Arbeitsrecht

Grundzüge des Arbeitsrechts

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1. Teil Grundzüge des Arbeitsrechts

A. Zum Skript

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Das wegen des steten Wandels des Arbeitsmarktes immer wichtiger werdende Arbeitsrecht spielt auch in der rechtswissenschaftlichen Ausbildung eine zunehmend große Rolle. Die meisten Bundesländer bieten Arbeitsrecht als Wahlfachgruppe an, oft ist dieses Fach aber auch ein Teil des Pflichtfachstudiums und/oder des Vorbereitungsdienstes.

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Dieses Skript soll dem Lernenden den Einstieg in das Rechtsgebiet des Arbeitsrechts erleichtern und ist gleichzeitig zur schnellen Wiederholung kurz vor der Prüfung geeignet. Wo möglich, wurden Parallelen zum bereits erlernten allgemeinen Zivilrecht aufgezeigt, um den Arbeitsaufwand erträglicher zu gestalten.

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Das Skript ist nicht als rein wissenschaftliches Lehrwerk zu verstehen, sondern vielmehr als eine Lernhilfe, die das (Er-)Lernen des klausurrelevanten Examensstoffes unter Anführung wichtiger Rechtsprechung und interessanter Übungsfälle erleichtern soll. Unabdingbar für ein gutes Bestehen der Klausur ist nach Erfahrung des Verfassers aber die konkrete und selbstständige Fallbearbeitung. Es wird daher dringend empfohlen, nach Lektüre des vorliegenden Skripts Übungsfälle aus einschlägigen Büchern und Zeitschriften nicht nur durchzulesen, sondern selbstständig aufzuarbeiten. Dies ist zwar ein harter, aber sehr Erfolg versprechender Weg, den gelesenen Stoff zu vertiefen und verarbeiten zu lernen. Denn dann muss man in der Klausur nicht erst überlegen, an welcher Stelle und mit welchen Formulierungen er die bloß gelesene Theorie nun in ein brauchbares Gutachten umsetzen kann.

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Nicht zuletzt aus Gründen der besseren Verständlichkeit wird dieses prüfungsorientierte Skript nicht mit allzu vielen theoretischen Streitigkeiten belastet. Problemschwerpunkte werden „vor Ort“ erläutert. Dabei wird aufgezeigt, wie die Rechtsprechung das entsprechende Problem löst. Diese Darstellung gewährleistet im Gegensatz zur bloßen Aufzählung von Einzelproblemen, dass der Kandidat für eventuelle Problemstellungen sensibilisiert wird, sie erkennt und selbstständig unter Anwendung des Gelernten lösen kann. Gerade diese Fähigkeit ist für ein Bestehen einer juristischen Prüfung von entscheidender Bedeutung.

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Wie in jedem anderen Rechtsgebiet ist auch im Arbeitsrecht die Kenntnis der wesentlichen Begriffe unabdingbar, um vertieft in die Materie einsteigen zu können. Daher werden in den folgenden Teilen dieses Skripts zunächst wichtige Grundlagen erläutert, bevor die eigentliche Darstellung des jeweiligen Arbeitsrechtsausschnitts beginnt.

B. Struktur des Arbeitsrechts

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Dem Grunde nach besteht das Arbeitsrecht aus zwei Gebieten, dem Individualarbeitsrecht und dem Kollektivarbeitsrecht.

Wie im Schaubild erkennbar, werden dem individuellen Arbeitsrecht diejenigen Regelungen zugeordnet, die die Rechtsbeziehungen zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer regeln. Zum kollektiven Arbeitsrecht gehören hingegen Angelegenheiten zwischen Arbeitgebern bzw. ihren Koalitionen (Arbeitgeberverbänden) einerseits und Gewerkschaften und Mitbestimmungsorganen (z.B. Betriebsrat) andererseits.

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Die Zuordnung eines Problems in eines der beiden Teilgebiete ist in der Regel recht einfach. Ähnlich wie in der Verwaltungsklausur bei der Einordnung einer Streitigkeit zum öffentlichen Recht muss man danach fragen, welche Norm den Streit maßgeblich bestimmt und wer an ihm beteiligt ist. Verlangt der Arbeitnehmer etwas von seinem Arbeitgeber, handelt es sich meist um einen Fall aus dem Individualarbeitsrecht. Spielen hingegen zum Beispiel Betriebsräte und ihr Verhältnis zum Arbeitgeber eine Rolle, liegt der Schwerpunkt auf dem kollektiven Recht.

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Selbst wenn ein Fall unproblematisch in eine der beiden Säulen des Arbeitsrechts einsortiert werden kann, darf die jeweils andere Säule aber keinesfalls ignoriert werden. Denn die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass wichtige Normen des anderen Gebiets starken Einfluss auf die Falllösung haben oder haben können.

Beispiel

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Der Arbeitnehmer hat einen Arbeitsvertrag mit seinem neuen Arbeitgeber geschlossen, wonach er an einer bestimmten Maschine des Werkes ab dem 1. Februar beschäftigt werden soll.

Der Arbeitgeber bittet den Betriebsrat nach § 99 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) um Zustimmung zur Einstellung des Arbeitnehmers. Der Betriebsrat verweigert die Zustimmung.

Die Situation ist nun Folgende: Der Arbeitnehmer hat ab dem 1. Februar einen vertraglichen Beschäftigungsanspruch an der im Arbeitsvertrag näher bestimmten Maschine. Der Arbeitgeber darf ihn aber nicht an der Maschine einsetzen. Denn: die Einstellung des Arbeitnehmers i.S.d. BetrVG, nämlich die tatsächliche Zuweisung des Arbeitsplatzes an den neuen Arbeitnehmer, bedarf der Zustimmung des Betriebsrats, § 99 Abs. 1 BetrVG. Der Arbeitgeber muss zunächst die fehlende Zustimmung des Betriebsrats durch das Arbeitsgericht ersetzen lassen. Dies kann einige Wochen oder Monate dauern.

Macht der Arbeitnehmer nun Anfang Februar seinen Beschäftigungsanspruch geltend, verlangt er die Erfüllung einer rechtlich unmöglichen Leistung.

BAGE 97, 276-294. Arbeitslohn steht ihm aber nach den Regeln des Annahmeverzugs trotzdem zu.

Ergebnis: Nach individuellem Arbeitsrecht besteht der Anspruch des Arbeitnehmers auf Beschäftigung, nach kollektivem Recht ist dem Arbeitgeber die Zuweisung des Arbeitnehmers an die Maschine untersagt („betriebsverfassungsrechtliches Beschäftigungsverbot“

BAGE 97, 276-294.). Wer nur die individuell-rechtliche Seite des Falles beleuchtet, kommt zur falschen Lösung.

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Das Beispiel zeigt, dass trotz der vermeintlichen Zweiteilung des Arbeitsrechts eine starke Verknüpfung beider Säulen besteht, sodass immer alle einschlägigen Normen beachtet werden müssen, egal welchem Gebiet sie entstammen. Die folgenden Erläuterungen (Teile 2 und 3) sind dem entsprechend auch der besseren Übersichtlichkeit halber zwar in die Bereiche „Individualarbeitsrecht“ und „Kollektivarbeitsrecht“ aufgeteilt. Die Verbindungspunkte werden aber an den jeweiligen Stellen aufgezeigt, sodass beim Lernen bereits eine Sensibilität für beide Säulen betreffende Rechtsprobleme geschaffen wird.

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Zunächst jedoch wird im Folgenden ein kurzer Überblick über die Rechtsquellen des Arbeitsrechts gegeben. Die Kenntnis der Quellen und ihrer Hierarchie ist unabdingbar, weil dadurch Kollisionen verschiedener Normen aufgelöst werden können.

C. Rechtsquellen des Arbeitsrechts und ihre Rangfolge

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Das deutsche Arbeitsrecht ist insofern eine Besonderheit in der Rechtslandschaft, als es kein einheitliches Gesetzbuch gibt, das alle Fragen zu dem Thema regelt. Das Arbeitsrecht ist vielmehr in einigen allgemeinen und in zahlreichen speziellen Gesetzbüchern „verteilt“. Ergänzt wird das geschriebene Recht durch die Rechtsprechung, die hier wie in kaum einem anderen Gebiet umfassend auf die geltende Rechtslage einwirkt, sie gestaltet und zuweilen auch verändert.

 

I. Normenhierarchie

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Wie in jedem Rechtsgebiet existiert auch im Arbeitsrecht eine Normenhierarchie der Rechtsquellen, an deren Spitze über dem Grundgesetz stehendes Europarecht steht, während am unteren Ende das dispositive, also das abdingbare, Gesetzesrecht zu finden ist. Prinzipiell geht demnach auch hier das ranghöhere dem rangniederen Gesetz vor. Auflockerungen von diesem strengen Rangverhältnis können jedoch durch eine Besonderheit des Arbeitsrechts, dem Günstigkeitsprinzip, hervorgerufen werden. Im Einzelfall kann die rangniedere Vorschrift der ranghöheren ausnahmsweise vorgehen, wenn sie für den Arbeitnehmer günstiger ist als die eigentlich anwendbare Norm.

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Die Rangfolge der verschiedenen Rechtsquellen lässt sich wie folgt darstellen:

1.

Zwingendes Gesetzesrecht

a)

EG-/EU-Recht

b)

Grundgesetz

c)

Einfaches Recht

2.

Zwingende Kollektivvereinbarungen

a)

Der jeweils gültige und anwendbare Tarifvertrag

b)

Betriebsvereinbarungen/Dienstvereinbarungen

3.

Arbeitsvertrag inklusive …

a)

… allgemeiner Arbeitsbedingungen

b)

… betrieblicher Übung

c)

… Direktionsrecht des Arbeitgebers (§ 106 GewO)

4.

Dispositive Kollektivvereinbarungen

a)

Tarifvereinbarung

b)

Betriebsvereinbarung

5.

Dispositives Gesetzesrecht (z.B. § 616 BGB)

Dispositives Gesetzesrecht lässt eine Abweichung, die zum Nachteil für den Arbeitnehmer ist, grundsätzlich zu.

II. Quellen

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Wie soeben dargestellt, sind zahlreiche Gesetze, Richtlinien und sonstige Rechtsnormen zu beachten, wenn man einen arbeitsrechtlichen Fall lösen muss.

1. Europarecht

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Entsprechend der oben dargestellten Rangfolge ist das geltende EU-Recht als Erstes zu erwähnen. Als wichtigstes gesetzliches Regelungswerk ist der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (abgekürzt mit „AEUV“) zu nennen. Darin sind wichtige Grundsätze geregelt, etwa das allgemeine Diskriminierungsverbot in Art. 18 AEUV, die Arbeitnehmerfreizügigkeit in Art. 45 AEUV und die Entgeltgleichheit in Art. 157 AEUV.

2. Verfassungsrecht

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Das Grundgesetz enthält wichtige Grundrechte, die auf das Arbeitsrecht einwirken. Die allgemeinen Grundrechte sind – da die Arbeitsvertragsparteien nicht zu den staatlichen Adressaten der Grundrechte gehören – nur über sogenannte Einfallstore (z.B. §§ 242, 315 BGB) des Zivilrechts zu berücksichtigen. Dies bedeutet, dass der Arbeitgeber z.B. bei Ausübung des billigen Ermessens i.S.d. § 315 Abs. 1 BGB darauf achten muss, dass er die familiäre Situation (Art. 6 GG) oder die Religionsfreiheit (Art. 4 GG) des Arbeitnehmers hinreichend in seine Überlegungen mit einbezieht.

Beispiel

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Eine Einzelhandelskauffrau arbeitet in ihrem ehemaligen Ausbildungsbetrieb, einem Kaufhaus. Sie hat türkische Wurzeln. Der Arbeitgeber beschäftigt im Verkauf ca. 85 Arbeitnehmer, im Verwaltungsbereich 8 Arbeitnehmer, in der Warenannahme 2 Arbeitnehmer und mit Hausmeisteraufgaben 3 Mitarbeiter. Nach der Elternzeit erklärte die Arbeitnehmerin ihrem Arbeitgeber, sie werde künftig ein Kopftuch tragen. Ihre religiösen Vorstellungen hätten sich gewandelt, ihr muslimischer Glaube verbiete es ihr, sich in der Öffentlichkeit ohne Kopftuch zu zeigen. Zwei Gespräche mit der Personalleitung konnten sie nicht davon abbringen, obwohl man ihr mitgeteilt hatte, dass dann eine Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses unausweichlich sei. Gegen die Kündigung ging die Arbeitnehmerin vor. Sie unterlag in der zweiten Instanz. Ihre Revision vor dem BAG

BAG Urteil vom 10.10.2002, Az.: 2 AZR 472/01. hatte jedoch Erfolg. Das BAG wertete die Kündigung als sozial ungerechtfertigt nach § 1 Abs. 2 KSchG. Sie sei nicht durch einen verhaltensbedingten Grund (worauf sich der Arbeitnehmer hauptsächlich berufen hatte) und auch nicht durch einen personenbedingten Grund gerechtfertigt gewesen. Die Arbeitnehmerin könne ihrer vertraglichen Verpflichtung auch ein Kopftuch tragend nachkommen. Weder Verkaufsgespräche noch -vorgänge würden dadurch gestört. Wörtlich führten die Richter dann zur o.g. Thematik aus: „[…]sowohl bei der Ausübung ihres Weisungsrechts als auch bei der Ausgestaltung dieser vertraglichen Pflicht ist das spezifische, durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG grundrechtlich geschützte Anliegen der Klägerin, aus religiösen Gründen nicht mehr ohne ein Kopftuch zu arbeiten, zu beachten. Auf Grund der verfassungsrechtlich gewährleisteten, im Arbeitsverhältnis bei der Ausübung des Weisungsrechts oder der Ausgestaltung der vertraglichen Rücksichtnahmepflicht zu berücksichtigenden Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Klägerin kann deshalb die Beklagte nicht ohne weiteres die Einhaltung der in ihrem Betrieb allgemein üblichen Bekleidungsstandards verlangen und die Klägerin zur Arbeitsleistung ohne ein Kopftuch wirksam auffordern.“ Die in § 315 Abs. 1 BGB geforderte Billigkeit werde inhaltlich durch die Grundrechte, hier vor allem durch die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG und die Gewährleistung der ungestörten Religionsausübung des Art. 4 Abs. 2 GG, mitbestimmt: „Kollidiert das Recht des Arbeitgebers, im Rahmen seiner gleichfalls grundrechtlich geschützten unternehmerischen Betätigungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG), die auch für die Beklagte als juristische Person nach Art. 19 Abs. 3 GG gewährleistet ist, den Inhalt der Arbeitsverpflichtung des Arbeitnehmers näher zu konkretisieren, mit grundrechtlich geschützten Positionen des Arbeitnehmers, so ist das Spannungsverhältnis im Rahmen der Konkretisierung und Anwendung der Generalklausel des § 315 BGB einem grundrechtskonformen Ausgleich der Rechtspositionen zuzuführen. Dabei sind die kollidierenden Grundrechte in ihrer Wechselwirkung zu sehen und so zu begrenzen, daß die geschützten Rechtspositionen für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden („praktische Konkordanz“).“Nach BAGE 103, 111–123.

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In der Klausur ist es wichtig, genau darauf zu achten, in welchem Bereich der betroffene Arbeitnehmer arbeitet. Die Abwägung der Grundrechte kann nämlich auch – sogar bei sonst sehr ähnlichem Sachverhalt – genau anders herum ausgehen:

Beispiel

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Eine Erzieherin ist bei einer Stadt angestellt, die 34 Kindertagesstätten betreibt. Die Arbeitnehmerin hat türkische Wurzeln. Sie trägt aus religiösen Gründen auch bei der Arbeit ein Kopftuch. Es gilt das Kindertagesbetreuungsgesetz (KiTaG) Baden-Württemberg, das u.a. vorsieht, dass Erziehungspersonen „in Einrichtungen, auf die dieses Gesetz Anwendung findet und die in Trägerschaft des Landes, eines Landkreises, einer Gemeinde, einer Verwaltungsgemeinschaft, eines Zweck- oder Regionalverbandes stehen, keine politischen, religiösen, weltanschaulichen oder ähnliche äußeren Bekundungen abgeben, die geeignet sind, die Neutralität des Trägers gegenüber Kindern und Eltern oder dem politischen, religiösen oder weltanschaulichen Frieden in Einrichtungen, auf die dieser Absatz Anwendung findet, zu gefährden oder zu stören. Insbesondere ist ein äußeres Verhalten unzulässig, welches bei Kindern oder Eltern den Eindruck hervorrufen kann, dass eine Fachkraft oder eine andere Betreuungs- oder Erziehungsperson gegen die Menschenwürde, die Gleichberechtigung der Menschen nach Artikel 3 des Grundgesetzes, die Freiheitsgrundrechte oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung auftritt.“ Die Stadt berief sich auf diese Vorschrift und forderte die Erzieherin auf, ihr Kopftuch während des Dienstes abzulegen. Dies verweigerte die Angesprochene. Daraufhin erhielt sie eine Abmahnung. Diese hielt einer Überprüfung durch das BAG

Nach BAG NZA-RR 2011, 162–166. stand. Das BAG betonte, dass die o.g. Vorschrift nicht gegen höherrangiges Recht verstößt. Die Arbeitnehmerin habe das „Bekundungsverbot“ bewusst und dauerhaft verletzt, was abmahnfähig sei. Das Verhalten der Erzieherin sei geeignet, die Neutralität der Stadt gegenüber Kindern und Eltern und den religiösen „Einrichtungsfrieden“ zu gefährden. Eine Erzieherin nehme als Bezugs- und Autoritätsperson eine Mittelpunktfunktion ein und habe einen hohen Einfluss auf die Kinder. Dies, so urteilten die Richter unterm Strich, erlaube es der Stadt, auf ein Erscheinungsbild ohne „islamisches Kopftuch“ zu bestehen. Zwar stehe der Erzieherin natürlich das Recht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG zu. Andererseits sei es den Kindern und Eltern aber zuzubilligen, „kultischen Handlungen eines nicht geteilten Glaubens fernzubleiben“. Gemeinsam mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG umfasse Art. 4 Abs. 1 GG das Recht der Eltern zur Kindererziehung in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht, deswegen sei es deren Sache, ihren Kindern diejenigen Überzeugungen in Glaubens- und Weltanschauungsfragen zu vermitteln, die sie für richtig hielten. Dazu gehört nach Ansicht der BAG-Richter auch das Recht, die Kinder von Glaubensüberzeugungen fernzuhalten, die den Eltern falsch oder schädlich erscheinen.Nach BAG NZA-RR 2011, 162–166. slesen Sie dazu aber auch BVerfG Beschluss vom 18. Oktober 2016 - 1 BvR 354/11, mit welchem diese Entscheidung aufgehoben wurde.

Expertentipp

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In der Prüfung ist also besonderes Augenmerk darauf zu legen, ob der Arbeitnehmer in einer privaten Organisation beschäftigt wird oder im öffentlich-rechtlichen Bereich. Das eben zweitgenannte Urteil des BAG aus dem Jahr 2010 verweist im Übrigen auch auf ein wichtiges Urteil des EGMR zum Thema „Kopftuch einer Lehrerin“. Sie sollten das Urteil aus Straßburg

EGMR Urteil vom 10.11.2005, NVW 2006, 1389. kennen.

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Auch der Arbeitgeber kann sich auf Grundrechte berufen. So ist dem Arbeitnehmer etwa mit Blick auf die Berufsfreiheit des Arbeitgebers aus Art. 12 GG zuzumuten, dass er eine unternehmerische Grundentscheidung wie etwa die Wegrationalisierung seines Arbeitsplatzes hinnimmt.

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Art. 9 Abs. 3 GG enthält eine besondere Regelung, die auch ohne den eben beschriebenen „Umweg“ direkt auf das Arbeitsverhältnis Einfluss nimmt. Die Sätze 1 und 2 der Norm lauten:

Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig.

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Der Verfassungsgeber hat also ausdrücklich klargestellt, dass zwischen den Arbeitsvertragsparteien keine Regelungen getroffen werden dürfen, die etwa die Zugehörigkeit des Arbeitnehmers zu einer Gewerkschaft untersagen. Solche Klauseln im Arbeitsvertrag sind ohne Weiteres nichtig, der Arbeitnehmer darf sie ignorieren.

3. Einfaches Recht

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Eine der wichtigsten Quellen im normierten einfachen Recht ist das Bürgerliche Gesetzbuch. In den §§ 611 ff. des BGB sind Regelungen zum generellen Typus des Dienstvertrages und im mittlerweile neu eingeführten § 611a zum Arbeitsvertrag als speziellem Dienstvertrag enthalten. Begriffe wie „Arbeitnehmer“, „Arbeitgeber“ und „Arbeitsverhältnis“ deuten dabei auf Spezialnormen des Arbeitsrechts hin.

Vgl. §§ 611a, 612a, 613a, 619a, 622, 623 BGB.

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Im BGB finden sich darüber hinaus im allgemeinen Teil Vorschriften, die direkt im Arbeitsrecht gelten (etwa die Regelungen zur Geschäftsfähigkeit, Anfechtung von Willenserklärungen, Sittenwidrigkeit

Wiederholen Sie hierzu die Ausführungen in den Skripten „BGB AT I und II“.) oder deren Rechtsgedanke von der Rechtsprechung weiterentwickelt und angepasst wurde (zum Beispiel die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB, die eine Abmahnung als milderes Mittel vor der Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses vorsieht).

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Auf der Ebene des einfachen Rechts spielt weiterhin eine große Rolle das „Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge“ (TzBfG), welches die Teilzeitarbeit in Grundzügen regelt und unter bestimmten Voraussetzungen die Befristung und Bedingung von Arbeitsverhältnissen erlaubt.

Während der Durchführung des Arbeitsverhältnisses sind unter anderem das Arbeitszeitgesetz, das Bundesurlaubsgesetz und das Entgeltfortzahlungsgesetz wichtig, die neben vielen anderen Schutzgesetzen den Inhalt des Arbeitsverhältnisses maßgeblich mitbestimmen. Von enormer Bedeutung ist auch § 106 GewO, der das Weisungsrecht des Arbeitgebers regelt. Wenn es um die Beendigung der arbeitsvertraglichen Beziehungen geht, ist das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) von großer praktischer Bedeutung.

4. Sonstige Rechtsquellen

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Weitere wichtige Regelungen können sich aus dem Arbeitsvertrag (§ 611a BGB), dem Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarungen ergeben. Nähere Erläuterungen dazu finden Sie weiter unten.

Arbeitsvertrag: Rn. 26 ff.; Tarifvertrag: Rn. 373 ff.; Betriebsvereinbarung: Rn. 543 ff.

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