I. Abgabe und Zugang des Antrags

246

Der Antrag ist im Regelfall die zeitlich erste, auf Abschluss eines Vertrages gerichtete Willenserklärung. Der Antrag ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die also erst mit Zugang beim gewünschten Vertragspartner wirksam wird. Sie kann ausdrücklich oder konkludent erklärt werden, sofern das Gesetz nicht eine bestimmte Form vorschreibt, etwa in §§ 311b Abs. 1 S. 1, 492, 518 Abs. 1 S. 1, 766 S. 1.

Die Wirksamkeit der beiden Willenserklärungen Antrag und Annahme ist im Rahmen der Prüfung des Vertragschlusses jeweils gesondert zu untersuchen. Es handelt sich um zwei getrennt zu prüfende Willenserklärungen. Für jede der beiden Willenserklärungen gilt die im Prüfungsschema vor Rn. 97 vorgestellte Prüfungsreihenfolge, und es stellen sich alle damit verbundenen Fragen. Wir brauchen das jetzt nicht alles zu wiederholen, sondern können uns auf neu hinzutretende Fragen konzentrieren. Diese drehen sich größtenteils um das Thema „Auslegung“.

Siehe zur Auslegung von Willenserklärungen grundsätzlich unter Rn. 192 ff.

II. Auslegung

247

Mit dem Antrag bringt der Erklärende aus der Sicht eines redlichen Empfängers (§§ 133, 157 – „objektiver Empfängerhorizont“) seinen Willen zum Ausdruck, im Einverständnis mit dem anderen Teil bestimmte Rechtsfolgen herbeiführen zu wollen.

1. Abgrenzung zum einseitigen Rechtsgeschäft

248

Der im Antrag geäußerte Wille, Rechtsfolgen gemeinsam mit dem anderen Teil setzen zu wollen, unterscheidet den Antrag vom einseitigen Rechtsgeschäft, bei dem eine Person bestimmte Rechtsfolgen unabhängig vom Willen des anderen herbeiführen möchte.

Beispiel

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Anfechtungs-, Rücktritts- oder Widerrufserklärung im Unterschied zum Antrag auf Abschluss eines Aufhebungsvertrages;

Aufrechnungserklärung im Unterschied zum Antrag auf Abschluss einer Verrechnungsvereinbarung.

2. Abgrenzung zur invitatio ad offerendum

249

Nach § 145 ist der Antragende an sein Angebot nach dessen Zugang grundsätzlich gebunden. Von einem solchen Angebot zu unterscheiden ist die invitatio ad offerendum

Lateinisch: „Einladung zur Abgabe eines Angebots“., also die nach außen gerichtete Aufforderung, jemand solle selbst ein verbindliches Angebot abgeben. Die invitatio ad offerendum soll den Einladenden gerade nicht binden. Erst durch die Annahme des auf die invitatio abgegebenen Angebots kann ein Vertrag zustande kommen. Ob ein Angebot oder nur eine invitatio ad offerendum vorliegt, hängt davon ab, ob der Erklärende Rechtsbindungswillen hatte. Dies ist zunächst durch Auslegung vom Empfängerhorizont gem. §§ 133, 157 zu bestimmen.St. Rspr. des BGH, z.B. Urteil vom 4. Februar 2009 (Az: VIII ZR 32/08) unter Tz. 11 f. = NJW 2009, 1337 ff. Ergibt die Auslegung, dass ein Angebot abgegeben wurde, fehlte dem Erklärenden aber tatsächlich der Rechtsbindungswille, ist die Frage der Wirksamkeit der Erklärung nach der „Lehre vom potentiellen Erklärungsbewusstsein“ zu bestimmen (siehe Rn. 228 ff.).

Beispiel

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Eine verbindliche Erklärung wird regelmäßig bei „Angeboten“ an einen unbegrenzten Adressatenkreis zu verneinen sein, bei denen sich die betreffende Person ersichtlich eine Entscheidung über eine vertragliche Bindung noch vorbehalten will: Bestellportale im Internet

BGH Urteil vom 16. Oktober 2012 (Az: X ZR 37/12) unter Tz. 14 = BGHZ 195, 126 = NJW 2013, 598 f. (wunderbarer Klausurfall – unbedingt lesen!)., „Angebote“ in der WerbungUrteil des BGH vom 4. Februar 2009 (Az: VIII ZR 32/08) unter Tz. 12 = NJW 2009, 1337 ff. (Kataloge, Zeitungsannoncen, etc.) oder in Speisekarten;

auch eine Erklärung mit der Formulierung: „Dieses Angebot ist freibleibend“ ist als invitatio ad offerendum anzusehen.

BGH NJW 1996, 919, 920; MüKo-Kramer § 145 Rn. 7.

 

3. Abgrenzung zum Gefälligkeitsverhältnis

250

Insbesondere bei der Verabredung unentgeltlicher Geschäfte

Siehe dazu Rn. 84 ff. kann unklar sein, ob die Personen mit „Rechtsbindungswillen“ gehandelt haben oder ob ein reines Gefälligkeitsverhältnis ohne vertragliche Bindung vorliegt. Ob durch Äußerungen ein Vertragsverhältnis zustande kommen soll oder ob nur eine Gefälligkeitshandlung ohne rechtliche Bindung vorliegt, ist wieder durch Auslegung vom Empfängerhorizont gem. §§ 133, 157 zu beurteilen.BGH Urteil vom 18. Dezember 2008 (Az: IX ZR 12/05) unter Tz. 7 = NJW 2009, 1141 ff; BGH NJW 1992, 498 unter Ziff. 2a; Palandt-Ellenberger Einf. v. § 116 Rn. 4. Bei fehlendem Rechtsbindungswillen gilt die „Lehre vom potentiellen Erklärungsbewusstsein“.Siehe dazu oben unter Rn. 228 ff. Eine vertragliche Bindung wird insbesondere dann zu bejahen sein, wenn erkennbar ist, dass für den Leistungsempfänger wesentliche Interessen wirtschaftlicher Art auf dem Spiel stehen und er sich auf die Einhaltung der Zusage verlassen muss oder wenn der Leistende seinerseits an der Angelegenheit ein erkennbares rechtliches oder wirtschaftliches Interesse hat.BGH a.a.O. m.w.N. Ist dies hingegen nicht der Fall, kann dem Handeln der Beteiligten nur unter besonderen Umständen ein rechtlicher Bindungswille zugrunde gelegt werden. Ein Bindungswille wird deshalb in der Regel bei den Gefälligkeiten des täglichen Lebens, bei Zusagen im rein gesellschaftlichen Verkehr oder bei Vorgängen, die diesen ähnlich sind, zu verneinen sein.BGH a.a.O. m.w.N.; Palandt-Ellenberger Einl. vor § 241 Rn. 7.

Dem Umstand, dass für eine Leistung kein Entgelt gezahlt wird, kommt indes kein entscheidendes Gewicht zu.

BGH Urteil vom 18. Dezember 2008 (Az: IX ZR 12/05) unter Tz. 8 = NJW 2009, 1141 ff. Das erkennen Sie daran, dass die im BGB typisierten Gefälligkeitsverträge wie Schenkung (§§ 516, 518), Leihe (§ 598) oder Auftrag (§ 662) als echte Verträge mit Rechtsbindungswillen geschlossen werden, obwohl sie eine unentgeltliche Leistung zum Gegenstand haben.

 

Beispiel

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Student Albert (A) wird eines Morgens von seiner schönen Nachbarin Barbara (B) gebeten, auf seinem Heimweg ihren abgeschleppten Wagen bei der Polizei abzuholen. A sagt gerne zu und nimmt ihren Zweitschlüssel mit. Da A gerade an seiner Seminararbeit schreibt, vergisst er die Sache aber und kehrt abends müde und ohne Auto wieder zurück. B ist konsterniert, da sie nun für einen weiteren Tag Standgebühren zahlen muss. Ist A zur Erstattung verpflichtet?

Hier wäre ein Anspruch der B gegen A aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 Abs. 2 Nr. 1 wegen Leistungsverzögerung zu verneinen, da kein Auftragsverhältnis i.S.d. §§ 662 ff. und damit auch keine fällige Leistungspflicht des A begründet wurde. Die wechselseitig ausgetauschten Äußerungen lassen bei redlichem Verständnis (§§ 133, 157) nicht auf einen Rechtsbindungswillen der Beteiligten schließen. B war in der Situation der „Verabredung“ nicht besonders auf A angewiesen, sondern konnte ohne ernsthafte Probleme einen anderen fragen oder den Wagen mit ihrem eigenen Schlüssel selbst herbeiholen. Umgekehrt musste A in der Lage sein, ohne Haftungsrisiken wegen Pflichtverletzung, etwa aufgrund eines anderen Termins, das Vorhaben wieder abzubrechen. B konnte nicht erwarten, dass sich A einer verbindlichen Leistungspflicht unterwerfen wollte.

III. Mindestinhalt: „essentialia negotii“

251

Das Angebot muss alle Festlegungen treffen, die weder durch dispositive Gesetzesvorschriften noch durch eine – im Streitfalle vom Richter vorzunehmende – ergänzende Vertragsauslegung (§§ 133, 157) geregelt werden können. Man spricht hier von den sog. „essentialia negotii“. Nur wenn die Vertragserklärungen diesen Anforderungen inhaltlich gerecht werden, kann ein bestimmter Vertrag zustande kommen.

 

1. Beteiligte Personen

252

Aus dem Angebot muss sich deshalb zunächst ergeben, zwischen welchen Parteien der Vertrag eigentlich geschlossen werden soll. Handelt der Erklärende im eigenen Namen oder im fremden Namen?

Beim echten Vertrag zugunsten Dritter i.S.d. § 328 müsste außerdem deutlich sein, welcher am Vertragsschluss nicht beteiligten Person aus dem Vertrag ein Anspruch zustehen soll.

Siehe dazu im Skript S_JURIQ-SchuldAT1/Teil_1/Kap_A/Abschn_III/Nr_4/Bst_a/Rz_29S_JURIQ-SchuldAT1/Teil_1/Kap_C/Abschn_V/Rz_29 „Schuldrecht AT I“ Rn. 29 ff„Schuldrecht AT I“ Rn. 29 ff

Diese Personenentscheidungen kann der Gesetzgeber bzw. der Richter den privatautonom handelnden Personen nicht abnehmen. Außerdem ist die Festlegung des Vertragspartners entscheidend für die Frage, wem das Angebot eigentlich zugehen muss, um wirksam zu werden.

2. Vertragsgegenstand

253

Weiter muss das Angebot Aussagen über den Vertragsgegenstand treffen.

a) Begründung eines Schuldverhältnisses

254

Soll durch den Vertrag ein Schuldverhältnis begründet werden (§ 311 Abs. 1), muss das Angebot deutlich machen, welche Leistungspflichten eigentlich Gegenstand des Schuldverhältnisses sein sollen.

Der Gesetzgeber hilft den Parteien je nach Vertragstyp mit zahlreichen Normen, so dass die Parteien insoweit keine detaillierteren Festlegungen treffen müssen und teilweise – soweit zwingendes Recht vorliegt – auch gar nicht abweichen können.

Beispiel

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Vergütungsregeln in §§ 612 Abs. 2, 632 Abs. 2, 653 Abs. 2; Fälligkeitsregeln in §§ 614, 641, 652 Abs. 1 S. 1; Regeln bei Leistungsstörungen (§§ 280 ff., §§ 346 ff. i.V.m. §§ 323 ff., §§ 437 ff.); Nebenleistungspflichten wie bspw. §§ 371, 469 Abs. 1 S. 1, 539, 541, 553 Abs. 1 S. 1.

255

Die Anwendbarkeit dieser Regeln erfordert aber immerhin solche Aussagen der Parteien, die eine Anwendung dieser dispositiven Normen ermöglichen.

Beispiel

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Um §§ 612 Abs. 2, 614 zur Anwendung zu bringen, müssen sich die Parteien zumindest über einen Vertrag geeinigt haben, der dem gesetzlichen Typ des „Dienstvertrages“ zugeordnet werden kann. Es muss also eine Einigung des Inhalts vorliegen, dass die Erbringung von bestimmten Dienstleistungen gegen die Zahlung eines Entgelts geschuldet sein soll. Lediglich die Höhe des Entgelts muss nicht zwingend festgelegt werden, da hier bereits § 612 Abs. 2 hilft.

Diese Festlegung kann auch der Richter nicht im Wege ergänzender Vertragsauslegung vornehmen, da er sich dabei außerhalb der Grenzen dieser Auslegungsmethode befände.

Vgl. Palandt-Ellenberger § 157 Rn. 7 ff.

Die Zuordnung eines Vertrags zu einem der gesetzlich genannten Typen erfordert also zwingend eine Aussage zu den sog. „Primärleistungspflichten“, d.h. jener Pflichten, die den Vertrag kennzeichnen und unmittelbar durch ihn begründet werden sollen.

256

Natürlich müssen sich die Vertragschließenden nicht auf einen gesetzlichen Vertragstyp verständigen. Möglich ist es aufgrund der Vertragsfreiheit vielmehr auch, dass die Parteien einen Vertrag eigener Art („sui generis“) schaffen oder etwa gesetzlich geregelte Vertragstypen mischen.

Beispiel

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Mobilfunkvertrag, „Clubmitgliedschaft in einem Fitness-Studio“, Lizenzvertrag, Kooperationsvertrag, Geheimhaltungsvereinbarung

b) Verfügung über ein Recht

257

Bei den Verfügungsgeschäften kann der Gesetzgeber bzw. der Richter den Parteien nicht die Entscheidung abnehmen, über welchen Gegenstand in welcher Weise verfügt werden soll. Die Parteien müssen also den Gegenstand und die Art der Verfügung in ihren Vertragserklärungen festlegen.

Hinweis

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Das Gesetz hilft hier nur teilweise, z.B. § 926 Abs. 1 S. 2.

258

Wegen des im Sachenrecht festgelegten „Typenzwangs“ können die Parteien von der inhaltlichen Ausgestaltung der Verfügung nur in ganz engen Grenzen abweichen.

Beispiel

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Eine bewegliche Sache kann nur nach §§ 929 ff. übereignet und nur nach §§ 1204 ff. verpfändet werden.

Hinweis

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Die Festlegung von Gegenstand und Art der Verfügung haben die Parteien also selbst in der Hand, die Regelung des Verfahrens und inhaltliche Ausgestaltung der Verfügung hingegen nur begrenzt.

3. Genauigkeit

259

Hinsichtlich der Genauigkeit der notwendigen Aussagen gilt der Grundsatz, dass diese Festlegungen anhand des Angebots zumindest in eindeutiger Weise bestimmt werden können. Anders ausgedrückt: In Bezug auf den notwendigen Inhalt eines Rechtsgeschäfts muss der Wille des Anbietenden anhand seines Angebots eindeutig bestimmbar sein. Der Empfänger muss anhand der Angebotserklärung in der Lage sein, den Vertrag durch ein schlichtes „Ja“ abzuschließen.

Palandt-Ellenberger § 145 Rn. 2.

Beispiel

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Das Angebot eines eBay-Verkäufers richtet sich im Falle des „Auktionsverfahrens“ an den Höchstbietenden. Der gewünschte Vertragspartner ist zwar noch nicht individualisiert, aber doch eindeutig bestimmbar, nämlich „jeder, sofern er ein eBay-Teilnehmer ist“ bzw. „derjenige Teilnehmer, der im Rahmen des Gebotszeitraums regelkonform das Höchstgebot abgegeben hat.“ Im letzteren Fall ergibt sich aus dem Angebot zugleich, dass das Höchstgebot der zu zahlende Kaufpreis für die zur „Versteigerung“ gestellte Sache sein soll.

Zum Vertragsschluss bei eBay und der besonderen Problematik des sog. „shill-biddings“ siehe Urteil des BGH vom 24. August 2016 (Az: VIII ZR 100/15) = NJW 2017, 468 (unbedingt lesen!).

Beispiel

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Angebot des V, dem K eine von diesem auszuwählende Menge an DVD-Playern aus dem Sortiment des V zu einem Stückpreis von 100 € zu verkaufen. Auch das genügt. Zwar steht die Liefermenge und damit der Gesamtpreis noch nicht fest. Diese darf aber von K (nach §§ 315, 319) festgelegt werden und ist dann vom Angebot des V erfasst.

Faust BGB AT § 3 Rn. 3; Medicus/Petersen Allgemeiner Teil des BGB Rn. 432.

C. Die Annahme

I. Regelfall

260

Regelmäßig wird der Vertrag durch eine gegenläufige, inhaltlich vollständig übereinstimmende und rechtzeitige Annahmeerklärung geschlossen.

Die Annahmeerklärung ist ihrerseits eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die erst mit Zugang beim Antragenden als dem maßgeblichen Empfänger wirksam wird.

Hinweis

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Eine Ausnahme hiervon macht § 152, wonach bei getrennter notarieller Beurkundung von Angebot und Annahme der Vertrag bereits mit Beurkundung der Annahme zustande kommt und nicht erst bei Zugang der beurkundeten Annahmeerklärung.

Eine Annahme kann ausdrücklich oder schlüssig erklärt werden, wenn keine besondere Form vorgeschrieben ist. Ob überhaupt eine Annahme erklärt wurde und ob sie einen identischen Inhalt hat, ist bei Unklarheiten durch Auslegung zu entscheiden.

Die Qualifizierung eines Verhaltens als (schlüssige) Annahmeerklärung setzt voraus, dass die Beteiligten sich darüber bewusst sind, dass für das Zustandekommen des Vertrages (möglicherweise) noch eine Erklärung erforderlich ist und das Verhalten deshalb als Erklärung betrachten, mit dem der Vertragsschluss zweifelsfrei vollendet wird.

Urteil des BGH vom 11. Juni 2010 (Az: V ZR 85/09) unter Tz. 18. Hat der Empfänger einer Äußerung diese als Annahme verstanden, fehlte dem Erklärenden jedoch ein solches Erklärungsbewusstsein, gelten die oben unter Rn. 228 ff. beschriebenen Regeln nach der „Lehre vom potentiellen Erklärungsbewusstsein“.

Beispiel

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K macht dem V ein Angebot auf Abschluss eines Kaufvertrages, das V verspätet annimmt. Der Verspätung und den damit verbundenen Folgen sind sich weder V noch K bewusst. K zahlt deshalb ohne weitere besondere Erklärung den Kaufpreis an V. Nach Ansicht des BGH ist hier kein Vertrag geschlossen worden.

Urteil des BGH vom 11. Juni 2010 (Az: V ZR 85/09) unter Tz. 18.

Die Annahmeerklärung des V konnte den Vertrag mit K nicht zustande bringen, da das Angebot des K bei Zugang der Annahmeerklärung aufgrund der Verspätung nach § 146 Hs. 2 bereits erloschen war. Die verspätete Annahmeerklärung des V gilt nach § 150 Abs. 1 als neuer Antrag. Dieser könnte konkludent durch Zahlung des Kaufpreises von K angenommen worden sein. Eine Würdigung der Zahlung als eine auf den Abschluss des Kaufvertrages gerichtete Willenserklärung setzt jedoch voraus, dass V bei Eingang der Zahlung eine Annahmeerklärung noch für erforderlich hielt und die Zahlung nicht nur als Erfüllungsverhalten betrachtete. Beide Parteien gingen bei Zahlung des Kaufpreises von einem Vertragsschluss und damit davon aus, dass der K mit der Zahlung lediglich den vermeintlich bereits zustande gekommenen Vertrag erfüllen wollte. Die Zahlung wurde also nicht als Annahme verstanden. K kann seine Zahlung damit nach § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1 zurückfordern.

261

Decken sich die beiden Erklärungen inhaltlich nicht vollständig, spricht man von einem „Einigungsmangel“, auch „Dissens“

Dieser Begriff stammt von dem lateinischen Verb „dissentire“ = „uneinig sein“. genannt. Die abändernde Annahmeerklärung kann den Vertragsschluss noch nicht bewirken, sondern stellt ihrerseits ein neues Angebot dar, § 150 Abs. 2. Dazu muss die Änderung natürlich nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen vom Empfängerhorizont auch erkennbar sein; anderenfalls liegt eine übereinstimmende Annahme vor, siehe BGH Urteil vom 14. Mai 2014 (Az: VII ZR 334/12) = NJW 2014, 2100. Zum Dissens sogleich mehr unter Rn. 277 ff.

Wir werden nun auf Sonderformen der Annahme eingehen. Die Fälle der Annahme durch Schweigen nach § 362 Abs. 1 HGB sowie die Grundsätze über das kaufmännische Bestätigungsschreiben sind allerdings der Darstellung des Handelsrechts vorbehalten.

Siehe im Skript S_JURIQ-HGR/Teil_1/Kap_C/Abschn_II/Rz_267S_JURIQ-HGR/Teil_1/Kap_C/Abschn_III/Nr_1/Rz_267„Handels- und Gesellschaftsrecht“ Rn. 268 ff. „Handels- und Gesellschaftsrecht“ Rn. 268 ff. und S_JURIQ-HGR/Teil_1/Kap_C/Abschn_III/Nr_3/Bst_f/Rz_289S_JURIQ-HGR/Teil_1/Kap_C/Abschn_IV/Nr_1/Rz_289 290 ff290 ff.

II. Annahme nach § 151

262

In den Fällen des § 151 muss die Annahme ausnahmsweise nicht gegenüber dem Antragenden erklärt werden, wenn der Zugang der Annahmeerklärung nach der Verkehrssitte nicht zu erwarten ist oder der Antragende darauf verzichtet hat.

Der Zugang der Annahme soll nach der Verkehrssitte beispielsweise nicht zu erwarten sein bei für den Empfänger des Antrags lediglich vorteilhaften Geschäften (vgl. § 516 Abs. 2).

BGH NJW 2000, 276; NJW 2000, 1563; Palandt-Ellenberger § 151 Rn. 3.

Es bedarf in diesen Fällen dann lediglich der Annahme als solcher, d.h. eines als Willensbetätigung zu wertenden, nach außen hervortretenden Verhaltens des Angebotsadressaten, aus dem sich dessen Annahmewille unzweideutig ergibt.

St. Rspr. des BGH – z.B. Entscheidung vom 10. Mai 2001 (Az: XII ZR 60/99) = NJW 2001, 2324 m.w.N.; Palandt-Ellenberger § 151 Rn. 2. Teilweise wird der Annahme i.S.d. § 151 S. 1 der Charakter einer Willenserklärung abgesprochen, da der Wille der Person gerade nicht erklärt, sondern nur anhand von Fakten beweisbar sei. Der Streit ist aber ohne Bedeutung, da die Regeln über Willenserklärungen grundsätzlich entsprechend angewendet werden.Palandt-Ellenberger § 151 Rn. 2b.

263

In welchen Handlungen eine genügende Betätigung des Annahmewillens zu finden ist, lässt sich nur aufgrund einer Würdigung des konkreten Einzelfalles entscheiden. Dabei ist mangels Empfangsbedürftigkeit der Willensbetätigung bei der Auslegung nicht auf den Empfängerhorizont (§ 157) abzustellen. Vielmehr kommt es darauf an, ob vom Standpunkt eines unbeteiligten objektiven Dritten aus das Verhalten des Angebotsempfängers aufgrund aller äußeren Indizien auf einen „wirklichen Annahmewillen“ (§ 133) schließen lässt.

St. Rspr. des BGH – z.B. NJW 2000, 276.

264

Einigkeit besteht auch darin, dass die subjektiven Elemente einer Willenserklärung vorliegen müssen. Erforderlich ist also, dass der Angebotsempfänger bei Vornahme der nach objektiven Gesichtspunkten als Annahme anzusehenden Handlung einen entsprechenden Handlungswillen sowie – tatsächlich, nicht nur potentiell! – über das so genannte „Erklärungsbewusstsein“ verfügte, ihm also bewusst war, dass sein Verhalten als Ausdruck eines Annahmewillens gedeutet werden könnte.

BGH NJW-RR 1986, 415 unter Ziff. II 2a bb; Palandt-Ellenberger § 151 Rn. 2b; Faust BGB AT § 21 Rn. 26.

Bei objektiv nicht erkennbarem Willensvorbehalt ist § 116 aber zumindest entsprechend anwendbar.

BGH a.a.O.; Palandt-Ellenberger § 151 Rn. 2b a.E. Denn diese Vorschrift gilt als unerlässliche Ausnahme auch bei nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen.

265

Die Frist, innerhalb derer die Annahme nach § 151 erklärt sein muss, um den Vertragsschluss herbeizuführen, ergibt sich nach § 151 S. 2 entweder aus der ausdrücklichen oder durch Auslegung zu ermittelnden Bestimmung des Antragenden. Eine verspätete Annahme lässt den Antrag erlöschen (§ 146 Var. 2); ein Vertrag kommt nicht zustande. § 150 Abs. 1 gilt grundsätzlich nicht, weil § 150 Abs. 1 einen (verspäteten) Zugang der Annahmeerklärung voraussetzt, an dem es bei § 151 gerade fehlt.

MüKo-Busche § 150 Rn. 2.

266

Bei § 151 müssen Sie sich auch das Zusammenspiel mit § 241a merken. Dabei geht es um folgende Konstellationen, bei denen Verbraucher zu einem Vertragsschluss durch Annahme nach § 151 verleitet werden sollen:

Ein Unternehmer (§ 14) sendet einem Verbraucher (§ 13) ohne dessen Bestellung, also ohne eine dem Verbraucher zurechenbare Aufforderung (invitatio oder verbindliches Angebot) eine Sache zu oder erbringt eine sonstige unbestellte Leistung. Wenn der Unternehmer dem Verbraucher nun zugleich den Abschluss eines entgeltlichen Vertrages über die Sache bzw. die Leistung anträgt und zusätzlich auf den Zugang der Annahmeerklärung des Verbrauchers verzichtet, könnte unter den Voraussetzungen des § 151 ein Vertrag zustande kommen.

Beispiel

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Händler V schickt dem K unaufgefordert eine elektrische Zahnbürste, die V in einem Begleitschreiben als „Messeneuheit“ deklariert und ihm als „sauberes Schnäppchen“ für 69,90 € anbietet. Weiter führt V aus, dass er von einem Einverständnis des K ausgehe, wenn er von diesem binnen 14 Tagen nichts höre. K ist neugierig und probiert die Zahnbürste sofort begeistert aus. Nach einer Woche ist ihm die Sache aber zu lästig. Zu einer jetzt anstehenden Geschäftsreise bricht K deshalb mit seiner konventionellen Handbürste auf. Nach drei Wochen kehrt K zurück findet in seinem Briefkasten eine Rechnung des V vor.

Hier könnte ein Kaufvertrag dadurch zwischen V und K zustande gekommen sein, dass K das Angebot des V nach § 151 angenommen hat. V hatte auf den Zugang einer Annahmeerklärung verzichtet, so dass es für den Vertragsschluss eigentlich genügt, wenn K durch sein Verhalten objektiv eine Annahme des Angebots zum Ausdruck bringt, ohne dass diese Erklärung gegenüber dem V abgegeben werden und diesem zugehen müsste. Eine solche Betätigung des Annahmewillens liegt hier vor, da eine mehrtägige Nutzung bei objektiver Betrachtung (§ 133) nicht mehr als Test, sondern als Einverständnis mit dem Kauf zu verstehen ist. Erst durch den Kaufvertrag erhält K den Rechtsgrund für die von ihm zu diesem Zeitpunkt offenbar beabsichtigte dauerhafte Nutzung der Sache. Ein insgeheimer Willensvorbehalt („Ich will die Bürste behalten, aber nicht bezahlen.“) wäre nach § 116 S. 1 unbeachtlich.

Diesem Treiben macht § 241a Abs. 1 einen Strich durch die Rechnung. Danach wird durch die Lieferung unbestellter Sachen oder durch die Erbringung unbestellter sonstiger Leistungen durch einen Unternehmer an einen Verbraucher ein Anspruch gegen diesen (= Verbraucher) „nicht begründet“. Dies bedeutet, dass ein Vertrag über § 151 nicht zustande kommen, sondern nur durch eine gegenüber dem Absender abgegebene und diesem zugegangene Annahmeerklärung geschlossen werden kann.

Palandt-Grüneberg § 241a Rn. 6; MüKo-Finkenauer § 241a Rn. 16. Bei der Bestimmung der Unternehmer- und Verbrauchereigenschaft der handelnden Personen ist darauf abzustellen, welche Eigenschaft den Personen im Falle eines fiktiven Vertragsschlusses zukäme.Palandt-Grüneberg § 241a Rn. 2; MüKo-Finkenauer § 241a Rn. 4. Im Beispiel ist daher noch kein Kaufvertrag zustande gekommen.

267

Expertentipp

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IV. Sonderfall: Zuschlag gem. § 156

269

Bei Versteigerungen liegt das Angebot stets im Gebot des Bieters und die Annahme im zeitlich darauf folgenden Zuschlag des Versteigerers. Daraus folgt, dass in der Präsentation des Versteigerungsobjekts stets eine invitatio ad offerendum zu sehen ist. Der Zuschlag aufgrund eines konkreten (Höchst-)Gebots ist also immer die Annahmeerklärung des Versteigerers. Sie ist keine empfangsbedürftige Willenserklärung (arg. ex § 15 S. 2 BeurkG) und bringt den Vertrag daher auch in Abwesenheit des Bieters ohne Zugang bei diesem zustande. Der Vertrag kommt daher auch zustande, wenn sich der Höchstbietende vor dem Zuschlag entfernt hatte.

Palandt-Ellenberger § 156 Rn. 1.

D. Bestand des Angebots zum Zeitpunkt der Annahme

I. Erlöschen des Angebots nach § 146

270

Nach § 146 erlischt der Antrag durch Ablehnung oder durch Ablauf der Annahmefrist.

1. Ablehnung

271

Die Ablehnung ist ihrerseits eine empfangsbedürftige Willenserklärung. Sie kann entweder durch schlichtes „Nein!“ erfolgen oder durch ein „Ja, aber…“ Es handelt sich im letzteren Fall um eine abändernde Annahmeerklärung, die inhaltlich nicht vollständig mit dem Angebot übereinstimmt. Sie ist zum einen eine Ablehnung des bisherigen Angebots. Denn zu den vorgeschlagenen Konditionen soll der Vertrag ja nicht geschlossen werden. Da der Ablehnende einen Vertrag aber prinzipiell will, wird die abändernde Annahme nach § 150 Abs. 2 ihrerseits als neues Angebot aufgefasst. Dieses wiederum kann vom anderen Teil angenommen werden, so dass sich die Parteien dann vollständig geeinigt hätten.

2. Fristablauf und ähnliche Erlöschensgründe

272

Ein durch Zugang wirksam gewordenes Angebot kann keine ewige Bindung entfalten. Andernfalls wäre der Anbietende in seiner Disposition unzumutbar eingeschränkt.

Wie lange der Anbietende an sein Angebot gebunden sein soll, kann dieser selbst bestimmen. Er kann Annahmefristen festlegen (§ 148 bzw. § 151 S. 2) oder sich ein über § 130 Abs. 1 S. 2 hinausgehendes Widerrufsrecht einräumen.

BGH Urteil vom 8. Juni 2011 (Az: VIII ZR 305/10) unter Tz. 17 = NJW 2011, 2643 ff. (Vorbehalt der Angebotsrücknahme bei eBay-Auktion); ebenso BGH Urteil vom 8. Januar 2014 (Az: VIII ZR 63/13) = NJW 2014, 1292 ff. Schließlich kann er sein Angebot unter eine auflösende Bedingung (§ 158 Abs. 2) stellen. Was im Einzelnen gewollt ist, bedarf der Auslegung vom Empfängerhorizont, §§ 133, 157.

Beispiel

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„Angebot solange Vorrat reicht“ = entweder auflösende Bedingung oder Widerrufsvorbehalt.

Palandt-Ellenberger § 145 Rn. 4.

Im Falle eines Widerrufsvorbehalts ist im Zweifel anzunehmen (§§ 133, 157), dass der Widerruf nur bis zum Zugang der Annahmeerklärung des Empfängers zulässig ist.

Palandt-Ellenberger § 145 Rn. 4.

273

Wenn der Anbietende keine Aussagen über die zeitliche Bindungswirkung trifft, bestimmt das Gesetz in § 147 je nach Situation die Annahmefristen.

Der unter Anwesenden erklärte Antrag kann nur sofort angenommen werden (§ 147 Abs. 1).

Ist der Antrag gegenüber einem Abwesenden erklärt worden, gilt für die Fristbestimmung § 147 Abs. 2. Dort ist keine starre Frist vorgesehen. Die Frist ist vielmehr im Einzelfall nach objektiven Maßstäben zu bestimmen. Sie setzt sich zusammen aus der Zeit für die Übermittlung des Antrages an den Empfänger, dessen Bearbeitungs- und Überlegungszeit sowie der Zeit der Übermittlung der Antwort an den Antragenden. Sie beginnt mit der Abgabe der Erklärung und nicht erst mit deren Zugang bei dem Empfänger.

Urteil des BGH vom 11. Juni 2010 (Az: V ZR 85/09) unter Tz. 11 (sehr lesenswerte Entscheidung!).

274

Nach Ablauf der Bindungsfrist ist das Angebot erloschen und kann nicht mehr angenommen werden.

Hinweis

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Beachten Sie in diesem Zusammenhang den Sonderfall des § 149.

Eine nach Ablauf der Annahmefrist, also verspätet zugegangene Annahmeerklärung bringt ihrerseits wieder den Willen für einen Vertragsschluss zum Ausdruck, so dass sie nach § 150 Abs. 1 als neues Angebot angesehen wird.

 

II. Fälle des § 153

275

Nach § 130 Abs. 2 ist es für die Wirksamkeit einer Willenserklärung ohne Einfluss, wenn der Erklärende nach der Abgabe stirbt oder geschäftsunfähig wird. Dies gilt deshalb auch für eine Angebotserklärung. § 153 spricht nun aus, dass deshalb ein Vertrag durch Annahme eines Angebots auch dann zustande kommen kann, wenn der Antragende nach Abgabe seiner Erklärung stirbt oder geschäftsunfähig wird. Die Annahmeerklärung muss dann gegenüber den Erben (diese werden Vertragspartner) bzw. gegenüber dem gesetzlichen Vertreter des Geschäftsunfähigen (§ 131 Abs. 1) abgegeben werden und diesen Personen zugehen.

Das Angebot erlischt aber durch Tod bzw. Geschäftsunfähigkeit des Anbietenden, wenn sich dies durch Auslegung vom Empfängerhorizont (§§ 133, 157) ermitteln lässt.

Faust BGB AT § 3 Rn. 11 ff.; Medicus/Petersen Allgemeiner Teil des BGB Rn. 377.

Beispiel

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Der 89 Jahre alte K bestellt bei dem Apotheker V seine Tabletten gegen Herzbeschwerden. Stirbt K vor Annahme seiner Bestellung, kann das Angebot nicht durch Erklärung gegenüber den Erben angenommen werden. Ersichtlich handelt es sich um einen Vertrag, an dessen Erfüllung der K ein höchstpersönliches Interesse hatte, so dass seine Bestellung mit seinem Tod hinfällig geworden, also erloschen ist.

Hinweis

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Stirbt umgekehrt der Adressat des Angebots bzw. wird er geschäftsunfähig, im Beispiel also der V, und zwar nach Zugang des Antrags und vor Abgabe seiner Annahmeerklärung, ist wiederum durch Auslegung zu entscheiden, ob der Antrag weiterhin gelten soll oder nicht. Sind im Beispiel die Erben keine Apotheker, soll das Angebot im Zweifel nicht aufrechterhalten werden. K möchte ersichtlich nicht von Dilettanten bedient werden.

III. Fälle des § 156 S. 2

276

Bei Versteigerungen nennt man das Angebot „Gebot“ und die Annahme „Zuschlag“. Ein Gebot erlischt nach § 156 S. 2 bei Abgabe eines höheren „Übergebots“ und kann dann nicht mehr durch Zuschlag angenommen werden.

E. Der Einigungsmangel (Dissens)

277

Bitte Beschreibung eingeben

Zeigt sich ein Einigungsmangel, ist zu prüfen, ob und wie sich dieser auf den Vertragsschluss auswirkt. Hierfür hält das Gesetz in §§ 154, 155 Auslegungsregeln bereit. Bevor diese Auslegungsregeln im Einzelfall zur Anwendung gebracht werden, muss aber zunächst sicher feststehen, dass es sich tatsächlich um einen Einigungsmangel im Sinne der §§ 154, 155 handelt.

 

I. Der offene Einigungsmangel, § 154

278

Unproblematisch ist die Feststellung eines offenen Einigungsmangels im Sinne von § 154: Wissen beide Parteien, dass sie sich über einen Punkt nicht geeinigt haben, der nach dem Willen zumindest einer Partei geregelt werden sollte, gilt der Vertrag gem. § 154 Abs. 1 im Zweifel als nicht geschlossen. Das überrascht nicht: Nach dem Prinzip der Privatautonomie ist ja niemand zum Abschluss eines Vertrages verpflichtet, den er so nicht will. Man spricht insoweit auch von einer „negativen Vertragsfreiheit“. Der offene Dissens ist kein Nichtigkeitsgrund. Vielmehr ist der Vertrag noch gar nicht geschlossen worden, das Rechtsgeschäft scheitert bereits auf der ersten Stufe des Zustandekommens.

Medicus/Petersen Allgemeiner Teil des BGB Rn. 438; Faust BGB AT Rn. § 3 Rn. 25; MüKo-Busche § 154 Rn. 11. Sie erkennen daran wieder die systematische Trennung zwischen Zustandekommen und Wirksamkeit eines Vertrages.

Beispiel

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M will von V in dessen Haus eine frei gewordene Wohnung inkl. Tiefgaragenstellplatz sowie noch einen weiteren Tiefgaragenstellplatz mieten. Über die Konditionen besteht grundsätzlich Einvernehmen. Jedoch kann V bislang den zweiten Tiefgaragenstellplatz noch nicht zusagen, da dieser möglicherweise von anderen Mietern benötigt wird. Solange M den Mietvertrag nur mit zwei Tiefgaragenstellplätzen abschließen möchte und sich mit V auch über diesen Punkt noch nicht geeinigt hat, ist der Mietvertrag gem. § 154 Abs. 1 im Zweifel insgesamt noch nicht zustande gekommen.

§ 154 Abs. 2 stellt klar, dass auch die von mindestens einer Partei gewünschte Form ein Punkt sein kann, ohne dessen Erfüllung der Vertrag im Zweifel noch nicht geschlossen ist.

Hinweis

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§ 154 Abs. 2 gilt nur in Bezug auf eine freiwillige Form und ergänzt die Regelung in § 125 S. 2. Mit einer gesetzlich vorgeschriebenen Form hat § 154 Abs. 2 nichts zu tun. Ist ein Vertrag ohne Beachtung der gesetzlich vorgeschriebenen Form (etwa nach §§ 311b Abs. 1, 518 Abs. 1, 766) geschlossen worden, ist er nach § 125 S. 1 nichtig. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Formmangel ausnahmsweise geheilt worden ist (z.B. nach §§ 311b Abs. 1 S. 2, 518 Abs. 2, 766 S. 3).

279

Unerheblich ist, ob der fehlende Punkt aus Sicht eines objektiven Dritten wesentlich ist oder nicht.

MüKo-Busche § 154 Rn. 4. Das ergibt sich wiederum aus dem Prinzip der Privatautonomie. Wenn der Einzelne in seiner Entscheidung über den Vertragsinhalt frei ist, kann es auf eine objektive Beurteilung des Vertragsinhalts bzw. der Wesentlichkeit eines fehlenden Punktes nicht ankommen.

Beispiel

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Bauer K beschließt den Kauf eines Traktors bei V. K und V haben sich bereits auf ein bestimmtes Modell und den Kaufpreis geeinigt. K ist hinsichtlich der Farbe der Maschine aber noch unentschlossen und will noch überlegen.

Auch wenn die Farbe einer landwirtschaftlichen Maschine aus Sicht eines objektiven Dritten völlig irrelevant ist, ist ein Vertrag zwischen K und V zu diesem Zeitpunkt (noch) nicht zustande gekommen. Es liegt ein offener Einigungsmangel vor und es gibt auch keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Parteien die Gültigkeit des Vertrages bereits jetzt schon wollten.

280

Aus dem Prinzip der Privatautonomie folgt aber auch, dass die Parteien die Bedeutung eines offenen Punktes für ihre vertraglichen Beziehungen fallen lassen können. Das meint § 154 Abs. 1 S. 1, wenn danach der Vertrag nur „im Zweifel“ nicht geschlossen wurde. Der Vertrag ist also entgegen der Auslegungsregel des § 154 Abs. 1 S. 1 trotz offen gebliebener Punkte ausnahmsweise doch geschlossen, wenn sich die Parteien trotz des Einigungsmangels erkennbar vertraglich binden wollten. Ein entsprechender Wille der Parteien, sich dennoch zu binden, lässt sich beispielsweise daraus ableiten, dass sie trotz offener Punkte übereinstimmend mit der Durchführung des Vertrages beginnen.

Beispiel

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Unternehmer K will bei Unternehmer V Ware einkaufen, wobei beide sich bereits über Kaufgegenstand, Kaufpreis und Erfüllungsort geeinigt haben. In ihren Erklärungen weisen beide darauf hin, dass auf den Vertrag ausschließlich ihre eigenen AGB Anwendung finden sollen. Die „Allgemeinen Einkaufsbedingungen“ des K enthalten teilweise abweichende Regelungen als die „Allgemeinen Verkaufs- und Lieferbedingungen“ des V. Obwohl K und V die Frage der AGB-Geltung nicht geklärt haben, führen beide den Vertrag einvernehmlich durch und tauschen Ware gegen Kaufpreis aus. Im Umfang der sich widersprechenden (= „kollidierenden“) AGB-Regelungen bestand zwischen K und V ein offener Dissens. Die aus § 154 Abs. 1 folgende Vermutung des fehlenden Vertragsschlusses ist hier durch das tatsächliche Verhalten der Parteien widerlegt worden. Da sich K und V auf die essentialia negotii geeinigt haben, liegt kein Totaldissens vor. Der Vertrag ist unter Einschluss der übereinstimmenden AGB geschlossen worden. Die sich widersprechenden AGB gelten nicht und werden nach § 306 Abs. 2 durch die gesetzlichen Bestimmungen ersetzt.

Palandt-Ellenberger § 154 Rn. 3.

281

Bei offen gebliebenen Punkten kann die Rechtsordnung einen Vertrag aber nur dann verbindlich anerkennen, wenn die Ausfüllung der bestehenden Lücken – etwa mit Hilfe des dispositiven Rechts oder der ergänzenden Vertragsauslegung – überhaupt möglich ist.

282

Ein Ausfüllen der offen gebliebenen Punkte ist dann nicht möglich, wenn es an der Einigung über die essentialia negotii fehlt, sog. „Totaldissens“.

Medicus/Petersen Allgemeiner Teil des BGB Rn. 438; Faust BGB AT § 3 Rn. 25. Unter „essentialia negotii“ versteht man solche Regelungen, die durch dispositives Gesetzesrecht nicht ersetzt werden können und von den Parteien bei Vertragsschluss mindestens vereinbart werden müssen (siehe Rn. 251 ff). Dann kommen die §§ 154 f. gar nicht erst zur Anwendung: Ein Vertrag kann hier nicht zustande kommen, da sich die Hauptleistungspflichten der Parteien nicht bestimmen lassen.Palandt-Ellenberger Überbl. v. § 104 Rn. 3.

 

II. Der versteckte Einigungsmangel, § 155

1. Formen des versteckten Einigungsmangels

283

Beim versteckten Einigungsmangel sind sich die Parteien nicht darüber bewusst, dass ihre Einigung sich nicht in allen Punkten deckt und ein Vertrag noch gar nicht zustande gekommen ist.

Der Grund dafür kann einmal darin liegen, dass die Parteien einen von beiden Seiten als regelungsbedürftig gehaltenen Punkt vergessen oder übersehen haben („verdeckte Unvollständigkeit“).

Dies kann zum anderen auch daran liegen, dass die abgegebenen Erklärungen objektiv mehrdeutig sind und die Auslegung ergibt, dass die Parteien tatsächlich voneinander Abweichendes meinten („Scheinkonsens“).

Beispiel

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K bittet V um ein Angebot über Lieferung von 1500 Stück Original IBM-Druckkassetten Art. Nr. 1234567 für IBM-Drucker 8910. V macht darauf folgendes Angebot: Lieferung von „1500 Stück Druckkassetten für IBM-Drucker 8910“ zu einem bestimmten Preis. K erklärt nun, er bitte um die Lieferung „der angebotenen 1500 Original IBM Druckkassetten Art. Nr. 1234567 für IBM-Drucker 8910“ und erkläre sich mit dem von V genannten Kaufpreis einverstanden. Erst nach der Lieferung stellt sich heraus, dass V von Anfang an nur Druckkassetten eines anderen Herstellers liefern wollte, die allerdings auch für den Einsatz im IBM-Drucker 8910 geeignet sind. K rügt sofort die Lieferung „falscher Kassetten“.

Muss K dennoch den Kaufpreis für die von V ausgelieferten Druckkassetten zahlen?

Ein Zahlungsanspruch gem. § 433 Abs. 2 setzt das Zustandekommen eines Kaufvertrages zwischen V und K voraus.

Die Aufforderung des K bezog sich eindeutig und unmissverständlich auf die Lieferung von „1500 Stück Original IBM-Druckkassetten Art.-Nr. 1234567 für IBM-Drucker 8910“. Aufgrund dieser Ausschreibung unterbreitete V das Angebot „1500 Stück Druckkassetten für IBM Drucker 8910“. Mit diesem Angebot wich V ersichtlich vom Wortlaut der Aufforderung des K ab. V wollte die von K gewünschten „Original IBM-Druckkassetten“ weder anbieten noch liefern.

Dieses Angebot des V hat der K nicht angenommen. Vielmehr erteilte er klar und unzweideutig ausdrücklich nur den Auftrag zur Lieferung von „1500 Original-IBM-Druckkassetten“. Wegen dieser wiederholten begrifflichen Abweichung bei der Bezeichnung des Liefergegenstandes ist die Annahme des K vom Standpunkt eines redlichen Empfängers nach §§ 133, 157 nicht als Annahme, sondern gem. § 150 Abs. 2 als Ablehnung des Angebots des V, verbunden mit einem neuen Antrag des K an V anzusehen.

Dieses neue Angebot hat V nicht ausdrücklich angenommen. Eine Annahme dieses Angebots kann auch nicht in der nachfolgenden Auslieferung gesehen werden. Denn V lieferte nicht die von K gewünschten Original-Druckkassetten, sondern lediglich solche eines anderen Herstellers.

Da K dieser Lieferung widersprochen hat, ist auch insoweit keine konkludente Einigung über den Liefergegenstand zustande gekommen.

Damit unterlagen die Parteien einem zunächst versteckten Dissens über den Vertragsgegenstand. Fraglich ist, ob gem. § 155 dennoch von dem Zustandekommen eines Kaufvertrages ausgegangen werden kann. Dies geht nach § 155 aber nur, wenn anzunehmen ist, dass der Vertrag auch ohne eine Einigung über den Produzenten der Druckkassetten geschlossen sein würde. Aus dem späteren Verhalten des K geht aber gerade hervor, dass dies nicht der Fall gewesen wäre.

Mangels Zustandekommen eines Kaufvertrages ist daher kein Zahlungsanspruch gem. § 433 Abs. 2 begründet worden.

(Das Gewährleistungsrecht der §§ 434 ff. kommt hier gar nicht zur Anwendung!)

2. Abgrenzungsfragen

a) Irrtum i.S.d. § 119 Abs. 1

284

In der Prüfung ist der Ausgangspunkt immer das von den Parteien Erklärte. Ist das Erklärte mehrdeutig, kann ein versteckter Dissens vorliegen. Entscheidend ist, ob die Erklärungen auch nach ihrer Auslegung vom jeweiligen Empfängerhorizont aus gem. §§ 133, 157 nicht übereinstimmen.

Stimmen die (nach §§ 133, 157) ausgelegten Erklärungen überein, fehlt es aber an einer Übereinstimmung von (Geschäfts-) Willen einer Person mit dem durch Auslegung gem. §§ 133, 157 gewonnenen Inhalt ihrer Erklärung, liegt kein Dissens, sondern Irrtum vor. Dieser berechtigt unter den weiteren Voraussetzungen des § 119 Abs. 1 zur Anfechtung.

Expertentipp

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Entscheidend für die richtige Abgrenzung zwischen Irrtum und Dissens ist also die korrekte Auslegung der jeweiligen Erklärungen!

b) Abgrenzung zur „falsa demonstratio“

285

Ein Einigungsmangel liegt in den Fällen der falsa demonstratio nicht vor. Der Vertrag ist ja bei der falsa demonstratio mit dem tatsächlich von den Parteien gewollten Inhalt zustande gekommen. Dem Willen beider Parteien und damit ihrer privatautonomen Entscheidung wird gerade auf diese Weise Rechnung getragen.

3. Folgen des versteckten Einigungsmangels

286

§ 155 bestimmt, dass der Vertrag trotz eines versteckten Einigungsmangels ausnahmsweise gültig ist, wenn der mutmaßliche Parteiwille ergibt, dass er auch ohne Einigung über den betreffenden Punkt abgeschlossen worden wäre.

Ein Vertragsschluss ist regelmäßig nur anzunehmen, wenn sich die Parteien über einen Nebenpunkt nicht geeinigt haben und anzunehmen ist, dass der Vertrag auch ohne Einigung über diesen Punkt geschlossen worden wäre.

Palandt-Ellenberger § 155 Rn. 5; Faust BGB AT § 3 Rn. 26 ff. Je bedeutungsloser der Punkt, desto eher ist von einem Vertragsschluss auszugehen.

Ergibt sich im Einzelfall, dass der Vertrag trotz Dissens gültig ist, sind die Einigungslücken durch den Rückgriff auf dispositives Recht und ergänzende Vertragsauslegung zu füllen.

Palandt-Ellenberger § 155 Rn. 5; Faust BGB AT § 3 Rn. 28.

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