Mit Urteil vom 22.03.2012 (AZ 4 StR 558/11 - abrufbar unter www.bundesgerichtshof.de) hatte der BGH erneut Gelegenheit, über die Anforderungen des dolus eventualis bei Tötungsdelikten nachzudenken. Folgender Sachverhalt lag diesen Überlegungen zugrunde: In einer Disko war es wiederholt zu körperlichen Auseinandersetzungen zwischen A und seinem späteren Opfer O gekommen. Unmittelbar nachdem die Türsteher den letzten Streit geschlichtet und die Gruppen getrennt hatten, setzte A dem O nach und stieß ihm mit den Worten "Verreck, Du Hurensohn" von hinten ein 22 cm langes Messer in den Rücken, wobei er die achte Rippe durchtrennte und mit der Messerspritze in die Lunge eindrang. Das Opfer befand sich in akuter Lebensgefahr, konnte aber durch eine Notoperation gerettet werden. Das LG verurteilte den A wegen §§ 223, 224 StGB und verneinte im übrigen unter Hinweis auf die "Hemmschwellentheorie" den Tötungsvorsatz.
Bei der Frage, ob A sich darüber hinaus des versuchten Totschlags oder gar Mordes strafbar gemacht haben könnte, geht es vornehmlich darum, ob ihm ein Tötungsvorsatz unterstellt werden kann. In Betracht kommt dolus eventualis in Abgrenzung zur bewussten Fahrlässigkeit. Dolus eventualis liegt nach Meinung des BGH vor, wenn der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges für möglich hält und ihn billigend in Kauf nimmt, wobei es ausreicht, wenn er sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet.
Ob der Täter dies im Einzelfall getan hat, hängt von einer umfassenden Bewertung der objektiven und subjektiven Umstände ab. Der BGH hat deutlich gemacht, dass ein lediglich pauschaler Hinweis auf eine "Hemmschwellentheorie" jeglichen argumentativen Gewichts entbehre.
Zwar müsse ein Täter bei der Begehung eines Totschlags oder gar Mordes eine besondere Hemmschwelle überwinden. Dies bedeutet jedoch nichts anderes, als dass die Anhaltspunkte, anhand derer dolus eventualis bejaht werden kann, zahlreich und überzeugend sein müssen, damit das Gericht gem. § 261 StPO zu einer Überzeugung gelangen kann. So müssen im Wege einer Gesamtbetrachtung zum einen die Tat, also die Gefährlichkeit der Handlung und das Risiko des Erfolgseintritts, sowie zum anderen der Täter, insbesondere seine Motive, ggfs. enthemmende Umstände wie Alkoholisierung oder affektive Erregungszustände sowie sein Vor- und Nachtatverhalten, mit in die Abwägung einbezogen werden. Gelangt das Gericht anhand einer umfassenden Würdigung all dieser Aspekte zu der Überzeugung ,dass dolus eventualis vorliege, kann eine Verurteilung aus den §§ 211 ff erfolgen.
In der Klausur sind Sie in der Rolle des urteilenden Richters/der urteilenden Richterin. Sowie diese ein revisionsfestes Urteil machen sollten, sollten Sie eine "korrekturfeste" Klausur schreiben. Es wird also entsprechend dem oben ausgeführten auf eine umfassende, am Sachverhalt orientierte Argumentation ankommen. Wenn Ihnen dies gelingt, dann ist im Ergebnis alles vertretbar.
Gelegentlich wird es auf die Abgrenzung der einzelnen Theorien zur Abgrenzung des dolus eventualis von der bewussten Fahrlässigkeit ankommen. Sollten Sie nähere Informationen dazu suchen, finden Sie das in unserem GuKO SR I sowie in den ExO`S.