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Neben den vorgenannten ermessenslenkenden gibt es noch weitere Arten von Verwaltungsvorschriften, die sich nach der mit ihnen jeweils verfolgten Funktion wie folgt unterscheiden lassen:
Siehe den Überblick bei Jachmann/Drüen Allgemeines Verwaltungsrecht Rn. 197. Zum Folgenden siehe Detterbeck Allgemeines Verwaltungsrecht Rn. 100 ff.; Ehlers in: Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht § 2 Rn. 65 ff.; Ipsen Allgemeines Verwaltungsrecht Rn. 142 ff.; Maurer Allgemeines Verwaltungsrecht § 24; Peine Allgemeines Verwaltungsrecht Rn. 151 ff.• | Organisations- und Dienstvorschriften regeln in den Grenzen des organisatorischen Gesetzesvorbehalts die innere Gliederung bzw. den Dienstbetrieb der Verwaltung (nicht dagegen: die persönliche Rechtssphäre des Amtswalters); | ||||||
• | verhaltenslenkende Verwaltungsvorschriften als Oberbegriff für:
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Definition
Definition: Verwaltungsvorschriften
Verwaltungsvorschriften (vgl. Art. 84 Abs. 2, 85 Abs. 2 S. 1, 86 S. 1 GG; synonym: Erlasse, Richtlinien etc.) sind abstrakt-generelle Regelungen, die von einer übergeordneten Stelle öffentlicher Verwaltung (Behörde, Vorgesetzter) gegenüber einer nach-/untergeordneten Stelle zur Regelung verwaltungsinterner Angelegenheiten (Aufbau oder Ablauf der Verwaltung) ergehen.
Zur (bloßen Innen-)Rechtsnormqualität von Verwaltungsvorschriften siehe Erichsen/Klüsche Jura 2000, 540 (541); Schoch Jura 2004, 462 (465) und im Skript „Juristische Methodenlehre“ Rn. 14. Ferner vgl. Reimer Jura 2014, 678 (680 ff.), jeweils m.w.N.Beispiel
Auf § 4 Abs. 3 S. 2 SG gestützter Erlass, wonach männlichen Soldaten der Bundeswehr „besonders ausgefallene Haarschnitte (z.B. Pferdeschwänze)“ nicht erlaubt sind.
Erlass des Ministeriums für Inneres und Kommunales des Landes NRW gem. § 45 S. 1 LBG NRW, wonach „Körperschmuck“ wie Tätowierungen im – bei Tragen einer (Polizei-)Sommeruniform – sichtbaren Bereich des Körpers einen Eignungsmangel darstellt.
Zum Erlass dieser Innenrechtssätze ist – anders als etwa bei Rechtsverordnungen der Fall – keine gesetzliche Grundlage erforderlich, sondern folgt die Befugnis zu ihrem Erlass bereits aus der der vollziehenden Gewalt nach dem Gewaltenteilungsprinzip des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG inhärenten Befugnis, den Gesetzesvollzug innerhalb der durch Gesetz und Recht gewährten Spielräume in organisatorischer, verfahrensmäßiger und inhaltlicher Weise selbst zu ordnen (exekutive Organisations-, Geschäftsleitungs- und Dienstgewalt der Verwaltungsspitze gegenüber nachgeordneten Stellen und Amtswaltern). Die in den Verwaltungsvorschriften angesprochenen Organwalter haben diese kraft ihrer Weisungsgebundenheit zu befolgen, vgl. § 62 Abs. 1 S. 2 BBG, § 35 S. 2 BeamtStG.
Dies gilt im Hinblick auf die intrasubjektiven Verwaltungsvorschriften sowohl zwischen zwei Behörden desselben Verwaltungsträgers (interbehördliche Verwaltungsvorschrift) als auch innerhalb einer Behörde (intrabehördliche Verwaltungsvorschrift), vgl. Art. 86 S. 1 GG. Demgegenüber ist für den Erlass (verwaltungsträgerübergreifender) intersubjektiver Verwaltungsvorschriften – namentlich zwischen Bund und Ländern – eine Ermächtigungsgrundlage erforderlich, vgl. Art. 84 Abs. 2, Art. 85 Abs. 2 S. 1 GG. Näher hierzu Jarass JuS 1999, 105 (105 f.); Erichsen/Klüsche Jura 2000, 540 (542 f.).240
Die sich in der Fallprüfung im Zusammenhang mit Verwaltungsvorschriften regelmäßig stellende Frage lautet, ob ihnen rechtliche Bedeutung auch im Außenverhältnis des Staates zum Bürger zukommt.
Im Ausgangspunkt ist diese Frage zu verneinen, da Verwaltungsvorschriften als definitionsgemäß rein verwaltungsinterne
Innerhalb der Verwaltung bestimmt sich die Reichweite der Bindungswirkung von Verwaltungsvorschriften – vorbehaltlich der Art. 84 Abs. 2 und 85 Abs. 2 S. 1 GG – nach der Organisations- und Weisungsbefugnis der sie erlassenden Instanz. Regelungen (unmittelbar) keine Rechte und Pflichten für den Bürger begründen,Zu (seltenen) Ausnahmen bzgl. rein zuständigkeits- und verfahrensregelnder Verwaltungsvorschriften siehe Erichsen/Klüsche Jura 2000, 540 (543) m.w.N. Mangels Außenwirkung existiert auch kein verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz unmittelbar gegen Verwaltungsvorschriften, siehe Bock JA 2000, 390 (393). weshalb auch keine allgemeine Pflicht zu ihrer Veröffentlichung besteht.Aber auch dann, wenn Verwaltungsvorschriften veröffentlicht werden (z.B. durch die Bundesregierung, siehe www.verwaltungsvorschriften-im-internet.de), ergibt sich aus ihrer Adressierung ausschließlich an Behörden bzw. Verwaltungsbedienstete – und gerade nicht gegenüber dem Bürger –, dass bei diesem kein Vertrauenstatbestand bzgl. ihres Inhalts zur Entstehung gelangt, siehe Bock JA 2000, 390 (393). Deren weitere Anwendung kann die Behörde dem Bürger allerdings ggf. zusichern, siehe Erichsen/Klüsche Jura 2000, 540 (546). Aus demselben Grund sind sie ebenfalls für die Gerichte unbeachtlich, da es sich bei Verwaltungsvorschriften nicht um (Außen-)„Gesetz und Recht“ i.S.v. Art. 20 Abs. 3 und Art. 97 Abs. 1 GG, sondern um schlichte Willenserklärungen der anordnenden Stelle handelt.Schoch Jura 2004, 462 (465). Vgl. auch BVerfGE 78, 214 (227); BVerwG NVwZ 2003, 221 (222). Ein mit einer Verwaltungsvorschrift nicht übereinstimmender Verwaltungsakt wird allein hierdurch also i.d.R. noch nicht rechtswidrig.Erichsen/Klüsche Jura 2000, 540 (544). Dort auch zur Frage, welche Folgen eine außenrechtswidrige Verwaltungsvorschrift für deren Adressaten (Amtswalter) hat. Hierzu ebenfalls Remmert Jura 2004, 728 (729): Solange diese von der erlassenden Stelle nicht aufgehoben wird, besteht für den Amtswalter mangels eigener Verwerfungskompetenz eine Anwendungspflicht (mit der Möglichkeit zur Remonstration). Gleichwohl können manche Arten von Verwaltungsvorschriften im Ergebnis auch Wirkungen gegenüber dem Bürger entfalten:• | normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften kommt als solchen unmittelbare Außenwirkung gegenüber Gerichten und Bürgern zu. BVerwGE 72, 300 (320); 129, 209 (211). Grundlage hierfür ist der in einigen Rechtsbereichen bestehende Beurteilungsspielraum der Verwaltung, in dessen Rahmen (individuelle wie generelle) Verwaltungsentscheidungen nur in beschränktem Umfang der gerichtlichen Kontrolle unterliegen. Nach der RechtsprechungBVerwGE 107, 338 (341). Hierzu vgl. auch Jarass JuS 1999, 104 (108 ff.). ist diese Bindungswirkung allerdings (1) beschränkt auf den Bereich des Umwelt- und Technikrechts, (2) muss die normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift höherrangige Gebote und gesetzliche Wertungen beachten, (3) muss sie in einem sorgfältigen Verfahren unter Mitwirkung von Sachverständigen ergangen und (4) darf sie nicht durch einen etwaigen Erkenntnisfortschritt in Wissenschaft und Technik überholt sein. Früher wurden die (heute sog.) „normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften“ als „antizipierte Sachverständigengutachten“ qualifiziert; |
• | ermessenslenkende/gesetzesvertretende Verwaltungsvorschriften können mittelbar über eine entsprechende ständige Verwaltungspraxis i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG Außenwirkung erlangen (Rn. 233 f.); |
• | norminterpretierende Verwaltungsvorschriften, die der Sache nach mit Stellungnahmen im juristischen Schrifttum vergleichbar sind, kommt keinerlei Außenwirkung zu. Vgl. BVerwGE 72, 300 (320). Die Auslegung des Gesetzes unterliegt der vollen richterlichen Kontrolle, vgl. Art. 19 Abs. 4, 20 Abs. 3, 92 GG. Die norminterpretierende Verwaltungsvorschrift ist vielmehr selbst (mittelbarer) Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung, nicht dagegen ihr Maßstab.Lediglich bei Vorliegen eines Beurteilungsspielraums der Behörde sei auch insoweit eine Selbstbindung der Verwaltung an die von ihr ständig praktizierte Gesetzesauslegung über Art. 3 Abs. 1 GG möglich, siehe Erichsen/Klüsche Jura 2000, 540 (547) m.w.N. In diesem Fall aber liegen normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften vor, so zutreffend Remmert Jura 2004, 728 (731). |