A. Das gefährliche Werkzeug bei § 224 Abs. 1 Nr. 2
Der Begriff des „gefährlichen Werkzeugs“ taucht in verschiedenen Straftatbeständen auf, so z. B. beim Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gem. § 113 Abs. 2 Nr. 1 StGB, bei der gefährlichen Körperverletzung gem. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB und beim qualifizierten Diebstahl und Raub gem. §§ 244 Abs. 1 Nr. 1a und 250 Abs. 1 Nr. 1a und Abs. 2 Nr. 1 StGB.
Während die Definition des Begriffs in den §§ 244 Abs. 1 Nr. 1a und 250 Abs. 1 Nr. 1a höchst umstritten ist, ist es bei § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB einfacher. Nach h.M. ist ein gefährliches Werkzeug jeder bewegliche Gegenstand, der nach seiner Beschaffenheit und der konkreten Art der Verwendung geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen. Da der Täter die Körperverletzung „mittels“ des gefährlichen Werkzeugs herbeigeführt hat, kann man zur Definition des Begriffs auf die konkrete Verwendung abstellen.
Hinweis
Das ist bei den §§ 244 Abs. 1 Nr. 1a und 250 Abs. 1 Nr. 1a StGB nicht möglich, da hier der Täter das Werkzeug nur bei sich führen muss. Anders wiederum bei § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB, wo der Täter das gefährliche Werkzeug verwenden muss.
Ein „Klassiker“ des gefährlichen Werkzeugs ist der Schuh. Hier hat nun jüngst der BGH (Urt. v. 25.1.2023 − 6 StR 298/22, abgedruckt in NStZ 2023, 410) wieder wie folgt geurteilt:
„Nach ständiger Rspr. des BGH kommt es für die Frage, ob der Schuh am Fuß des Täters als ein gefährliches Werkzeug iSv § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB anzusehen ist, auf die Umstände des Einzelfalls an, unter anderem auf die Beschaffenheit des Schuhs sowie darauf, mit welcher Heftigkeit und gegen welchen Körperteil getreten wurde. Ein Straßenschuh von üblicher Beschaffenheit stellt regelmäßig ein gefährliches Werkzeug dar, wenn damit einem Menschen gegen den Kopf getreten wird. Das gilt jedenfalls für Tritte in das Gesicht des Opfers. Entsprechendes ist anzunehmen, wenn der Täter Turnschuhe der heute üblichen Art trägt.“
Hinweis
Beachten Sie, dass Körperteile keine gefährlichen Werkezuge sein können. Bei einem Tritt ist also stets auf den Schuh und nicht auf den beschuhten Fuß abzustellen.
B. „Sonst“ ein Werkzeug
Gem. § 244 Abs. 1 Nr. 1b und § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB macht sich ein Täter wegen qualifizierten Diebstahls oder Raubes strafbar, wenn er sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand des Opfers zu überwinden. In Abgrenzung zu der jeweils voranstehenden Ziffer 1a muss der Gegenstand also nicht objektiv gefährlich sein. Um den Tatbestand nicht uferlos werden zu lassen, muss er nach überwiegender Auffassung aber aus sich heraus gefährlich erscheinen, wie das z.B. bei einer ungeladenen Schusswaffe der Fall ist. Ergibt sich die Zwangswirkung auf das Opfer hingegen nur aus der Schauspielkunst des Täters, der dem Opfer z.B. einen Labello-Stift in den Rücken drückt und behauptet, es handele sich um eine geladene Schusswaffe, dann liegt kein qualifizierter Diebstahl oder Raub vor (weitere Ausführungen dazu finden Sie in unserem Kurs SR BT II in der JURACADEMY mit entsprechenden Nachweisen).
Der BGH (Beschl. v. 28.3.2023 – 4 StR 61/23, abgedruckt in NStZ-RR 2023, 204) musste sich nun mit einem Fall befassen, bei welchem der Täter mit ausgestrecktem Arm den Opfern eine Luftpumpe vorhielt, bei welcher er den Kolben herausgezogen hatte und die er wie ein Langgewehr führte. Die Opfer erkannten die Luftpumpe nicht als solche und verließen den Tisch, so dass der Täter wie geplant die auf einem Stuhl abgestellte Handtasche ergreifen und damit fliehen konnte.
In dem Vorhalten der Luftpumpe liegt die Drohung mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben, welche subjektiv final die Wegnahme der Handtasche als fremde bewegliche Sache ermöglicht hat. Da der Täter auch mit rechtswidriger Zueignungsabsicht gehandelt hat, ist zunächst einmal der Grundtatbestand des Raubes gem. § 249 Abs. 1 StGB verwirklicht.
Fraglich ist, ob die Luftpumpe „sonst“ ein Gegenstand ist gem. § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB. Der BGH bejaht dies und führt dazu folgendes aus:
“Die Vorschrift erfasst grundsätzlich alle bewusst gebrauchsbereit mitgeführten Gegenstände, die als Mittel zur Überwindung des Widerstands des Tatopfers mittels Gewalt oder Drohung geeignet sind, also auch sogenannte Scheinwaffen, d. h. Gegenstände, die objektiv ungefährlich sind und deren Verletzungstauglichkeit nur vorgetäuscht wird ... Nach der Rspr. des BGH sind allerdings vom Anwendungsbereich des § 250 I Nr. 1 b StGB auf Grund einer einschränkenden Auslegung solche Gegenstände auszunehmen, die für einen objektiven Beobachter schon nach ihrem äußeren Erscheinungsbild offensichtlich ungefährlich und deshalb nicht geeignet sind, mit ihnen – etwa durch Schlagen, Stoßen, Stechen oder in ähnlicher Weise – auf den Körper eines anderen in erheblicher Weise einzuwirken .... Ein derartiger Fall liegt hier jedoch nicht vor. Die vom Angekl. verwendete Luftpumpe war auch für einen objektiven Beobachter nicht offenkundig ungefährlich. Insbesondere durch ihren Einsatz als Schlagwerkzeug gegen empfindliche Körperstellen hätte mit ihr erheblich auf den Körper eines anderen eingewirkt werden können … Der Gegenstand war „seiner Art nach“ dazu geeignet, von dem Opfer als Bedrohung wahrgenommen zu werden. Damit steht die vom Täter zugleich beabsichtigte Täuschung des Tatopfers hinsichtlich der von dem mitgeführten Gegenstand ausgehenden Drohwirkung – hier: als vermeintliche Schusswaffe – nicht derart im Vordergrund, dass die Anwendung von § 250 I Nr. 1 b StGB den (Wort-)Sinn des Gesetzes verfehlen … Denn eine Täuschung des Opfers wird bei dem Gebrauch jeder „Scheinwaffe“ im Hinblick auf deren objektive Ungefährlichkeit angestrebt.“
C. Die Beleidigung, der geschützte Raum und die berechtigten Interessen
Mit der Beleidigung gem. § 185 StGB musste sich das BayOLG (Beschluss vom 01.03.2023 – 203 StRR 38/23, abgedruckt in BeckRS 2023, 13711) unter Zugrundelegung folgenden Sachverhalts befassen:
Die Angeklagte B wurde von der Polizei aufgegriffen und auf eine Polizeidienststelle gebracht. Als sie später in Begleitung ihrer Freundin F die Dienststelle verließ, bezeichnete sie gegenüber F die mit der Kontrolle befassten Beamten, darunter auch Polizeibeamtin P lauthals als „Hurensöhne“. Ob sie dabei davon ausging, die Beamten würden die Äußerung hören, konnte nicht festgestellt werden.
§ 185 StGB erfasst sowohl unwahre und beleidigende Tatsachenbehauptungen im Zwei-Personen-Verhältnis als auch beleidigende Werturteile.
Der Begriff „Hurensohn“ ist dabei nach Auffassung des BayOLG unproblematisch als ehrenrühriges Werturteil zu begreifen. Die Polizisten sind auch individualisierbar und damit beleidigungsfähige Objekte. Die Äußerung wurde zum einen auf der Dienststelle und damit objektiv ihnen gegenüber als auch gegenüber der Freundin F getätigt. Das BayOLG hat in diesem Zusammenhang deutlich gemacht, dass die Äußerung nicht gegenüber dem zu beleidigenden Objekt erfolgen muss. Es reicht vielmehr auch aus, wenn sie gegenüber einem Dritten getätigt wird. Insofern ist es unbeachtlich, ob B evtl. annahm, die Polizisten hätten den Ausspruch nicht vernommen, da sie jedenfalls wusste, dass F ihn vernommen hatte.
Anerkannt ist jedoch, dass es „beleidigungsfreie Sphären“ geben muss, innerhalb derer beleidigende Äußerungen strafrechtlich nicht relevant sind. Eine solche Sphäre hat das BayOLG vorliegend aber verneint und dazu folgendes ausgeführt:
„In der Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, dass es einen Bereich vertraulicher Kommunikation innerhalb besonders ausgestalteter Vertrauensbeziehungen gibt, in der der Äußernde ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Konventionen und ohne Sorge vor staatlicher Sanktionierung kommunizieren darf …. Äußerungen, die gegenüber Außenstehenden oder der Öffentlichkeit wegen ihres ehrverletzenden Gehalts eigentlich nicht schutzwürdig wären, genießen in solchen privaten Vertraulichkeitsbeziehungen verfassungsrechtlichen Schutz, welcher dem Schutz der Ehre des durch die Äußerung Betroffenen vorgeht … Voraussetzung für die Straffreiheit ist jedoch, dass es sich um eine Äußerung gegenüber einer Vertrauensperson handelt, die in einer Sphäre fällt, die gegen die Wahrnehmung von Seiten weiterer Personen abgeschirmt ist …Dies war hier nach den Feststellungen nicht der Fall. Die Angeklagte äußerte sich nicht vertraulich in einer Sphäre, in der sie davon ausgehen konnte, dass ihre Worte gegen die Wahrnehmung durch den Betroffenen und Dritte abgeschirmt waren, sondern schreiend im öffentlichen Raum beim Verlassen einer Polizeidienststelle.“
Der Tatbestand des § 185 StGB ist damit verwirklicht. Fraglich ist aber, ob B nicht gem. § 193 StGB wegen Wahrnehmung berechtigter Interessen gerechtfertigt sein könnte. Hier muss in besonderen Maße dem Recht auf freie Meinungsäußerung Rechnung getragen werden und durch Abwägung ermittelt werden, ob Äußerungen noch durch Art. 5 GG gedeckt sind.
Das BayOLG hat die berechtigten Interessen gem. § 193 StGB verneint und dies umfangreich wie folgt begründet:
„Die Angeklagte hat ein nach allgemeiner Auffassung besonders krasses, aus sich heraus herabwürdigendes Schimpfwort verwendet, das eine kontextunabhängig gesellschaftlich absolut missbilligte und tabuisierte Begrifflichkeit darstellt. Die verwendete Beschimpfung verlässt das absolute Mindestmaß menschlichen Respekts und kann unabhängig von den Umständen grundsätzlich nicht mit der Meinungsfreiheit vereinbar sein. Ein Kontext, in dem die Bezeichnung eines Amtsträgers als Hurensohn gesellschaftlich billigenswert erscheinen könnte, ist nicht denkbar … Bei einer solchen Formalbeleidigung tritt ohne weitere Gewichtung und kontextspezifische Einzelfallabwägung die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG hinter den Ehrenschutz zurück … Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass eine – hilfsweise – vorgenommene Abwägung der widerstreitenden Interessen … auf der Grundlage der im Urteil insoweit noch ausreichend festgestellten Umstände des Einzelfalls zu keinem anderen Ergebnis führen könnte. Das Recht des Bürgers, gerichtliche Entscheidungen ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen zu kritisieren, gehört zum Kernbereich des Rechts auf freie Meinungsäußerung, weshalb deren Gewicht in diesen Fällen besonders hoch zu veranschlagen ist. Dabei fallen grundsätzlich auch scharfe und übersteigerte Äußerungen in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG. Befindet sich jemand im sogenannten „Kampf ums Recht“, ist es ihm zur plastischen Darstellung seiner Position grundsätzlich auch erlaubt, starke und eindringliche Ausdrücke zu benutzen, ohne jedes Wort auf die Waagschale legen zu müssen. Allerdings bleiben auch die Gesichtspunkte der Machtkritik und des „Kampfs ums Recht“ in eine Abwägung eingebunden und erlauben nicht jede ins Persönliche gehende Beschimpfung von Amtsträgern … Die betroffenen Beamten bedürfen als Träger einer hervorgehobenen staatlichen Funktion im Interesse einer wirkungsvollen Erfüllung öffentlicher Aufgaben des besonderen staatlichen Schutzes …Im konkreten Fall sind zwar die Rechtmäßigkeit und der Ablauf der Kontrolle nicht feststellbar. Jedoch fällt als Abwägungsgesichtspunkt zugunsten des Ehrenschutzes und des sozialen Geltungsanspruches der Beamten der als besonders grob herabwürdigend einzuordnende Inhalt der Äußerung beträchtlich ins Gewicht. Der abschätzige Begriff „Hurensohn“ weist inhaltlich keinen erkennbaren Bezug zu der Polizeikontrolle auf, sondern trifft die Person… und insbesondere die Abstammung der Beamten und verletzt auch den sozialen Achtungsanspruch von deren Müttern …. Selbst wenn es im Kontext von Auseinandersetzungen mit Amtsträgern grundsätzlich erlaubt ist, auch besonders starke und eindringliche Ausdrücke zu benutzen, um Rechtspositionen und Anliegen zu unterstreichen, wäre situationsunabhängig das Betiteln mit unflätigen Schimpfwörtern unter der Einbeziehung von Verwandten der Geschädigten nicht mehr gerechtfertigt. Die Angeklagte hätte mit der Verwendung der Schimpfwörter das Maß und die Form durch die Meinungsfreiheit gedeckter Kritik und Empörung eindeutig verlassen.“