Baurecht Baden-Württemberg

Rechtsschutz des Nachbarn gegen bauaufsichtliche Verfügungen

II. Rechtsschutz des Nachbarn gegen bauaufsichtliche Verfügungen

1. Rechtsschutzbegehren: Erlass einer bauaufsichtlichen Verfügung

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Gerade im Fall von nur kenntisgabepflichtigen Vorhaben (s.o. Rn. 463 ff.) nimmt das Bedürfnis von Nachbarn, die Baurechtsbehörde zu einem repressiven Vorgehen zu veranlassen, zu. Nach § 47 Abs. 1 S. 2 LBO (i.V.m. der Maßnahme) steht die Entscheidung der Behörde, gegen ein baurechtswidriges Vorhaben vorzugehen, in deren Ermessen (s.o. Rn. 538).

a) Zulässigkeit

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Expertentipp

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Wiederholen Sie das oben dargestellte Schema zur Prüfung der Verpflichtungsklage.

Wenn der Nachbar die Behörde zu einem entsprechenden Tätigwerden veranlassen möchte, muss er zunächst einen Antrag bei der Behörde stellen und muss dann, wenn dieser Antrag abgelehnt worden ist, erfolglos ein Widerspruchsverfahren gemäß §§ 68 ff. VwGO durchführen. Anschließend kann er beim zuständigen Verwaltungsgericht eine Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO oder eine Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO erheben.

aa) Statthaftigkeit der Verpflichtungsklage, § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO

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Hinweis

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Beachten Sie das Verhältnis der Verpflichtungs- zur Anfechtungsklage. In Klausuren wird viel oft die Statthaftigkeit einer Verpflichtungsklage bejaht, obwohl eine Anfechtungsklage statthaft wäre.

Grundsätzlich ist eine Anfechtungsklage gegen die dem Bauherrn erteilte Baugenehmigung die statthafte Klageart. Die Anfechtungsklage ist statthaft, wenn sich ein Dritter, der seine Rechte durch einen noch nicht bestandskräftigen Verwaltungsakt verletzt sieht, gegen die in diesem Verwaltungsakt enthaltene Begünstigung des Adressaten gerichtlich zur Wehr setzt.

Schenke Verwaltungsprozessrecht Rn. 270, 271. Begehrt der Kläger dennoch ein Einschreiten der Verwaltung im Wege einer Verpflichtungsklage, so ist, wenn nach einem richterlichen Hinweis auf Stellung eines sachdienlichen Antrags gemäß § 86 Abs. 3 VwGO der Verpflichtungsantrag aufrecht erhalten wird, der Antrag in einen Anfechtungsantrag umzudeuten.Schenke Verwaltungsprozessrecht Rn. 270. Dies stellt keinen Verstoß gegen § 88 VwGO dar, da der Anfechtungsantrag als Minus im Verpflichtungsantrag enthalten ist.

Ausnahmsweise ist die Verpflichtungsklage statthaft, wenn kein Verwaltungsakt existiert, gegen den sich der Nachbar gerichtlich zur Wehr setzten kann. Eine Verpflichtungsklage kommt daher nur in folgenden Konstellation in Betracht:

Schoch Jura 2004, 317, 324.

1.

Der Nachbar war mit seiner zuvor erhobenen Anfechtungsklage erfolgreich, trotz der Aufhebung der Baugenehmigung besteht das illegale Bauwerk weiter.

2.

Der Bauherr hat sein Vorhaben teilweise oder völlig abweichend von der erteilten Baugenehmigung verwirklicht.

3.

Es handelt sich bei dem Vorhaben um einen Schwarzbau, d.h. der Bauherr hat ohne die notwendige Baugenehmigung gebaut.

4.

Der Bauherr benötigt keine Baugenehmigung, da es sich um ein genehmigungsfreies oder lediglich kenntnisgabepflichtiges Vorhaben handelt, dessen Verwirklichung verletzt jedoch materielles Baurecht.

bb) Klagebefugnis, § 42 Abs. 2 VwGO

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Auch Verpflichtungsklagen setzen die Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO voraus (s. hierzu Rn. 602). Dem Kläger muss also ein möglicher Anspruch auf Einschreiten der Baurechtsbehörde zustehen. Da die bauordnungsrechtlichen Befugnisnormen jedoch durchweg als Ermessenentscheidung ausgestaltet sind (s. Rn. 630 ff.) kommt ein Anspruch auf Einschreiten nur im Falle einer Ermessensreduzierung auf Null in Betracht. Ansonsten steht dem Kläger lediglich ein Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung und gerade kein Anspruch auf Einschreiten zu.

Die Frage, wann eine Ermessensreduzierung auf Null im Bauordnungsrecht gegeben ist, wird uneinheitlich beantwortet.

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Teilweise wird eine Ermessensreduzierung auf Null bei jedem Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften angenommen.

Schoch Jura 2004, 317, 324; OVG Berlin-Brandenburg LKV 2002, 184; OVG Berlin-Brandenburg LKV 2003, 276, 278; Thüringer OVG LKV 2002, 185; s.a. Mampel DVBl 1999, 1403; Mampel BayVBl 2001, 417.

Zur Begründung wird angeführt, dass es sich bei dem durch das Bauordnungsrecht eingeräumten Ermessen um einen Fall des intendierten Ermessens handle, weswegen regelmäßig ein Einschreiten erforderlich sei. Nur in Ausnahmefällen könne daher von einem Einschreiten abgesehen werden.

Schoch Jura 2004, 317, 324. Weiterhin bestünde ansonsten die Gefahr, dass ein Nachbar, der gegen ein genehmigungsfreies Vorhaben vorgeht, schlechter gestellt wird, als ein solcher, der wegen einer erteilten Genehmigung gegen diese im Wege der Anfechtungsklage vorgehen kann.Muckel JuS 2000, 132, 136.

Hinweis

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Ob es sich bei dem durch bauordnungsrechtliche Ermächtigungsgrundlagen um einen Fall des intendierten Ermessens handelt, ist umstritten (s. Rn. 539) und keineswegs so eindeutig, wie es von der t.v.A. proklamiert wird.

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Herrschend wird vertreten, dass ein Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften keine Ermessensreduzierung auf Null bewirke. Erforderlich sei vielmehr eine schwere Gefahr für ein wichtiges Rechtsgut, wie z.B. Leben oder Gesundheit, des Nachbarn oder ein schwerer Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften.

BVerwGE 11, 95; Bayerischer VerfGH NVwZ-RR 1994, 631, 632; st. Rspr. des VGH Baden-Württemberg vgl. VGH Baden-Württemberg VBlBW 1992, 103, 104; Degenhart NJW 1996, 1433, 1436 f.; Brenner Öffentliches Baurecht Rn. 865; Brohm Öffentliches Baurecht § 30 Rn. 24. Zur Begründung wird zunächst auf Art. 14 Abs. 1 GG rekurriert und festgestellt, dass eine Verletzung nicht gegeben sei:BVerwGE 11, 95. Der Gesetzgeber habe das Eigentum durch die nachbarschützenden Vorschriften zwar ausgestaltet, gleichzeitig habe er jedoch auch geregelt, dass der Schutz der so begründeten Eigentumsrechte in das Ermessen der Baurechtsbehörde gestellt sei. Eine Inhaltsbestimmung könne die Eigentumsfreiheit nicht verletzten. Den durch das Rechtsstaatsgebot des Art. 20 Abs. 3 GG gestellten Anforderungen sei durch ein pflichtgemäßes Ermessen genüge getan. Auch aus Art. 19 Abs. 4 GG lasse sich ein Anspruch auf Einschreiten nicht herleiten, denn dieser setze subjektive Rechte voraus und begründe sie nicht. Daher finde die allgemeine Lehre zur Ermessensreduzierung auf Null Anwendung.

Expertentipp

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In einer Klausur sollten Sie wegen der geringen Anforderungen, die an die Möglichkeit einer Rechtsverletzung zu stellen sind, die Möglichkeit einer Ermessensreduzierung auf Null im Rahmen der Klagebefugnis, sofern diese nicht völlig abwegig ist, bejahen und im Rahmen der Prüfung der Begründetheit das oben dargestellte Problem erörtern. Ist eine schwere Gefahr für ein wichtiges Rechtsgut oder ein schwerer Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften gegeben, so erübrigt sich eine Stellungnahme. Sollte dies nicht der Fall sein, so müssen Sie sich für eine Auffassung entscheiden.

b) Begründetheit

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Die Klage ist begründet, wenn sie sich gegen den richtigen Beklagten i.S.d. § 78 VwGO richtet, die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig, der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist und die Spruchreife gegeben ist, § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO. Letzteres ist dann der Fall, wenn der Kläger einen Anspruch auf den Verwaltungsakt (hier in Form der bauordnungsrechtlichen Verfügung) hat (s. zum Inhalt Rn. 607).

Schenke Verwaltungsprozessrecht Rn. 841.

Nachdem Sie die Voraussetzungen für den Erlass einer bauordnungsrechtlichen Verfügung (s. Rn. 523 ff.) geprüft haben, müssen Sie die oben dargestellte Frage, wann eine Ermessensreduktion auf Null und damit ein Anspruch auf Einschreiten gegeben ist (Rn. 695 f.), erörtern. Nur in diesem Fall ist die Spruchreife i.S.d. § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO gegeben und es kann ein Verpflichtungsurteil ergehen. Ansonsten bleibt es bei einem Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung und es kann nur ein Bescheidungsurteil gemäß § 113 Abs. 5 S. 2 VwGO ergehen.

2. Rechtsschutzbegehren: Erlass einer einstweiligen Anordnung

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Wenn der Nachbar bei der Baurechtsbehörde den Erlass einer bauaufsichtlichen Maßnahme beantragt hat und er schon vor Erlass der behördlichen Maßnahme gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen möchte, um einen möglichst effektiven Rechtsschutz zu erlangen, so ist dieses Ziel über einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in Form der Regelungsanordnung gemäß § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO zu erreichen. Eine Ausnahme vom grundsätzlichen Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache ist möglich, wenn dem Antragsteller ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung schwere unzumutbare Nachteile bestünden. Maßgeblich sind hierfür die Umstände des Ihnen vorgelegten Sachverhalts respektive der Akte.

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