Baurecht Bayern

VI. Übungsfall Nr. 2

387

„Gestörte Nachtruhe“

Der Unternehmer A ist Eigentümer eines großen unbebauten Grundstücks Flur Nr. 307 in der im Landkreis Augsburg gelegenen kreisangehörigen Gemeinde K. In der näheren Umgebung des Grundstücks befinden sich eine Bäckerei, eine Metzgerei, eine Kirche, ein Sportplatz sowie einige noch betriebene landwirtschaftliche Anwesen. Der Flächennutzungsplan der Gemeinde K aus dem Jahr 2021 stellt das Grundstück als Sonderbaufläche (S) für den Gemeinbedarf (Schule) dar. In der Gemeinderatssitzung vom 29.3.2022 hat die Gemeinde beschlossen, für das Gebiet einen Bebauungsplan aufzustellen. Für das dem A gehörende Grundstück ist eine Nutzung für Schulzwecke vorgesehen.

A ist mit diesen Plänen der Gemeinde K nicht einverstanden und auch nicht verkaufsbereit. Er möchte auf dem Grundstück eine Diskothek mit entsprechenden Parkflächen errichten. Die Diskothek soll dabei täglich im Zeitraum von 19.00 Uhr bis 1.00 Uhr betrieben werden. In der Besucherzahl ist die Diskothek auf 250 Personen ausgelegt.

Im Folgenden lässt A die Bauantragsunterlagen für die Diskothek erstellen. Die Beteiligung der Eigentümer der angrenzenden Nachbargrundstücke hält er für eine Überflüssigkeit.

Die Gemeinde K legte den Bauantrag nach einer ablehnenden Entscheidung im Gemeinderat am 25.4.2022 dem Landratsamt Augsburg vor. Die Gemeinde führte aus, dass zwar die Erschließung des Grundstücks gesichert sei, das Vorhaben aber der Planungsabsicht der Gemeinde zur Errichtung eines Schulgebäudes zuwiderlaufe.

Die Immissionsschutzabteilung des Landratsamtes Augsburg kam im Folgenden zu der Einschätzung, dass die Lärmbelastung der Diskothek durch Musikgeräusche, Verkehrsgeräusche und Gespräche beim Verlassen am nächstgelegenen Immissionsort einen Lärmrichtwert von 62 dB(A) verursache.

Aufgabe: Welche Entscheidung wird das Landratsamt Augsburg über den Bauantrag des A treffen? Der Bearbeitung ist der folgende Auszug aus der TA Lärm (§ 48 BImSchG) zugrunde zu legen:

6. Immissionsrichtwerte

6.1 Immissionsrichtwerte für Immissionsorte außerhalb von Gebäuden

c) in Kerngebieten, Dorfgebieten und Mischgebieten

tags 60 dB(A)

nachts 45 dB(A)

d) in allgemeinen Wohngebieten und Kleinsiedlungsgebieten

tags 55 d(A)

nachts 40 dB(A)

….

6.4 Beurteilungszeiten

Die Immissionsrichtwerte nach den Nummern 6.1 bis 6.3 beziehen sich auf folgende Zeiten:

Tags 6.00 – 22.00 Uhr

Nachts 22.00 – 6.00 Uhr

388

Lösung

Das Landratsamt Augsburg wird eine Baugenehmigung erteilen, wenn es hierfür zuständig und das Vorhaben genehmigungspflichtig sowie genehmigungsfähig ist. Es besteht dann ein Anspruch auf Erteilung der Genehmigung aus Art. 68 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 BayBO.

I. Zuständigkeit

Das Landratsamt Augsburg müsste zunächst für die Entscheidung über den Bauantrag des A sachlich wie örtlich zuständig sein. Dies ist nach Art. 53 Abs. 1 BayBO, 37 Abs. 1 S. 2 LKrO (sachliche Zuständigkeit) sowie nach Art. 3 Abs. 1 Nr. 1 BayVwVfG (örtliche Zuständigkeit) der Fall.

II. Genehmigungspflicht

Die beabsichtigte Diskothek müsste genehmigungspflichtig sein. Es handelt sich um eine bauliche Anlage nach Art. 2 Abs. 1 BayBO. Die Genehmigungspflicht für den Vorgang der Errichtung ergibt sich aus Art. 55 Abs. 1, 57 BayBO. Eine Verfahrensfreiheit nach Art. 57 BayBO ist nicht ersichtlich. Nachdem für das Grundstück derzeit noch kein wirksamer Bebauungsplan besteht, handelt sich auch nicht um einen Fall der Genehmigungsfreistellung (Art. 58 BayBO).

III. Genehmigungsfähigkeit

Das Vorhaben ist nur dann genehmigungsfähig, wenn es die formellen und materiellen Genehmigungsvoraussetzungen erfüllt.

1. Formelle Genehmigungsvoraussetzungen

Zunächst bedarf es an dieser Stelle eines von A wirksam gestellten Bauantrages. Der Antrag muss nach Art. 64 Abs. 1 BayBO schriftlich mit den nach Art. 64 Abs. 2 BayBO i.V.m. der Bauvorlagenverordnung geforderten Unterlagen bei der Gemeinde (Art. 64 Abs. 1 BayBO) eingereicht werden.

Fraglich ist, wie sich die von A kategorisch unterlassene Nachbarbeteiligung auf sein Baugenehmigungsverfahren auswirkt. Eine unterbliebene Nachbarbeteiligung nach Art. 66 Abs. 1 S. 1 BayBO stellt kein formelles Genehmigungshindernis dar. Rechtsfolge einer fehlenden Nachbarbeteiligung oder -unterschrift ist lediglich, dass die Baugenehmigung ihm zugestellt werden muss, Art. 66 Abs. 1 S. 6 BayBO, d.h. die fehlenden Nachbarunterschriften haben Auswirkung auf eine eventuelle Anfechtung Dritter gegen eine eventuell erteilte Baugenehmigung.

2. Materielle Genehmigungsvoraussetzungen

Zunächst gilt es den Prüfungsmaßstab im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu bestimmen. Der Prüfungsmaßstab ergibt sich hier aus Art. 60 S. 1 BayBO. Da die Diskothek auf eine Besucherzahl von über 100 ausgelegt ist, liegt die Errichtung eines Sonderbaus nach Art. 2 Abs. 4 Nr. 6 BayBO vor. Bei Heranziehung des Prüfungsmaßstabes in Art. 60 S. 1 BayBO kommt insbesondere ein Verstoß gegen Vorschriften des Bauplanungsrechts (Art. 60 S. 1 Nr. 1 BayBO) in Betracht.

a)

Nach § 29 Abs. 1 BauGB müssten die Vorschriften der §§ 30 ff. BauGB anwendbar sein. Mit der Neuerrichtung der Diskothek steht ein Vorhaben zur Beurteilung, das bodenrechtlich relevant ist. Es berührt im Hinblick auf Lärmentwicklung und Verkehr die Belange nach § 1 Abs. 6 Nr. 1 BauGB – gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse –, so dass ein Bedürfnis nach regelnder Bauleitplanung hervorgerufen wird. § 38 BauGB steht der Prüfung in den §§ 29 ff. BauGB nicht entgegen.

b)

Weiter ist zu bestimmen, in welchem bauplanungsrechtlichen Bereich das Vorhaben angesiedelt ist. Das geplante Vorhaben liegt hier im Innenbereich, d.h. innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils.

Ein im Zusammenhang bebauter Ortsteil liegt vor, wenn eine tatsächlich aufeinanderfolgende Bebauung den Eindruck der Geschlossenheit (Zusammengehörigkeit) vermittelt und dieser Bebauungskomplex im Gebiet einer Gemeinde nach Zahl, Umfang und Zweckbestimmung sowie nach der räumlichen Zuordnung der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist.

Hier beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach § 34 Abs. 1 BauGB. Es ist zulässig, wenn es sich in die nähere Umgebung einfügt. Dies ist dann der Fall, wenn es sich innerhalb des aus der Umgebung hervorgehenden Rahmens hält. Ausnahmen gibt es in zwei Richtungen: Zum einen fügt es sich trotz Einhaltung des Rahmens dann nicht ein, wenn es rücksichtslos ist. Zum anderen kann es sich im Einzelfall auch dann einfügen, wenn es sich zwar nicht in jeder Hinsicht innerhalb des aus seiner Umgebung hervorgehenden Rahmens hält, aber weder selbst noch in Folge seiner evtl. Vorbildwirkung geeignet ist, bodenrechtlich beachtliche Spannungen zu begründen noch vorhandene Spannungen zu erhöhen. Maßgeblich für das Einfügen und damit auch für die Bestimmung des Rahmens sind nach § 34 Abs. 1 BauGB vier Kriterien, nämlich die Art der baulichen Nutzung, das Maß der baulichen Nutzung, die Bauweise und die überbaubare Grundstücksfläche.

c)

Die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art beurteilt sich hier gemäß § 34 Abs. 2 BauGB danach, ob es nach den Vorgaben der BauNVO in dem Baugebiet, dem die Eigenart der näheren Umgebung entspricht, zulässig ist.

Vorliegend handelt es sich aufgrund der nach wie vor vorhandenen landwirtschaftlichen Hofstellen um ein faktisches Dorfgebiet. Ein Überwiegen der landwirtschaftlichen Nutzung ist nach dem Wortlaut des § 5 Abs. 1 BauNVO nicht erforderlich. Diskotheken können dabei nicht unter den Begriff der allgemein zulässigen sonstigen Gewerbebetriebe (§ 5 Abs. 2 Nr. 6 BauNVO) subsumiert werden, da die BauNVO für derartige Einrichtungen den Sonderstatus der „Vergnügungsstätten“, vgl. § 4a Abs. 3 Nr. 2 bzw. § 5 Abs. 3 BauNVO, schafft. Der für Dorfgebiete einschlägige § 5 Abs. 3 BauNVO bestimmt, dass Vergnügungsstätten ausnahmsweise im Dorfgebiet zugelassen werden können. Dies aber auch nur dann, wenn sie nicht wegen ihrer Zweckbestimmung oder ihres Umfangs nur in Kerngebieten nach § 7 BauNVO allgemein zulässig sind. Ob dies vorliegend der Fall ist, kann dahinstehen, da, selbst wenn man unterstellt, die Diskothek wäre als Vergnügungsstätte im faktischen Dorfgebiet ausnahmsweise zulässig, nach §§ 5 Abs. 3 BauNVO, 31 Abs. 1 BauGB entsprechend im Einzelfall zu prüfen ist, ob das Bauvorhaben das in § 15 Abs. 1 BauNVO geregelte Gebot der Rücksichtnahme verletzt. Nach § 15 Abs. 1 BauNVO, der im Rahmen eines faktischen Baugebiets nach § 34 Abs. 2 BauGB direkte Anwendung findet, ist ein nach §§ 2 bis 14 BauNVO aufgeführtes Vorhaben im Einzelfall unzulässig, wenn es nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widerspricht (S. 1) oder wenn von ihm unzumutbare Belästigungen oder Störungen ausgehen können (S. 2).

d)

Hier könnte das Bauvorhaben des A gegenüber seiner näheren Umgebung „rücksichtslos“ sein. Das in § 34 Abs. 1 BauGB („einfügen“, bzw. § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 BauNVO) enthaltene Gebot der Rücksichtnahme trägt als Korrektiv der Tatsache Rechnung, dass die alleinige Orientierung an dem durch die Umgebung vorgegebenen Rahmen nicht immer zu befriedigenden Ergebnissen führt. Auch praktische Bedeutung erlangt das Rücksichtnahmegebot meist dann, wenn es zu einem Zusammentreffen von Wohnnutzung und mit Lärm verbundener gewerblicher Nutzung kommt. Die Frage, wann ein Vorhaben sich rücksichtslos auf die Umgebung auswirkt, kann nach den Begriffsbestimmungen des § 3 Abs. 1 BImSchG beantwortet werden. Anhaltspunkte hierfür gibt die TA Lärm. Die dort für Dorfgebiete genannten Werte von tagsüber 60 dB(A) und nachts 45 dB(A) werden bei der von A beabsichtigten Diskothek sowohl tagsüber (6.00 Uhr bis 22.00 Uhr) als auch nachts deutlich überschritten. Der Diskothek werden dabei auch die Geräusche der Anfahrt und Abfahrt der Besucher zugerechnet. Damit fügt sich das Vorhaben des A hinsichtlich seiner Art nicht in die nähere Umgebung ein.

e)

Ob sich das von A geplante Vorhaben hinsichtlich der weiteren in § 34 Abs. 1 BauGB genannten Kriterien Maß der baulichen Nutzung, Bauweise und überbaubare Grundstücksflächen in die nähere Umgebung einfügt, kann nicht abschließend beurteilt werden.

f)

Angesichts der Lärmentwicklung des Vorhabens werden auch Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse nicht gewahrt, § 34 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 BauGB. Zur Beeinträchtigung des Ortsbildes, § 34 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BauGB, können mangels näherer Angaben keine Aussagen getroffen werden.

g)

Die Erschließung müsste gesichert sein. Nach den Angaben der Gemeinde ist dies der Fall.

h)

Fraglich ist schließlich noch, wie sich der Flächennutzungsplan und der Bebauungsplanaufstellungsbeschluss auf das geplante Vorhaben auswirken. Beide Pläne spielen vorliegend keine Rolle. Der Flächennutzungsplan kann nach dem durch § 34 BauGB gesetzten Prüfungsrahmen einem Innenbereichsvorhaben grundsätzlich nicht entgegengehalten werden. Der Entwurf eines Bebauungsplanes kann ebenfalls nicht zu einer Versagung im Rahmen des § 34 BauGB führen. § 33 BauGB stellt nur einen positiven, keinen negativen Genehmigungstatbestand dar. Will die Gemeinde ihre ortsplanerischen Vorstellungen sichern, muss sie auf das Instrumentarium in §§ 14, 15 BauGB zurückgreifen (Veränderungssperre, Zurückstellung).

Hinweis

Hier klicken zum Ausklappen

Machen Sie sich an dieser Stelle Folgendes noch einmal klar: § 33 BauGB wird immer erst dann geprüft, wenn sich keine planungsrechtliche Zulässigkeit aus §§ 30, 34 und 35 BauGB ergibt. Es ist nur eine Norm, die ein Bauvorhaben unter erleichterten Voraussetzungen zulässig macht. Ergibt sich hingegen, dass ein Bauvorhaben bereits nach § 34 oder 35 BauGB zulässig ist (§ 30 BauGB scheidet mangels in Kraft getretenem Bebauungsplan aus), so kann § 33 BauGB nicht zur Ablehnung des Bauantrags führen. § 33 BauGB ist nur positiver Zulassungstatbestand (als solcher aber nachrangig), aber keine Norm, die ein unerwünschtes Bauvorhaben unzulässig macht. Eine Versagung des Antrags kann auf diese Norm nicht gestützt werden.

i)

Einer Genehmigung steht hier aber auch das fehlende gemeindliche Einvernehmen nach § 36 BauGB entgegen. Da A nach den bisherigen Ausführungen keinen Anspruch auf Baugenehmigung besitzt, erfolgte die Verweigerung des Einvernehmens zu Recht auf der Grundlage von § 36 Abs. 2 BauGB.

3. Ergebnis

Eine Genehmigung muss vorliegend zwingend versagt werden. A besitzt keinen Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung.

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