Baurecht Bayern

Was ist der Bestandsschutz und welche Arten und Voraussetzungen gibt es?

VI. Bestandsschutz

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Fragen des Bestandsschutzes werden in diesem Skriptum im Zusammenhang mit der baurechtlichen Zulässigkeit von Außenbereichsvorhaben dargelegt, da sie in diesem Kontext ihre größte Bedeutung haben.

1. Begriff des Bestandsschutzes

297

 

Bestandsschutz bezeichnet im Baurecht das Recht des Eigentümers, eine bauliche Anlage verbunden mit einer bestimmten Nutzung, die ursprünglich legal war oder zumindest formell durch Erteilung einer Baugenehmigung legalisiert wurde, auch dann weiter erhalten und nutzen zu können, wenn die Anlage mit dieser Form der Nutzung aufgrund einer Änderung der Rechtslage nicht mehr neu errichtet werden dürfte. Mithin bedeutet Bestandsschutz das Geschütztsein vor bauaufsichtlichen Maßnahmen nach Art. 75, 76 BayBO, die aufgrund der Rechtsänderung ansonsten dem Eigentümer drohen würden.

vgl. BVerwGE 42, 8 ff.

2. Arten des Bestandsschutzes

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Bei den Arten des Bestandsschutzes lässt sich generell zwischen dem aktiven und dem passiven Bestandsschutz unterscheiden.

Brenner Öffentliches Baurecht S. 211 Rn. 701.

a) Passiver Bestandsschutz

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Die abwehrende (passive) Funktion des Bestandsschutzes besteht darin, dass sie dem Eigentümer das Recht gewährt, einen seinerzeit rechtmäßigen baulichen Zustand erhalten zu dürfen. Dem passiven Bestandsschutz kommt damit eine Abwehrfunktion gegenüber bauaufsichtlichen Maßnahmen der Bauaufsichtsbehörde (Art. 75, 76 BayBO) zu. Der passive Bestandsschutz beschränkt sich allerdings in seinem Umfang auf den Schutz des Vorhandenen. Ein Anspruch auf Genehmigung einer ursprünglich materiell legalen baulichen Anlage kann aus ihm nicht abgeleitet werden. Ebenfalls enthält er keinen Anspruch auf Änderung einer ausgeübten Nutzung bzw. auf eine Erweiterung oder einen Ersatzbau. Passiver Bestandsschutz ist damit in erster Linie Bestandsnutzungsschutz.

BVerwGE 60, 296 ff.

b) Aktiver Bestandsschutz

300

Der Terminus aktiver Bestandsschutz beschränkt sich nicht auf die abwehrende Funktion, sondern wirft die Frage auf, ob dem Eigentümer das Recht zukommt, eine einmal baurechtlicher Legalität unterfallende bauliche Anlage auch nach zwischenzeitlich eingetretener Rechtsänderung in ihrer Nutzung abzuändern, sie zu erweitern bzw. einen Ersatzbau zu errichten.

Brenner Öffentliches Baurecht S. 215 Rn. 712.

3. Bestandsschutz und Eigentumsdogmatik

301

Das Institut des Bestandsschutzes ist von der Rechtsprechung aus der verfassungsrechtlich abgesicherten Eigentumsgarantie entwickelt worden.

BverfGE 36, 296 ff.; BVerfGE 47, 126 ff. Entsprach eine Nutzung einer baulichen Anlage in der Vergangenheit dem materiell damals gültigen Recht bzw. war die Anlage formell legalisiert worden durch Erteilung einer Baugenehmigung, so stand diese Nutzung nicht im Widerspruch zu der gesetzlichen Ausgestaltung von Inhalt und Schranken des Eigentums in Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG.

Von dieser unmittelbaren Ableitung des Bestandsschutzes aus Art. 14 Abs. 1 GG hat sich die Rechtsprechung zwischenzeitlich verabschiedet. Die Reichweite des Art. 14 Abs. 1 GG bestimmt sich allein durch die ausfüllenden materiellen Rechtsvorschriften. Dem einfachen Gesetz gebührt insoweit der Vorrang vor der Verfassung, was auch bereits Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG indiziert. Außerhalb bestehender gesetzlicher Bestimmungen ist aus dem Institut des Bestandsschutzes kein Anspruch auf bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens abzuleiten.BVerwGE 84, 322 ff.; BVerwGE 88, 191 ff.; BVerwGE 106, 228 ff. Damit entfällt jedenfalls für die Fallgruppen des aktiven Bestandsschutzes, in denen die Änderung der Nutzung, die Erweiterung der baulichen Anlage oder der Ersatzbau einer bauaufsichtlichen Zulassung bedürfen (Art. 55 Abs. 1 BayBO) der verfassungsunmittelbare Bestandsschutz aus Art. 14 Abs. 1 GG.

Ob in den Fallgruppen des bloß abwehrenden passiven Bestandsschutzes noch der Rückgriff auf die Verfassung in Art. 14 Abs. 1 GG zulässig ist, braucht nicht abschließend entschieden zu werden. Insoweit kann man die Bestimmungen über die Beseitigung rechtswidriger baulicher Anlagen dahingehend verfassungskonform auslegen, dass die durchgängige materielle Baurechtswidrigkeit ungeschriebene Voraussetzung der bauaufsichtlichen Eingriffsnormen ist.Brenner Öffentliches Baurecht S. 214 Rn. 711.

4. Voraussetzungen und Grenzen des passiven Bestandsschutzes

302

Nach allgemeiner Auffassung genießen bauliche Anlagen passiven Bestandsschutz, wenn sie entweder zum Zeitpunkt der Errichtung rechtswirksam genehmigt wurden (formell baurechtsmäßig) oder aber, ohne rechtswirksam genehmigt zu sein, zur Zeit der Errichtung den materiellen Bauvorschriften entsprochen haben (materiell baurechtsmäßig). Es genügt aber auch, wenn die bauliche Anlage, ohne rechtswirksam genehmigt und errichtet worden zu sein, nach der Errichtung längere Zeit den materiellen Bauvorschriften entsprochen hat (materiell baurechtsmäßig).

vgl. BVerfG NVwZ 2001, 424. Dieser erforderlich werdende längere Zeitraum muss mindestens die angemessene Frist zur Bearbeitung eines dem vorhandenen Bestand entsprechenden Bauantrags umfassen und wird in Anlehnung an § 75 S. 2 VwGO – drei Monate – bestimmt.

303

Grenzen des passiven Bestandsschutzes ergeben sich zum einen daraus, dass eine dem Verfall preisgegebene bauliche Anlage keinen Bestandsschutz mehr genießen kann. Insofern ist für einen Schutz der Fortsetzung der Nutzung kein Raum mehr. Bestandsschutz setzt demnach immer voraus, dass noch eine Schutz beanspruchende Nutzung vorliegt und diese auch fortgesetzt werden kann.

Gleichfalls endet der baurechtliche Bestandsschutz bei endgültiger Nutzungsaufgabe. Eine nicht nur vorübergehende andersartige Nutzung, d.h. eine Nutzung, die eine andere baurechtliche Qualität aufweist, lässt den Bestandsschutz unmittelbar entfallen.BVerwG BauR 1994, 737 ff.; BVerwG NVwZ 1989, 667 ff.

304

Eine bloße Nutzungsunterbrechung führt hingegen nicht zum Verlust des Bestandsschutzes.

BayVGH BayVBl. 2003, 626; BayVGH BayVBl. 2008, 667; BayVGH B.v. 7.12.2009, Az. 15 CS 09.2755 – juris. Da die Vorschriften der BayBO diesen Fall im Gegensatz zur immissionsschutzrechtlichen Bestimmung in § 18 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG nicht erfassen – Art. 69 BayBO erfasst nur den Fall nicht begonnener oder unterbrochener Errichtung –, ist eine Nutzungsunterbrechung mit anschließender Wiederaufnahme der Nutzung grundsätzlich unschädlich.

305

Schließlich erlaubt Art. 54 Abs. 4 BayBO eine Bestandsanpassung bestandsgeschützter baulicher Anlagen.

5. Voraussetzungen und rechtliche Zulässigkeit des aktiven Bestandsschutzes

306

Der aktive Bestandsschutz betrifft die Frage, inwieweit an dem geschützten Bestand baurechtlich relevante Veränderungen zu genehmigen oder jedenfalls zu dulden sind. Anders als der passive Bestandsschutz zielen die Fallgruppen des aktiven Bestandsschutzes darauf ab, den vorhandenen Bestand zu verändern bzw. zu erweitern.

a) Einfach-aktiver Bestandsschutz

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Nach allgemeiner Auffassung unterfallen dem so genannten einfach-aktiven Bestandsschutz Erhaltungsmaßnahmen in Gestalt von Instandsetzungs-, Instandhaltungs-, Reparatur-, Unterhaltungsarbeiten.

BVerwGE 47, 126 ff. Der Eigentümer wird in die Lage versetzt, an einer rechtmäßig errichteten Anlage die zur Erhaltung und zeitgemäßen Nutzung notwendigen Maßnahmen durchzuführen. Dies schließt auch Modernisierungsmaßnahmen ein, die aufgrund der Anforderungen des modernen Wohnungsbaus und der gewandelten Lebensgewohnheiten notwendig erscheinen.vgl. BVerwGE 25, 161 ff. zum Bau von Stellplätzen, Garagen.

Eine bauliche Maßnahme dient dann der Bestandserhaltung, wenn durch sie die Identität des geschützten Bestands erhalten bleibt, wenn also Standort, Bauvolumen und Zweckrichtung nicht geändert werden.

b) Qualifiziert-aktiver Bestandsschutz

308

Die Fallgruppe des qualifiziert-aktiven Bestandsschutzes betrifft Veränderungen baulicher Anlagen, die nicht mehr nur bestandserhaltend, sondern bestandserweiternd sind.

BVerwGE 50, 49 ff. Auch ein Ersatzbau für ein zuvor beseitigtes Gebäude stellt eine Fallgruppe qualifiziert-aktiven Bestandsschutzes dar.Mitschang/Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr BauGB § 35 Rn. 126, 141, 149.

Veränderungen einer baulichen Anlage, die bestanderweiternden Charakter besitzen, sind aufgrund ihrer grundsätzlichen Genehmigungspflicht nach der BayBO nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Art. 14 GG nur dann zulässig, wenn sie einfachgesetzlich normiert sind. Für den Außenbereich hat der Gesetzgeber in § 35 Abs. 4 BauGB eine derartige einfachgesetzliche Ausgestaltung des aktiven Bestandsschutzes vorgenommen. In den Fällen des § 35 Abs. 4 BauGB sind nämlich im Außenbereich trotz grundsätzlicher Unzulässigkeit des Bauvorhabens nach § 35 Abs. 2 und 3 BauGB bestimmte bauliche Erleichterungen ermöglicht. Diese betreffen Nutzungsänderungen landwirtschaftlicher Gebäude (§ 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 BauGB), Neuerrichtungen (Ersatzbauten nach § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 2, 3 BauGB) sowie Erweiterungen (§ 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 5, 6 BauGB). Außerhalb dieser gesetzlichen Regelungen gibt es keinen Anspruch auf Zulassung eines Vorhabens aus eigentumsrechtlichem Bestandsschutz. Die Regelungen in § 35 Abs. 4 BauGB sind insoweit abschließend und auch nicht analogiefähig.

BVerwG BauR 1998, 78 ff.; Mitschang/Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr BauGB § 35 Rn. 125; Spieß in Jäde/Dirnberger BauGB, BauNVO, § 35 Rn. 98 f.

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